Frage zu historischen Instrumenten

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Hallo liebe Streicher,

normalerweise bin ich ja bei den Holzbläsern unterwegs, aber als Liebhaber der alten Musik und der historisch informierten Aufführungspraxis beschäftigt mich seit geraumer Zeit eine Frage, die mir wohl am ehesten jemand in diesem Forum beantworten kann:

Die Streichinstrumente aus den Häusern Amati, Guarneri, Stradivari, Klotz etc. gelten vielen ja bis heute als die besten Instrumente, die jemals gebaut wurden, und viele von ihnen werden heute noch von namhaften Künstlern solistisch oder im Ensemble gespielt. Die besten dieser Instrumente stammen jedoch aus dem späten 17. bzw. frühen 18. Jahrhundert - also einer Zeit, als Streichinstrumente durchweg mit Darmsaiten bespannt und mit deutlich weniger Druck gestrichen wurden. Soweit ich weiß, werden diese Instrumente heute überwiegend mit Stahlsaiten und modernen Bögen gespielt. Sind dafür nicht gewisse Umbauten (Verstärkungen) an den Instrumenten erforderlich? Schließlich wirken durch Stahlsaiten und moderne Spieltechnik doch ganz andere Kräfte auf die Instrumente als ursprünglich vorgesehen. Und wenn ja, führt das nicht zu erheblichen Veränderungen der Klangcharakteristik?
 
Eigenschaft
 
die Art der Saite beeinflusst natürlich den Klang (abhängig von Material und Spannung).
Nur existieren keine Aufnahmen aus dem 17. Jahrhundert für einen authentischen Vergleich ;)
Ich nehme aber an, dass man bereits versucht hat, möglichst ähnliche Saiten nachzubilden und sich das 'moderne' Material einfach besser eignet.
Damals musste man ja nehmen, was verfügbar war. Zur Statik fehlen mir die Kenntnisse.
 
im 19. Jahrhundert wurden viele ältere Geigen umgebaut. Das waren auch keine kleinen Veränderungen.
Halslänge und -neigung, Griffbrettwölbung, Bogengeometrie etc.
Teils wurde da rabiat umgebaut. Und am Ende klingen sie auch deutlich anders.
Lauter, voller, schärfer. So, daß es halt zum romantischen Orchester gepaßt hat.
 
ja, es ist viel Originalmaterial von Stradivari,... verschlimmbessert worden...

Ich denke, dass @fiddle hier mal aufschlägt und uns Interessantes dazu schreiben kann
 
Ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass auf so teuren Geigen Stahlsaiten benutzt werden (Ausnahme E-Saite). Man spielt meines Wissens normalerweise metallumsponnene Saiten mit einem Kunststoff- oder Darmkern, meine haben Alu- oder Silberwicklung. Stahl klingt nach meiner Erfahrung auf allem außer Sperrholz-Kindergeigen schauderhaft, näselnd und dünn. Mehr Spannung als blanke Darmsaiten haben moderne Kunststoffsaiten aber schon, klar.
 
Heute werden teilweise immer noch Darmsaiten verwendet. Allerdings mit Aluminium- oder Silber-Umwicklung. Nur die hohe E-Saite ist eine Stahlsaite. Blanke Darmsaiten werden nicht mehr verwendet, da sie sehr wetterfühlig und schwerer zu spielen sind.
Ich hatte mir mal vor 30 Jahren einen Darmsaitensatz ohne Umwicklung auf meine Geige aufgezogen. Der Klang hatte weniger Obertöne und war "muffiger". Die Lautstärke war aber durchaus vorhanden und auch der Saitenzug hat sich nicht schwächer angefühlt. Und natürlich war der Klang der E-Saite aus Stahl dagegen sehr hervorstechend.
Mein Geigenlehrer hatte mich jedenfalls ganz entgeistert angeschaut und gefragt, ob das mein Ernst sei...
...also blieben sie nur sehr kurz drauf und wurden als Fehlversuch und Fehlinvestition eingestuft.
Insgesamt hat sich einfach unsere Klangvorstellung von "schönem Klang" mit den neuen Materialien geändert.
In aktuellen Saiten ist meist auch kein Darmkern mehr drin, sondern feine Kunststofffäden.

Rein von der Statik her gibt es natürlich Geigen die von der Deckendicke oder vom Bassbalken her eher dünn und instabiler sind. Sie fallen dann von der Decke her mit der Zeit etwas weiter ein. Generell sind das aber nicht die Geigen, die sich aus dem 17. Jahrhundert bis in unsere Zeit "herübergerettet" haben. Nur die Guten haben überlebt.
Und "Umbauten" werden natürlich keine gemacht!
...und auch da ist der Klang Geschmacksache. Es gibt von aktuellen Geigenbauern genauso gut, oder besser klingende Geigen... sie "adeln" den Spieler aber etwas weniger, da ein Geiger, der "auf einer Stradivari spielt" natürlich sehr gut sein muß! :opa:
klick
Das Publikum sieht und hört eben den Namen und hat eine entsprechende Einschätzung. :m_vio:
Wenn David Garrett also eine Stradivari hat und spielt ist er automatisch einfach ein "sehr guter Geiger"... da sind dann automatisch auch "Vorschußlorbeeren" dabei...
...vielleicht klänge sein Spiel aber auf einer anderen Geige besser? Wir wissen es nicht und es geht auch hier nicht um ihn, sondern eben um den "Hype" dieser alten Geigen.
 
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Hi alle,

es wurden viele alte Instrumente zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf die neue, längere Mensur, steilerer Halswinkel und damit
höhere Saitenspannung umgebaut, um mehr Lautstärke aus den Instrumenten rauszubekommen.
Die größeren Konzertsäle verlangten nach mehr "power".

Die heutigen, gängigen Saiten die von Profis verwendet werden, sind Nylonkern (Multifiliament) mit Metall-Legierungen umsponnen.
Diese Saiten kommen einigermaßen nahe an den Natur-Darm-Charakter heran, mit dem Vorteil, daß sie nicht so
instabil auf leichte Feuchte- und Temperaturschwankungen reagieren und deutlich länger halten.

Für die alten Instrumente bedeutet dies aber tatsächlich statisch nur wenig Veränderung!

Ich habe S. Sacconi´s "il secreti di Stradivari" und die Artikel von R. Hargrave gelesen.
Es gibt durchaus noch einige und garnicht soo wenige Instrumente, die in den Resonanzplatten heute unverändert erhalten geblieben sind.

Tatsächlich wurden viele Instrumente mit dem Umbau auf einen steileren Halswinkel und eine längere Mensur zusätzlich ausgedünnt!
Ich war sehr verwundert, wie "dünn" z.B. A. Stradivari tatsächlich gebaut hat - ebenso einige andere Zeitgenossen aus dem näheren Umfeld.
(Aber das ist jetzt etwas speziell, denn bei "dünn" müßte man auch in die Tiefe gehen: wo, was, wie, warum ..Geigenbauergeschwafel..)

Die modernen Bassbalken sind länger und stärker - das ist aber die einzige, "statische" Veränderung, wobei diese
eher klangtechnische Hintergründe hat. Die alten Bassbalken könnten dem heutigen Saitenzug genauso standhalten.

Den alten, historischen Klang (-ideal) kann man heute tatsächlich annäherungsweise rekonstruieren.
Bei der Aufführungspraxis gibt es auch viele Erkenntnisse und Experimente.
Ich denke, da sind einige Interpreten und Ensembles sehr nahe an der Wirklichkeit, was und wie damals gespielt wurde.

Aus technischer Sicht muß man sagen:
Die alten Geigen funktionieren mit den neuen Bedingungen der großen Umbauten genausogut, wie davor.
Sicherlich ist der moderne Klang und Spielweise heute anders als damals, aber es wurde statisch kaum etwas verändert.
Ich sehe das eher in Richtung: noch dünnere Ausarbeitung (abgesehen vom modernen Bassbalken)

Es gibt heute einige Geigenbauer, die Instrumente in der selben, oder sogar besseren Klangqualität herstellen können,
wie die alten Meister vor 300 Jahren. Das haben inzwischen viele Vergleichstests hinter dem "Vorhang" gezeigt.
Allerdings sind dann gerade solche (modernen) Instrumente auch nicht gerade für kleines Geld zu haben - naja, die
Stradivaris ware zu ihrer Zeit auch nur für weinige Menschen erschwinglich..


cheers, fiddle
 
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Ganz herzlichen Dank für Eure ausführlichen und fundierten Antworten! Das sind genau die Informationen, die ich gesucht habe. Mir ist schon klar, dass bei Stradivari und Co neben der unbestrittenen Qualität vieles Kult und Mythos ist - und leider auch vieles Folge eines völlig aus dem Ruder laufenden Kapitalismus, der diese schönen Instrumente in erster Linie als Anlageobjekte sieht und dadurch die Preise in unerschwingliche Höhen treibt. Mit Musik hat das leider oft wenig zu tun.
Geigenbauergeschwafel
...finde ich übrigens hochinteressant! Ich bin zwar leider selbst handwerklich völlig unbegabt, kann mich aber um so mehr für die Kunstfertigkeit und das know-how begeistern, mit der gute Instrumentenbauer ihre Stücke herstellen.
 
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