4. C. Metrik

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Metrik

Zunächst eine begriffliche Klärung:
Das Metrum (von griechisch μέτρον (metron) = "Maß") ist in der Musik der Fachbegriff für die Organisation von Schlägen in einem regelmäßigen Betonungsmuster. Dieses Betonungsmuster bildet die "Hintergrundstruktur", auf die sich die übrigen rhythmischen Strukturen eines Stücks beziehen. Da die verschiedenen Taktarten in der Musik meistens mit einem bestimmten Betonungsmuster verbunden sind, werden die Begriffe Takt und Metrum oft synonym verwendet.
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Metrum_%28Musik%29

Alles verstanden soweit?
Nicht? Dann geht es Euch so wie mir.

Zugang zu Metrik 1
Wer sich in der Schule oder dem Studium oder in der Freizeit mit der Fachliteratur auseinandergesetzt hat, wird hier natürlich ein vertieftes Verständnis davon mitbringen, um was es im Folgenden geht.

Wer sich auf dieser Ebene damit auseinander setzen möchte findet zusätzlich zu dem obigen Link hier weiter Hinweise:
http://de.wikipedia.org/wiki/Versma%C3%9F

Zugang zu Metrik 2
Ich fand ehrlich gesagt, diesen eher abstrakten oder auch akademischen Zugang nie besonders interessant und dessen direkt umsetzbaren Beitrag zu dem, was er für das Schreiben von Songtexten leistet, eher bescheiden.

Ich möchte daher einen eher pragmatischen Zugang wählen, der sich im Wesentlichen aus meiner eigenen Erfahrung speist - meinen Erfahrungen als drummer, songtexter und Musiker. Im Folgenden beziehe ich mich daher auf meine Erfahrungen und die Situation des Schreibens von songtexten - insbesondere bezogen auf die Musik.

Die Situation des Textens
Eigentlich gibt es zwei unterscheidbare Situationen:
a) die Musik steht bereits - zumindest in den Grundzügen
b) der Text entsteht, ohne dass ein Rhythmus oder eine Musik da ist.

Zu a)
Ein musikalisches Thema oder eine Riff/Akkord-Folge setzt dem Text gewisse Schranken oder bietet eine gewisse Orientierung. Das äußerst sich darin, dass oft eine spürbare Zeilenlänge gut oder weniger gut passt. Dies legt zumindest die Höchstzahl von Silben pro Zeile fest - wenn man nicht im Schweinsgalopp durch den Text hasten will. Man hat dies meist im Gefühl. Ich denke auch, dass das im Folgenden noch klarer wird.

Zu b)
Hier liegt noch keine Beschränkung oder Orientierung durch einen Beat oder eine Riff/Akkord-Folge vor. Zeilenlängen, Anzahl der Silben und der "beat" des Textes kommen meist unwillkürlich aus einer bestimmten Stimmung heraus, die einer Grundstimmung des Textes entspricht.

Ist beispielsweise der Inhalt des Textes die Beschreibung einer hektischen Situation wird die Metrik des Textes in Form einer Entsprechung (das Thema Form und Inhalt wurde bereits an einigen Stellen dieses workshops behandelt) eher in kurzen, schnell aufeinanderfolgenden Silben bestehen, die diese Hektik über die Sprache mit transportiert. Beispielsweise: rush, rush, just so fast, find no sleep, carry on and rush.

Für ein eher beschauliches Thema wie den Sonnenuntergang, der Ruhe und Entspannung über die Sprache transportieren soll, würde man in Form einer Entsprechung eher längere Worte mit weichen Betonungen wählen: While I was laying near your side the sound of singing birds lingered in our souls.


Metrik: der groove der Sprache
Fragen wir uns also, was hier passiert:

Offensichtlich besitzt Sprache einen Rhythmus und kann Stimmungen wie Entspannung oder Hektik über Worte unabhängig von ihrer Bedeutung transportieren. Zudem gibt es harte und weiche, kurze und lange Vokale und Konsonanten sowie betonte und unbetonte Silben.

Das alles führt dazu, dass Sprache auch unabhängig von ihrer Bedeutung rhythmische Strukturen besitzt. Alle, die ein Instrument spielen, werden damit recht einfach klar kommen. Aber auch ohne dieses Vorwissen wollen wir im Folgenden einmal durchspielen, was dies praktisch heißt.

Wir wissen, dass sich Rhythmus immer auf eine durchgehende Zählzeit bezieht. Das Tempo dieser Zählzeit ist zunächst unwichtig. Such Euch ein Tempo aus und schlagt dies mit dem Fuß oder der Hand durch und sprecht dazu dann die unterschiedlichen Varianten darüber bzw. dazu.

Ihr werdet dann die Unterschiede leicht spüren und später in Euren Texten anwenden können.


And we start right now
Wir nehmen uns eine einfache Aussage und spielen diese in mehreren Varianten durch. Versucht, die Zählzeit durchzuhalten - dann spürt Ihr am ehesten die Unterschiede zwischen den Varianten.

Die Aussage, die wir hier durchspielen ist recht einfach: ein Junge oder Mann tötet ein Mädchen oder eine Frau. Am besten Ihr haltet die Zählzeit mit Fuß oder Hand durch und sprecht den Text laut dazu.

Var 1.
I shot that girl with this gun of mine.

Var 2.
I really took my gun and shot her in her head

Ihr dürftet nun auf die gleiche Zählzeit bezogen unwillkürlich eine unterschiedliche Aufteilung der Silben vorgenommen haben, Dies bewirkt, dass die rhythmische Aufteilung der Sprache eine andere ist - es entsteht ein anderer flow, ein anderer groove der Sprache. Wohlgemerkt: nicht durch den Inhalt, sondern durch die Wahl der Worte und die Abfolge der Silben.

In der ersten Variante entspricht jede Silbe eine Zählzeit (je nach Tempo zwei Zählzeiten) - bis auf die Worte "with this", die auf eine Zählzeit (je nach Tempo auf zwei Zählzeiten) fallen. Wenn Ihr dies nicht so gemacht habt - das macht nichts. Versucht es einfach jetzt einmal.

Bei der Variante zwei dürften "really" und "took my", "shot her" "in her" auf eine Zählzeit (je nach Tempo zwei) fallen, während die anderen Silben auf eine Zählzeit (je nach Tempo zwei) fallen. Falls Ihr ein anderes Ergebnis habt, versucht einfach, es so zu sprechen, dass es dieser Aufteilung entspricht.

Dadurch ist der flow oder der groove der Sprache ein völlig anderer geworden.
Dadurch, dass in der zweiten Variante mehr Silben auf eine Zählzeit (je nach Tempo zwei) fallen, wirkt diese "beschleunigt" und wirkt rhythmisch anders.

Variante 1 müßte in etwa so klingen:
Ta Ta Ta Ta Tata Ta Ta Ta
Variante 2 müßte in etwa so klingen:
Ta Tata Tata Ta Ta Tata Tata Ta

Einigermaßen verständlich? Einigermaßen deutlich und spürbar?

Var 3
Took my gun and killed her.
Tata Tata Tata
Freilich, wenn man will, auch so:
Ta Ta Ta Ta Tata


Zwischenfazit
1. Je nach Silbenzahl und Anordnung der Silben, je nach kurzen oder langen Vokalen oder Konsonanten ergibt sich bei gleicher Zählzeit ein anderer Rhythmus der Sprache - ein anderer flow und ein anderer groove.
Mal scheint die Sprache aus dem Mund zu schießen wie eine Kugel - mal fließt sie eher gleichmäßig.

2. Dabei ergeben sich auf die Zählzeit bezogen unterschiedliche Möglichkeiten, wie man sozusagen diese Silben unterbringt. Ein und der selbe Text mit den gleichen Worten und Silben würde von zwei verschiedenen Sängern unterschiedlich umgesetzt und ergäbe ein mehr oder weniger verändertes Timing.

3. Beide Komponenten sind wirksam.


Was bringt uns das?
Nun zunächst sollten wir uns über die Grundstimmung des songs im Klaren sein: gehetzt, unter Druck, gepresst oder relaxed, gemütlich, entspannt - um mal zwei verschiedene Extreme zu benennen.

Meistens richtet sich die Sprache sozusagen automatisch bzw. unbewusst danach aus - so ähnlich wie man schon ungefähr weiß, ob der song nun langsam oder schnell sein wird, ob er punk oder eher pop ist und so weiter.

Dennoch macht es Sinn, sich einige Möglichkeiten der Sprache in Bezug auf die Rhythmik anzuschauen, um sie bewusster einsetzen zu können. Nicht zuletzt deshalb, weil Texte ohne Musik in der Regel etwas vorläufiges haben. Und zwar in dem Sinne, dass wenn die Musik steht, es oft noch ein bißchen Feinarbeit bedeutet, den wirklichen sprachlichen killergroove hinzubekommen: Manches singt sich einfach nicht so toll und dann muss man eben noch mal Hand anlegen.

Welche Elemente können wir also einsetzen, um den songtext rhythmisch passender zu machen?


Füllwörter
Jede/r kennt Füllwörter wie "and", "so", "but", "really" sowie zudem im Englischen die Möglichkeit, entweder "I will" oder "I´ll" zu singen oder zu schreiben.

Also: den Text darauf hin betrachten, wie sein flow ist und dementsprechend Wörter hinzuzufügen oder zu streichen.

Rein gesanglich sind natürlich auch hier "Oh", "Yeah", "Please" und so fort zu nennen: also sprachliche Ausdrücke ohne eigentliche inhaltliche Bedeutung - die aber erhebliche Auswirkungen auf die Rhythmik der Sprache haben.

Synonyme
Inhaltlich bedeuten Synonyme das Gleiche, auch wenn sie zum Teil unterschiedliche Konnotation (mitklingenden Bedeutungsinhalte) transportieren.

Auf rhythmischer Ebene macht es aber einen Unterschied, welche Übersetzung ich für das Wort schön nehme: beautious, beautiful, nice, fine, pretty, bonnie, fair, lovely, pulchritudinous oder tidy.

Also wer hier ein bißchen stöbert, hat mehr Auswahl und bei der bewussten Wahl bezüglich des groove der Sprache eindeutig die Nase vorn.

Grammatik
Auch hier ergeben sich - bei gleicher inhaltlichen Aussage - sehr viele verschiedene Varianten: my gun; this gun of mine; the gun, that I bought; the gun that I own; my own gun etc.

Und jetzt in Kombination mit einem Synonym: my rifle; this rifle of mine etc. oder: my shotgun; this shotgun of mine etc. oder: this pistol etc. oder: this doubled-barrelled gun etc. - von allen möglichen Slangausdrücken oder Umschreibungen mal abgesehen.

Bei Verben bieten sich natürlich - innerhalb sinnvoller Grenzen - Verlaufsformen und Ähnliches an: I love you; I do love you; I´m loving you haben bei gleicher inhaltlichen Aussage eine andere Rhythmik und einen anderen flow oder groove.

Wortumstellungen innerhalb eines Satzes
Auch hier ergeben sich natürlich innerhalb einer sinnvollen oder zumindest einer nicht völlig falschen (künstlerische Freiheit ist mitunter sorgsam zu genießen) Grammatik etliche Möglichkeiten:

She came to Rome to satisfy her needs.
To satisfy her needs, she came to rome.
To Rome she came to satisfy her needs.
She - to satisfy her needs - came to Rome.


And the winner is …

Wir sehen also, dass es etliche Möglichkeiten gibt, unsere Sprache auf Ebene des groove oder des flow rhythmisch zu beeinflussen bzw. zu bestimmen.

Was letztlich am besten passt ergibt sich eigentlich erst aus dem Gesamtgefüge von Text, Musik und Gesang.

Und wie so oft, schadet es in keinem Fall, sich seiner Möglichkeiten bewusster zu werden, um jeweils das Optimum für genau diesen Text, diesen Inhalt und diesen Gesang herauszuholen.


Übungen

1. Versucht einmal, schon bestehende Texte daraufhin zu überarbeiten. Geht danach, was sich noch nicht optimal anhört, wo es sich sperrt und wo der Sänger oder die Sängerin murrt.

2. Achtet beim Verfassen eines Textes mal von Anfang an darauf, wie er sich spricht, wie der flow ist und welcher "drive" sich ergibt - und versucht, diesen fortzusetzen, solange es um das gleiche Gefühl und die gleiche Stimmung geht.

3. Achtet mal bei songs, die Ihr gut findet, darauf, wie eigentlich der Fluss der Sprache ist und wie er zu Stande kommt.


Viel Spaß dabei.
 
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