Dynamisches Spiel auf der Blockflöte ?

Lisa2
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Guten Morgen zusammen!

Dynamisches Spiel gehört für viele Musiker ganz selbstverständlich zum Musizieren. Aber nicht auf jedem Instrument ist das möglich. Welche Finessen auf welchem Instrument erfunden wurden, um das dynamische Spiel zu ermöglichen, wäre ein sehr interessantes, in diesem Unterforum aber ein viel zu weit gefasstes Thema. Begrenzen wir die Diskussion also auf die Blockflöte.

Zur Diskussion stehen mehrere Teilaspekte:

- Ist dynamisches Spiel auf der Blockflöte möglich?
- wenn nein
- warum nicht?​
- wenn ja
- auf welchen Instrumenten?
- unter welchen Bedingungen?
- mit welchen Spieltechniken?
- in welchem Ausmaß?​

In Walter Van Hauwe "Moderne Blockflötentechnik" Band 3 findet man auf S. 15 zu diesem Thema eine sehr interessante Einleitung, die ich hier zitieren möchte.

Die Illusion von Dynamik
Wir wissen alle, dass die Blockflöte sehr geringe dynamische Möglichkeiten hat, und das ist leider nur zu wahr. Der "eingebaute" Ansatz mit fixiertem Windkanal und Labium lässt zwar eine schnelle Ansprache zu, erlaubt aber nur frustrierend geringe dynamische Abweichungen.
Ein bisschen mehr können wir mit einem Glissando erreichen, aber wirklich nur ein bisschen. Wenn wir die Finger ein wenig von den Löchern wegziehen und gleichzeitig den Atemdruck reduzieren, gelingt ein Diminuendo. Aber trotzdem, lieber Leser, ist der Erfolg so gering, dass Dynamik immer mehr Suggestion als Realität bleibt, und für dein eigenes Wohlbefinden und das deines Publikums rate ich dir eindringlich, davon auszugehen, dass die Blockflöte keine dynamischen Möglichkeiten hat. Die Blockflöte gleicht im Prinzip einer Orgelpfeife, und daran gibt es nichts zu rütteln.

Es folgen dann Erläuterungen von Spieltechniken, mit denen, wie Van Hauwe schreibt, die "Suggestion" der Dynamik auf einer Barockflöte mehr oder weniger gut/deutlich erzielt werden kann.

Mich interessiert nun, wer sich schon mit dieser Thematik auseinandergesetzt hat und welche Erfahrungen dabei gemacht wurden.

Viele Grüße
Lisa
 
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Mir ist aufgefallen, dass z.b. die gestern bei mir eingetroffene Yamaha Ecodear im Vergleich zu meinen anderen Sopranflöten eine größere dynamische Möglichkeit zulässt, dass vor allen Dingen die hohen Töne in der Lautstärke variabler zu spielen sind, ohne den Ton zu "beugen".

Der Blockflöten-Solist des 4. Brandenburgischen Konzerts von allofbach.com sprach darüber im Interview, dass es schwierig sei, mit den 2 Solo-Blockflöten ein Crescendo zu spielen und dabei noch tonal zu harmonieren (http://allofbach.com/en/bwv/bwv-1049/musicians/ ; bei ca. 4:00 min).


Die barocke Blockflöte ist stark mit der Musik des Barock verknüpft, wobei es innerhalb des Begriffes "Barockmusik" große Unterschiede und Stilrichtungen gibt. Außer Bach auch Frescobaldi oder Scarlatti, Byrd und Händel, Rameau oder andere.

Die Barockmusik kann man nach den jeweiligen Auftraggebern ganz grob in höfische Musik und Kirchenmusik aufteilen. Neben dieser "Kunstmusik" (heute würde man sagen E-Musik) gab es auch die alltägliche Musik der einfachen Leute (heute U-Musik genannt), die aber die Kunstform wiederum beeinflusste. An den Höfen der Barockzeit war der Tanz von größter Bedeutung.

In der (barocken) Tanzmusik gibt es nicht so starke Lautstärkeschwankungen; es wird mit unterschiedlicher Instrumentierung gearbeitet. (Vergleiche das heutige Dance-Floor, Hip-Hip, Technic Bumm-Bumm-Bumm:ugly:). Ein Cembalo hatte auch nicht die Möglichkeiten (durch die Tonerzeugung bedingt) wie das dann aufkommende Pianoforte (im wahrsten Sinne "Laut-Leise").
Ein Beispiel für unterschiedliche Besetzungen habe ich im Thread Bach Brandenburgisches Konzert No. 4 als Motivation angegeben, vor allen Dingen in der Kantate BWV 100.

Anders als in späteren Musikepochen (ab der Romantik) war der Barockmusiker freier in seiner Interpretation. Artikulation, Betonungen und Behandlung des Rhythmus unterliegen speziellen Regeln, über die ganze wissenschaftliche Bücher geschrieben sind. Z.B. der Begriff des umstrittenen "inegalen Spieles": Er bezeichet eine Spielweise, bei der man den ersten von 2 gleich notierten Notenwerten länger spielt als den zweiten, so daß der gesamtwert beider Noten erhalten bleibt.

Erst in der Romantik kamen klare Vorschriften in den Noten zur Ausführung dazu. Als im 19. Jahrhundert die inwischen etwas in Vergessenheit geratene Barockmusik wiedererwachte, hielt man es nicht für nötig, sich zu fragen, wie sie ursprünglich aufgeführt worden war, sonder interpretierte sie nach Vorstellungen der Romantik und fügte in den Noteneditionen die für diese Zeit üblichen Bindebögen, Dynamik und Tempobezeichnungen mit ein. Sicherlich wurde das auch durch Verbesserung der Drucktechnik im Notensatz beeinflusst.

Telemann Sonaten erscheinen auf den ersten Blick vielleicht einfach, da keine Verzierungen notiert und vorgegeben sind, die Schwierigkeit ist dann, diese etsprechend einzufügen.

Von J.S.Bach heißt es, dass er keine Schüler angenommen habe, die nicht ein gewisses Maß an Improvisationsgabe und Flexibilität hatten; die Begleitung von Solisten war durch den "Generalbaß" vorgegeben, also eine Basslinie mit ergänzenden Ziffern für die Akkordfolge; was künstlerisch dabei herauskam war von den Fähigkeiten des Instrumentalisten abhängig.
 
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Nik Tarasov schrieb im Windkanal seine Erfahrungen im Spiel seiner modernen, neuentwickelten Blockflöten, die eben dynamischeres Spiel zulassen und mit denen er in Orchestern (meist) den Querflötenpart übernahm.

Ich finde leider nicht alle Stellen wieder; eine ist hier in siner Vorstellung in Ausgabe 1:

Zu finden im Archiv der Mollenhauer Zeitschrift Windkanal, Ausgabe 1, 1997; Seite 8 ff
http://www.windkanal.de/images/stories/PDF/1997-1/1997-1.pdf
 
Hallo, die dynamischen Fähigkeiten einer Blockflöte sind leider wirklich sehr begrenzt. Besonders vermisse ich die Möglichkeit leise zuspielen im Ensemble sehr. Wenn eine leise Begleitung einer Solostimme angesagt ist, müssen die Flöten leider aussetzen. Auch meine Flötenlehrerin kennt keine Möglichkeit effektiv leise zu spielen.
 
@flautino musikus
Ja, so kenne ich es auch. Dynamisches Spiel in Blockflötenensembles wird am überzeugendsten durch "addieren" und "subtrahieren" erzeugt.
Die Technik, bei Reduzierung des Blasdrucks das Absinken der Tonhöhe durch minimales Öffnen eines Grifflochs aufzufangen, ist meines Erachtens dem Solospiel vorbehalten, weil sie in der Gruppe unweigerlich zu uneinheitlicher Intonation führt. Es sei denn, eine moderne Komposition verlangt das so.

Auf der Musikmesse 2014 unterhielt ich mich mit Nik Tarasov über die neuen Möglichkeiten, die die modernen Blockflöten für das Musizieren bieten. Wegen des umgebenden Geräuschpegels ist man zwar in der Wahrnehmung eingeschränkt, aber ein wenig Probieren war schon möglich. Damals habe ich mich vor allem mit der Piano-Klappe beschäftigt, mit der dem Absinken der Tonhöhe beim Reduzieren des Blasdrucks (> leiser werden) sehr differenziert entgegen gewirkt werden kann. Diese Erfindung gefällt mir sehr, ist aber meines Erachtens ebenfalls eher etwas für das solistische Spiel.

Mir ist aufgefallen, dass z.b. die gestern bei mir eingetroffene Yamaha Ecodear im Vergleich zu meinen anderen Sopranflöten eine größere dynamische Möglichkeit zulässt, dass vor allen Dingen die hohen Töne in der Lautstärke variabler zu spielen sind, ohne den Ton zu "beugen".

Du machst mich neugierig. Was bedeutet "größer"? Wieviel größer ist das?
Da ich kein Flötenbauer bin, weiß ich leider nicht, welche Konstruktionsdetails für diese Qualitätseigenschaft "verantwortlich" sind. Ich gehe davon aus, dass es zumindest teilweise etwas mit dem Block zu tun hat. Grund:
Ich habe das Angebot von @Flautissimo aufgegriffen und mir zwei Test-Blockflöten zuschicken lassen. Die Blockflöte mit dem nachbearbeiteten Block hat eine ganz andere Klangfülle und reagiert auf Blasdruckänderungen weniger empfindlich. Das ist bei einer Anfänger-Blockflöte eigentlich ganz praktisch. Die für mich offene Frage, die ich leider nicht prüfen/beantworten kann: Kann ich davon ausgehen, dass diese Blockflöten alle so intoniert sind, dass sie im Klassenverband automatisch auf einer Höhe klingen?

Ich bin mir noch nicht ganz im Klaren darüber, ob die größere dynamische Möglichkeit der Blockflöte eventuell durch eine schlechtere über den Blasdruck erfolgende Feinabstimmung der Intonation erkauft wird.

Morgen überlege ich mir ein Testschema, mit dem ich dann zumindest die beiden Test-Blockflöten systematisch zu erforschen gedenke.
 
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Ich würde van Hauwe insofern zustimmen, als dass die Vorstellung, man könne auf modernen Blockflöten dynamischer spielen, ohne dass die Intonation leider eine Illusion ist. Diese Illusion platzt spätestens dann, wenn man ein Stimmgerät zu Rate zieht oder mit sensiblen Menschen zusammenspielt (z.B. Streichern).

Was aber sehr wohl geht ist Dynamik mit Piano- und Fortegriffen, und das braucht man sowohl im Solo- als auch im Ensemblespiel (gerade dort!).

Muss man natürlich üben! Es gibt ein paar Daumenregeln, wie man solche Piano- und Forte-Griffe findet. Diese muss man dann noch sorgfältig auf die jeweilige Flöte anpassen.

Nachsatz: Intonation fängt zuallererst beim Hören an, erst dann kommt das Spielen. Auf der Blockflöte wird das leider immer noch zu wenig unterrichtet. Daher sind die meisten Blockflötisten so wenig dafür sensibilisiert, dass sie den Unterschied nicht mal hören. Abweichungen von einem Viertelton finden sie normal. Streicher zucken schon bei 2 Cent. Auch Grundschülern kann man schon von Anfang an gute Intonation beibringen. Denn selbstverständlich klingt ein Klassenverband nicht automatisch "gleich".
 
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Wie meinst Du das?
- Solospiel > Intervalle unsauber
- Gruppenspiel > schlechte Abstimmung aufeinander > Schwebungen

Ja, beides. Beim Solospiel sind ja auch oft noch Begleitinstrumente dabei.

Warum sollte eigentlich Dynamik eher "etwas für solistisches Spiel" sein?
 
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Wegen der Intonationsprobleme. Ich vermute, Du beziehst Dich auf diese Aussage.

Die Technik, bei Reduzierung des Blasdrucks das Absinken der Tonhöhe durch minimales Öffnen eines Grifflochs aufzufangen, ist meines Erachtens dem Solospiel vorbehalten, weil sie in der Gruppe unweigerlich zu uneinheitlicher Intonation führt.
 
Das müssen ja in der Regel nicht alle gleichzeitig tun - und sollten es auch nicht, sonst weiß man ja nicht, wo man hin korrigieren muss.

Vieles ergibt sich bei geschultem Ohr automatisch. Die Voraussetzung ist, dass man nicht Griffe spielt, sondern Töne.

Korrigieren tut dann derjenige mit der größten noch verbleibenden Abweichung (vereinfacht).

@Lisa2 Mich würde mal interessieren, wie groß der Ziehbereich allein durch Blasdruck bei den angeblich so stabilen Blockflöten ist. Ich wette nämlich, der beträgt auch mindestens 50 Cent, wenn nicht mehr.
 
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