5. E. Verdichtung eines Textes

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Verdichtung eines Textes


Im vorigen Abschnitt hatten wir betrachtet, was an dem Aufbau eines Textes und an dem Erzählten - also dem Was optimiert werden kann.

Wir werden uns nun mit dem Wie eines Textes beschäftigen. Also der Frage, wie ein Text interessanter gestaltet werden kann.


Wie steht es nun mit dem "Wie" des Erzählens?

Auf der Ebene gibt es schon einiges mitzuteilen. Zunächst mal gibt es zwei Extreme, die beide nicht gerade dazu beitragen, Interesse zu wecken oder gewecktes Interesse zu erhalten.

Ein Text kann entweder zu ausufernd sein oder zu komprimiert.
Was ist damit gemeint? Nun - vergleichen wir es wieder zunächst mit einer normalen Gesprächssituation: wenn jemand den ganzen Abend schwafelt, von Hölzchen auf Stöcksken kommt, eine kurze Begebenheit oder einen Witz auswalzt bis zum geht nicht mehr - dann fällt uns eben das Gähnen an.


Wir haben es nun natürlich wieder mit der crux zu tun, dass wir zum einen die Autoren sind, die den eigenen Text in der Regel spannend und interessant finden, und zum anderen die sein sollen, die den Text aus Sicht eines - zumindest zunächst - unbeteiligten Lesers sehen. Schwierig, fürwahr. Auch hier ist das Einholen von Feedback das Mittel der Wahl.

Aber auch mit etwas Abstand zum eigenen Text können einem Längen auffallen, umständliche Formulierungen, Stocken in der Handlung oder eben die eigentlich immer gleiche Aussage - nur in andere Worte gepackt.

Also durchaus selbstkritisch mal den eigenen Text durchgehen und auf diese Anzeichen von potenzieller Langeweile achten. Durchaus Mut zur Lücke - die Grenze ist da, wo Informationen wegfallen, die den Text unverständlich machen. Aber alles bis zu dieser Grenze mal sozusagen mit gespitztem Rotstift in der Hand betrachten.


Verdichtung eines Textes

Nun - zunächst wieder die Frage: was kann einen Text zu lang, zu ausufernd, zu "schwafelig" machen.

Es können - mal grob gesagt - folgende Ursachen in Frage kommen, insbesondere wenn wir einen Text in einer Fremdsprache verfasst haben:

1. Grammatikalisch umständliche Formulierungen
2. Zu viele Umschreibungen, weil die passenden Worte fehlen
3. Zu viele Worte, weil es an Bildern und Metaphern fehlt



Auch hier gehen wir mal alles der Reihe nach durch:

1. Grammatikalisch umständliche Formulierungen
Ein englischer Text ist in der Regel etwa um ein drittel kürzer als das deutsche Original - bei richtiger Verwendung der englischen Sprache.

Grundfehler Nummer eins ist, die im Deutschen üblichen Relativsätze 1:1 zu übersetzen:
Ich denke, dass es Zeit ist, dass ich hier verschwinde
I think, that it is time, that I will leave
Chance vertan und Ausschweifung Nummer eins. Im Englischen heißt das:
I think it´s time to leave


Grundfehler zwei ist, die im Englischen üblichen Verlaufsformen nicht zu benutzen:
Während ich dies schreibe, bin ich mir sicher, dass Du mich verlassen wirst
While I write this, I am quite shure, that you will leave me
Chance vertan und Ausschweifung Nummer zwei. Im Englischen heißt das:
Writing this I´m quite shure you gonne leave me


Ein bißchen Achtsamkeit ist hier allerdings geboten: Verlaufsformen beschreiben eine Dauerhaftigkeit der Handlung, währenddessen etwas anderes passiert. Sie sind also nicht geeignet für Dinge, die in einem Bruchteil von Sekunden passieren oder plötzlich geschehen.

Aber oft ist es das Mittel der Wahl, wenn man im Deutschen sinngemäß sagen würde: während, in diesem Zeitraum, und als ich gerade dabei war ...

Ein weiterer Klassiker sind sogenannte Füllwörter - und zwar in jeder Sprache. Man kann in der Regel getrost auf Wörter verzichten wie: und, in etwa, mitunter und was der Worte mehr sind, die man umgangssprachlich gebraucht. Auch die im Deutschen typische Verwendung von vielen Begründungen und logischen Verknüpfungen wie und deshalb, weil, und außerdem, dadurch dass etc. durchaus verzichten.

Durch den Kontext wird in der Regel klar, welche Beziehung zwischen zwei Aussagen besteht. Und ein bißchen Aufforderung zum Mitdenken seitens der Leserschaft kann durchaus dazu beitragen, einen Text interessanter zu gestalten.

Wir bleiben mal beim Beispiel des Rotstifts: Wer mal Texte für WEB-Seiten, Flyer oder Pressemitteilungen verfasst hat, weiß, auf wie viele Worte man eigentlich getrost verzichten kann.

Geht also mal Euren - zu langen - Text durch und markert mal alle Worte an, auf die man verzichten kann, ohne dass der Sinn flöten geht. Ihr werdet erstaunt sein, was alles dem Rotstift zum Opfer fällt. Dazu zählen dann natürlich auch alle Umschreibungen, die inhaltlich das Gleiche aussagen, was woanders auch schon steht - nur halt etwas anders.


Es ist hier nicht genügend Raum, alle grammatikalischen Unterschiede anzuführen, die das Englische gegenüber dem Deutschen kürzer machen.

Lest viele englisch-sprachige Texte oder auch generell viele songtexte und Gedichte - und Ihr werdet Euch mit der Zeit die typisch kürzeren und auch prägnanteren Formulierungen und Wendungen merken und in Euren Texten nutzen können.


2. Zu viele Umschreibungen, weil die passenden Worte fehlen
Dies trifft auf jede Sprache zu, in der man schreibt - aber noch einmal besonders für Fremdsprachen, weil dort der Wortschatz in der Regel geringer ist als in der eigenen Sprache.

Grundsätzlich gilt: je geringer der Wortschatz, desto länger die Formulierungen. Eben weil ich das umschreiben muss, was ich nicht präzise benennen kann.

In diesem Workshop wurde auf mehrere online-Wörterbücher aufmerksam gemacht, die man zu Rate ziehen kann. Dies ist im Übrigen keine Schande und kein Armutszeugnis. Ich kenne keinen einzigen professionellen Übersetzer - und die haben wahrlich sprachschatzmäßig mehr drauf als ich - die nicht etliche Übersetzungwörterbücher oder Synonym-Lexika zu Rate ziehen. Ein Armutszeugnis ist es eher, dies nicht zu tun.

Ein Gefühl des Stolzes, der ungerechtfertigt ist - das kann man natürlich so schreiben. Aber Hochmut oder Arroganz trifft es in einem Wort.

Im Übrigen sind die Engländer und besonders die Amerikaner Meister im Finden kurzer und prägnanter Formulierungen: Dinge, die man tun und Dinge, die man lassen sollte heißen im Amerikanischen the do´s and don´ts - und davon gibt es massenhafte Ausdrücke.

Also auch hier: viel in der Sprache, in der man schreibt, lesen und lesen und lesen. Egal was: Zeitungen, Magazine. Romane, Kurzgeschichten, Krimis, Klassiker ... Und hören: Musik, Texte, Radio, TV, Internet ...


Lasst Euch durch die mitunter drögen Erfahrungen des Schulunterrichtes nicht davon abhalten: soviel Macht solltet Ihr dem Schulunterricht nicht über Euch und Eure Neigungen zugestehen und einräumen.


Und noch eins: Leider ist ja noch der Unterricht durch nicht-native-speaker üblich. Ich hatte das Vergnügen, zwei Jahre Unterricht durch einen native speaker zu haben. Und schlagartig war dieser ganze Oxford-English-Quark mit dessen unerträglichen Förmlichkeit, Unhumorigkeit und dessen elitärem Gehabe gegessen.

Das ist so, als würde man im Deutschen mit dem Knigge unter dem linken Arm und dem Brockhaus unter dem rechten versuchen, ein normales Gespräch zu führen. Und wenn man dann mal in England oder Amerika ist und sich unterhalten will, gucken die einen erstaunt an, denken sich, was für förmliche, aufgesetzte und bürokratische Gesellen habe ich eigentlich hier vor mir ....


3. Zu viele Worte, weil es an Bildern und Metaphern fehlt
Der Klassiker meiner Erfahrung nach, wenn es um zu viele Worte in songtexten geht.
Natürlich kann man das Gefühl, so wenig bewirken zu können in der großen weiten Welt mit den vielen Menschen und Sachzwängen mit der Eingebundenheit in ein Epoche, in die man geschmissen ist und mit der Abhängigkeit von Entscheidungen so beschreiben:


Ich kann so wenig tun und bewirken und fühle mich so ohnmächtig manchmal, bin so allein auf dieser großen weiten Welt mit den vielen Menschen um mich herum und ständig gezwungen, Sachen zu machen, die ich nicht will, hineingeschleudert in eine Zeit, die mir nicht passt und abhängig von Politikern und anderen Entscheidern in dieser Welt.

Man kann´s aber auch so formulieren:

Like a drop within an ocean
We´re moved by time and tide


Natürlich ist diese Gegenüberstellung sehr überspitzt, aber es kommt ja darauf an, hier die Unterschiede und Möglichkeiten bei songtexten gegenüber der Umgangssprache herauszuarbeiten.

Ein Bild oder eine Metapher sagt eben tausendmal mehr als Worte, die es umschreiben und versuchen, alle wichtigen Aspekte zu benennen.

Your heart beats next to mine
ersetzt zwei ganze Strophen, in denen Ihr beschreiben wollt, wie nahe Ihr doch Eurer oder Eurem Geliebten seid.


Bemüht Euch dabei eher, eigene Bilder und Metaphern zu entwickeln oder Bestehende abzuwandeln. Erstens ergibt das Eure Handschrift - und genauso wie im musikalischen Bereich wollt Ihr es ja nicht bei einem einfachen Plagiat bewenden lassen - und zweitens ist das eher der Mühe wert, als Energie darein zu versenken, in zehn Sätzen das zu schreiben, was Ihr eigentlich meint.

Abgesehen davon, dass ein Bild oder eine Metapher frischer einherkommt, direkter wirkt und mehr auslöst als eine langwierige Erklärung von Gefühlen oder Situationen, die man ja eigentlich kennt: Wer bitte schön war noch nicht verliebt, enttäuscht, verzweifelt, froh, voller Hoffnung oder besoffen? Das - bitte schön - kennt man doch. Was Ihr da neues bringen könnt, sind eben treffende, originelle und eigene Bilder und Metaphern - die kennt man nämlich nicht.

Und das ist es, was einen guten songtext ausmacht: dass er inhaltlich und thematisch oder/und auf Ebene der Beschreibung einen neuen Funken aus einem allseits bekannten Gefühl schlägt - und einem damit etwas neues, originäres gibt.

Ich spreche hier nicht von Originalität um jeden Preis und auch nicht darum, Bilder an Bilder zu häufen. Sowieso lässt sich die Schaffung von Bildern und Metaphern nicht herbeizwingen. Aber es gibt Wege dahin. Einige sind wirklich sehr gut beschrieben in den Abschnitten dieses Workshops, in dem es um Kreativität und das Finden von Ideen geht.


Schaut Euch auch noch mal nates Beitrag zu den Stilmitteln an - hier findet Ihr in komprimierter Form Anregungen zu Hauf.


Und auch hier wieder der Hinweis: Nutzt online-Wörterbücher und alle möglichen Quellen in der jeweiligen Sprache, in der Ihr schreibt. Es gibt etliche treffende Redewendungen, die das, was Ihr so mühsam umschreibt, kurz und knapp auf den Punkt bringen.

Und es ist in den seltensten Fällen eine gangbare Lösung, deutsche Sprichwörter und Redewendungen eins zu eins ins Englische zu übersetzen. Zwischen Baum und Borke stehen heißt eben auf Englisch between the devil and the deep blue see (zum Beispiel - es gibt da noch etliche mehr) und nicht I stand between the tree and the bark ... - das sagt eben keiner und wird auch dort niemand verstehen.



Kommen wir nun zum Gegenteil - der zu großen Verdichtung.
Auch hier nehmen wir mal zunächst eine normale Gesprächssituation als Grundlage: Was ist denn davon zu halten, wenn uns jemand so dichtgedrängt Sachen erzählt, dass wir immer wieder nachfragen oder innehalten müssen, eine Gesprächspause erbitten oder einen Gang zur Toilette mehr machen als eigentlich die Blase hergibt, nur um mal eine Verschnaufpause zu bekommen?

Aufmerksamkeit ist ein rares Gut und wenn wir uns bei jedem zweiten Wort und bei jeder dritten Formulierung sehr stark konzentrieren müssen, schwindet nach kurzer Zeit auch unsere Neigung, uns weiter mit dieser Materie oder diesem Gesprächspartner weiter zu unterhalten.

Intensität ist eine tolle Sache - aber eben auch sehr anstrengend.

Ein songtext kann ein sehr poetischer Text sein - aber er ist in den seltensten Fällen ein Gedicht. Warum? Nun - ein Gedicht hat nur Worte, um Inhalt, Stimmung und Emotionen an das Publikum zu bringen.

Ein songtext hat als Zusatz die Musik. Und die Musik - erinnert Euch an die Einleitung zu diesem workshop - transportiert als eigenständiges Element Stimmung und Emotionen. Darauf sollte der Text ruhig bauen.

Und wieder Intensität: Bei einem Gedicht ist das Publikum nur auf die Sprache ausgerichtet. Bei einem song werden eben auch Gehör und Gefühl über die Musik angesprochen: das Publikum empfängt also mehr Reize und muss diese verarbeiten.

Also wenn man das Gefühl hat, immer wieder in die Strophen oder Zeilen darüber zu gucken, um sich zu versichern, ob man alles verstanden hat; wenn man immer wieder an einzelnen Worten oder Formulierungen hängen bleibt; wenn man kaum hinterherkommt und das Gefühl hat: also das muss ich mal ordentlich analysieren - dann können dies Anzeichen dafür sein, dass man an die Grenze der zuträglichen Intensität geraten ist.

Fazit 2

Ein songtext ist - zusammengenommen mit der Musik - eine eigene Art von Sprache und Text. Zwischen zu ausschweifend und zu komprimiert muss man eine "goldene Mitte" finden. Auch hier hilft das Feedback von anderen.


Langeweile Teil 2

Nehmen wir an, auch diese Hürde sei genommen.
Welche weiteren Quellen gibt es, die Langeweile hervorrufen können?


Wir können dies recht kurz halten, denn im Abschnitt "Arbeiten an der Struktur" ist dies ausreichend behandelt.

Aber betrachten wir dies noch einmal kurz aus einer anderen Perspektive: Was macht denn andere Texte - Kurzgeschichten, Romane oder Krimis - langweilig?

Genau: es wird einem alles haarklein vorgekaut, nichts bleibt offen oder wir werden wie ein Kleinkind durch die Handlung geführt: Schau mal hierhin, schau mal dorthin - das ist so, weil a und b und c, woraus sich ganz folgerichtig d ergibt ...

Denkt an schlechten Schulunterricht und langweilige Bücher. Und tut alles, um das bei Euren eigenen Texten zu vermeiden.

Seht einen Text als eine Entdeckungstour: Man möchte halt eher das Interesse haben, um die nächste Ecke zu gucken und etwas Neues zu entdecken als immer schon zu wissen, was als nächstes kommt.

Ihr habt die Story - Ihr habt die Personen - Ihr habt die Stimmung.
Aber erzählt es um Himmels willen nicht so, dass keine Spannung mehr bleibt.


Wenn Ihr oder die GegenleserInnen das Gefühl haben, unterfordert zu sein, dann versucht mal folgende Methode:

Sie nennt sich "cut up and fold" und wurde von den Autoren psychodelischer Texte entwickelt - beispielsweise Burroughs: Er hat eine Geschichte chronologisch aufgeschrieben, dann den Text (im Falle eines songtextes dürfte es sich um eine Din A 4 - Seite handeln) ausgedruckt und dann mit der Schere zerschnitten, die einzelnen Teile neu gemischt und dann in dieser zufällig entstanden Reihenfolge wieder aneinander geklebt.

Orientiert Euch zunächst an Strophen und Refrains - einzelne Zeilen in dieser Art durcheinander zu mischen ist eine Herausforderung für sich.

Setzt das neu zusammen - und schaut einfach, was passiert.
Das Ergebnis wird die meisten von Euch verblüffen - und das gleiche passiert natürlich auch in Bezug auf das Publikum, das diesen Text liest.


Man sollte allerdings tunlichst nicht auf die erstbeste Mischung vertrauen - erstellt auf jeden Fall verschiedene Varianten. Und geht dann natürlich noch mal in Richtung Verständlichkeit und Zeiten über den Text.

Dennoch ist diese Methode durchaus bei Texten zu versuchen, die einem ihre Langeweile auf eine Art entgegenhauchen, dass ein deutliches Bedürfnis entsteht, die nächste Ruhestätte aufzusuchen.
 
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