Polishing the Turd: Alte Aufnahmen neu abmischen

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Immer wenn ich ein paar allgemeine Fortschritte in meinen bescheidenen Aufnahmekünsten gemacht habe, klingt natürlich alles, was ich davor aufgenommen habe, deutlich schlechter. Der Vorteil am Home Recording ist zwar, dass keine Aufnahme endgültig und in Stein gemeißelt ist - man kann sich ja immer nochmal dran setzen - allerdings setzt man sich damit natürlich auch selbst unter Druck, denn es besteht ja die berechtigte Frage "Warum bringst du das nicht auf den selben Stand wie die neueren Aufnahmen?"

Wir reden hier von Aufnahmen, die teilweise mehrere Jahre alt sind ;) . Das bedeutet, dass ich damals natürlich auch beim Aufnehmen einige Dinge suboptimal gemacht habe: Gitarren nur einfach statt gedoppelt aufgenommen bzw. später den identischen Klang zweimal hard-gepanned, Gitarren über den Silent Recording-Ausgang des Marshal JVM aufgenommen statt mit Mikro, einen eher mittenreichen als gescoopten Sound verwendet etc.

In einigen Fällen bin ich schon hingegangen und habe Rhythmusgitarren neu aufgenommen (also stärker gescooped, doppelt aufgenommen und mit einem SM 58 Beta vorm Amp), aber kombiniert mit den anderen Tracks von damals klingt das Ganze natürlich weniger aus einem Guss. Daher habe ich auch vor geraumer Zeit mal die Frage in den Raum gestellt, ob man, wenn man ein Instrument neu aufnimmt, alle anderen auch neu aufnehmen sollte :/ . Und wurde darauf aufmerksam gemacht, dass ja schließlich nicht nur musikalisch-technisches auf Aufnahmen festgehalten wird.

Ich würde deshalb ungern alles von damals durch komplettes Neuaufnehmen "überschreiben", denn das sind ja auch irgendwo Momentaufnahmen. Gerade was die Leadgitarren angeht finde ich vieles von damals auch heute noch gut gespielt, nur halt suboptimal aufgenommen. Ich sehe aus irgendwo als Herausforderung an mekne Mischkünste, mit etwas suboptimalen Tracks zu arbeiten. Viele Produzenten stehen ja bisweilen vor der Aufgabe, schlechte Musiker gut klingen zu lassen - in dem Fall sind die schlechten Musiker meine früheren Ichs :D .

Normalerweise mische ich immer schon beim Aufnehmen der einzelnen Instrumente ein bisschen, um besser beurteilen zu können, ob mir ein gerade eingespielter Part gefällt. Jetzt aber habe ich ja erstmals die gesamte fertige Aufnahme vor mir und will sie komplett neu abmischen. Und auch das, was bisher akzeptabel klang, kann, wenn ich es so lasse (von EQ-Einstellungen etc.) dazu führen, dass ich mit bisherigen Fehlern weiterarbeite. Vor allem bei mir bis dato nicht aufgefallenen Übersteuerungen stellt sich immer die Frage, ob sie auf der Aufnahme selbst sind oder erst durch das Abmischen entstanden.

Also alle Panoramaregler in die Mitte, alle Effekte raus, alles auf Anfang. Damit sollte es natürlich erstmal noch beschissener klingen als vorher :) .

Und dann: Wo fange ich an, den Karren aus dem Dreck zu ziehen? Erstmal das Schlagzeug so, dass es alleine gut klingt, und dann peu a peu weitere Instrumente hinzufügen wäre jetzt so meine spontane Idee...
 
Eigenschaft
 
Ich weiß nicht, ob es wirklich ein guter Weg ist, 'altes' Material nochmal mit einem derartigen Aufwand zu aktualisieren. Ich finde deinen Gedankengang, dass es Stücke seien, die eine Momentaufnahme deines Könnens widerspiegeln und als eine Art Zeitkapsel fungieren, sehr schön. Du hast damit eine Dokumentation deiner musikalischen Entwicklung und kannst daraus lernen.
Falls du jedoch den ein oder anderen Song wirklich nach dem aktuellsten Stand deines Könnens aufgenommen haben möchtest, würde ich dir empfehlen den Song komplett neu aufzunehmen und nicht versuchen durch restaurative Maßnahmen 'den Karren aus dem Dreck zu ziehen'.
 
Ich möchte dem Kollegen @ColdDayMemory nur ein klitzekleinwenig widersprechen, weil es gerade am identischen Material eine Herausforderung ist, durch gewachsene Künste an der DAW auch den Track selbst noch weiter nach vorne zu holen. Das zuvorige Mischprodukt/Master ist ja ohnehin vorhanden und man kann sich tatsächlich gut an dem messen, was man da noch rausholt. Aber ich will nicht zu weit ausholen. Meine Antwort ist wahrscheinlich ohnehin "ungewöhnlich", denn ich frage nicht danach, welches Element im Detail verändert werden sollte, sondern was stört, bzw. welche Vorstellung davon herrscht, was fehlt oder unschön klingt. Da ist es nicht der Ansatz, am EQ rumzudrehen - das mache ich ohnehin sehr ungerne - sondern zu fragen, mit welchen Mitteln erreiche ich das? Die Antworten sind bei jedem Track anders, aber zunächst muss man sich darüber im Klaren sein, was einem eigentlich "unfertig" oder zu banal (am Track) erscheint, und an diesem Element fängt man dann mit dem elaborieren an. Das kann sein: klingt zu hohl, zu dünn, zu pappig, mehlig, eng, undifferenziert, etc. Es kann sein, dass das Timing schlecht ist oder die Aussteuerung, zuviel Rauschen, Knacksen, usf. Jedes Malheur erfordert ein eigenes oder mehrere eigene Werkzeuge. Nur beginnen muss man mit der Frage, was stört mich?
 
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Ist es die Zeit+Aufwand denn überhaupt wert?
In der Zeit wo du an alten Aufnahmen rumschraubst und ggf. sogar neue Takes einspielen musst, könntest du dich ja schließlich auch direkt mit neuen Songs befassen.
Alte Songs in miserabler Qualität finden sie wahrscheinlich in so ziemlich jeder Retrospektive der meisten Musikers. Und selbst wenn die Qualität unter aller Sau seien sollte, wird man dem Song seine Aufmerksamkeit schenken, insofern er denn auch gut ist.
Falls es dir jedoch tatsächlich keine Ruhe lassen sollte und du in Puncto Erfahrung und Know-how weit genug voran gekommen bist, das sich dieser Schritt auch lohnt, steht der Neuauflage natürlich nichts im Weg.
Mein Tipp wäre letztendlich trotzdem, nach vorne zu schauen und vergangenes Vergangen seien zu lassen.
 
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Nicht so viel Nachdenken, einfach machen. Du hast keinen Erfolgs- oder Zeitdruck, es ist dein Ding, es ist dein Hobby. Wenn Du den Gedanken reizvoll findest, dann mach's. Wenn Du das mit einem Song machst, dann heißt das ja nicht zwangsweise, dass Du alle alten Songs durchexerzieren musst.

Womit Du anfangen solltest? Mach's so wie Du aktuell vorgehst - oder auch mal ganz anders. :) Es gibt Mischer die fangen mit "dem Wichtigsten" an, also meist die Stimme, und bauen den Rest drumherum auf, andere beginnen lieber mit der Rhythmus-Sektion, also Drums, Percussions und Bass, um so das Fundament des Songs aufzubauen.
 
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Nur beginnen muss man mit der Frage, was stört mich?

Erstmal vielen Dank für die zahlreichen Antworten! :) Was mich songübergreifend stört (also von individuellen Wehwehchen einzelner Songs abgesehen) ist in erster Linie das Schlagzeug - da habe ich früher mit den Garage Band-Sounds gearbeitet, die von Logic sind halt einfach besser, und in naher Zukunft soll noch EZ Drummer angeschafft werden - und der mittenreiche Sound früherer Rhythmusgitarrenaufnahmen. Den habe ich damals so eingestellt aus Sorge, die Gitarren würden sonst untergehen :D .

Letzteres kann man vielleicht ein Stück weit beheben durch Absenken der Mitten an genau der Stelle, an der der Mittenregler des JVMs ansetzt (weiß aber nicht genau, wo das ist, das ist ja von Amp zu Amp unterschiedlich). Bei den Schlagzeugsounds wäre ich ja schon froh, wenn die neuen, besseren Sounds sich in den Mix einfügen würden, ohne wie beim Mikadospiel den gesamten Rest durcheinander zu bringen, der schon halbwegs stimmig abgemischt ist :) . Was aber schnell passiert, gerade wenn man globale Effekte drauf hat (also auf dem gemeinsamen Stereo Out). Schaltet man die aus klingt es halt erst einmal wieder sehr ungewohnt.

Generell ist mir aufgefallen, dass meine früheren Aufnahmen eher mittenlastig waren (was maßgeblich an den Rhythmusgitarren liegen dürfte), was aber eben irgendwann die Ohren anstrengt, und auf meinen jetzigen insgesamt oft eher ein Loudness-EQ drauf ist (also eher Badewanne). Das klingt beim ersten Hören angenehmer, dann aber oft zu fizzelig oben herum und ist durch weniger Mitten gerade unterwegs auf dem iPod nicht mehr so gut hörbar. Da muss ich irgendwo noch den Mittelweg finden ;) .
 
Guten Morgen. Das Problem mit den dominierenden Mitten kenne ich. Ich hatte früher mal ein "Klopfkästchen" (Rhythmusgerät), das noch ohne Samples auskam und Schlagzeugsounds analog erzeugte. Das war dann noch ungünstig angeschlossen gewesen und dominierte alles. Hinzu kam auch noch, dass Aufnahmen damit als Kopfhörermix vorlagen. Alles keine zufriedenstellenden Vorbedingungen. Die Ursprungsbänder waren nicht mehr zu gebrauchen (degradiert), so dass nur noch die Restaurationsarbeit am alten Mix übrig blieb.

Wenn Du über Originalspuren verfügst, ist Deine Arbeit unendlich leichter. Falls Du die einzelnen Trommeln nicht in separaten Kanälen hast, sondern nur die Summe der Drums, probiere mal, das Signal zunächst mit zwei Sends auf separate Effektspuren zu versehen. Die eine Spur wird mit einem Refresher/Vitalizer (z.B. AudioThing Valve Exciter) versehen, die andere mit einem Subharmonic-Generator (z.B. Waves LoAir). Die Überlegung ist, die Ausgangsspur mit weiteren Harmonischen anzureichern und dann klanglich und sättigungstechnisch auszubalancieren. Du arbeitest also dann mit (zunächst) drei Kanalzügen anstatt nur einem, an dem Du völlig orientierungslos am EQ rumschraubst. Das unterscheidet den Ansatz eines "ich mach einfach mal" vom "ich denk mal nach, welche Richtung ich gehen muss". Ich unterstelle den Jüngern der Machmal-Maxime, dass da nichts als blinder Aktivismus betrieben wird. Wenn man sich ernsthaft mit Recording auseinander gesetzt hat, kann man davon nur abraten. Das ist weder zielführendes, noch professionelles Vorgehen.

Jeden Deiner Effektkanäle kannst Du zusätzlich mit klangformenden Filtern oder Kompressoren versehen (z.B. Waves EMI TG12345), das ist aber bei Drums nicht unbedingt nötig, jedoch nützlich bei anderen Instrumenten und beim Gesamttrack. Bei Drums helfen oft schon einfache Kompressoren/Limiter. Aber sinnig anwenden, weil das ja Effektzumischanteile sind, die darüber entscheiden, welche "Portionen" des Drumsounds mit zugemischt werden, verstehst Du, was ich meine?

Am Ende steht Deine Ausgangsspur an Drums, der Du die aufbereiteten Essenzen der Effektkanäle wie frische Vanillesauce hinzu fügst. Und tatsächlich kannst Du bei diesem Vorgehen davon ausgehen, dass dies für Deine Ohren ein akustisches und von der Sonne verwöhntes Erdbeeer-Vanille-Gericht wird, das Dir ein Frühlingslachen ins Gesicht zaubert. Die Leute, die gerne an EQs drehen, kannst Du getrost im Keller vergessen.

Probier mal diesen Ansatz. Natürlich sind die oben genannten Tools nur exemplarisch. Ich habe aber exzellente Erfahrungen damit gemacht. Viel Erfolg und Spaß.

Nachtrag:
Bitte unbedingt 100% "wet" Effektkanäle erstellen/zumischen, sonst versaust Du Dir die Sauce. ;-)

vgl. auch
Mike Senior: Mixing secrets for the small studio / ISBN-10: 0240815807
Bobby Owsinski: The mixing engineer`s handbook / ISBN-10: 128542087X
Bob Katz: Mastering audio / ISBN-10: 0240808371
 
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Ich stehe total auf "ich mach einfach mal". Ist ja kein Problem heutzutage. Was sollte mich abhalten, auch mal 10 Sachen auszuprobieren? Und unprofessionell? Na ja, egal.....

Ich finde, das macht Spaß mal mit alten Sachen was auszuprobieren. Ich würde auch gar nicht das alte Projekt aufmachen. Einfach ein neues anlegen und da die Spuren reinziehen. Schlagzeug gruppieren und einen Kompressor in die Gruppe und dann mal hören, was so da ist. So wie man das auch machen würde, wenn man das von wo anders her hat. Auf jeden Fall würde ich auch die alte Mischung vorher nicht anhören. Etwas Abstand dazwischen, so ein zwei Tage. Dann kann man da ohne Vorbelastung ran. Schlagzeug kannst Du ja tauschen. Sollte ja als Midi vorhanden sein wenn das Garagband war.

Da kann man sicher auch viel lernen bei zum Thema Mischung. Und wenn Du Bock hast, stell doch mal die Spuren von ein zwei Songs zur Verfügung. Vielleicht findet sich ja dere ein oder andere, der "einfach mal was macht"...... (;
 
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Ich unterstelle den Jüngern der Machmal-Maxime, dass da nichts als blinder Aktivismus betrieben wird. Wenn man sich ernsthaft mit Recording auseinander gesetzt hat, kann man davon nur abraten. Das ist weder zielführendes, noch professionelles Vorgehen.

Ich finde genau das ist der Punkt. Ein Profi hat Erfahrungen, daher auch zielführendes professionelles Vorgehen.
Ein Laie hat keine Erfahrungen. Woher soll er die denn bekommen, wenn er nicht einfach mal nach dem Motto "Mach mal" arbeitet, und verschiedene Vorgehensweisen ausprobiert, und miteinander vergleicht?

Mag sein, dass ein Profi bei einer Produktion unter Zeitdruck steht, und daher auch gar nicht die Zeit hat zum experimentieren. Laien hingegen, können das meist etwas gelassener angehen und stehen nicht unter Zeitdruck.

Obwohl ich in meinem Beruf (Mechaniker) seit knapp 20 Jahren ausgelernt bin, versuche ich manchmal neue Vorgehensweisen. Denn meiner Meinung, bleibt auch ein Profi auf dem Niveau eines frisch Ausgelernten stehen, wenn er nach seiner Ausbildung nicht Eigeninitiative ergreift, und weiter experimentiert. Man hat schliesslich sein Leben lang nicht ausgelernt, und es kommen auch immer neue Tools auf den Markt.
 
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Hi,

ich habe letztes Jahr auch einige meiner ersten Songs komplett neu gemischt. Dabei habe ich die Drums und die Gitarren ersetzt/neu aufgenommen. Die restlichen Instrumente habe ich nur neu bearbeitet. Ob es jetzt unbedingt nötig war diese Songs neu aufzunehmen weiß ich nicht, aber es hat Spaß gemacht und ich bin der Meinung, dass sie im neuen Mix besser klingen :D

Außerdem habe ich so noch Lead-Gitarren hinzufügen können, die dem Song mehr Breite verleihen und den Song noch etwas abwechslungsreicher machen. Das war nämlich auch einer der Probleme der alten Songs. Sie waren nicht so gut arrangiert und dadurch nicht sehr abwechslungsreich. Sowas kann man dann in einem Remix ja auch angehen wenn man das möchte :)

Ist auf jeden Fall sehr spannend dann am Ende beide Mixe zu vergleichen. So merkt man dann wo und wie man sich verbessert hat...oder man mischt den Song komplett kaputt :engel:
 
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