Der Wolf auf der Geige

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Streichinstrumentenbau
HCA
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Hallo alle,

es gibt ihn tatsächlich!
Ich hatte heute eine (günstige, 250 Euro) Geige mit einem sehr! hartnäckigen Wolf in Händen.
Zwischen E-F.

Ich habe ein paar Sachen ausprobiert (Stimme, Steg), aber nicht alles, da irgenwann Schluß sein muß.
Meine Entscheidung lautete: nicht zu eliminieren, da Bauart-bedingt zu dominant.

Ich hatte bisher wirklich gaaanz selten Geigenwölfe, aber der von heute, war der übelste bislang!
Da ist nichts zu machen - man kann diese ganzen Wolftöter-Anklemmer in die Tonne klopfen.
Das hilft alles nix.

Es gibt zwar noch mehr Möglichkeiten, aber der Aufwand der Sucherei und Probiererei ist immens.
Die Erfolgsaussichten bescheiden..

Ich kenne, aus Beobachtung über die Werkbank hinweg, Fälle, wo es jedesmal ein Nervenkitzel war.
Hier hilft nur: das ganze Repertoire abfahren und die schweren Geschütze auffahren.
Wenn man trifft, ist man als Geigenbauer der Held, wenn nicht, muß man sich eine betroffene Rede ausdenken.

Das ist zwar ganz großes Handwerkskino, aber irgendwo auch immer ein Krampf.


cheers, fiddle
 
Eigenschaft
 
Und was ist dann das schwere Geschütz? Deckendicke bearbeiten? Bassbalken versetzen?
 
Bei einer teuren Geige kann es soweit gehen, daß man zuletzt öffnet und es mit einem neuen Bassbalken versucht.
Grundsätzlich versucht man als Reparateur die Grundsubstanz zu erhalten.
Ausschachteln macht man nur in seltenen Ausnahmefällen.

Es ist auch denkbar, ein stärkeres Stimmfutter bis Brustfutter stehen zu lassen, wenn man im Zuge einer Reparatur
in eine bestimmte Richtung arbeitet. Das geht dann meist in Kombination mit größeren Geschichten einher.

Der Preisbereich an Reparaturen von dem wir hier gerade Reden liegt deutlich über 1000 Euro.

Normalerweise wird erst einmal der Standard von außen versucht:
- Steg, Stimme
- Anhängesaite
- Saiten

Bei der günstigen Geige, die ich hier vorgestellt habe, glaube ich, daß eine zu dünne Deckenausarbeitung die Ursache war.

Es ist übrigens auch denkbar, daß sich ein Wolf bei einem Neuinstrument "ausspielt", dann hat er sozusagen verspielt :D
Bei einem neuen Instrument bilden sich Schwingungsknoten aus, die wie ein Gedächtnis im Holz bleiben.
Ich halte es für möglich, daß sich in einer längeren Einspielphase der Wolf verabschiedet und sich beleidigt in einer Ecke vergräbt.

Das nächste Instrument, werde ich mal damit behandeln - sowas habe ich noch nie gemacht - ich bin auch jetzt erst darauf gekommen..

Selbstverständlich poste ich dann sowas auch hier.


cheers, fiddle
 
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Das ist echt interessant! Danke für die ausführliche Antwort!
 
Hi Leute.

Ähm, was ist ein "Wolf"?
 
Hi Janita,

ein "Wolf" ist ein Ton auf einem Streichinstrument, der nicht zu bändigen ist. :weird: Am häufigsten vorkommend beim Kontrabass, dann Cello, und dann - weniger häufig- bei der Geige. Das hat mit der Deckenstärke zu tun, die beiden deutlich dünner ist als bei der Geige. Im Verhältnis zur Korpusgröße gesehen. Ich weiß jetzt nicht, ob es da unterschiedliche Arten von "Wolfstönen" gibt, oder ob die alle gleich jaulen. Bei einer von meinen war es so, daß der Ton erst ganz schlecht in Schwung kam, und sich dann so komisch wabernd aufschaukelte bei unverändert gleichem Streichen, sehr laut, eigentlich gar kein Ton - ja, mehr ein Jaulen. Und zwar immer auf exakt dem gleichen Ton.
Wird damit erklärt, daß die zu starke Korpusschwingung (im Hauptresonanzbereich derselben) der Saitenschwingung die Energie raubt, diese in sich zusammenfällt, durch das Streichen neuer Schwingungsaufbau der Saiten erfolgt, der abermals von der Korpusschwingung "gefressen" wird, wieder zusammensackt… und immer so weiter. Zwischen 7 und 10 Mal pro Sekunde.

Grüße
Kylwalda
 
Etwas wissenschaftlicher:

Ein Wolf ist die Überlagerung von zwei annähernd gleichen Frequenzen.
Das führt aufgrund der Amplituden-Addition zu extremen Schwingkurven, und/oder zu Phasenauslöschungen - je nach Abstand beider Frequenzen.
Sowas klingt von wabernd bis knatternd, wie ein Maschinengewehr.

Die Frequenzen, die hier aufeinander treffen, sind die Saitenschwingung auf eine Korpusresonanz.
Ein Wolf befindet sich also nicht auf einer Einzelsaite, sondern auf allen Saiten (meistens aber 2) und man kann ihn auf der Nachbarsaite reproduzieren.
Davon betroffen sind auch die Obertöne der Korpusresonanz - vor allem die erste Oktave.

Beim Didgeridoo wird gezielt mit diesem Phenomen gespielt.
Grundton (erste Resonanz) trifft auf Gesangsstimme, die den Grundton knapp umspielt.
Wer das schonmal gemacht hat, oder Didg spielen kann, weiß, was ein Wolf ist.

Von Wölfen betroffen sind vor allem Celli und Kontrabässe, vereinzelt Bratschen und eher selten die Geigen.

Meine ganz persönliche Ausdrucksweise zu Cello-Wölfen:
Ein anständiges Cello hat auch irgendwo einen Wolf.
Ich sehe es fast schon als Zeichen dafür, daß da ein Leben im Instrument steckt.

Die meisten Cellisten nehmen es hin und dulden den Wolf in einer stillen Ecke des Griffbrettes, die eher selten frequentiert wird.
Damit kann man leben ;)


cheers, fiddle
 
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DANKE für diesen Beitrag, fiddle!
"Du musst erst einige andere..." - deswegen nur das "Ich finde diesen Beitrag hilfreich!"
 
Habe ich dafür für Dich erledigt :great: ist ja ein Wikipedia-reifer Beitrag.
Mein Vater hat auch einen Wolf auf einer Geige erlebt. Er hatte zwei Instrumente zur Auswahl, und das deutlich teurere spielte er so durch die Lagen als auf einmal ein Ton verschwand.. da war der Geigenbauer erstmal verblüfft.. das Spitzeninstrument ward dann nicht mehr im Schaufenster zu sehen...
 
Im Gitarrenbereich wurde heute ein Link eingestellt, der hier wahrscheinlich auch helfen könnte.
Ich hatte bisher von dieser Technik noch nichts gehört.
Ihr vielleicht?
Hat schon jemand Erfahrung damit?
http://www.zeit.de/2007/08/Geige
 
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Ich hab´ das auch schon öfter gelesen. Hier auch mal nen clip dazu.

http://www.youtube.com/watch?v=Yv_gA2IMFxk

Erfahrungen habe ich keine damit. Allerdings stellen sich mir gedanklich da auch die gleichen logischen Hürden wie bei der Human-Akkupunktur. Allerdings habe ich auch an meinem Körper damit keine Erfahrungen, die mich eventuell eines anderen belehren würden.
 
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Das geht doch nicht, daß ihr mir so nen Floh ins Ohr setzt! (unerhört..)

Ich werde testen..


chers, fiddle
 
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Vorsicht fiddle, Flöhe husten auch gerne mal, das kann nur nicht jeder hören.
Bitte berichte uns doch unbedingt davon.
 
Wow! Das ist echt interessant. Mit Akupunktur an meinem Körper habe ich Erfahrung gemacht - daher kann ich mir das ganz gut vorstellen ;)

Spaß beiseite - hier viel wichtiger - die guten, physikalischen Erklärungen.

Oh weia.... mein Geigenbauer wird gefordert sein!! :D

Liebe Grüße,
Cellohm

- - - aktualisiert - - -

Ein anständiges Cello hat auch irgendwo einen Wolf.
Ich sehe es fast schon als Zeichen dafür, daß da ein Leben im Instrument steckt.
cheers, fiddle

Ja, das möchte ich doch wohl meinen ;) Und du hast recht, wir Cellisten können mit diesem Tier leben. besser gesagt, wir arrangieren uns :D

[Übrigens: Nach dem Austausch meines Stachels und Saitenhalters hat sich nicht nur die gewünschte klangliche Veränderung eingestellt - auch der Wolf huschte ins Körpchen (bis jetzt zumindest). Weg ist er ja nie, aber so nun etwas verhaltener.]

Liebe Grüße!

Cellohm
 
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Meine Schwester hat ein Cello aus Mittenwald (Wert 10 000 Euro), das hat auch einen ziemlich krassen Wolf. Klingt wie eine Sirene, wenn sie den Ton spielt :D Unser Stamm-Geigenbauer in Mittenwald hat ihr allerdings direkt einen Wolftöter mitgegeben (aus Metall und wird hinter dem Steg auf die beiden mittleren Saiten geklemmt) und der Wolf ist weg ;)
Meine Geige (ebenfalls von diesem Gegenbauer gekauft, aber keines seiner Instrumente, ebenfalls 10 000 Euro Wert) hat auch einen Wolf. Unter normalen Umständen wäre er mir gar nicht aufgefallen und auch beim Anspielen hatte ich ihn nicht gehört. Nun gibt es aber das berühmte Violinkonzert von Mendelssohn und ich habe zum ersten Mal mit dieser Geige direkt auf dem Konzert gespielt. Ich dachte schon, ich hätte mich verspielt oder einen Technik-Fehler eingebaut, weil einer der hohen Töne nicht kam (f''' oder g''', glaube ich) wie er sollte. Zu Hause dann natürlich aus Ärger gleich wieder probiert und siehe da, es war nicht meine Schuld. Auf den anderen Geigen funktionierte es tadellos, nur auf dieser nicht. Eine Lösung habe ich bis jetzt nicht gefunden, ich spiele nun den Ton nahezu unhörbar schief (wenn er überhaupt vorkommt) ;) Nur für eine Aufnahme geht das natürlich nicht, da hört man ja jede 100stel Verschiebung.
 
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Eine Lösung habe ich bis jetzt nicht gefunden, ich spiele nun den Ton nahezu unhörbar schief Nur für eine Aufnahme geht das natürlich nicht, da hört man ja jede 100stel Verschiebung.

Du kannst den Wolf tatsächlich "umspielen", sprich über die Intonation kontrollieren. Wichtig ist auch, dass du (hinsichtlich Klang) den Finger "richtig" auf der Saite hast. Mein Wolf liegt zwischen dem F und fis. Ich muss das F ein fast unmerkliches, winziges bisschen tiefer intonieren. Das mag der Wolf nicht, und gibt Ruhe :evil:

Liebe Grüße,

Cellohm
 
Hi!

Noch eine kleine Ergänzung zum Thema Kontrabaß und Wolf: Diesen findet man beim Baß viel seltener als beim Cello! Das mag aber auch daran liegen, daß der Wolf hauptsächlich beim G (höchste Leersaite!!!) bis Gis auftritt, da ist mit Intonation wenig zu machen. Und dessen Eliminierung ist ungleich schwerer als beim Cello zu bewerkstelligen (ein Baß ist eben kein großes Cello), meist nur indem man Schwingungstilger von innen auf die Decke leimt, sehr zeitaufwendig somit teuer.

Könnte also sein, daß viele Wolfbässe erst gar nicht auf den Markt kommen.

Grüße

Thomas
 
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