Entstehung des Jazz anhand von Songbeispielen

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walking gills
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Hallo zusammen!

Ich komme aus dem Rockbereich und da kann ich die Entstehung von modernen Sounds aus dem Rock'n'Roll im Prinzip schrittweise nachvollziehen, weil ich genug Songs kenne, die mit früheren Songs eng verwandt sind.

Der Jazz hingegen fällt für mich noch ziemlich vom Himmel. Kann mir jemand anhand von Songbeispielen zeigen, wie aus Nicht-Jazz langsam Jazz wurde? Mir ist schon nicht ganz klar, was ein geeigneter Ausgangspunkt wäre. Kann man den Jazz auf den Blues zurückführen oder waren das von Anfang an zwei getrennte Entwicklungen?

Es geht mir wie gesagt nicht so sehr um ein intellektuelles Verständnis, sondern um das gehörmäßige Nachvollziehen.

Grüße und vielen Dank
wg
 
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Hör´ Dir Sachen von Scott Joplin an.
Hör´ Dir Sachen von John Lee Hooker an.
Hör´Dir (richtige !) Spirituals/Gospels an.
Hör´ Dir Mardi-Gras-Musik an.

Das ist das Gemisch, dem der Jazz entwachsen ist.

Ich habe Dir Suchbegriffe für YT genannt, die auch erfolgversprechend sind. Sei dir aber dessen bewußt, daß alles was Du da hörst, AKTUELLE Musik ist, die die Entwicklungen der letzten 110 Jahre nicht negieren kann und will. Vor 110 Jahren war die jeweilige Musik doch noch ein wenig anders. Aber die Richtung wird so klar ...

LG-Thomas

Hör´ Dir "europäische Salonmusik" der (letzten) Jahrhundertwende an.

PS: Anhand von SONGS wirst Du Dir das Feld nicht erschließen können, ... den Wesensmerkmal des Jazz ist, daß das musikalische "Ausgangsmaterial" nahezu egal ist ... erst durch die Interpretation wird es zu "Jazz". Im Gegenzug kann auch eine typische Jazznummer, gespielt von einem wenig geeigneten Musiker oder einer solchen Band, im Endeffekt alles andere als "Jazz" sein. Jazz ist nicht das "Was", sondern das "Wie" ...

http://www.youtube.com/watch?v=bYi5hJR7O7Y :)
 
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@ turko: ja.

aber je nach spielrichtung könnte man auch mal eine bachfuge hernehmen :)
 
ich hab da immer ein schönes Beispiel:
Hör Dir Eva Cassidy an, die machte alles parallel, das ist Jazz, das ist Pop, das ist Country, alles und nichts - aber alles ist Eva Cassidy.
 
Danke für die Stichworte bisher.

Mir ist schon klar, dass es im Jazz vor allem um die Interpretation geht und das Ausgangsmaterial nicht so entscheidend ist. Insofern war meine Frage nach Songs vielleicht falsch formuliert. Mir gehts jedenfalls darum, wie diese Art, Songs zu interpretieren, entstanden ist. Das würde ich gern anhand von historischen Hörbeispielen nachvollziehen.

Vielleicht gibt's ja auch ein Buch, das sich aus dieser Richtung der frühen Jazz-Geschichte nähert?
 
Hi walking gills,

Dein Anliegen verstehe ich so, dass Du Dich dem Jazz annähern möchtest - das war mal bei mir und der Klassik auch so.
Was man über Songs machen kann, ist etwas über die Quellen, die Ursprünge und die Entwicklungen, Stilrichtungen etc. des Jazz zu erfahren - also musikalisch, über das Hören zu erfahren. Jazz ist halt ein sehr großes Gebiet und da würde ich mal sagen, richte Dich auf etwa 4 bis 10 CDs ein. Es gibt da schon gute Zusammenstellungen, die Du Dir vielleicht auch ein einer Bibliothek ausleihen kannst, zusammen mit ein, zwei Büchern, die Du parallel dazu lesen kannst.

Konkret kann ich Dir da leider nichts empfehlen, da mich immer nur bestimmte Stilrichtungen des Jazz interessiert haben (bei Klassik habe ich das so mal gemacht) - aber vielleicht können Dir hier ein paar user solche Jazz-Anthologien empfehlen. Die Sachen, die Turko genannt hat, decken da schon viel ab, gerade aus den Anfangszeiten.

Wenn Du Dich eher dem annähern willst, etwas über das WIE zu erfahren: Was macht ein Stück zu einem Jazz-Stück, was macht eine Spielweise aus, die man als "jazzig" bezeichnen könnte - dann können Dir die songs in der Anthologie natürlich einen Eindruck vermitteln, welche Elemente Bestandteile des Jazz sein könnten, aber zu wenig oder auf anderer Ebene liegend als dass Du was Musikerin praktisch viel anfangen könntest.

Wenn Du an dem WIE (also: Wie spiele ich etwas so, dass es jazzig ist oder ein Jazz-Stück wird) interessiert ist, würdest Du andere Antworten bekommen. Da ich mich nur in Teilgebieten des Jazz etwas auskenne und mich nicht als Jazzmusiker bezeichnen würde, kann ich Dir da leider auch keine umfassende Antwort geben. Man könnte hier ein Brainstorming anfangen, und dann wäre das, was ich einwerfen würde: Improvisation. Improvisation als eine musikalische Herangehensweise im Jazz. Öffnung oder Grenzüberschreitung wäre ein weiteres Konzept, das ich mit Jazz in Verbindung bringen würde. In dem Sinne, dass es zwar auch im Jazz recht fest umrissene Gebiete wie etwa Dixie Musik gibt, dass aber Jazz als Herangehen immer interessiert ist an anderen Musikrichtungen, sich öffnen will, Verbindungen sucht oder sie adaptiert. Das macht Jazz zu einer Musikrichtung, die sich immer weiter entwickelt, sich in gewisser Weise neu erfindet oder sich zumindest Neuland erschafft und trotzdem - oder deshalb - Jazz bleibt (Jazz als Konzept oder Herangehen).

Das sind die Sachen, die mich persönlich am Jazz interessieren während mich andere Dinge nicht so interessieren oder über die ich schlicht nichts fundiertes sagen kann. Ob bzw. was beispielsweise Jazzharmonien, Jazzbegleitungen, Skalen, Phrasierungen, Formen etc. dazu gehören und was man dazu sagen könnte - also schlicht im Grunde alles, was mit Musiktheorie zu tun hat. Schließlich gibt es noch die rhytmische Ebene - so wie ich es verstanden habe, ist ein Element des Jazz die Aufbrechung gerader Rhythmen, die Verwendung von Synkopen - der Swing.

Wobei ich halt auch nicht weiß, ob Du einen Zugang dazu hast und ob Du auch daran interessiert wärst ... Vielleicht wäre auch ein Zugang für Dich, es musikalisch auszuprobieren - also Dinge gezeigt zu bekommen, auszuprobieren und Dich also eher praktisch anzunähern.

Waren vielleicht jetzt weniger konkrete Tipps als Versuche, Deine Frage einzuordnen in dem Sinne, dass es sinnvoll sein kann, zu erfahren, welche Antworten oder welche Art von Tipps für Dich interessant sind und Dich weiterbringen.

x-Riff
 
Mir ist schon klar, dass es im Jazz vor allem um die Interpretation geht und das Ausgangsmaterial nicht so entscheidend ist. Insofern war meine Frage nach Songs vielleicht falsch formuliert. Mir gehts jedenfalls darum, wie diese Art, Songs zu interpretieren, entstanden ist. Das würde ich gern anhand von historischen Hörbeispielen nachvollziehen.

Vielleicht gibt's ja auch ein Buch, das sich aus dieser Richtung der frühen Jazz-Geschichte nähert?

Die Bücher gibt es.

Oder auch hier:

http://www.jazzinstitut.de/history/Jazzhistory-1.htm
http://www.youtube.com/watch?v=us5DYwxpW2w
http://www.klausrohwer.de/privat/hobbies/jazz/jazzgeschichte.htm


Solltest Du aber an einer Kurzzusammenfassung interessiert sein:

Menschen mit afrikanischen Wurzeln treffen - situationsbedingt - auf Musik europäischer Tradition, und wenden ihre eigenen "Musikdialekt" (Rhythmische Auffassung, melodische Auffasung, Tonbildung und Phrasierung) auf diese für sie fremde "Musiksprache" an: Das Resultat ist Musik, deren Grundbauplan (Harmonik, Form) in europäischer Tradition steht, aber die durch das Einbringen der neuen "Sprechweise" in Gestalt von Rhythmik, Melodik und Tonbildng/Phrasierung eine aufregende Erneuerung erfährt.

LG - Thomas
 
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Super, das ist fast genau das was ich suche. Danke :)

Was mir noch fehlt ist vielleicht einfach der afrikanische Teil der Musik. Wie heißt und klingt denn die ursprüngliche afrikanische Musik, die mit der europäischen Tradition verschmolzen ist?

@x-Riff: Ich höre und mache selbst ein wenig Jazz. Mir geht es wie gesagt weniger darum herauszufinden, welche Stilmittel den Jazz bestimmen, sondern darum, die Entstehung dieser Stilmittel anhand von Musik nachzuvollziehen.
 
Deine konkrete Frage lautet also: Mit konkret welcher Musik waren die afrikanischen Sklaven konfrontiert, zu dem Zeitpunkt, als sie noch zu Hause in Afrika waren, und welche Musik lebte dann in deren sozialem Umfeld/Familien in Amerika weiter, ehe diese Musiktradition mit der westlich-europäischen verschmolz ?

MEINE Antwort: Ich habe keine Ahnung. Ich weiß auch nicht, ob das ÜBERHAUPT jemand KONKRET beantworten kann. Aber vielleicht am ehesten noch sowas, wie das hier:
http://www.youtube.com/watch?v=9Hchz1z75m0

Man darf auch nicht den Fehler machen, ganz Afrika über einen Kamm scheren zu wollen. Die Musiktraditionen sind dort durchaus regional sehr verschieden .... nur fehlt uns ein wenig das Sensorium dafür ...

Dieses ganze Thema wird oft sehr verklärt und/oder oberflächlich behandelt, nach dem Motto "Der SWING kommt von den SCHWARZEN, und die Bluenotes auch ...".
Das ist TENDENZIELL sicher richtig ... nur, daß der Swing nichts ist, was aus Afrika MITGEBRACHT wurde, sondern etwas, das erst bei der Geburt des JAZZ ENTSTANDEN ist. Ganz Afrika ist voll von rhythmischen Traditionen verschiedenster Art ... aber sowas wie SWING, oder auch nur einen regelmäßigen BACKBEAT wird man in keiner einzigen afrikanischen Musiktradition antreffen. Eher kompliziert verschachtelte Polyrhythmen.

Alles nur meine Meinung.

LG - Thomas
 
... Kann man den Jazz auf den Blues zurückführen oder waren das von Anfang an zwei getrennte Entwicklungen? ...

Der Jazz hat teilweise Wurzeln im Blues, aber auch in europäischer und kreolischer Musik.
Alan Lomax hat zu diesem Thema 1949 Interviews mit alten Jazzmusikern geführt.

... Wie heißt und klingt denn die ursprüngliche afrikanische Musik, die mit der europäischen Tradition verschmolzen ist? ...

Das geografische Ursprungsgebiet der amerikanischen Sklaven ist Westafrika mit seiner vielfältigen Musik. Die ersten Lieder waren wahrscheinlich Worksongs, die bei der Arbeit gesungen wurden, auch bei der Arbeit als Sklaven und hier auf einer späten Aufnahme im Gefängnis (Teil 1 und Teil 2).

MEINE Antwort: Ich habe keine Ahnung. Ich weiß auch nicht, ob das ÜBERHAUPT jemand KONKRET beantworten kann. Aber vielleicht am ehesten noch sowas, wie das hier:
http://www.youtube.com/watch?v=9Hchz1z75m0 ...

Eher nicht: Gospel hat auch afrikanische Wurzeln, entstand aber in (Nord-) Amerika. ;)
 
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Auch zum afrikanischen Erbe des Jazz (ich habe mich einige Jahre mit Afrika beschäftigt):

Aus mehreren Gründen schwierig.
1) Weil es keine oder kaum Tonaufzeichnungen (von Noten ganz zu schweigen) authochtoner (ursprünglicher) afrikanischer Musik gibt. Es gibt zum Teil Aufzeichnungen die Ethnologen gemacht haben, das geht dann aber sehr schnell ins Detail.
2) Weil die afrikanische Musikpraxis in das allgemeine Leben, in Riten, Alltag, in das soziale Leben selbst eingewoben ist. Und das hat sich seit Beginn des Kolonialismus erheblich gewandelt.
3) Weil deshalb vieles, was heute oder auch noch vor 30 Jahren in Afrika zu hören war, schon Züge von Folklore bzw. Mischung mit anderen Musikformen wie in Südafrika stattgefunden hat. Eine moderne Ausprägung ist die world musik, bei der etliche Gruppen und Künstler noch sehr nahe an den Quellen sind und andere weniger.
4) Weil Afrika verdammt groß ist. Ist so ungefähr so als würde man über die ursprüngliche Musik von Europa reden wollen ...

Es gibt aber einige Instrumente, die typsich sind wie etwa die Talking Drum, überhaupt die Verwendung von Percussiongruppen, die komplex und polyrythmisch spielen; das Fingerklavier; die Marimba (Holzxylophon); die afrikanische Laute; einige Flöten.
Und es gibt einige Stilelemente: wie etwa die Verwendung von Einzelstimme-Chor im Sinne von Frage/Satz und Antwort/Bestätigung oder Verneinung. Das hängt wiederum damit zusammen, dass Musik in Afrika gemeinsames Musizieren und ein soziales Ereignis ist - es hat auch die Funktion einer Verständigung, einer Integration - nicht umsonst klatschen in der Regel alle oder die meisten Umstehenden mit - sie sind Teil des musikalischen Ereignisses. Diese Verwendung von Einzelstimme-Chor findet sich übrigens nicht selten beim Blues oder beim Gospel wieder. Wie überhaupt Musik in Afrika nicht nur Teil des Sozialen, sondern auch des Religiösen bzw. Spirituellen war. Was sich in Amerika beispielsweise fortsetzt(e), da viele Afroamerikaner in ihrer Kindheit mit Kirche, dort mit Gospel und mit Gesang in teils intensive Berührung kamen, was auf etliche Sängerinnen im Jazz, im Blues, im Soul etc. zutrifft.

Also ich persönlich bin etwas skeptisch, wenn man diesen Quellen- oder Ursprungsansatz bei Musik in "nicht-modernen" Gesellschaften verfolgt: das klingt sehr einleuchtend, wenn man näher hinschaut, ergibt sich aber erstens eine große Vielfalt und auch Flexibilität, weil sie zweitens eingebunden in etwas ist, was zum Teil erheblichen Veränderungen unterworfen ist.

Persönlich bereichernd fand ich (Auto-) Biografien von Jazzern, etwa die von Luis Armstrong, wo für mich Einflüsse auf eine ganz andere Art beschrieben werden, als persönlich prägende Erlebnisse, Begegnungen, Personen, Bands etc.

Für mich erschließen sich Zugänge (um nicht Quellen zu sagen) auch durch Musiker wie Fela Kuti http://de.wikipedia.org/wiki/Fela_Kuti (sein Sohn Femi nimmt übrigens die Tradition auf), der den Afrobeat mitbegründet hat. Das hört sich dann beispielsweise so an: http://www.youtube.com/watch?v=VjWwa6bZ_hY
Ein anderer afrikanischer Künstler steht für mich auch in Verbindung sowohl mit afrikanischer Musik als auch mit Jazz, ich meine Abdualla Ibrahim dollar Brand, http://de.wikipedia.org/wiki/Abdullah_Ibrahim Der macht sehr unterschiedliche Sachen, aber sowas hat sehr sehr starke afrikanische Einflüsse:
http://www.youtube.com/watch?v=VysRZTS14CQ
http://www.youtube.com/watch?v=j1_IosjObOQ

Herzliche Grüße

x-Riff
 
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Eher nicht: Gospel hat auch afrikanische Wurzeln, entstand aber in (Nord-) Amerika. ;)

Ich meinte nicht Gospel im Sinne von "Oh happy day". Ich meinte Gospel eher umfassed, im Sinne von "religiöser Gesang", und das gab´s ja wohl schon VOR Mahelia Jackson ... und auch wo anders, als in Nord-Amerika.

Das wir heute den Begriff "Gospel" gleichsetzen mit den Edwin-Hawkings-Singers, ist ein anderes Problem/Thema.

LG - Thomas
 
Um WAS damit zu tun ... ? T´schuldigung, aber ich steh´ gerade ein wenig auf der Leitung ....

Modern Jazz Quartett ist hier wohl gemeint. Oder Kammermusikalische Ansätze, wenn du Lust hast: Mal auf Youtube nach Rainer Tempel Ersatzbrüder suchen. Da sieht man die Parallelen zwischen ganz modernem Jazz und Bach
 
Ich hoffe es passt in diesen Thread.

Hier ist der 13 min Louis Armstrong Teil des über 50 minütigen Videos mit Jon Batiste beim Aspen Ideas Festival, welches ich schon unter seinem Thread gepostet hatte.



Könnte man eigentlich sehr gut als Unterrichtsmaterial im Oberstufenunterricht verwenden, sei es Englisch oder Musik!

Hier ist auch noch einmal die gesamte Konversation

The Future of American Music - A conversation with Jon Batiste



Eine phantastische prägnante Zusammenfassung über Jazz-)
 
Ich denke im Bezug auf Bach sollte man hier eher die Harmonik betrachten. Da es ja auch um das hörende Erfassen der Musik gehen soll bietet es sich durchaus an die europäischen/klassischen Einflüsse des Jazz zu verfolgen. Sei es nun Bach´sche Harmonik oder später Atonalität, Polychorde et cetera im Sinne von Richard Strauss.
 

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