Akkordeonmusik in der advent-weihnachtlichen Fußgängerzone

Bernnt
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So ein Weihnachtsmarkt kann was Schönes sein: Lichter überall, hübsch schummrige Stimmung, eine Tasse Punsch, deren Geschmack sich im kalten Schneeriesel wollig warm im Körper ausbreitet, nette Gespräche mit netten Leuten am Stand mit den Holzfigürchen. Da gibt es auch Musik. Ich hab ja keine Vorurteile, aber... Man geht irgendwie mit eigentümlichen Erwartungen auf solch einen Markt. Ihr wisst schon.

Ein Rausreißer der positiven Art habe ich gerade erlebt. Sechs oder sieben Männer, die russische Lieder mit himmlischer Inbrunst intonieren - begleitet von einem Akkordeonisten. Ein älterer Herr, Mütze Marke Ostsibirien, eine dicke Jacke, ein glückseliges Grinsen auf dem fast zahnlosen Mund. Ich glaube, ich höre nicht recht. Ich höre genauer hin. Der Mann spielt riiicchhtttiggg guuuut. Flott kann er auch - und das bei Minustemperaturen. Sogar Melodiebass wird serviert. Und der Klang? Voll, rund, orgelähnlich, mit tiefem Bass und unaufdringlichen, aber durchsetzungsfähigen, fein-perligen Höhen. Ich schaue mir das Instrument genauer an. Man glaubt es nicht, der Mann steht im Schneegeriesel im angetauten Matsch mit einer Jupiter Bayan. Nicht irgendeine irgendwie - sondern die ist richtig gut. Man hat den Eindruck, auch die tiefen Töne sind sofort da, auch wenn man sie nur kurz anstreichelt. Mann, mein Herz steht offen und der Himmel auch. Auch den Russen in der Fußgängerzone fällt der Mann auf. Sie schauen ihm verwundert auf die Finger. Wie kommt der hierher? Und vor allem: Warum investiert der das Gold in seinen Händen wenigstens nicht teilweise in seinen Mund? Wir Musiker sind schon merkwürdige Leute.
 
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Warum investiert der das Gold in seinen Händen wenigstens nicht teilweise in seinen Mund?

vielleicht würde er ja wollen, aber nicht können, weil die Einnahmen nicht so üppig sind, dass es diesen Luxus trägt. Und wenn, dann hat er vermutlich andere Präferenzen.

war nicht Weihanchten , sondern mitten im Sommer, als ich ebenfalls in der Fußgägerzone auf ein russisches Trio aufmerksam geworden bin, die ebenfalls richtig , richtig gut spielten. Auf meine Frage warum sie hier in der Fußgängerzone spielen und nicht im Konzertsaal, war die trockene Antwort, dass sie eigentlich auf Konzerttournee sind, aber für Akko im Klassikbereich fast nix gezahlt wird, weswegen sie auf dem Weg zum nächsten Konzert gerne mal Zwischenstops in Städten machen um sich das Geld zum Leben zu erspielen.

Der Mann spielt riiicchhtttiggg guuuut

ja, es finden sich aus dem osteuropäischen Raum öfter Spieler in Fußgängerzonen und am Rande von Märkten, die spielen um Klassen besser als ich - und trotzdem möchte ich nicht tauschen;)
 
Hier in Berlin sitzt ein Akkordeonspieler in einem U-Bahnhof am Alexanderplatz .
Er verdient hier an ein paar Tagen die Woche mehr Geld , als an der Uni in Petersburg !
Ist aber auch den anderen Passanten aufgefallen, daß der gut ist ...
 
Guten Abend,

Der Mann spielt riiicchhtttiggg guuuut. Flott kann er auch - und das bei Minustemperaturen. Sogar Melodiebass wird serviert.

Das ist genau die Reaktion der Menschen, die die „russische Akko-Schule“ zum ersten Mal näher getroffen haben. Ich möchte die Russen nicht zu ihren historischen Verdiensten bei der Entwicklung des Akkordeons leugnen. Ich erkenne auch ihre Spielerischen Eigenschaften…

Aber.

Diese Interpretation (die meist auf den oberflächlichen Eindruck der Zuhörer fokussiert ist und durch die Klangmöglichkeiten des Instruments schockieren versucht) führt manchmal dazu, dass die professionellen Musiker immer noch eine kontroverse Einstellung zu unserem Instrument haben. Und übrigens. Sie beherrschten immer Knopf-Bayans. Hier in der Slowakei, waren wir 40 Jahre unter (seine) Kommunistische Herrschaft. Dennoch haben sich seiner Stil und ihre Akko-Schule nie durchgesetzt in der (Tschecho-) Slowakei! Ich denke, wenn sie gut wären, würden wir hier in der Slowakei schon lange Zeit russische Knopfbayan spielen. Hier bemerke ich, dass das Knopf-Diskantsystem mit meiner Einschätzung der Russen nichts zu tun hat!!!

Hier in Berlin sitzt ein Akkordeonspieler in einem U-Bahnhof am Alexanderplatz .
Er verdient hier an ein paar Tagen die Woche mehr Geld , als an der Uni in Petersburg !

Ich habe Glück, dass ich in einem postsozialistischen Land lebe. In unserem Gehältern-Niveau würden die Russen viel bei uns nicht verdienen. Und… wie für die Tschechen und Slowaken. Sie können z.B. die Slowaken mit den Tastenakkos auf den Straßen von Wien treffen. :igitt: Ich denke aber, die Russen sind ein bisschen besser. :embarrassed:

Was mich persönlich betrifft, ziehe ich es etwas zu hören, das z.B. Nebel, Leuchter, Ruggieri oder Galliano spielen: Es bedeutet Musik, die immer eine Seele hat. :great: Ich wünsche auch den Russen nur das Beste. Lebe und lass leben…

Gruß, Vladimir
 
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Ich hatte - naja vor 20 Jahren inzwischen - ein sehr trauriges Erlebnis in Konstanz.
War dort im Hochsommer in der Fußgängerzone als mir ein junger russischer Spieler auffiel der großmeisterlich Klassik spielte. Ich sagte noch meiner Freundin, sie solle sich das gut anhören, das sei sehr sehr selten.
Und dann passierte das Unglaubliche:

Aus dem Fenster der Sparkasse, vor der er spielte, ergoss sich ein Eimer Wasser über Spieler samt hochwertigem Instrument ...

Ich flippte regelrecht aus ... ging erst mal zu dem Spieler und stellte fest, dass er kein bzw fast kein deutsch sprach und wie gelähmt war. Dann ging ich mit einer weiteren Passantin, die das mitbekommen hat in die Sparkasse und fragten, wer denn da oben in dem Büro arbeitet. Als da nix kam, schnappte ich mir den Spieler, nachdem er sein Instrument äußerlich trocknete und ging mit ihm zur Polizei, um Anzeige zu erstatten.

Leider war ich da auf der Durchreise und bekam nicht mehr mit, wie es weiterging. Aber die Passantin war vom Ort und kümmerte sich weiter.

Übrigens spielen einige Profis auch mal spaßeshalber öffentlich.

Habt ihr mal STraßenmusik gemacht?

Ich einmal, zum sehen wie das ist ....
 
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Habt ihr mal STraßenmusik gemacht?
Ich war eher der Kneipentyp. Da gab es manchmal was für Umme zu trinken, wenn man die richtigen Töne traf. Auf der Straße kam noch nie jemand mit einem Getränk angelaufen... Kalt ist das zurzeit auch noch. "Winter" im Winter spielen? Mir frören die Finger ab...
 
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Ich hatte mal als Student in einer Kneipe jede Woche 2 Stunden für 50,- DM gespielt.

Leider kam meine 40er Jahre Musette - Swing - Mugge oder ein wenig Klassik sehr wenig bei den Gästen an und ich zwang mich "Kneipenmusik" vorzutragen ....

Das ganze führte dazu, dass ich für sehr lange Zeit überhaupt nichts mehr irgendwem vorspielte, sondern nur noch für mich im stllen Kämmerlein. Ein Trauma
 
in dem Jahr war ich noch nicht in der Stadt...

...aber hier in Pforzheim spielen an den Adventswochenenden fünf Blechbläser vom Moskauer Symphonie-Orchester - die verdienen in den vier Wochen hier deutlich mehr, als das ganze Jahr über zuhause.
Eingeladen werden die von irgendeiner Kirchengemeinde, Samstag in der Fußgängerzone, sonntags, morgens im Gottesdienst, nachmittags/abends Konzerte.

Die können ALLES !! von Bach bis Jazz. Und das richtig gut, vom Feinsten!
Der Tubist ist auch so ein knudeliger, der steht bei Minustemperaturen hier im T-Shirt und spielt wie ein Gott.
 
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Wir hatten das Video wohl schon einmal hier im Forum - es passt aber gerade ganz gut: Ksenija Sidorova macht Straßenmusik.



Viele Grüße

Der Hamburger
 
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Wir hatten das Video wohl schon einmal hier im Forum - es passt aber gerade ganz gut: Ksenija Sidorova macht Straßenmusik.



Viele Grüße

Der Hamburger
Und das in Luzern, wo ich 1973 bis 1976 Bauingenieur studierte.
Eine schöne vielseitige Stadt (und im Herbst Fremdenverführer) mfG Paul
 
Das Video mit Sidorova ist doof. Es wird auf keinem Bild die Reaktion des Publikums gezeigt. Nur Leute, sie irgendwas fotografieren, augenscheinlich aber nicht die Spielerin. Bis auf ein Selfie, was jemand mit ihr macht. Und der Ton des ziemlich verhunzten Libertango kommt aus dem Studio. Mit Straßenmusik hat das nichts zu tun.
 
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