Warum denken wir eher in Dur?

fugato
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Magdeburg... ist gar nicht so übel
Ich weiß schon: jetzt werden einige der Komponisten unter euch sagen - ich denke eigentlich lieber in Moll, oder ihr werdet sagen, dass beides gleich wichtig ist. Ich sehe das im Grunde auch so!
Mir geht es um etwas anderes: Das Unterthema lautet "Psycho-Harmonik" - wenn man das so nennen kann.

Folgende Situation:
Jede Chorprobe beginne ich mit relativ ausgedehnter chorischer Stimmbildung (Einsingen) dabei nutze ich auch immer wieder eine Übung, die ich "Chororgel" nenne. Ich stelle einen 4-6stimmigen Endlos-Akkord ein z.B. auf Vokal und rufe in den Chor, welche Stimme sich wie bewegen soll - z.B. Alt ein Halbton hinauf; Tenor ein Ganzton runter; Bass Quarte aufwärts... etc. Dabei entstehen immer wieder neue Akkorde und man kann in den Klängen baden.
So jetzt kommts: Gerne stelle ich bei dieser "Chororgel" Septakkorde [D7], auch verminderte Septakkorde in den Chor ein und sage dann nur noch: "AUFLÖSEN"!
Dann lösen die Stimmen, die die Dissonanzen haben nach Gehör auf. Dafür habe ich ja nie Regeln vermittelt oder Normen angegeben - es ist ja nur ein Spiel. Die Sänger/innen wissen jedoch selber durch ihre Hörerfahrung und musikalische Bildung, wohin sie sich innerhalob des Klangs auflösen müssen. Mich wundert nur, wieso es bei der Auflösung noch nie einen Mollakkord zu hören gab. Jedes Mal wenn ich sage "Auflösen" kommt ein Dur-Akkord dabei heraus.
WARUM?
 
Eigenschaft
 
Das Thema ist interessant. Liegt es überwiegend an den Hörgewohnheiten der Menschen, vielleicht daran, dass möglicherweise die Anzahl der in Dur verfassten Lieder und Kompositionen insgesamt deutlich überwiegt?

Eine ganz diffuse Vermutung: Es könnte eventuell an der momentanen psychischen Verfassung der Sänger/Sängerinnen liegen, wenn sie - ich nehme an - freiwillig und mit Spaß an der Sache (oder handelt es sich um einen professionellen Chor?) die Chorprobe besuchen und die persönliche Befindlichkeit des einzelnen positiv ist...
Mir ist schon klar, dass das rein spekulativ ist.
Wenn man die landläufige Annahme teilt, dass Dur eher fröhlich, lustig, heiter klingt und Moll dagegen eher traurig oder introvertiert, dann könnte man so zu einer Hypothese kommen.
Allerdings fallen mir im gleichen Atemzug Kompositionen ein, die meines Erachtens genau das Gegenteil beweisen:
Mozarts große g-Moll- Sinfonie (1.Satz) klingt keineswegs traurig. Umgekehrt wirkt auf mich das Lied "Das Wirtshaus" aus der "Winterreise" von Schubert, das Dur-Tonalität aufweist, deprimierend und resignierend.

Das von Dir genannte Phänomen stelle ich ähnlich auch im Schulunterricht fest, wenn es um´s Singen geht.
Aber erklären kann ich es genauso wenig wie Du:).

Vielleicht gibt es noch einige erhellende Beiträge zu diesem spannenden Thema.
 
Ich hatte ja zwischenzeitlich vermutet, dass ich den Chor unbewusst durch vorhergehende Stimmbildungsübungen in Dur eben eher nach Dur hinführe. Das habe ich dann aber mehrfach versucht zu vermeiden und trotzdem wird ein Septakkord nach Dur aufgelöst.
Das Gleiche Problem zeigt sich in anderer Gestalt auch bei mir in der Schule. Wenn ich z.B. mit meinem Musikkurs 11 Einsingen mache (der Kurs singt vierstimmig sicher), dann singen die Schüler/innen problemlos Dur-Übungen nach. Beginne ich mit einer Einsingeübung in Moll, dann gibts immer Intonations- und Reproduktionsprobleme und man muss sich erstmal "gerade hinsetzen" und konzentrieren um die Mollstelle nachzusingen. Ist doch seltsam.
 
Hi Fugato,

in diesem Zusammenhang sollte man auch einmal über Sinn und Zweck der Picardschen Terz nachdenken.
Ich glaube es ist zum einen der kürzere Weg der Dominant-Strebeseptime zur Dur-Terz der Dur-Tonika als zur Moll-Terz der Moll-Tonika und zum anderen, dass sich beim Durklang die Koinzidenzen von Teilschwingungen über mehr Frequenzen als beim Mollklang erstrecken. Es gibt beim Durklang mehr Übereinstimmungen der einzelnen Frequenzen und er ist, wenn man das so sagen kann, dadurch um einen "Tick" konsonanter/stabiler.
 
Hi Fugato,

in diesem Zusammenhang sollte man auch einmal über Sinn und Zweck der Picardschen Terz nachdenken.
Ich glaube es ist zum einen der kürzere Weg der Dominant-Strebeseptime zur Dur-Terz der Dur-Tonika als zur Moll-Terz der Moll-Tonika und zum anderen, dass sich beim Durklang die Koinzidenzen von Teilschwingungen über mehr Frequenzen als beim Mollklang erstrecken. Es gibt beim Durklang mehr Übereinstimmungen der einzelnen Frequenzen und er ist, wenn man das so sagen kann, dadurch um einen "Tick" konsonanter/stabiler.


Das leuchtet ein und dazu habe ich noch einmal nachgelesen und Folgendes Gefunden:
"Zu ergänzen ist ferner ein Aspekt, der sehr wohl einen Ansatz zum Verständnis der emotionalen Wertigkeit von Dur vs. Moll liefert: Die Dur-Terz ist ein früh in der Obertonreihe des Grundtones auftretender Ton (nämlich bereits der vierte), während die Moll-Terz SEHR viel später folgt. Insofern ist Dur aufgrund der näheren Verwandtschaft der beteiligten Töne der "natürlichere" Akkord, das könnte sehr gut erklären, dass wir ihn als angenehmer empfinden. Dass das Hörempfinden kulturell stark überprägbar ist, muss natürlich mit einkalkuliert werden. .."

Quelle aus "Spektrum der Wissenschaft": http://www.spektrum.de/artikel/986153
 
Liegt es überwiegend an den Hörgewohnheiten der Menschen, vielleicht daran, dass möglicherweise die Anzahl der in Dur verfassten Lieder und Kompositionen insgesamt deutlich überwiegt?
Das wäre keine ausreichende Erklärung, denn es würde sich die Frage anschließen, warum die Anzahl der in Dur verfassten Lieder und Kompositionen insgesamt deutlich überwiegt.

Hi Fugato,
Es gibt beim Durklang mehr Übereinstimmungen der einzelnen Frequenzen und er ist, wenn man das so sagen kann, dadurch um einen "Tick" konsonanter/stabiler.

Die Dur-Terz ist ein früh in der Obertonreihe des Grundtones auftretender Ton (nämlich bereits der vierte), während die Moll-Terz SEHR viel später folgt.
Das ist wohl die wichtigste Erklärung, die auch in diesem Thread schon gegeben wurde.
Hinzu kommt das Phänomen der Kombinationstöne, welches zur erhöhten "Rauhigkeit" des Moll-Dreiklangs im Vergleich zum Dur-Dreiklang führt.
Die Arbeit von Helmholtz* ist wegweisend und sollte wieder vermehrt gelesen werden. Es gibt sogar eine Neuauflage.
In diesem Beitrag wird eine online-Quelle angegeben.
Auf den Seiten 320 bis 354 untersucht er ausführlich die Unterschiede zwischen dem Dur- und Moll-Akkord.

Fazit: Der Dur-Akkord ist aus verschiedenen Gründen der konsonanteste aller Akkorde, innerhalb einer Oktave.

Interessant wäre, den Konsonanzgrad einer Quintschichtung zu untersuchen, der sicher auch relativ hoch ist. Eine Oktave wird hierbei jedoch überschritten und die Obertöne reiben sich im Sekundabstand natürlich sehr. Es sind auch eine Reihe von weiteren Gründen denkbar, weshalb die Quintschichtung keine so hohe Bedeutung wie der Dur- oder Mollakkord erreichen kann.

* Hermann von Helmholtz (1865): Die Lehre von den Tonempfindungen: Als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik

Der Buchtitel trifft doch wohl den Gedanken von fugato, einer Psycho-Harmonik, schon ziemlich genau.

Viele Grüße
Klaus
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich weiß schon: jetzt werden einige der Komponisten unter euch sagen - ich denke eigentlich lieber in Moll, oder ihr werdet sagen, dass beides gleich wichtig ist. Ich sehe das im Grunde auch so!

Meine Antwort ist hier, ich denke weder in Dur noch in Moll. Diese Begriffe und Denkweisen verwende ich nur noch, wenn ich Jazz spielen möchte, jedoch nicht mehr in meinen eigenen Kompositionen.

Randbemerkung: Gestern habe ich Klavierstücke von Iannis Xenakis von 1951 gehört, vorwiegend tonale Klavierstücke. Xenakis hat damals schon den modernen Klavier-Jazz der 90er und der letzten Dekade, ala Brad Mehldau oder Jacky Terrasson, vorweggenommen. Dies tut diesen Künstlern natürlich keinen Abbruch, aber es ist erstaunlich, wie weit Komponisten Mitte des 20. Jahrhunderts bereits waren. Es muss allerdings auch erwähnt werden, dass einige in dieser Klavier-Musik enthaltene Elemente bereits vorher existierten, in der Musik der Romantik. Xenakis veröffentlichte diese aus seiner Sicht eher alten Stücke damals nicht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Meine Antwort ist, ich denke weder in Dur noch in Moll. Diese Begriffe und Denkweisen verwende ich nur noch, wenn ich Jazz spielen möchte, jedoch nicht mehr in meinen eigenen Kompositionen.

Naja, aber das IST keine Antwort! Zumindest nicht auf die im Eröffnungsposting gestellte Frage ... !! Die Frage war nämlich nicht, ob DU Dur-fixiert bist, oder nicht, sondern, warum dies wohl auf die allermeisten unserer Zeitenossen zutrifft ...

LG, Thomas
 
In der Tat. Das leuchtet mir glasklar ein. Der Mollakkord als überaus unreine Konsonanz. Gleichzeitig die Frage der Stimmführung... also der noch kürzere Weg von der Septe zur Terz. Das sind in der Tat gut und schlagfertige Argumente.
ICh habs eben nocheinmal ausprobiert:
Wenn man aus der "Kalten" einen Dominantseptakkord spielt und ihn nach Moll auflöst, dann klingt das sogar irgendwie befremdlich und unvollständig... sogar unbefriedigend. Dur hingegen akzeptiert man ohne jede weitere Empfindung.
Das ist wirklich sehr spannend.
Ich werde heute abend in der Chorprobe ein kleines Experiment durchführen und euch später davon berichten.
Ich werde am Klavier eine Kadenz in Moll spielen und dann unverzüglich und kommentarlos den D7 in die Chorstimmen verteilen und nach einer Weile des "Klanggenusses" die Aufforderung zum Auflösen geben. Mal sehen was passiert?

Fragen zum Experiment:
1. Lassen sich die hier benannten Parameter des Dur-Klangs als im Vergleich konsonanteren Klang durch harmonische Vorbereitung überlisten?
2. Wirken trotz der Lenkungsversuche dennoch die "Gesetze" der Auflösung über den allerkürzesten Weg hin zur "konsonateren" Terz?
3. Wird es abhängig von der musikalischen Vorbildung u.a. der Sänger/innen zu einer Mischung aus Dur- und Moll-Auflösung kommen?

Die Beantwortung dieser Fragen wird sicher neue Fragen aufkommen lassen.
Ich werde euch die Ergebnisse mitteilen.

MIDI für den Selbstversuch

Letztlich ist eine wichtige Frasge zu klären... das muss ich noch ergänzen...

Ist die Tonalität von Dreiklängen primär von ihrer akustischen Struktur und nicht von der jeweiligen Kultur mit ihren Wahrnehmungsgewohnheiten (also eher musiksoziologische Aspekte) oder gar von einer Psychologie des Hörens bestimmt?

Kollegen Schulmusiker:
Bei Lichte besehen - ein cooles Kursthema für den Musikunterricht. :gruebel:


Titel:

Moll vs. Dur
Psychoakustische, physikalische, physiologische und soziologische Untersuchungen unserer Hörgewohnheiten
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Ich werde heute abend in der Chorprobe ein kleines Experiment durchführen und euch später davon berichten.
Ich werde am Klavier eine Kadenz in Moll spielen und dann unverzüglich und kommentarlos den D7 in die Chorstimmen verteilen und nach einer Weile des "Klanggenusses" die Aufforderung zum Auflösen geben. Mal sehen was passiert?

Ich würde darauf tippen, daß die Auflösung in diesem Fall tendenziell eher nach moll gehen wird, ... weil dieser Sound durch die vorangegangene Übung bzw. die Kadenz einfach schon "etabliert" ist, und das Ohr immer den Weg des geringsten Widerstandes geht ...

Aber spannend ist das in der Tat !!

LG, Thomas
 
Als Jugendlicher hatte ich mich an der Picardschen Terz in Bachs WTK immer gestört. Moll muss mit Moll enden. :)
Heute begreife ich den finalen Durdreiklang als das Vollkommenere und akzeptiere das.
 
Na, dann warten wir mal, was das Experiment bringt.

Bestimmte Forscher sehen auch einen Zusammenhang zwischen Musik und Sprache hinsichtlich der unterschiedlichen Wirkung von Dur und Moll und damit der großen bzw. kleinen Terz, und zwar nicht nur bezogen auf unsere westliche Welt und den entsprechenden Kulturkreis, sondern auch für entfernte Kulturen:

"Tonfolgen in Sprache und Musik drücken ähnliche Stimmungen aus
Das Ergebnis: Bestimmte Intervalle kommen häufiger bei Melodien in Dur vor, bestimmte andere häufiger bei Melodien in Moll. Und der Hauptunterschied war, wie nicht anders zu erwarten, die große oder kleine Terz. Aber die Forscher sammelten und analysierten nicht nur Musik-, sondern auch Sprachproben, und zwar ganz bewusst solche in zwei emotionalen "Geschmacksrichtungen":
Einmal sehr gute Stimmung, einmal sehr schlechte. Für diese Unterscheidung ist nicht etwa die Satzmelodie ausschlaggebend, das funktioniert sogar bei einzelnen Lauten…
Daniel Bowling: "Wir haben die Verhältnisse zwischen diesen verstärkten Bereichen in der Sprache gemessen, und dabei kam erstens heraus, dass sie oft den Frequenzverhältnissen in musikalischen Intervallen gleichen." Vor allem haben sie festgestellt, dass im Formantverhältnis bei den Sprechproben in gedämpfter Stimmung häufiger die kleine Terz vorkommt, und bei den Proben in freudiger Stimmung häufiger die große Terz…"

Hier der Artikel:

http://wissen.dradio.de/index.35.de.html?dram:article_id=591&sid=
 
Edit: Ich lese gerade, dass es in dem Experiment in dem Artikel NICHT um Sprache ging, sondern um klassische Musik und finnische Volkslieder. Dennoch:

Zu der Aussage von Daniel Bowling und dem Artikel hätte ich gerne mal empirische Ergebnisse. Ansonsten muss ich wirklich sagen, es scheint mir eher eine unbelegte Behauptung zu sein. Man bedenke, dass in der Sprache wesentlich mehr Intervalle vorkommen, als jene aus dem gleichmäßig temperierten 12-Tonsystem oder auch dem wohltemperierten 12-Tonsystem. Sprache ist da eher ein dynamisches Tonsystem, in dem immer wieder andere Frequenzen hervorgehoben werden und über die Zeit gesehen, auch bei nur einer Person, sehr viele verschiedene Intervalle auftreten. Ich bin mir rein von der Intuition her ziemlich sicher, dass sich Sprache und ihre Wirkung nicht wie hier in dem Artikel auf die kleine und große Terz beziehen lassen, so dass eine derartige Aussage belegbar wäre.

Was ich mir eher vorstellen kann, wäre ein Zusammenhang zwischen der größe von Intervallen in der Sprache und dem Ausgedrückten. Wenn Kinder zum Beispiel gerade spielen, dann kommen irgendwie große Intervall-Sprünge vor. Wenn jedoch jemand eher monoton etwas vorließt, dann sind die Sprünge sehr klein. Dies alles jedoch auf kleine und große Terz zu reduzieren scheint mir ein Fehler zu sein.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wie wäre es mit "trägheit"? Von der D-septime in die Dur-terz ist ein halber, in die moll-terz ein ganzer schritt. Leittöne haben vorfahrt.
Bei quintlage könnte es anders sein: D3/5 : quinte in die moll-terz. Aber freilich sind wir "ver-durt", nicht so Russen und andere (orthodoxes liedgut?).
 
Zuletzt bearbeitet:
Daß im Menschen Dur implementiert ist, kann man schon daran erkennen, daß es eigentlich keine Kinderlieder gibt, die in Moll sind.

Die von fugato beschriebene Dur-Denkweise eines Chores kenne ich schon lange, sogar ohne, daß vorher ein anderer Akkord gesungen wird.

Wenn man Menschen anregt, irgendwas zu singen, werden sie nach kürzester Zeit sich kollektiv auf einen Dur-Akkord einigen und ihn singen.

Ich führe das auf die 12-Ton-Systematik zurück. Innerhalb dieses Systems bilden nur Quinten und Chromatik und ihre Komplementäre eine mathematisch unendliche Reihe.

Der Quintfall ist einer der markantesten Eckpunkte, der zudem das Material für die Dur-Tonleiter bereitstellt, darüber hinaus kennt man die Schlußwirkung dieses Intervalls in der Melodik.

Ein weiterer Anhaltspunkt ist für mich der tonale Schwerpunkt. Da verweise ich wieder einmal auf die diatonische Quintfallkadenz, die stets auf der Subdominante in Dur endet, weshalb George Russell ja von einem tonalen Schwerpunkt spricht.

Weshalb ich diesen musikalischen Sängereffekt als eine mathematische Konsequenz der 12er-Unterteilung der Oktave zurückführe, die wiederum eine Folge der Primzahlen ist, und eben nicht als ein psychologischer Hörgewohnheiteneffekt abgetan werden kann.
 
Dass sich ein C7 eher in F als in Fm auflöst kann ich absolut nachvollziehen, der Verwandtschaftsgrad ist einfach größer, und die melodische Distanz - wie erwähnt - kürzer. Vom Verwandtschaftsgrad noch näherliegender wäre eine Auflösung in C; wenn im Falle einer reinen Naturseptime 7:4 überhaupt eine Auflösung notwendig ist.
(auch angenehm klingt ein C9 mit Naturseptime).

Dass der °7 nicht in einen von ihm eingeschlossenen Moll-Dreiklang aufgelöst wurde finde ich von dem Aspekt der Hörgewohnheiten her interessant. Prinzipiell wüsste ich allerdings nicht, warum Harmonisch Moll (C° -> Dbm) gegenüber Harmonisch Dur (C° -> Db) ausgezeichnet sein sollte, und der Dur-Dreiklang ist wie schon erwähnt einen Tick konsonanter als der Moll-Dreiklang, weswegen mich hier die Auflösung auch nur bedingt wundert.

Ich denke auch insbesondere beim Singen gewinnen Konsonanzen alleine deswegen schon an Relevanz, weil sie eine Orientierungshilfe darstellen.

Was mich interessieren würde ist, wie deine Truppe einen m7b5 auflösen würde.
(mit der Annahme, er müsse aufgelöst werden)
 
Zuletzt bearbeitet:
Edit: Ich lese gerade, dass es in dem Experiment in dem Artikel NICHT um Sprache ging, sondern um klassische Musik und finnische Volkslieder...

Es geht sogar ausdrücklich um die Verbindung und den Zusammenhang zwischen Musik und Sprache und keineswegs auch nur um finnische Volkslieder, sondern um die Gesetzmäßigkeiten zwischen westlicher Musik und Sprache (im unteren Beispiel "Englisch").

Vielleicht wird das in dem o.a. Artikel nicht so deutlich, daher hier noch einmal ein anderer Artikel, der sich auf die empirischen Untersuchungen von D. Bowling und anderen bezieht:

http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-10905-2009-12-04.html
 
Zunächst zum Chor-Experiment: Wenn sich durch vorherige Übungen, das Moll-Gefühl genügend durchgesetzt hat, wird auch nach Moll aufgelöst werden. Andere Kulturen, wie z.B. die russische würden sicher viel eher zu Moll tendieren. Doch möglicherweise entspricht Moll hier eher dem "trüb-harten" Lebensgefühl mit unwirtlichen natürlichen Verhältnissen (russicher Winter)? Der hohe Alkoholkonsum spricht vielleicht ebenfalls für eine gedämpfte Stimmung.

Zum anderen Thema:

Für mich ist es völlig evident, daß natürliche Grundlagen vom Musikempfindungen existieren. Werden diese verlassen, besteht die Gefahr, daß uns die Musik emotionell nicht mehr so stark berührt und u.U. allein schon aus diesem Grund auf völliges Desinteresse stößt.

Zu den natürlichen Grundlagen zählt u.a., daß wir die Verstimmung von reinen Intervallen viel genauer wahrnehmen können, als die von dissonanten u.v.a. mehr. Und selbstverständlich wird auch Zwölftonmusik tonal gehört. Wir können dieser "Gravitationskraft", wie Paul Hindemith meint, gar nicht entgehen (siehe früherer Thread).

Emotionale Ausdruckskraft müßte bei Musik, welche auf Harmonien verzichtet, auf andere Weise erzeugt werden, was aber schwieriger sein dürfte.

Danke für den Hinweis auf die Arbeit von Purves!

Nach ersten Recherchen stellt sich heraus, daß er u.a. in den PNAS veröffentlicht. Er hat damit hohe wissenschaftliche Weihen erhalten und ist ernst zu nehmen.

Wie aus einer früheren PNAS-Arbeit (2007) hervorgeht, untersuchte er die Intervalle, die in Sprachen aus ganz unterschiedlichen Kulturen (Englisch und Mandarin) verwendet werden. Aus der Arbeit geht ein Ergebnis hervor, das (zumindest mich) wenig überrascht:

Von den chromatischen Intervallen werden in den beiden Sprachen ganz bestimmte bevorzugt, nämlich die der Pentatonik (≈70%) und Heptatonik (≈80% ). Dies spricht nach Meinung der Autoren dafür, daß die größere Präferenz für diatonische und pentatonische Skalen aus der größeren Vertrautheit mit diesen Formant-Verhältnissen aus der Sprache rührt.

Hier der Original-Text:

A third question of interest concerns the widespread preference across cultures for diatonic (seven-note) and pentatonic (five-note) subsets of the chromatic scale in creating music (18-22, 27). The pentatonic scale in particular is the basis for much ethnic ("folk";) music worldwide. It is noteworthy in this respect that, of the chromatic intervals in our data, ≈70% are components of the pentatonic scale and ≈80% of the diatonic scale (see SI Table 4). This prevalence suggests that the general preference for diatonic and pentatonic scales arises from the greater familiarity with these formant ratios in the speech of any language.
Quelle: Deborah Ross, Jonathan Choi, and Dale Purves: Musical intervals in speech
Nun zur zitierten aktuellen Arbeit von Purves:

Die Original-Arbeit ist noch "Under review".

Sie heißt:

Major and Minor music compared to excited and subdued speech
Bowling D. L., Gill K , Choi J.D., Prinz J., Purves D. (2009) JASA

Der Abstract liegt vor.

Ergebnis: Die Spektren von Dur finden sich eher in erregter Sprache, während die von Moll eher in gedämpfter Sprache zu finden ist.

Viele Grüße
Klaus
 
Günter Sch.;4532720 schrieb:
Wie wäre es mit "trägheit"? Von der D-septime in die Dur-terz ist ein halber, in die moll-terz ein ganzer schritt. Leittöne haben vorfahrt.
Das hatte ich auch schon erwähnt und fühle mich nun durch Dich bestärkt. Je näher das Eisenstück am Magneten ist, desto stärker wird es angezogen. :)
 
@PVaults: Interessant, dass du hier auf mathematische Modelle zurückgreifst, um ein musikalisches Phänomen einzuordnen. Neulich meintest du noch, man sollte mathematische Ansätze strikt von der Theorie der Harmonik in der Harmonielehre trennen. Zumindest verstand ich das so. Nun gut, um so besser!! Mathematik hilft eben weiter.

Ich bin jedoch ganz anderer Meinung als du. Ich sehe die Musik, welche die meisten Menschen in der westlichen Welt scheinbar mögen, zu etwa 95% durch Hörgewohnheiten gefestigt, und eben nicht durch mathematische Zusammenhänge.

Es ist auch nicht so, dass es in anderer Musik keine konsonanten Intervalle und Klänge gibt, mit ihren entsprechenden Wirkungen. Doch das 12-Tonsystem, welches in unseren Landen so selbstverständlich zu sein scheint, ist alles andere als natürlich und durch mathematische Zusammenhänge etabliert. Es ist einzig und allein wegen der historischen Entwicklung und der daraus folgenden Verbreitung und Wiederholung in Kombination mit den Regeln der Harmonielehre derart "erfolgreich", und viele Leute wollen daran festhalten, weil sie es gewohnt sind, die resultierende Musik zu genießen. Von Kind auf lernen die Menschen hierzulande Dur kennen. Und das ist der eigentliche Grund, warum uns zum Beispiel arabische Musik zunächst Fremd klingt. Oder erinnert euch daran, wie ihr zum ersten mal richtigen Jazz gehört habt. Eine seltsame, beeindruckende Erfahrung. Es klang alles so anders. Nach einiger Zeit jedoch klang es schlüssig und sogar besser als die Musik, welche man sonst so hörte. So etwas liegt einzig an den Gewohnheiten, an der Konditionierung des Gehirns, denn auch in uns zunächst fremd klingender Musik sind oft mathematische Zusammenhänge zu erkennen und konsonante Klänge enthalten.

Achtet auch mal darauf, was die Vögel so zwitchern. Da sind "Mikrotonalität", Glissandi, Dissonanzen und "unaufgelöste" Klänge der Normalfall. Quintfälle sind dort und anderswo eher Spezialfälle.
 
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