Sind wir die "MUsikerpolizei"?

  • Ersteller strep-it-us
  • Erstellt am
Prog ist ein Name für eine Musikrichtung, oder?! Der Stil an sich ist ja seit Jahrzehnten der gleiche (lange Songs, anspruchsvolle Instrumentalparts, komplizierte Strukturen, häufige Taktwechsel etc.), also kann das "progressiv" doch überhaupt nicht im Wortsinn gemeint sein...??? Oder "progressiv für 1960er Verhältnisse"?!

Zum Thema: Ich denke, die Gefahr des Verklugscheißerns besteht durchaus, aber dem kann man entgegen wirken, nämlich einfach, indem man das Klugscheißern lässt. Wenn du nur noch sowas hören magst, immerzu! Dafür ist Musik doch da. :) Problematisch wird's, wenn man es seiner Umgebung aufzwingt. Das ist übrigens eine allgemeine Problematik weit über die Musik hinaus - es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen Meinung und Kundgebung derselben. :)

Greetz,
Fabse
 
definitiv!

Also ich fühlte mich peinlicherweise bei dem Review angesprochen, kann aber darüber lachen... :)

dito!
ich sehe musik als ne kombination aus technik und kunst!
beides muss einfach anspruch haben, ist es schlecht umgesetzt erfüllt es meinen anspruch eben nicht!

ich gehe auch auf konzerte um eben technisch gute kunst zu erleben!

da brauch ich mit meinem kopf nicht durch die gegend zu wedeln oder ähnliches! da reicht ein skeptischer blick und aufmerksames gehör!

gerade opeth gehört zu einer meiner lieblingsbands, die das ganz ordentlich hinbekommen
 
Seitdem ich in die Progressive-Ecke abgewandert bin, stichel ich mich mit nem Freund, der halt anderes hört, immer ein wenig. Läuft dann so in der Richtung, dass er mich "arroganter Progger" oder "eingebildet" nennt, ich läster halt über sein "primitives Gebolze". Das machen wir nur aus Spaß, nur dass es niemand falsch versteht, wir sind musikalisch wirklich tolerant. Das "wir" so ein Image haben stimmt schon, aber das liegt wie bei jeder Musikrichtung an einigen wenigen, finde ich. Es ist ja auch nicht so, dass die Metaller alles Satanisten sind, jeder Rapper im Ghetto groß wurde und sich Schießereien liefert, oder? Aber das sind halt Klischees, die diese Genres nicht mehr loswerden. Ich finde es auch selbst ziemlich mies, wenn ich manche Band Diskussionen sehe. Dann "versteht" jemand die Band nicht, weil er sie nicht mag, oder jede Kritik wird bis aufs lächerliche verteidigt. Zum Beipsiel weiss ich nicht was ich denken soll, wenn Fans es als "Kunst" verteidigen, wenn eine Band sich auf der Bühne nicht bewegen. Dieses absolute Vergöttern ist einfach übertrieben, die Bands mögen technisch wirklich gut sein, Geschmäcker sind trotzdem verschieden, und perfekt ist auch keine Progressive-Band
 
ich sehe musik als ne kombination aus technik und kunst!
ich gehe auch auf konzerte um eben technisch gute kunst zu erleben!

Da kann ich unterschreiben, was nützt es einem wenn man Gefühl ohne Ende mit in die Musik einbezieht, aber es an Technik mangelt?
 
Diese Sticheleien kenn ich auch, ist aber auch nur Spass.
AUßerdem kann man auch Gefühl in progressive MUsik bringen.
Allerdings sollte man niemandem vorwerfenen hat eine Band nicht verstanden zu haben:screwy:
,wenn er sie nicht mag.
 
Da kann ich unterschreiben, was nützt es einem wenn man Gefühl ohne Ende mit in die Musik einbezieht, aber es an Technik mangelt?

Meiner Meinung nach muss eines von beiden auf jeden Fall da sein um überhaupt von einer musikalischen Leistung sprechen zu können, entweder eine technische Leistung oder eine künstlerische Leistung. Daher denke ich es gibt sicher auch gute emotionale Musik die technisch absolut anspruchslos ist...
 
Und naja, auch wenn man Technik und Gefühl versucht, wie es der alte Kant bei der Erkenntnistheorie tat, zu verbinden, könnte man immer noch einfach von Musik die man mag und Musik die man nicht mag sprechen...

So schwer ist das eigentlich nicht, aber ich philosophiere selber viel zu gern über Struktur, Aufbau, Technik und auch Emotionen...
 
also ich bin eig kein progressive typ, keine ahnung was ich hier überhaupt suche jedenfalls spricht mich der thread hier voll an. jeder hat seine erlebnisse mit der "musikpolizei" und manchmal denk ich mir, diese typen könnten sogar jimi hendrix niedermachen wenn sie nicht aus lehrbüchern wissen würden, dass er ganz gut is^^.
zu technik vs. können: die ganz großen könnten auch auf ner schrottklampfe schreddern, die meisten sagen das auch in den interviews, ich denk da an einen bestimmten hab vergessen obs michael schenker oder angus young oder wer war, was ich damit sagen will: sch**ß drauf.
 
@ voronwe
Mit ziemlich heißer Nadel gestrickt - jedenfalls meiner Meinung nach.
Ich kenne Pop-Produzenten, deren musikalischer Horizont derart beschränkt ist, dass ein Tellerrand dagegen wie eine andere Galaxie erscheint. Aber sie haben das unbewusste oder auch klar kalkulierte Feeling für Massenkompatibilität, und das ist es vor allem, was in diesem Job zählt.
Wenn Du es mit guten Komponisten zu tun hast (ich bekenne mich ausdrücklich zu dieser Einteilung `gute und schlechte Musik´, da ich sie alleine schon zur Selbsteinordnung für mich brauche), wirst Du bei ihnen in der Regel neben sog. komplizierten Stücken auch sog. einfache finden. Aber was heißt in diesem Kontext schon einfach? Nimm z.B. Mozart (altes Beispiel), scheinbar einfache Musik und doch so ziemlich die schwierigste in der Ausführung.
Ansonsten ist Dein Loblied auf die Einfachheit ja in Ordnung, nur: als prof. Musiker musst Du ziemlich vielen Anforderungen gerecht werden. Wenn man dabei sein Können nicht an den schwierigen Sachen schärft, kann man sich gleich einen anderen Beruf aussuchen.

Viele Grüße,
Anony.
 
Ich finde, solange die Band auf der Bühne ihren Job gut macht, das Zusammenspiel und die Akustik passt und der Gitarrist nicht jeden zweiten Lick falsch spielt oder der Schlagwerker nicht auf total verstimmten Toms trommelt, sollte man keinen großen Hermann machen.

Ich selbst achte anfangs darauf um Bands besser vom Niveau (doofes Wort :D) her einordnen zu können.
Primär achte ich jedoch nicht auf die technische Sauberkeit eines Einzelnen sondern auf das Gesamtergebnis, welches letztendlich entscheidend ist.

Manche Menschen (unter anderem auch ich) legen Wert auf saubere Spielweise, anderen tun es eben nicht.
Nur auf einem Konzert mit verschränkten Armen rumzustehen und fachzusimpeln halte ich in jeder Situation für unangebracht, denn man möchte sich durch sowas nur hervorheben.
 
jeder musikpro weiß auch, dass musik eine kunst ist und in der kunst gibt es keine regeln, abgesehen von den theoretischen. wer das nicht begreift ist nichts weiter als ein poser, der sich mit seinem wissen über musik profilieren möchte, weil er sonst ein recht schlechtes leben führt/kleinen penis hat/komplexe hat etc :/
 
Über Kunst darf und soll, ja muss aber geredet werden, wo kämen wir sonst hin?
Strep-it-us hat vollkommen recht mit seiner Erkenntnis, es geht heutzutage vor allem um Toleranz. Das ist nicht nur in der Musik so aber da eben auch, man muss allen Scheiß akzeptieren können und jeden Witz ernst nehmen, sonst ist man ja ein Faschist.
Dies führt unter anderem zu kuriosen Behauptungen, letztens hab ich mich mit einem Freund (er ist Komponist und hat vllt. auch deswegen sehr gefestigte Ansichten, wie auch ich) fast geprügelt, weil er die These vertritt, daß jede Musik gut ist, und es nur auf das Auge des Betrachters ankommt. Wenn also Musik jemandem gefällt, dann ist sie auch gut, weil das der Sinn der Musik ist (zu gefallen).
Was totaler Blödsinn ist! In der logischen Konsequenz könnte ich dann auch behaupten, daß das Dröhnen eines Formel1-motors Musik sei oder ein Furz (irgend einem Spinner gefällt das sicher genauso gut wie unsereins unsere Musik).
Desweiteren wird hier die Kompetenz des Hörers völlig ausgeblendet. Es würde doch beim Film auch niemand behaupten, daß Rosamunde Pilcher gute Drehbücher schreibt, genausowenig wie ein Bastei Taschensoftporno als Literatur gewertet wird, bloß weil meine altersdebile Oma bzw. meine Kitschverklärte Tante sowas gut finden.
Bei der Musik ist es aber paradoxerweise so, das jeder Schwachkopf seinen Kot abladen darf und dann andere Schwachköpfe solchigen ungestraft neben wirkliche Kunst schaufeln dürfen.
Wo ich auch den Punkt erwähnen will wo es zur verbalen eskalation mit meinem Freund kam, er hatte nähmlich behauptet daß typischer 3-Akkord Punk genauso gute Musik sei wie (mein verehrter) J.S. Bach! Die Begründung dafür liegt in oben beschriebener Ansicht sowie in Argumenten wie "andere Zeiten erfordern andere Musik usw."
Jetzt macht doch aber genau dieser Vergleich deutlich, das man Musik sehr wohl nach objektiven Kriterien bewerten kann!!! Technisch belangloser einheitsbrei den besagte Oma nach ner Woche spielen könnte versus enorme virtuose Anforderungen, differenzierte Affektiertheit versus immer gleiches Geknüppel (einziger Affekt: "auf die Schnauze"), komplexe Harmonik durch sämtliche Tonarten usw. versus Musik bei der man, wenn man einen E Akkord reinspielt zu 80% richtig liegt, polyphone Stimmführung gegen überhaupt keine Stimmführung... wo bitte kann ich denn hier ein Eisen für solche Klischeemusik ins Feuer legen? Bloß weil ein paar Hansels, deren Gefühle eben nicht über "auf die Schnauze" hinausgehen, sich emotional angesprochen fühlen, soll ich so einen Scheiß ernst nehmen? Wohl kaum.

Ich darf auch daran erinnern, um den Bogen zu meinem ersten Satz zu schließen, das es immer auch die "Musikpolizei" war, die verantwortlich für neue Strömungen und deren Festigung war. Man traf und trifft sich in Komponistenkreisen und erarbeitet zusammen Merkmale, die Musik haben soll und kritisiert gegenseitig seine Ergüsse.
So war das in den beiden Wiener Schulen und so funktioniert das heute noch.
Ich finde es Schade, das die Planlosigkeit und Zwangstoleranz heute so groß ist, daß nicht einmal mehr Buh! gerufen werden darf im Konzert. Wenn ich mir dagegen die Uraufführung von Strawinsikys "Sacre du printemps" vor Augen führe... es hat eine Massenschlägerei im Saal gegeben, so polarisiert hat die Musik.
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 2 Benutzer
Wo ich auch den Punkt erwähnen will wo es zur verbalen eskalation mit meinem Freund kam, er hatte nähmlich behauptet daß typischer 3-Akkord Punk genauso gute Musik sei wie (mein verehrter) J.S. Bach! ...
Jetzt macht doch aber genau dieser Vergleich deutlich, das man Musik sehr wohl nach objektiven Kriterien bewerten kann!!! Technisch belangloser einheitsbrei den besagte Oma nach ner Woche spielen könnte versus enorme virtuose Anforderungen, differenzierte Affektiertheit versus immer gleiches Geknüppel (einziger Affekt: "auf die Schnauze"),
Wenn ich mir dagegen die Uraufführung von Strawinsikys "Sacre du printemps" vor Augen führe... es hat eine Massenschlägerei im Saal gegeben, so polarisiert hat die Musik.



Dialog aus einem Comic aus den 70ern:
(Besucher eines klassischen Konzertes, bei dem plötzlich zwei Matrosen mit Akkordeons die Bühne entern und das Programm übernehmen)
A.: "Im Vergleich zu Mozart ..."
B.: "Ist aber moderner."
A.: "Soll das heißen?..."
B.: "Das schon gar nicht."
 
@ Surtr

Du sprichst mir aus dem Herzen!!!
Natürlich ist Musik objektiv messbar. Harmonik, Melodik, Rhythmik, Dramaturgie, Form etc. lassen sich durchaus bewerten, einer jahrhundertelangen Tradition sei Dank. Auf die These, dass mit Punk oder sonstiger sog. Rebellion diese Tradition negiert werden soll, kann ich nur feststellen, dass sich gerade diese Rebellion der einfachsten (um nicht zu sagen: primitivsten) Entwicklungsstufen dieser verhassten Tradition bedient.
Aber weiter im Thema. Falls unter Berücksichtigung o.a. Kriterien eine Musik als primitiv erscheint, muss man sich fragen, ob sie denn wenigstens in puncto Eigenwilligkeit oder Eigenständigkeit überzeugen kann, oder ob sie eine rein dienende Funktion hat. Sollte auch das nicht der Fall sein, kann und sollte man `das Kind beim Namen nennen´. Was hat das mit `Musikerpolizei´ oder mit der so arg strapazierten Geschmacksfrage zu tun?
Leider werden von intellektueller Seite Songs mit gesellschaftskritischen oder generell ambitionierten Texten sehr häufig als gute Musik definiert. Und über genau diese Schiene haben auch Punk und Hip Hop ihren Einzug in akzeptierte, teilweise hoch geachtete Musikforen geschafft, z.B. Deutschlandradio Kultur. Eine Fortsetzung dieses Maßstabsdenkens ist in der Oper zu finden, in der sich mittlerweile viele Besucher hauptsächlich auf die Texte und deren szenische Umsetzung konzentrieren, was durch den etablierten Kritikerstil sogar noch unterstützt wird. (Warum gehen solche Leute nicht in ein Schauspiel?)
Musik wird also häufig nicht mehr als solche wahrgenommen. Sie dient dann als Transportmittel für Aussagen, Stimmungen und andere Inhalte, die musikalisch nicht messbar sind. Wenn mich jemand auf die Relevanz dieser außermusikalischen Inhalte aufmerksam macht und damit das Gesamtwerk verteidigen möchte, antworte ich standardgemäß mit der Frage, wie denn ein Transportmittel transportieren kann, wenn es durch Unfähigkeit oder Absicht derart kastriert wurde? Es kann nur dann gut transportieren, wenn es eine eigene Qualität besitzt.
Wir sollten als Musiker, d.h. als Fachleute auf musikalischem Gebiet, endlich mehr Mut aufbringen, schlechte Musik auch als solche anzuprangern. Leider stehen dem häufig Kriterien wie Toleranz, `political correctness´, das leidige Geschmacks-Argument und manchmal auch Karriere-förderndes Schweigen im Weg. Aber mit etwas mehr Engagement und Mut könnten wir alle solch musikalische Ungeheuerlichkeiten wie Bohlen, Rieu, Musikantenstadl etc. vielleicht etwas deutlicher enttarnen.
Die sog. Musikerpolizei, also dogmatische Musiker (z.B. ein Blues-Freak, der nichts außer Blues gelten lässt) oder die Erbsenzähler (die vor lauter Fehler-Zählerei das Gesamtergebnis ignorieren oder verpassen) oder die Wichtigtuer (`ich bin eh der schnellste Gitarrist des Landes´) sollte man einfach ignorieren, weil sie durch ihr Verhalten eine Menge an eigenen Defiziten auf musikalischem Gebiet offenbaren.

Viele Grüße,
Anony.
 
surtr und anonymusus

Schwerste Gegenrede.

Ich kann jetzt nicht als Musikstudent aufwarten, aber mir sind alle Argumente geläufig und die Wissenschaft ist mir als solche in unterschiedlichsten Formen bekannt.
Deshalb hier eindeutig Widerspruch.

1. Objektive Kriterien gibt es
Natürlich kann man messen, wie komplex ein musikalisches Werk ist, genauso wie man messen kann, wie komplex ein literarisches Werk ist - was die Personen, die Handlungen, den Stil, die Stilvielfalt, die Durchkomposition etc. angeht.
Dies sind mehr oder weniger handwerkliche Kriterien.

2. Man kommt nie und nimmer von Kriterien direkt auf Wertungen
Warum soll ein komlexes Werk wertvoller sein als ein weniger komplexes?
Heißt: warum erachte ich einige Kriterien für wertvoller als andere?
Das ist nie und nimmer objektiv und objektivierbar, sondern immer subjektiv. Objektiv kann ich nur Unterschiede festhalten.
Ich halte es übrigens nicht für schlimm - auch in der Wissenschaft nicht - wenn man einen subjektiven Standpunkt hat und vertritt - wenn man ihn denn benennt.

3. Elitäres Wunschdenken
Wer dies tut - nämlich nicht nur die Kriterien für objektiv zu halten, sondern auch die Wertungen der Kriterien - der ist elitär und unwissenschaftlich. Mit dem will ich nichts zu tun haben. Denn er weist sein eigenes Urteil als allgemeines aus, um daraus ableiten zu können, allgemein zu sprechen. Das ist elitär.

4. Ein sonderbarer Einschnitt
Warum wird denn in der klassischen Betrachtung eine bestimmte Form verabsolutiert? Nämlich die des großen Werkes?
Das wäre vergleichbar mit einer Literaturwissenschaft, die nur große Romane beachtet und wertschätzt - und andere Formen der Literatur (Aphorismen beispielsweise als literarische Kurzform) mißachtet oder gering schätzt.

So wie beim Aphorismus die Kriterien eines Romanes (Handlung, Komplexität etc.) völlig unangemessen sind, so ist dies zum Beispiel bei der Tanzmusik der Fall.
Komplexität bei Tanzmusik zu erwarten - ja dort diese Kriterien anzusetzen - ist meines Erachtens sowohl dumm als auch dreist. Das Gegenteil ist der Fall: die Musik hat eingängig zu sein, der Text muss nicht bestechen, der Beat ist wichtig und so weiter.

5. Eine unseelige Tradition
Ich kenne die Vertreter einer Tradition zur Genüge, die mir "objektiv" beweisen wollen, dass eine bestimmte Kunst- oder Musikform "objektiv" wertvoller ist als eine andere und sich anmaßen hier Richter, wenn nicht Henker zu spielen.

Ich will Euch hier nicht ungefragt dazu zählen - aber das läßt sich ja klären.

Dass Tanzen nun ein "niedriges" Bedürfnis sei, während das andächtige Lauschen eines großen Werkes in konzertanter Umgebung ein "höheres" Bedürfnis sei - das soll mir mal einer allen Ernstes sagen ohne sich lächerlich zu machen.

6. Hunde, Katzen und Birnen
Ich bin wahrlich kein Verfechter seichter Musik, Fahrstuhlmucke und Plagiat- und industrieller Produktion von Musik.
Und natürlich gibt es - wenn man handwerkliche Kriterien nimmt - gut gemachte und umgesetzte Musik, genau wie es einen mehr oder weniger guten Roman gibt.
Das kann und soll man ja auch sagen. Auf jeden Fall sogar.

Aber dann hat man als Kritiker auch seine Kriterien offen zu legen und nicht so heranzugehen wie Reich-Reinicki, der wenn er einen neuen Roman gelesen hat, der wieder nicht das erfüllt, was er gerne hätte, nämlich "den großen deutschen Roman der Nachkriegszeit" diesen als schlechten Roman kritisiert.

Ja was kann denn der arme Roman dafür, dass er das gar nicht will?
Und was kann das Publikum dafür, dass es was anderes lesen will als Reich-Reinicki?

Ich kanns auch anders formulieren. Steven King hat mal über seine Thriller gesagt: die sollen sein wie Hamburger essen: heißhunger befriedigen, schnell gegessen und verdaut sein.
Da muss man doch irgendwie den Schuß nicht ganz gehört haben, wenn man seine Werke an den Kriterien einer Gourmet-Küche mißt, oder?


Ich kann´s auch noch ganz ganz anders sagen.
Ich kann mich nämlich noch sehr gut an die Zeit erinnern, in der mir Musiklehrer "objektiv" beweisen wollten, dass Rock oder Beat "niedere" Musik ist, was man ja schon am Vorherrschen des Rhythmus, überhaupt des vorwiegend Körperlichen, ja der triebhaften Wirkung und des negroiden Einflusses erkennen könne.

Ich war leider zu jung, um diesen Menschen gehörig etwas in ihre niedere Gesinnung zu semmeln - nämlich mitten rein dorthin, wo bei anderen Wesen dieser Gattung das Gehirn und bei manchen der Anstand sitzt.

Mit freundlichen Grüßen,

x-Riff
 
Es würde doch beim Film auch niemand behaupten, daß Rosamunde Pilcher gute Drehbücher schreibt, genausowenig wie ein Bastei Taschensoftporno als Literatur gewertet wird, bloß weil meine altersdebile Oma bzw. meine Kitschverklärte Tante sowas gut finden.

woran machst du denn ein guten roman fest? an der länge, der wortwahl, der erzählten geschichte? dann kommt rosamunde pilcher aber garnicht schlecht weg, die bücher sind solide geschrieben, es werden alltägliche themen aufgegriffen und dünn sind sie auch nicht. wenn man romane nach diesen kriterien beurteilt, kämen sehr bekannte bücher nicht gut weg. ulysses wurde ursprünglich als fortsetzungsroman in einer zeitung abgedruckt, hat nur einen tag zum inhalt und die letzten kapitel bestehen nur aus einem einzigen satz ohne zeichensetzung - per definition schlechte literatur.

ist das neue daran dann vielleicht das gute, das inovative? ist das nicht auch in der musik so? ist punk deshalb gute musik, weil es alle die von dir als für gut befundene merkmale eben nicht hat?

Wenn ich mir dagegen die Uraufführung von Strawinsikys "Sacre du printemps" vor Augen führe... es hat eine Massenschlägerei im Saal gegeben, so polarisiert hat die Musik.

wie uffem punkkonzert....
 
Hallo x-Riff

Ich habe leider momentan nicht die Zeit, um auf alle von Dir angeführten Punkte Deines Rundumschlages einzugehen. Daher vorerst nur ein paar Punkte:

1. Du schlägst mit dem Totschlag-Adjektiv `elitär´ um Dich. Das ist dogmatisch und wurde gerade von der Linken jahrelang als Begründung dafür genommen, um Opernhäuser zu schliessen, Orchester aufzulösen und dafür z.B. Stadtteilkultur oder Selbsterfahrungsgruppen an den Volkshochschulen zu fördern (gut - zugegeben, das war etwas polemisch). Du würdest über den gesamten Komplex anders denken, wenn das auch Deine Arbeitsstätten gewesen wären, an denen Du sehr viel Überzeugung, Herzblut und Idealismus gelassen hättest.
Und in der direkten Beschäftigung mit diesem Kulturbereich wird es ganz automatisch klar, dass es ein elitärer, aber im positiven Sinn elitärer Bereich ist. Wo wäre denn die Menschheit, wenn es solche Bereiche nicht gäbe? Von daher bekenne ich mich ganz freimütig dazu. Und wenn man das als elitär bezeichnet, ist es mir tatsächlich scheißegal.
Sollten wir uns alle proletarisieren, mit Punk und ähnlichem Mist den kleinst möglichen, gemeinsamen Nenner definieren und uns musikalisch allmählich wieder in die Steinzeit zurückentwickeln?
Merkwürdigerweise fällt dieses Wort `elitär´ mit seiner ganzen Zwiespältigkeit nur sehr selten bei der Nennung von großen Dichtern, Philosophen oder Geisteswissenschaftlern. Aber das hat wohl seinen Grund in der größeren Popularisierung von Musik, fast möchte ich sagen: der Hure Musik (altes Musiker-Zitat).

2. Weder Surtr noch ich haben von der Dominanz großer Werke gesprochen. Unter Umständen bist Du bei dem von Dir erlittenen Musikunterricht traumatisiert worden. Bei meinem letzten Paris-Besuch bin ich in einem Park fast eine Stunde lang neben einer japanischen Koto-Spielerin stehen geblieben und habe die Atmosphäre der Musik genossen und eingesogen, obwohl sie musiktheoretisch gesehen die gesamte Zeit nur Pentatonik ´rauf- und runtergespielt hat.

3. Du führst als Negativ-Beispiele die engsichtigen Musiklehrer oder Reich-Ranicki (obwohl gerade der eine Menge für die Literatur durch seine `TV-Events´ bewirkt hat) an. Das ist so, als wenn ich mich bei z.B. Rock/Punk auf die `Bösen Onkelz´ oder ähnliche Barbaren beschränken würde.

4. Natürlich beinhaltet ein Konzert mit Absoluter Musik (Klassik, Jazz, Rock etc.) einen ganz anderen Anspruch und wesentich höhere Anforderungen als z.B. Tanzmusik. Aber um das beurteilen zu können, sollte man beides schon einmal gemacht haben. Ich habe mein Musikstudium mit Tanzmusik verdient (und bin dadurch ebenfalls traumatisiert worden). Aus der Erfahrung heraus kann ich über die Anforderungen in diesem Bereich nur milde lächeln. Du schreibst über Birnen und Äpfel - genau das ist es, was Du tust. Tanzmusik ist Gebrauchsmusik und lässt sich nicht mit Absoluter Musik vergleichen.
Und wohlgemerkt: ich beziehe diese Absolute Musik nicht nur auf die sog. klassische Musik.
So, Zeitmangel zwingt mich abzubrechen. Demnächst weiter in diesem Theater.

Viele Grüße,
Anony.
 
Hi anony,

natürlich weiß ich, dass mein post polemisch war.
Deine Abgrenzung reicht mir fürs erste, um Dich mit meinen Erfahrungen nicht in einen Topf zu schmeißen.

Ich halte Kunst allerdings für eine tolle Sache und habe nichts dagegen, dass die Gesellschaft Künstler unterstützt. Wirklich nicht.

Ich habe mich im Kern erstens dagegen gewehrt, dass es objektive Kriterien für gute Musik gibt bzw geben soll.
Zweitens habe ich meinem Mißmut Ausdruck gegeben, dass auch diese Art und Weise des sich als objektiver Wahrheitheitsträger Ausgebenden oft genug nur verbrämt, dass es sich - in ideologischer Art und Weise (die "Linke" - da gebe ich Dir Recht, auch oft genug drauf haben, weshalb ich mich mit ihnen auch gerne debattierenderweise streite) - um die Durchsetzung partikularer Interessen handelt.

Aber dies auch nur als kurzer Einwurf - bis später.

x-Riff
 
1. Objektive Kriterien gibt es
Natürlich kann man messen, wie komplex ein musikalisches Werk ist, genauso wie man messen kann, wie komplex ein literarisches Werk ist - was die Personen, die Handlungen, den Stil, die Stilvielfalt, die Durchkomposition etc. angeht.
Dies sind mehr oder weniger handwerkliche Kriterien.

2. Man kommt nie und nimmer von Kriterien direkt auf Wertungen
Warum soll ein komlexes Werk wertvoller sein als ein weniger komplexes?

Objektive Kriterien sind tatsächlich entweder offensichtlich, oder spätestens dann, wenn man sie auf ihre Wurzel zurückführt (selbst das bloße schreiben einer Melodie hat viel mehr mit handwerk zu tun als man landläufig denkt) handwerklich.
Jetzt könnte man natürlich mit der Diskussion anfangen, ob gute Kunst auch Handwerk braucht, aber das kann sehr weit führen. Jedenfalls kann man mit Sicherheit sagen, daß gutes Handwerk auf keinen Fall schadet, im Gegenteil, von großem Nutzen ist und die Schönheit eines Kunstwerkes umso mehr geltend macht. (auch wenn vllt. einige Hardliner z.B. aus der Modernen Bildenden Kunst mit da widersprechen würden, könnte ich mir denken, ich denke da an mit Füßen gemalte Bilder oder die Farbtopf-an-die-Wand-Technik und was es sonst noch gibt). Deshalb beantworte ich deine Frage nach dem Warum der Komplexität auch ganz einfach damit: Komplexität wird erst durch Beherrschung des Handwerks möglich, genau so, wie man seine Handwerksfähigkeit erst an einem Komplexen Stück wirklich zeigen kann. Es bedingt sich gegenseitig. Somit ist klar, daß für die höchstmögliche Künstlichkeit (im Sinne von "Kunstvollheit", dieses Wort gibt es allerdings nicht) auch komplexität vorhanden sein muss.

Explizit darauf, warum ein komplexes Werk wervoller ist:
Weil es nicht jeder Depp schaffen, sowie jeder Depp spielen kann.
Ich nehm mal wieder das Extrembespiel 3-Akkord-schranz-punk: Das kann ich jedem, der noch nie nen Instrument in der Hand hatte in ner Woche beibringen (vorausgesetzt er ist wenigstens in der Lage nen Takt zu halten).
Jetzt halte ich das Trompetensolo aus dem 2. Brandenburgischen Konzert dagegen: Es gibt auf der ganzen Welt vllt. 50 Leute, vllt. 100, aber kaum mehr, die das so spielen können das man es sich auch anhöhren kann.
Selbiges könnte man anhand von Kompositionstechnischen Belangen vor Augen führen.
Reicht das denn nicht aus um zu sagen, das es höhere, bessere Musik gibt als andere?

Dass Tanzen nun ein "niedriges" Bedürfnis sei, während das andächtige Lauschen eines großen Werkes in konzertanter Umgebung ein "höheres" Bedürfnis sei - das soll mir mal einer allen Ernstes sagen ohne sich lächerlich zu machen.

Auf die Gefahr hin, mich lächerlich zu machen: Tanzen kann jeder (zumindest in dem Sinne wie tanzen heute verstanden wird: Freies bewegen), Musik wirklich Hören können wenige. Musik bewusst zu höhren und darüber nachzugrünbeln ist zweifels ohne eine Intellektuelle Tätigkeit, während das bloße Bewegen zur Musik selbst Tiere können! (Der Kanarienvogel einer bekannten hüpft und piepst tatsächlich zur aus dem Radio schallenden Voksmusik)

@wilbour-cobb
Du sagst es ja selbst: Solide und alltäglich, und davon auch noch viel zu viel. Was soll daran gut sein? Das Leben ist schon alltäglich genug. (Dabei ist es einfach übertrieben, scheußlich geschmackloser Kitsch, aber mit Geschmack wollen wir jetzt nicht anfangen)

wie uffem punkkonzert....

Es ging mir natürlich um die polarisierende Wirkung, die zeigt, wie sehr sich die Leute damals noch für Musik interessiert haben, wie wichtig sie ihnen war. Die Tatsache allein, das man sich geprügelt hat ist höchstens witzig.
 
Es ging mir natürlich um die polarisierende Wirkung, die zeigt, wie sehr sich die Leute damals noch für Musik interessiert haben, wie wichtig sie ihnen war. Die Tatsache allein, das man sich geprügelt hat ist höchstens witzig.

Dieser Thread zeigt ja, dass es heute noch ebenso ist.

Ich kann beide hier so konträr diskutierten Standpunkte sehr gut verstehen und vertrete auch beide bis zu einem bestimmten Grad. Natürlich polarisiert man in so einer Debatte sehr stark und verficht sein Argumente viel vehementer als man es "unter normalen Umständen" tun würde. Ich kenne das von mir selbst. Soetwas ist ja auch nicht weiter schlimm, es kann sogar äußerst fruchtbar sein.

Toleranz ist hierbei jedoch auch wichtig. Da der Begriff in letzter Zeit sehr inflationär benutzt wird möchte ich ihn hier nochmal eindeutig von "blindem Hinnehmen" abgrenzen. In meinen Augen heißt Toleranz durchaus auch, einen anderen Standpunkt zu vertreten, diesen auch zu verteidigen und den anderen zu kritisieren. Allerdings sollte dies in einem angemessenen Rahmen geschehen, will heißen das darauf zu achten ist, dass das Gegenüber nicht verletzt oder herabgewürdigt wird. Das bedeutet nicht, das man einen gemeinsamen Nenner finden muss, die andere Position versteht oder gar "Gut-Freund" wird, sondern einfach nur, dass man im gegenseitigen Umgang soziale Kompetenz walten lässt, frei nach der goldenen Regel "Was du nicht willst was man dir tu, das füg auch keinem andern zu".

Das soll jetzt bitte nicht als Moralpredigt verstanden werden, schon gar nicht als Angriff auf meine Vorredner. Vielmehr denke ich, das solches Vorgehen in derartig subjektiven Diskussionen wie über Musik, Kunst etc., angebracht ist und zu einem wesentlich entspannteren Meinungsaustausch führt.
Da Musik ja auch Geschmackssache ist lässt sich über sie bekanntlich auch trefflich streiten. Und was das Gefallen angeht kann man auch nicht mehr mit objektiven Kriterien wie Komplexität, Virtuosität usw. argumentieren, da sie zwar ein Merkmal der Musik sind, aber kein Indikator für persönlichen Geschmack. Einem Schokoladenhasser nützt es auch nichts, dass diese nunmal viel süßer ist als meinetwegen Kekse.

Abschließend möchte ich sagen, dass ich es vollkommen in Ordnung finde, unterschiedliche Meinungen zum Thema Musik zu haben und siese auch darzulegen und zu diskutieren. Meine Oma wippt auch im Rhythmus zur volkstümlichen Musik die Playback dargeboten wird, so dass ich nur mit dem Kopf schütteln kann, weil es mir einfach unbegreiflich ist wie man so etwas schön finden kann. Allerdings würde ich auch nie auf die Idee kommen, zu versuchen, sie zu Dream Theater zu bekehren, das wäre auch Unfug und verschenkte Liebesmüh. Menschen sind einfach unterschiedlich, da lässt sich nix machen. Gefährlich wirds nur dann wenn man den Alleinanspruch auf "guten und richtigen" Geschmack erhebt. Wenn das die Definition von Musikerpolizei ist, müssen wir tatsächlich aufpassen, dass wir nicht dazu werden.

Lg René
 

Ähnliche Themen


Unser weiteres Online-Angebot:
Bassic.de · Deejayforum.de · Sequencer.de · Clavio.de · Guitarworld.de · Recording.de

Musiker-Board Logo
Zurück
Oben