Swing und Groove Phrasierung - Übungen?

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Nach 11 Jahren Unterricht und 3 Jahren intensiven Spiels ist die Geige für mich fast 18 Jahre in der Ecke gelandet. Sehr spielerisch hat sie sich dort herausbewegt und in den letzten 5 Jahren habe ich überwiegend zu Playbacks vor mich hingespielt, mich später dann zu ein paar Amateursessions gewagt. Hat alles viel Spaß gemacht, inklusive der von vielen hier ja mitverfolgten Entwicklung der E-Sound-Kette.
Im Januar hat mich dann eine Jazz-Session gepackt und ich habe erstmals wieder angefangen, mit gewisser Regelmäßigkeit zu spielen und vor allem: mit System zu üben. Was hatte ich davor Scheuklappen und wie unglaublich effektiv ist es auch für das freie Spiel, wenn man die Finger mit simplen Etüden bei steigender Genauigkeit trainiert. Dennoch, meine Vorbereitungszeit für die Jazz-Session war unter dem Strich zu kurz. Rückblickend war es prima sich darauf eingelassen zu haben, hab mich für meine Verhältnisse auch wacker geschlagen und von 4 Songs nur einen "verkackt", dennoch ist mir als Resummee geblieben, dass ich einfach noch sehr viel zu lernen habe. Während ich in der Vorbereitung vor allem auf Harmonien und Skalen fixiert war, stelle ich inzwischen für mich fest, dass der eigentliche Kick im Spiel nicht das "was spiele ich", sondern vielmehr das "wie spiele ich es" ist.

Die simple Frage lautet: wie bringe ich die Geige zum Swingen, wie zum Grooven und hat hier jemand Übungen für sich entdeckt, die eine dafür notwendige Bogentechnik systematisch übbar machen?

Bisher habe ich zu dem Thema zwei Videos im Netz gefunden, Darol Anger über das "Chopping" und Regina Carter über "phrasing".

Selbst für mich ist Schradieks "The school of violin technics" zur Übungsgrundlage geworden, ich arbeite an den ersten beiden Seiten und übe mit großer Ausdauer und Langsamkeit an Intonation (links) und Präzision (rechts). Während sich ganz langsam auch mein Wohlfühltempo steigert, variiere ich gelegentlich auch die Bogenstriche. Einen ersten "Klick" habe ich erlebt, als ich statt gleichmäßiger Notenwerte angefangen habe, als Metronom einen Shuffle in den Drumcomputer zu legen. Das Zischen des Hihats ist nun der neue Taktgeber und es ist echt interessant, mit was für Bogenstrichen das dann wie zu spielen ist. Im Prinzip spiele ich punktierte Viertel und je eine Achtel dahinter, nun kommt aber das "Mikrotiming", welches daraus den Swing macht. Hab hier echt ne Menge probiert, bis hin zur "verschluckten Achtel" im Sinne des Stephane Grapelli. Total spannend, das.

Kennt ihr dieses Problem "wie spiele ich Geige ohne klassisch zu klingen?", wie geht ihr damit um, habt ihr Übungen dafür entwickelt?
 
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Interessant wie du an einen neuen Musikstil rangegangen bist! Ich denke, das wichtigste ist generell ein Gefühl für das Genre zu bekommen, indem man viel diese Musik hört. Über Experimente wie du es mit verschiedenen Strichen und Artikulationen gemacht hast, bringen einen auf neue Ideen. Man kann auch mal in einen Ton sliden, mal im Offbeat spielen, einen Ton mal schlurfen lassen, also alles was in der Klassik sonst verpönt ist ;)
Ich selbst kann jetzt nicht viel berichten, weil meine E-Geigenzeit in ner Metalband schon einige Jahre zurückliegt, ich aktuell nur für ein zeitlich begrenztes Projekt Popsongs begleite und für die Band sonst nur im Schreiben der Geigenlinien unterstütze ohne selber zu spielen. Aber ich meine, dass es allein schon durch meine musikalische Prägung recht einfach war, mehr rhythmisch zu spielen und Akzente zu setzen, statt romantische Melodiechen zu spielen, wenn man in einer Kombo spielt, wo die Geige eben nicht Hauptinstrument ist. Es ist aber auch meinem Geigenlehrer zu verdanken, dass er mich hin und wieder mal moderne Stücke aus Pop, Folk und Country hat spielen lassen. Meiner Meinung nach sollte im Unterricht immer eine große musikalische Bandbreite geboten werden, denn das erweitert sowohl den spielerischen als auch den geistigen Horizont. Ein alter Familienbekannter - Vollblutklassiker, der bekannt für seine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Paganini bekannt war, erzählte immer wie sehr er Jazzgeiger beneide und traurig ist, dass er das selber nicht hinkriegt. Seit er mal einen gehört hat, fasziniert ihn das sehr und sucht seitdem wie verrückt nach "Jazzmerkmalen" in der Klassik, wobei er sie meistens in Capricen findet. Vielleicht ist das ja für den ein oder anderen Umsteiger aus der Klassik interessant über Capricen zur Jazzspielweise zu kommen.
 
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Ich hab mich viel mit country beschäftigt und das lange Zeit auch gespielt.
Davon habe ich viele Elemente mitgenommen, die ich auch in den metal-rock-pop-jazz-Bereich übernehmen kann.
Alles ist natürlich immer etwas anders, abernicht soweit voneinander entfernt, wie man annehmen möchte.

Swing ist eher triolisch und es klingt bei Jazz sehr geil, wenn man die triolen aus dem Takt presst - fast gerade.
Das nennen die Jazzer lay-back und es gibt die besten Hörbeispiele bei den Saxern.

Ich würde dort suchen. Die linien sind meistens sehr neben (nach) dem beat in einer Penetranz, die einfach geil ist.
Ab und zu eine Rückkehr exakt auf den Schlag zeigt, daß man kontrolliert den Kontext im Ohr hat, um sich dann wieder zu entfernen.

Das geht auch mit der Geige, nur müssen deine Begleiter das Tempo halten und dürfen nicht begleiten!, sonst geht das in die Hose :D


cheers, fiddle
 
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Ich habe mich gestern mal coachen lassen und es geht genau in die Richtung die ich erwartet hatte: Rhytmik und Bogentechnik. Grundsätzlich muss ich mich im Umgang mit dem Bogen lockern, die Haltung des Bogens in Froschnähe überarbeiten (vermutlich der Grund, weswegen ich eine Tendenz dazu habe in der oberen Bogenhälfte zu spielen) und einfach mehr Kontrolle über meinen Strich erarbeiten. Was die Bogenhaltung angeht - sicher ein individuelle Problem.

Was den Swing angeht bekam ich die folgende Übung auf den Weg:

Durchgehende 16tel im Wechselstrich und lernen, gezielt 2 16tel je Takt zu betonen. Klingt so einfach, ist es aber leider nicht, spätestens wenn statt Metronom der Drumcomputer anspringt ist ne Menge Konzentration gefordert. Da mein Coach Multiinstrumentalist ist, bekam ich zur Übung Schlagzeugnoten mit...
 
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Vorgestern, da hab ich mich ersteinmal wieder durch Tonleitern und Etüden gewühlt. Von Anfang an ein gutes Gefühl, starker Ton, der auch noch unter Kontrolle, beim Steigern der Geschwindigkeit fein locker geblieben, dann zur Abwechslung auch mal wieder Klassik eingebaut (hat richtig Spaß gemacht) und hintendran ein paar Jazz-Playalongs gegeigt, die ich zuletzt im April angepackt hatte. Alles fluffig und ich hatte den Eindruck, in den letzten Monaten mit großen Schritten vorangekommen zu sein.

Gestern wollte ich mich dann mal belohnen, hab mir erlaubt gleich beim "Spielen" einzusteigen. Vollkatastrophe. Timing war Mist, Finger liefen nicht, sogar die Intonation (sonst meine Stärke) litt unter Fehlgriffen. Gut bekannte Jazztracks hab ich verholpert und als ich dann wenigstens dieses supereinfache Riding Konzert (Op.35) durchgeigen wollte, weil das immer irgendwie gut kommt, da ging selbst das in den Keller. Ich werde das mit dem Geigen sein lassen. Hab dann auch mehr Zeit für Kinder, Liebe, Arbeit und Sport...
 
Ich werde das mit dem Geigen sein lassen. Hab dann auch mehr Zeit für Kinder, Liebe, Arbeit und Sport...
Hi Stollenfiddler,
lass Dich doch nicht gleich entmutigen, wenn es mal an einem Tag nicht so gut läuft.
Geige ist immer auch formsache und die hängt total an Deiner Tagesform.
Manchmal will es einfach nicht. Das ist aber nicht schlimm, zumindest nicht beim Üben. Wenn Du einen Auftritt hast vielleicht, dann "muss" man, ansonsten ist es doch eher ein "können", oder "wollen", nicht ein "müssen".
Also sei so nett zu Dir, und gestehe Dir selbst zu, dass es auch mal nicht perfekt läuft.
Ich kenne das Gefühl nur zu gut, man will es richtig gut machen, hatte kurz vorher eventuell ein Erfolgserlebnis und will dann einfach mal abliefern, zeigen, was man kann.... und wenn es vielleicht auch nur für einen selber ist.
Wenn es aber dann nicht gleich gut läuft und man unzufrieden wird, man sagt, das muss aber... und wenn nicht das, dann wenigstens das... und das klappt dann auch nicht, dann verkrampft man und hat eine Blockade, bei der dann tatsächlich nichts mehr klappt. Das ist frustrierend und genau so einen Fall beschreibst Du hier.

Aber das Gegenteil von locker ist eben verkrampft und man verkrampft seeehr schnell, wenn man mit dem Kopf durch die Wand etwas erreichen will. :bang:
Hier ist tatsächlich dann die Hohe Kunst sich nicht selbst zu verurteilen, sich nicht in irgendwas reinsteigern und letzten endes auch nicht zu denken, ich kann das nicht, das klapp eh nicht usw.
Da bist Du dann schnell bei der selbsterfüllenden Weihsagung. Das ist eine alte Regel, die kennt jeder:
Wenn man jemandem sagt, Du bist zu doof, Du kannst das eh ned.... dann wird das auch so sein, weil dann das Zutrauen, die positive Herangehensweise fehlt.
Und leider sind wir Musiker oft sehr kritisch, penibel, genau... vorallem mit uns selbst. :mad:

Die hohe Kunst ist es dann trotzdem locker zu bleiben, gemachte Fehler zu vergessen und jeden Ton neu zu beginnen, als hätte es den falschen Ton gerade gar nicht gegeben.
Geh mit einem Grinsen drüber weg, nicht mit einem verärgerten Gesicht.:D
Nimm es mit Humor, behandle die falschen Töne wie einen guten Witz, lach drüber und mach weiter.:rofl: verurteile Dich nicht selbst. :m_vio3:

Vorallem: GIB NICHT AUF!!!!!!

Glaube versetzt Berge, das weißt Du, oder? Glaube an Dich, glaube daran, dass Du es kannst.
Wenn ein Kind merkt, dass Papa, oder Mama ihm zutraut, dass es etwas kompliziertes kann, dann macht es das... und oft klappt das dann sogar erstaunlich gut!
Glaube versetzt Berge.
Ich glaube an Jesus und mache viel Musik im Gottesdienst, bei Worship-Abenden, Beerdigungen usw.
Da geht einem schon manchmal das Herz etwas schneller, vorallem, wenn man etwas im wahrsten Sinn des Wortes "vergeigt".

Aber genau da setzt dann mein Glaube an: Ich mache es für Gott und bete um seine Unterstützung, lasse los und bin nicht mehr derjenige, der gerade geigt, sondern lasse mich leiten.
Du kannst jetzt natürlich denken, der spinnt doch, aber es ist wirklich spürbar eine Entlastung und eine komplett neue Freiheit bei und in der Musik.
Ich spiele Dinge, Läufe, Noten, völlig frei improvisiert, intuitiv, die ich mir selbst nicht zutrauen würde.
Ich nenne das scherzhaft "Improvisation 2.0", weil es für mich ein absoluter Quantensprung ist.

Dinge, die ich normalerweise nur im stillen Kämmerlein ausprobieren würde, gelingen so vor großem Publikum durch die "Unterstützung von oben". :great:
Und das auf der Geige :m_vio:, Gitarre :m_git2:und beim Singen :m_sing:.
Aber es ist sofort bemerkbar, wenn mir der Glaube und das Zutrauen kurzzeitig fehlt und ich "der alte Zweifler von früher" werde... dann klapp es auch nicht mehr und die Töne werden schief :weep:

Musik ist Freude, nicht greifbar, nicht sichtbar und soll auch Spaß machen! Bereite Dich gut vor, sieh es locker und unverkrapft, ärgere Dich nicht, schau nach vorn und mach weiter. :m_key:
 
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Hey Stollenfiddler,

SEI ENTSPANNT! SOFORT!! (kleiner Scherz)

Nee, also wirklich. So ein Tag darf auch mal sein. Muß sogar, finde ich. Ich staune etwas. War das jetzt etwa das erste Mal bei Dir? Also sowas ist mir schon oft passiert. Hab mich dann von Instrument zu Instrument durchvergewissert, ob´s überall so schlimm ist. Und ja, ist es dann meistens auch. Bin für mich in der Regel zu dem Schluss gekommen, daß wohl ich "verstimmt" sein muss und hab´ die Instrumente da gelassen, wo die Bleibe wächst und was gänzlich anderes gemacht. Radio an und Bügeln z. B. Ganz profane Alltagsdinge. Weißte was, es gibt Tage, da krieg ich trotz über 30jähriger Beziehung mit meiner Konzertgitarre die nichtmal gestimmt, obwohl die wirklich beim Stimmen eigentlich schon aus der Hand frisst und ich Klavierstimmung nach Gehör längere Zeit trainiert habe. Things happen. Solche Tage gibt es. Sehe ich wie GeiGit, nimm´s mit Humor!. ..oder spiel doch einfach extra schief.

Ich hab´ ne Freundin mit ner hammergeilen Stimme. Die singt inzwischen nichtmal mehr unter der Dusche, weils nicht perfekt ist, nee, sie es nichtperfekt findet. Was erwartet Ihr eigentlich???

Grüße
Kylwalda
 
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Hach ja nee, keine Sorge, ich bleib schon am Ball.

Klar hab ich das auch früher schon so erlebt, nur diesmal war es eben besonders heftig. Und ich musste den Frust einfach mal irgendwohin schreiben, wo Verständnis lauert. Was wohl auch daran liegt, dass ich in den letzten Monaten wirklich gut vorangekommen bin, einfach weil ich für meine Möglichkeiten fleissig und diszipliniert an meiner Basis gearbeitet habe. Und wenn dann alles zusammengeht, dann ist es einfach ein deutlich höherer Level, als ich es von mir gewohnt war. Und da kann man sich in schnellster Zeit dran gewöhnen. Nur das es eben viel Konzentration erfordert und die ist halt nicht immer möglich, hab ja noch mehr Baustellen im Leben als das Geigenspiel...

Aber echt vielen Dank Euch beiden für die Motivationsreden!

Was mir selbst nun auch klar wurde ist, dass ich einfach nicht mehr "kalt" geigen kann - bevor es ans Spiel geht, müssen einfach ein paar Tonleitern und Fingerübungen durch, sonst wird es einfach nichts. Und diese Gleichzeitigkeit des Wunschs nach Fortschritt mit dem Ausblenden der Erwartungshaltung - da muss ich einfach etwas buddhistischer werden. Nee, muss ich gar nicht. Ich lasse es einfach passieren und genieße es wie auch immer es kommt.

Bin nach einem Tag Pause wieder dabei...
 
Es wurde ja schon viel Richtiges geschrieben...
Meist lege ich mein Programm so, dass ich auf der Bühne analysiere, wo es klemmt und das dann in meinen Improvisationen übe.
Mal ist es die rechte Hand, mal ein matter 4. Finger, mal die Geläufigkeit der linken Hand, mal bin ich mit dem Vibrato nicht zufrieden, mal bin ich unsauber in den Lagen, usw....
Das bekommen andere Musiker so gut wie nie mit, weil es eigentlich Feinheiten sind, die man nur selbst registriert.
Das gute bei mir ist, dass ich mich seit Jahren nur noch selber spiele. Ich muss also nicht Grapelli oder sonst wer sein und mich in eine Richtung verbiegen, in die ich vielleicht gar nicht will.

Publikum und Mitmusiker merken aber sehr schnell an der Körpersprache, ob man "klemmt" oder nicht.
Fiddle hat hier sinngemäß mal geschrieben (ich hoffe, mich richtig zu erinnern), dass es darauf ankommt, an der Bühnenkante charmant auch die eigenen Unzulänglichkeiten zu verkaufen.
Dem stimme ich völlig zu.

Wohl keiner von uns ist ein Nigel Kennedy, und auch der wird seine Selbstzweifel haben.
Die Geige ist nun mal ein sehr sensibles Instrument und wir sind auch sensibel, sonst würden wir feine Nuancen nicht wahrnehmen.
Was zu Hause klappt, muss noch lange nicht auf der Bühne gelingen. Sicher gibt es ab und zu "Sternstunden", wo einem alles zufällt, aber davon kann man nicht ausgehen. Deshalb lege ich mir den Schwierigkeitsgrad erst mal nicht zu hoch; das muss ich zur Not auch noch auf einem Weihnachtsmarkt mit kalten Fingern spielen können. Mehr machen kann man immer noch, wenns läuft.

.....und wenns mal nicht so gut läuft, denke ich ans Honorar und grinse mir eins :D:D.......


robbert
 
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Fiddle hat hier sinngemäß mal geschrieben (ich hoffe, mich richtig zu erinnern), dass es darauf ankommt, an der Bühnenkante charmant auch die eigenen Unzulänglichkeiten zu verkaufen.
Dem stimme ich völlig zu.

Hehe, ich fühle mich geschmeichelt. :D

Wenn ich zurück an meine Anfänge in der freien Improvisation denke, dann kommen
doch etliche vergeigte Vollböcke zu Tage.
Das ist zwar heute deutlich besser, als damals, aber ohne Verspieler bekommt das wohl
kaum jemand hin - außer man operiert auf Grapelli-Niveau..
Vermutlich geht es mit der Geige nur zusammen mit diesen saueren Erfahrungen, aber ich hab
auch schon zerknirschte Gesichter bei anderen Instrumentalisten beobachtet. :D

Ich seh das mitlerweile recht entspannt: ab und zu gelingen mir großartige Passagen - die
wiegen die (mit Sicherheit folgenden) Verbastelungen wieder auf.
Das Gewurschtel betrachte ich als Nachweis für meine live-performance - alles Handarbeit; alles echt :D

Unterm Strich sammelt man doch die positiven Bestätigungen von Mitmusikern und Publikum.
Es wird zwar kaum jemand sagen: "Mann, das war aber heute mal richtig scheiße von dir", aber
es gibt Indizien. Es macht einen Unterschied, ob jemand sagt: "das war gut", oder: "Mensch,
ihr seid richtig klasse und die Geige kommt verdammt gut in dieser Konstellation".

Aus meinen Beobachtungen n guter level, mit dem ich ganz zufrieden bin - für mehr müßt ich regelmäßig üben,
das kommt aber nicht in die Tüte, sonst glaubt am Ende noch einer, es wäre ne Aufzeichnung :D


cheers, fiddle

p.s. Abgezocktheit auf der Bühne kann man nicht zuhause üben - das geht einfach nicht. Bessere, eingeübte Technik kann live nur auf einem Sockel von Abgebrühtheit ankoppeln. Das ist zumindest meine Erfahrung.
 
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Das angenehme ist für uns Streicher ja, dass wir praktisch immer "ausser Konkurenz" laufen - sobald Intonation und Rhytmik halbwegs passen ist das Feedback grundsätzlich positiv, zumindest hab ich es noch nie anders erlebt.

Was die Improvisation angeht, habe ich sehr früh damit angefangen und einen Kurzschluss zwischen Kopf und Geige herstellen können - Töne die ich denke, die kommen dann einfach aus dem Instrument. Zwischenzeitlich war ich im Zweifel, ob es die Improvisation nicht erweitern würde, wenn ich mich intensiv mit Skalen und Harmonielehre auseinandersetzte. Im Moment glaube ich, dass dieser Ansatz für mich ein Irrweg wäre. Akkorde hören und aus dem Bauch heraus mitspielen - das ist für 90% der Country - Folk - Pop und Rocksongs weitgehend unproblematisch. Beim Jazz wird es anstrengender, da ist die Harmonik doch klar erweitert und ein gutes Solo sollte geschickt mit Dissonanzen und deren Auflösung arbeiten. Welche Töne gespielt werden, das ist natürlich wichtig, viel wichtiger finde ich derzeit aber die Frage wann und wie!

Über die Arbeit an meinem Timing habe ich die Erfahrung sammeln dürfen, wie groß der Unterschied zwischen "OK" und "tight" ist. Und dieser Unterschied ist leider gewaltig. Nicht nur für den Musiker, auch musikalisch wenig erfahrene Zuhörer nehmen das wahr, zwar nicht bewusst, aber es ist der Unterschied zwischen amateurhaft und (semi)professionell. Das fängt bei der Tonleiter an und endet im freien Solo.
Präzise mit dem Rythmus zu arbeiten, treibend vor dem Beat zu liegen, tight auf dem Beat oder auch laid back ist mir der Geige irre schwer, weil zwischen dem Beginn der Streichbewegung und dem tatsächlichen Ton eine Lücke ist. Das gerade Grapelli hier wiederholt genannt wurde finde ich bezeichnend, weil der es als einer der ersten mit der Geige geschafft hat, rythmisch mit dem Jazz Schritt zu halten. Interessanterweise spielt er sehr viele Sachen mit "falschem" Strich, macht Aufstriche wo Klassiker einen Abstrich setzen würden und umgekehrt. Unglaublich schwer, das einfach mal so nachzumachen. Und an der Stelle habe ich dann diesen Thread gestartet.

Mir geht es nicht darum, irgend ein Solo 1:1 zu kopieren, mein Ziel ist derzeit, mein technisches Repertoire so zu erweitern, dass ich meine Soli tonal und rhytmisch abwechslungsreicher gestalten kann. Ich bin davon überzeugt, dass das Herauslösen von Einzelelementen und systematisches Üben dieser Elemente einfach eine breitere Basis für das freie Spiel ermöglicht. Und solche Übungen von Einzelelementen, die suche ich.
 
Ich bin davon überzeugt, dass das Herauslösen von Einzelelementen und systematisches Üben dieser Elemente einfach eine breitere Basis für das freie Spiel ermöglicht.

Sehe ich genauso - ist nur ein verdammt langer Weg bis der Baukasten mit genügend Steinen gefüllt ist.
Jazz ist schwer - lange Passagen - nicht ganz meins.

Interessanterweise spielt er sehr viele Sachen mit "falschem" Strich, macht Aufstriche wo Klassiker einen Abstrich setzen würden und umgekehrt.

Ich denke, das kommt aus der Situation. Meine Erfahrung: so spielen, wie es kommt - da muß halt auch mal
eine Eins einen Aufstrich aushalten - alles Gewohnheit.
Ich glaub nicht, daß Grapelli sich am Anfang dabei wohl gefühlt hat..

Präzise mit dem Rythmus zu arbeiten, treibend vor dem Beat zu liegen, tight auf dem Beat oder auch laid back ist mir der Geige irre schwer, weil zwischen dem Beginn der Streichbewegung und dem tatsächlichen Ton eine Lücke ist.

Das ist mit Abstand die größte Schwierigkeit bei Streichern!
Bei Aufnahmen könnt ich jedesmal was zusammenhauen..
Wir haben keinen Anfang des Tons, wie bei anderen Instrumenten.
Mein Strich ist seit der Klassik-Zeit härter (mehr markato) geworden, um mehr Definition für den Rhythmus zu bekommen.
Schwierige Sache trotzdem!

cheers, fiddle
 
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Was der Grapelli mit dem Strich gemacht hat, dass war sicher kein zufälliges Ergebnis - er machte das mit System. Lustig dachte ich mir, ich probier das mal aus - und bin gnadenlos an dieser Aufgabe gescheitert. Mal irgendwo bewusst einen Aufstrich setzen ist überhaupt kein Problem. Aber die gesamte Bogenführung "umpolen", das geht nicht einfach dadurch, dass man anders herum anfängt und es durchzieht. Zumindest mein Bogenarm ist so strukturiert, dass er spätestens in dem Moment, wo er keine bewusste Aufmerksamkeit mehr bekommt ins alte Muster zurückspringt.

Was die Latenz zwischen Beginn der Bewegung und Einsetzen des Tons angeht - ein strukturelles Grundproblem welches sich aber spieltechnisch kompensieren lässt.

Das wir beim Tonansatz kein "Attack" haben ist wieder ein anderes Ding. Ein "härterer" Strich bis ans Chopping heran, das ist oft gefragt. Aber mal ganz theoretisch gedacht: wäre das nicht die Aufgabe des Compressors zu Beginn des Signals eine steile Flanke zu produzieren? Hab mich nie ernsthaft mit den Dingern auseinandergesetzt, aber von dem was ich denke was die tun, könnte das unterstützen.
 
....
Mein Strich ist seit der Klassik-Zeit härter (mehr markato) geworden, um mehr Definition für den Rhythmus zu bekommen.

Das kenne ich. Ich würde behaupten wollen, dass es daran liegt, dass wir mitunter "gegen" die Band spielen müssen, um uns durchzusetzen.
Mir ist aufgefallen, dass ich manchmal regelrecht umschalten muss, um zu einem weicheren Strich zurückzukehren.
Mir aber Hilfe beim Compressor zu suchen, um den Tonansatz zu präzisieren ...hmmmm:gruebel:
Ich glaube, der beste Compressor ist unser Bogen.

Dazu kommt dann aber, und das finde ich fast am Wichtigsten: Kopf, Herz und Seele. Wenn ich im Kopf voll dabei bin, kann ich die Musik regelrecht spüren. Und dann habe ich, in den Grenzen meiner Möglichkeiten, Gelegenheit etwas mitzuteilen. Ich will mit jedem Solo eigentlich etwas erzählen und wenn ich es geschickt anstelle, folgen mir und meiner Story Musiker und Publikum.

Über Technik, Rhythmik und alles andere denk ich dann kaum noch nach...., meistens passts schon, manchmal geht auch was in die Hose....

O.K., das könnte aber schon wieder ein neues Thema werden....


robbert
 
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Ich hab mit Kompressoren experimentiert.
Unser Dynamikumfang ist viel zu mächtig für einen "normalen" Kompressor.
Mit den high-end-Geräten habe ich mich nicht befasst - sehr teuer, der Spaß.

Bei normalen Gitten-Kompressoren konnte ich keine Einstellung finden, die
das Problem mit dem Tonbeginn verbessert hätten.
Als Limiter zum Schutz vor Übersteuerung ist ein Kompressor sicherlich nicht verkehrt,
obwohl ich bislang keinen zu diesem Zweck im Einsatz habe.

Auf den Dynamikumfang möchte ich nicht verzichten - man kann in den Hintergrund
abtauchen und unauffällig die Finger warm halten bis man wieder "nach vorne" muß.


cheers, fiddle
 
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Auch wenn meine spezielle Frage nach Strichübungen nicht beantwortet wird:

Fiddling around the world

ist eine unfassbar toll ausgearbeitete Website, Jazzphrasierung wird deutlich angesprochen und Chris Haigh (Autor) hat sich unglaublich darum bemüht, die Unterschiede zwischen unterschiedlichen Fiddlestyles herauszuarbeiten. Viele seiner Workshops führen in den jeweiligen Stil nur ein, trotzdem habe ich den Eindruck, dass auf die Art wichtige Weichen korrekt gestellt werden können.

Nebenher werden so unfassbar viele Protagonisten benannt - diese Webseite ist echt ein Muss für uns Geiger!
 
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Großes Komplment Stollenfiddler !
Wo gräbst du sowas aus ???
Ich hab zwar nur kurz reingeschaut, aber wirklich super :great: , was ich bisher entdecken konnte.
Damit kann man ganze Tage und Abende sinnvoll verbringen.
Bisher habe ich nur im Blues reingeschaut, sehr interessant und mir nicht "fremd". Ich hoffe, dass es so weitergeht.....
Nochmal :great::great::great:
Robbert
 
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Wir haben keinen Anfang des Tons, wie bei anderen Instrumenten.
Mein Strich ist seit der Klassik-Zeit härter (mehr markato) geworden, um mehr Definition für den Rhythmus zu bekommen.
Dem kann ich nur zustimmen. Wenn man mit der Geige richtig markant "rocken" möchte, nehme ich sogar meistens Pizzikato, also den "Springbogen". Da ist der Tonansatz schön markant und entspricht eher dem, was ich ausdrücken möchte wie Stakkato.

Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich Klassik gespielt habe oder unterrichtet wurde, insofern weiß ich momentan nicht mal mehr genau, was "Markato" ist. Ist das eine Form von Stakkato?

Einen Kompressor verwende ich auch nicht. So wie ihr es auch schon beschrieben habt nutze ich den Dynamikbereich gerne um kurze Phrasen markant im Vordergrund zu stehen, und dann wieder in leichte Legato-Begleitung mit Vibrato in den Hintergrund zu treten. Die Möglichkeit nimmt mir ein Verzerrer, deshalb spiele ich fast nur "clean". Ich habe zwar ein Volumenpedal, aber ich will ja nicht festgetackert dastehen, sondern mich bewegen können :)

Da ich ohne Noten spiele ist mein Strich auch nicht fixiert und Auf- und Abstrich kommt intuitiv so wie es aufgeht, oder ich es fühle. Da denke ich mittlerweile nicht mal mehr drüber nach :)

Ich liebe diese Freiheit! :m_vio:

Die Fiddlerseite ist echt interessant! Danke lieber Stollenfiddler!
 
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Wo gräbst du sowas aus ???

Das lustige ist - ich habe die Seite schon vor längerer Zeit "entdeckt", zunächst aber gar nicht erkannt, was für ein Schatz sich dort verbirgt. Der Chris schreibt ja meist ersteinmal einen längeren Absatz zum jeweiligen Musikstil, benennt die damit verbundenen Geiger - erst zum Ende hin geht er auf stilspezifische Techniken ein.

@GeiGit: Oh ja, mit springenden Bögen kann man echt starke Effekte erzielen. Braucht aber auch viel Übung den Ton dabei wirklich tight im Rhytmus zu halten, mir ist das meist zu riskant. Pizzicato ist aber auch irre geil, gerade wenn man mal kurz die Linie verloren hat, kann man sich damit wieder zurück ins Schema retten und ist sich auch der Aufmerksamkeit des Publikums gewiss, denn so ein Streicherpizzicato, das setzt sich echt durch.

Chopping halte ich für vielfach unterschätzt, diese Technik hat nicht nur beim Backing Potential. Casey Driessen macht das in Perfektion:




Eigentlich müsste man mal einen Sammelthread "Lehrvideos + Online Unterricht" starten...
 
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