Schwerhöriger "Musiker"

Püppileone
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Hey ihr Guten,

ich richte diese ganze Sache mal bewusst an das Unterthema Biergarten, was natürlich gerne auch verschoben werden kann, sollte das Sinn machen.
In der Kategorie Gitarre, weil ich halt selbst eher in der Sparte zu Hause bin.

Meiner einer ist seit seiner Geburt Schwerhörig.
Das hat mich nicht davon abgehalten, als Kind unglaubliche Begeisterung für das Schlagzeug zu entwickeln.
Mit 15 Jahren habe ich dann angefangen, Gitarre zu spielen. Erst klassisch, dann elektrisch.
Mittlerweile ist die besagte Person 35 Jahre alt.

Ich habe so einige Jahre hinter mir, in denen ich teils extrem leidenschaftlich Gitarre gespielt und geübt habe und auch Jahre, in denen ich das ganze Thema einfach ad acta gelegt habe, aus Frust.
Frust darüber, eben nicht alles zu hören. Nicht die Nuancen zu hören, die einen selbst eigentlich teils so wahnsinnig viel bedeuten, wenn man Musik, welcher Art auch immer, hört.
Es fängt schon damit an, dass ich persönlich auf Aufnahmen, also Alben - im Studio aufgenommene Werke - meist nicht die Becken etc. des Schlagzeugs höre.
Das geschieht meist eher Live, wenn ich eine Band eben Live auf der Bühne sehe, oder relativ in der Nähe des Drummers stehe (dass ich es bewusst wahrnehme und höre).
Was mir wiederum immer sehr sehr große Freude bereitet, weil ich das Schlagzeug einfach liebe. Von Grund auf.

Finde es dann immer wieder sehr krass, und erstaunlich/umwerfend, wie viel in "Wirklichkeit" am Drumset stattfindet.
Schmerzlich. Klar.
Sehr schmerzlich.
Immerhin bedeutet mir das Thema Musik unheimlich viel und es trägt zu Bereicherung des Geists als solchen unheimlich viel bei.

Ich für mich beobachte die Jungs und Mädels, die oft so wahnsinnig viel Gutes auf der Bühne, wie auch immer sie aussieht und wie viele Menschen auch immer lauschen mögen, immer mit ganz großem Respekt.
Weil mir so klar ist, was dort alles passiert.
Es gibt so viele Wechselwirkungen, mal ganz abgesehen davon, ob das Equipment funzt, wie es soll.
Ich für mich weiß, dass ich viele Interaktionen mit dem Publikum gar nicht mitbekommen würde, und auch solche mit den Kollegen, die dort zu dir gehören, weil man mich im Grunde bei all den Nebengeräuschen mit nem Megafon anschreien könnte - wohlgemerkt nicht dürfte.
Da es auch noch so was wie ein Selbstwertgefühl gibt.

Es gibt nun in der Geschichte viele, wirkliche verdammt viele Musiker (was auch immer das bedeutet und inne hat), die Schwerhörig sind und waren.
Welche, die es geworden sind, aufgrund der Tätigkeit und Liebe.
Welche, die es immer waren, wie ich.
Diejenigen, die - entgegen oft geäußerter, so absolut dummen (sorry) - Mutmaßungen, man hätte ja bestimmt einfach zu oft viel zu laut Musik gehört.

Mich hat es immer davon abgehalten, in einer Band mitzuwirken.
Weil ich keinen Bock darauf habe, mich lächerlich zu machen.
Weil es meinem Anspruch, mit der Audienz in Kontakt zu stehen, woraus so viel besteht und entsteht, wovon so viel lebt, so derbst widerspricht.

Ich finde es wohlgemerkt so wunderschön und wunderbar, mit anderen Musik zu machen.
Habe aber nun mal diese Einschränkung.

Die Tatsache, Schwerhörig zu sein, hat mich von so vielem abgehalten.
Ich nehme nicht auf, weil mich immer wieder etwas stört, was ich nicht höre, oder weil meine Ohren nach einer halben Stunde vollkommen überreizt sind, dass alles nur noch Brei ist.

Zur Info: wenn ich meine Hörgeräte nicht trage, höre auf der Gitarre ab ca. dem 13. Bund nur noch "PlingPling"
- also keinen Ton mehr.

Ich möchte gern wissen, wie "Ihr" anderen damit umgeht.
Wie es euch ergeht, wenn ihr ähnlich eingeschränkt seid - ob im Nachhinein oder von Geburt an - und euer Ding macht.

Aller allgemeiner Toleranz gegenüber möchte ich ein wenig davon ablenken, wie es Musikern geht, die im Nachhinein einen Hörverlust erlitten haben.
Wobei auch deren Erfahrungen und Strategien durchaus von Interesse sind.
Da gibt es aber glaube ich schon Threads zu.

Ich würde mich extrem über eure Erfahrungen und Berichte freuen, wenn ihr euch hier wiederfinden könnt.

Kann sein, dass ich die Schreibe noch ergänze, weil Details und Augenmerke (muahahaha) fehlen.

Habt Dank,
Arne
 
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Hallo Arne,

zuerst mal großen Respekt, daß Du mit Deiner Geschichte hier so offen an die Teilnehmer im Forum trittst! Mein eigenes Gehör geht gerade noch so - Alter über 60, Schäden durch lange Jahre Bandbetrieb in der Jugend (Meinung der Ärzte), aber als Basser sind die hohen Frequenzen wohl nicht so relevant. Hörgeräte trage ich noch keine, aber der Tag wird wohl kommen. Es ist sicher ein großer Unterschied, ob sich das Gehör über einen langen Zeitraum verschlechtert, oder ob, wie bei Dir, von Anfang an die Beeinträchtigung vorlag. Im ersten Fall "hört" man noch aus der Erinnerung heraus, man kennt den Beckensound und die Anschläge auf den höheren Bünden und ordnet dies wohl gedanklich zu, auch wenn das echte Signal gar nicht mehr im Hirn ankommt (?).

Ich kann Dich nur ermutigen, weiterhin zu spielen und Spaß an der Musik zu haben, warum nicht auch in einer Band? Auch wenn Du vieles akustisch nicht mitbekommst, die wenigsten bemerken dies, und wenn, so what? Ich habe den Eindruck, daß Du genügend Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein hast, um mit der gegebenen Situation umgehen zu können - Fortschritte sind nicht ausgeschlossen. Spiele weiter, am besten mit anderen!

Gruß,

Andreas
 
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Hi Arne,

ich kann deine Situation ein Stück weit nachvollziehen.
Ich bin 27 Jahre alt und kam mit einem intakten Gehör zur Welt. Dämlich wie ich war habe ich es mit der Musik und der Lautstärke ein bisschen übertrieben, hinzu kam der Job (Maschinenbau bzw. Werft) der ebenfalls ohne Gehörschutz durchgeführt wurde.

Vor 3 Jahren merkte ich ab und an ein blödes Pfeiffen in den Ohren, ab und an wurde ein Ohr leiser für ca. 20-30 Sekunden. Ebenfalls empfand ich es als anstrengend wenn es bei Gesprächen Umgebungsgeräusche gab oder der Gesprächspartner etwas weiter weg stand.

Der Ohrenarzt hat mir nach dem Gehörtest die Hand geschüttelt und mir zu einer leichten bis mittleren Schwerhörigkeit gratuliert.
Das Piepen war zu dem Zeitpunkt dann auch dauerhaft und der Tinnitus wird mich den Rest meines Lebens begleiten.

Inzwischen spiele ich nur noch mit Gehörschutz, ich bin froh das ich mein Gehör auf dem jetzigen Stand halten kann (Auch wenn es mal schlechtere Tage gibt) und ich denke wenn ich nicht derart einsichtig geworden wäre würde es jetzt weitaus schlimmer stehen. Es ist mir oft unangenehm wenn ich Mitmenschen bei Gesprächen bitten muss etwas zu wiederholen, nichts mitbekomme oder (ältere) Mitmenschen nicht verstehen können warum ein "junger Bengel" genau so schlecht bzw. schlechter hört als sie.

An den Tinnitus habe ich mich gewöhnt (Es bleibt einem nichts anderes übrig!) und im groben und ganzen komme ich sehr gut klar.
Viele Gitarristen (Musiker, Mitmenschen im allgemeinen) ignorieren das Thema Lautstärke und Gehör schlichtweg, ich habe schon einige blöde Blicke geerntet wenn ich jüngeren Gitarristen den Tipp mit dem Gehörschutz gegeben habe. Immerhin waren einige Einsichtig nachdem sie vor allem aus meinem Bekanntenkreis erfahren haben wie schnell ich mir mein Gehör zermatscht habe.

Ich denke man sollte in dieser Richtung auch viel mehr aufklären und Verständnis schaffen... Für ein paar 100 Taler gibt es ein 100 Watt Röhrenmonster inkl. 4x12" Box und was dann passiert kennt wohl jeder von sich selbst...

Im Übrigen sagte mir der Doc das immer mehr junge Menschen (Disko, Car-Hifi, Konzerte etc.) zu ihm in die Praxis kommen... Geht also nicht nur Gitarristen bzw. Musikern so.

Ich bin auf andere Erfahrungen in diesem Thread gespannt ;)

Viele Grüße,
Christian
 
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Ich freue mich total über eure Beiträge, Andreas und Christian!
Danke schön!

Würde mich auch extremst darüber freuen, wenn noch weitere Erfahrungen, Strategien und wer weiß was hier zusammen kommen würden.

Des Weiteren bin ich wohl zu doof, meinen Beitrag zu bearbeiten, da ich gern noch was ergänzen und korrigieren würde - das ging doch mal, oder etwa nicht?^^

Empfinde eure beiden Beiträge jedenfalls schon als durchaus aufbauend, bereichernd und inspirierend.
Genau das hatte ich mir erhofft, wenn man solch ein Thema eröffnet.

Stelle mir das auch sehr "spannend" vor, wenn man wie in euren beiden Fällen, im Nachhinein an Hörvermögen einbüßt.
Es ist ja schon etwas anderes, sich in einem bestimmten Alter damit abfinden zu müssen, als wenn es gar nicht anders kennt.
Ich denke da z.B. auch gar nicht so wahnsinnig viel drüber nach, schwerhörig zu sein - es fällt einem halt dafür dann in besagten Konfrontationen natürlich aber umso mehr auf. :D
Tinnitus ist natürlich auch nen mords beschissenes Thema. Da hab ich mehr als viel Respekt für, sich damit auseinandersetzen zu müssen.

Ich würde auch gern noch ergänzen, dass ich für mich gern darunter "leide" etwas primitiver gestrickt zu sein, was die Musik betrifft. Die Formulierung ist wohl etwas seltsam...^^
Wenn ich selbst Riffs entwickle, oder eben einfach selbst Ideen auf der Klampfe entwickle, ist das oft viel, viel simpler, was den Umfang an Tönen/Saiten betrifft, als das oft der Fall ist.
Eben, weil mein Gehör vieles sehr schnell ermüdet und meine Auffassung überfordert.
Einerseits finde ich das ziemlich geil, weil es nen echt eigener Stil ist, wie ich weiß. :D
Max Cavalera zockt ja auch nur auf 4 Saiten. Wenn auch aus völlig anderen Gründen.^^

Und simple Riffs, Melodielinien und so weiter sind ja auch meist die, die "funzen".
Ganz nach dem Motto: ""Und vergesse er das sogenannte populare nicht..." - was Leopold Mozart wohl mal zu seinem Junior Wolfgang Amadeus sagte.
Eins meiner Lieblingszitate.

Eigentlich würde ich sogar ganz gern in diesem gesamten Thema noch hinzufügen, nicht nur schwerhörig zu sein, sondern auch noch ne psychische Macke inklusive zu haben. :D
Meiner einer ist obendrein noch extrem sensibel und in der groben Sparte Bi-Polar zu Hause. Fluktuierende Probleme mit sozialen Umgang mit Menschen anbei.
Was teils erschwerend hinzukommt.
Da darf man ja die Hosen gern mal komplett fallen lassen.
Mich würden einfach diese ganzen Erfahrungen, die dort draußen rum tapern interessieren.
Der Umgang, die Strategien ob in der Mischung oder welcher Gewichtung hin auch immer.

Wie gesagt, danke für eure Beiträge!
Find ich riesig.
 
Fände es so schön, wenn sich noch mehr Leute aus der Sparte zu Wort melden würden!
 
Hallo Arne,

mein rechtes Ohr hört schlechter (dumpfer) als das linke. Dies allein qualifiziert mich jedoch nicht, hier etwas zu schreiben wie du es erwartest. Bei dem lesen deiner Postings, sind mir dennoch spontan ein paar Gedanken gekommen, daher schreibe ich trotzdem.

Mich interessiert wie du es machst. Wenn du eigene Sachen spielst bzw. improvisierst, spielst du nur innerhalb des hörbaren Bereichs oder spielst du auch darüber und denkst dir die Töne die du nicht hörst?

Ich kann dein ärger über die nicht gehörten Frequenzen verstehen, glaube ich. Wenn ich jedoch deine Zeilen lese, sehe ich viel Begeisterung und Leidenschaft. Ich würde gerne etwas von dir hören. Nicht wie technisch perfekt du das Stück XY spielst, sondern vielmehr wie du dich musikalisch ausdrückst.

Musste erstmal nachschlagen was bi-polar bedeutet. Soweit ich es verstehe, hast du eine wahnsinnig dynamische Stimmungsbandbreite. Ich meine daher auch zu verstehen, das du schier innerlich explodieren musst, da dir nur ein kleinerer akustischer Bereich zur Verfügung steht, der nicht die Gesamtbreite deiner Gefühlswelt abdecken kann. Ich versuche mich gerade in deine Lage zu versetzen und frage mich welche Strategie ich anwenden würde um mit der Situation fertig zu werden... dabei entstehen folgende Gedanken:

..irgendwie ironisch... auf der einen Seite heftige Stimmungsschwankungen die bis an die Grenze gehen... und auf der anderen Seite eine beschränkte Akustik. Wenn man diese Beschränkung für einen Moment lang nicht als solche sieht, sondern einfach als gegeben akzeptiert... könnte man sie auch als "Mitte" bezeichnen. Eine goldene Mitte die mir hilft, aus den Extremitäten meiner Gefühlsschwankungen wieder zurückzukommen...

Wäre m.E. ein verdammt gutes Thema um ein Stück Musik daraus zu machen. Dynamik die nach links und rechts ausschlägt (mal depressiv, mal aggressiv) wie ein Pendel und immer wieder in einem mittigen, erdenden Rhythmus mündet. Ein Musiker der aggressiv etwas spielt und verärgert ist, das er nicht hören kann was er spielt, der selbe Musiker der erschöpft und traurig vor sich hinspielt.... und dann, wie ein natürlicher Herzschlag, entsteht aus der Mitte ein Rhythmus. Wie die Atmung die mich mit der Welt verbindet. Aus diesem Rhythmus entsteht auch der Mut, etwas zu spielen was ich nicht höre.
Diese Stück würde ich gerne von dir hören. Ich könnte es sicherlich nicht so spielen wie du. Ich kann keine Noten spielen die ich nicht höre. Wenn du sie jedoch spielst hat es eine Tragik inne die einen ganz besonderen Reiz auf den Zuhörer ausübt. Dann der Bereich den du hörst... wieviel Nuancen mehr kannst du da spielen? Eine Fokussierung führt i.d.R auch zu einer Intensivierung. Ist es der Anschlag? Oder einen sensiblen Umgang mit Rhythmus? Ich weiß es nicht...

Ja, ich glaube so würde ich es angehen. Einfach den Betrachtungswinkel leicht verändern. Für die einen ist es eine Macke, für die anderen eine Spezialisierung.

PS: Wenn du ein posting abschickst, ist links unten in der Fußzeile ein Button "Bearbeiten"
 

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