Akkordeon mit aufschlagenden Zungen?

baumfuchs
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Da ich Orgelregister mit aufschlagenden Zungen sehr schön finde, kam mir die Frage, ob Ähnliches schon einmal beim Akkordeon versucht worden ist. Das Thema wurde in
Diskussion: Akkordeonbau und die Handarbeit von @Ippenstein kurz gestreift, und mir ist schon klar, dass aufschlagende Zungen
  1. schwerer stimmbar sind als durchschlagende, weil der Resonanzkörper maßgeblichen Einfluss auf die Schwingungsfrequenz hat,
  2. klanglich der Idee des Akkordeons eigentlich fremd sind, weil ihre Töne nur schwer miteinander verschmelzen und zum akkordischen Spiel ungeeignet sind.
Trotzdem stelle ich es mir reizvoll vor, ein Instrument zu haben, das im Diskant - zum einstimmigen oder zweistimmig polyphonen Melodiespiel - einen Klang ähnlich dem Orgelregister Regal hätte (im Mittelalter gab es das Regal als Tischinstrument, es braucht nur sehr kleine Resonanzkörper). Der Bass könnte ganz normal mit durchschlagenden Zungen ausgeführt sein, und natürlich gäbe es keine Schweberegister, das würde nicht passen, nur ein 8'-Register und evtl., wenn der Platz noch reicht, einen 16'.

Weiß jemand, ob so etwas schon einmal versucht worden ist?

Gruß,
Baumfuchs
 
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Aufgrund der Baugröße kämen maximal Regalregister in Betracht. Diese schnarren aber nur laut und obertonreich. Die schön klingenden Zungen haben volle oder überlange Becher. Die aufschlagende Zunge hat keine Dynamik und verbraucht viel Luft. Aufgrund dieser Nachteile glaube ich nicht, daß es da mal Versuche gegeben hat. Wen es interessiert, auf YouTube mal Orgel und Regal eingeben.
 
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Hallo @Ippenstein,
in Bezug auf Dynamik und Luftverbrauch stimme ich dir zu, aber Regale können durchaus interessant klingen. Man darf sie nur nicht zum akkordischen Spiel benutzen, wie es leider bei den meisten Beispielen auf YouTube getan wird. Dafür sind sie nicht gedacht, zumindest seit 300 Jahren nicht mehr. Als Solostimmen, evtl. von einem Labialregister unterstützt, klingen sie aber sehr schön, und man kann sie auch für polyphone Sätze verwenden. Hier ist ein etwas besseres Beispiel aus der Röhre.

Aber ich glaube gern, dass der Klang zu exotisch und die Handhabung zu unpraktisch für ein Akkordeon ist. Interessiert mich nur halt. Der Mensch neigt ja zum Basteln, und ich dachte, vielleicht ist so etwas doch schon mal gebastelt worden.
 
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Da ich Orgelregister mit aufschlagenden Zungen sehr schön finde, kam mir die Frage, ob Ähnliches schon einmal beim Akkordeon versucht worden ist

da ich mich mit solchen Zungen nicht wirklich auskenne, habe ich mal in Wiki nachgelesen , was denn das überhaupt ist. Und dort wird als Beispiel die Zungen bei den Mundstücken von Saxophonen oder so angegeben... damit kann ich mir jetzt mehr draunter vorstellen (und hoffe, ich liege nicht falsch!)

schwerer stimmbar sind als durchschlagende, weil der Resonanzkörper maßgeblichen Einfluss auf die Schwingungsfrequenz hat,

...zumindest (wenn ich mit obiger Annahme richtig liege) dann ist die Frequenz maßgeblich an einen einigermaßen passenden Resonanzkörper gebunden. Das macht bei den im Akkordeon verwendeten Frequenzen bautechnisch mit Sicherheit Schwierigkeiten , das in passable Baumaße unterzubringen. Andererseits hat ein Saxophon oder eine Klarinette auch nur 1 aufschlagende Zunge (Rohrblatt) und über passende Einstellung kann man aus einem Resonanzrohr verschiedenste Tonhöhen erzeugen. Somit kann man die Anzahl der Resonanzröhren sicher reduzieren (auch wenn bei der Orgel ein anderes Prinzip verfolgt wird, aber die ist ja auch nicht transportabel.;)

ich stell mir so ein Gerät witzig, oder zumindest "sehr ungewöhnlich" vor - Wenn dich das Bastelfieber akut überkommen sollte... stellste ein paar Bilder des Ergebnisses ein?:)
 
die Zungen bei den Mundstücken von Saxophonen

Ja, das ist dasselbe Prinzip. Saxophon, Klarinette, Oboe.

dann ist die Frequenz maßgeblich an einen einigermaßen passenden Resonanzkörper gebunden

Ja und nein. Die aufschlagende Zunge kann nicht frei schwingen, sie führt eine erzwungene Schwingung aus, deren Frequenz sich durch einen Resonanzkörper steuern lässt. Sie braucht aber diesen Resonanzkörper nicht unbedingt. Regale u.ä. Orgelregister haben nur einen kurzen Schallbecher, der nicht auf die Frequenz des Grundtons abgestimmt ist, sondern einen bestimmten Formantbereich verstärkt und bei allen Pfeifen die gleiche Länge hat. Trotzdem lassen sie sich stimmen, allerdings ist die Stimmung nicht sehr stabil, was im Akkordeon Probleme bereiten könnte, da man ja nicht so einfach nachstimmen kann. Möglicherweise würde die Frequenz einer solchen Zunge sogar von den Resonanzeigenschaften des Balginnenraums beeinflusst, d.h. der Ton würde beispielsweise beim Aufziehen tiefer -- wer weiß?

Wenn dich das Bastelfieber akut überkommen sollte...

Ich fürchte, dafür habe ich weder das nötige Geschick noch die Ausrüstung. Wenn überhaupt, dann würde es eher eine chronische (=langwierige) Angelegenheit. Aber noch erscheint es mir wichtiger, Akkordeon zu üben. Ich denke nur gern in alle Richtungen.
 
Das Gegenteil ist der Fall. Die aufschlagenden Zungen werden durch die Stimmkrücke gestimmt. Sie sind im Vergleich zu den Labialregistern sehr stimmstabil (die Tonhöhe ändert sich bei Temperaturveränderung viel weniger als Labialregister) und leicht zu stimmen. Das angehängte Rohr ist nur für die Klangformung zuständig.
Bei der Orgel verändern die Labialregister pro Grad C sich im Ton um etwa 1 Cent (um es einfach auszudrücken). Die Zungen bleiben aber stimmstabil. Da die Zungen sich leicht stimmen lassen und einen kleinen Anteil an dem Pfeifenwerk ausmachen, stimmt man diese immer nach.

Anders verhält sich die Zacharias-Zunge. Das ist eine "verkehrt" herum durchschlagende Zunge mit angehängtem Resonanzhohlkörper. Hier wirkt sich der Resonanzhohlkörper tatsächlich sowohl auf den Klang als auch auf die Tonhöhe aus. Man stimmt den Ton, indem man nicht an der Zunge kratzt sondern die Länge des Hohlkörpers verändert (vgl. Hohner Claviola oder das Sheng).

Im Akkordeon würde ein aufschlagendes Zungenregister viel Luft verbrauchen und konstant gleich klingen, während der Rest durch Druckveränderung in seiner Tonhöhe sinkt und steigt.

Ein Wort noch zur Klarinette und Saxophon. Die Tonhöhe kann da mittels mechanischer Druckveränderung auf das Rohrblatt verändert werden. Das dürfte sich aber aufgrund des enormen Druckes, den man aufbauen muß, nicht mechanisch mit Tastendruck nachbilden lassen.

Viele Grüße

Ippenstein
 
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In bestimmten Dudelsäcken finden sich auch einfach-aufschlagende Zungen, hier wird die Tonhöhe durch die Länge des angesetzten Rohres bestimmt. (normalerweise zylindrisch)
Die Oboe aber hat wie Fagott, Rankett, Cornamuse, Krummhorn ein Doppelrohrblatt.
 
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Ich habe nachgefragt und korrigiere mich. Die Tonhöhe würde sich auch durch Veränderung des Aufsatzes verändern lassen. Jedoch ändert sich dadurch auch der Klangcharakter.
 
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Hallo @Ippenstein,

ich habe tatsächlich die Erfahrung gemacht, dass Zungenregister nicht sehr stimmstabil sind, obwohl die Zungenlänge selbst kaum temperaturabhängig ist. Das kann aber verschiedene Gründe haben. In "meiner" Kirche gibt es ein Krummhorn 8' mit zylindrischen Schallbechern aus Kupferrohr, das ich schon öfter nachgestimmt habe. Am oberen Ende des Kupferrohrs ist ein beweglicher Deckel angelötet, den man hoch- oder herunterbiegen kann, so dass sich der Deckungsgrad der Rohröffnung verändert. Damit lässt sich die Klangfarbe ändern, die Tonhöhe ändert sich aber mit, wie du geschrieben hast. Der Deckel ändert die Größe der Aufwölbungszone und damit die Resonanzfrequenz. (Die schwingende Luftsäule in einem offenen Resonanzrohr ragt immer etwas aus dem Rohr heraus, umso mehr, je weiter die Rohröffnung im Vergleich zur Länge ist. Deshalb sind Orgelpfeifen mit weiter Mensur und auch trichterförmige kürzer als enge zylindrische Pfeifen der gleichen Tonhöhe.) Solche Deckel können sicher auch mal von selbst ein Stück absacken.

Dass "mein" Zungenregister sich so gern verstimmt, könnte aber auch daran liegen, dass die Stimmkrücken für ihre Aufgabe (Einstellung der Zungenlänge mit einer Toleranz von, sagen wir, 1/10 Millimeter) doch recht grobschlächtig gebaut und in Holz gelagert sind. Das Holz schrumpft bei Wärmeeinwirkung etwas, die Stimmkrücke (Eisen) dehnt sich minimal aus, und schon verrutscht das Ganze.

In einem fiktiven "Aufschlag-Akkordeon" würde man wahrscheinlich eher versuchen, die Zungen auf die bekannte Art durch Materialabtrag zu stimmen -- falls das bei aufschlagenden Zungen funktioniert. Aber warum sollte es nicht?
 
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ich habe tatsächlich die Erfahrung gemacht, dass Zungenregister nicht sehr stimmstabil sind
Ja. Müsste man eigentlich alle paar Wochen nachstimmen.

Habe ich dich richtig verstanden, dass du sozusagen an ein Regal im Akkordeonformat denkst? Kuhl!
 
Habe ich dich richtig verstanden, dass du sozusagen an ein Regal im Akkordeonformat denkst?

Ja, so ähnlich. Ich mag den Regalklang, auch wenn böse Zungen behaupten könnten, er habe den Charme einer Mopedhupe. Viele Orgel-Regale klingen übrigens voller als das, was man bei YouTube von den Tischinstrumenten hört, wahrscheinlich, weil sie noch etwas ausgeklügeltere Schallbecher haben. Da gibt es Apfelregal, Harfenregal, Jungfernregal... die kuriosesten Namen und Konstruktionen.

Da aber der Klang so sehr vom Resonanzkörper geformt wird, wüsste ich nicht zu sagen, wie solche Zungen in einem Akkordeon klingen würden. Sicher wäre der Klang von der Größe der Kanzellen abhängig, man könnte (wenn man nur einen Chor baut, aus Platzgründen) vielleicht auch eine Art Schallbecher integrieren, das Diskantverdeck nach außen dämmen und mit dem entstehenden Resonanzraum oder mit Cassotto-ähnlichen Konstruktionen experimentieren...

Alles das kann ich nicht handwerklich umsetzen, ich bin kein Akkordeonbauer. Deshalb interessiert es mich, ob es schon mal jemand versucht hat.
 
Ich mag den Regalklang, auch wenn böse Zungen behaupten könnten, er habe den Charme einer Mopedhupe.
Das erste Mal richtig aufmerksam auf das Regal gemacht wurde ich, als sich unser Prof vom "knarzigen Klang" des Regals (der Prof war selbst etwas "knarzig") in einer bestimmten Einspielung von Monteverdis Orfeo begeistert zeigte. Da tritt es nämlich wirkungsvoll mit dem zornigen Charon zusammen auf. Seitdem hätte ich gern eines. :love: Das Regalregister in den Orgeln, die ich kenne, ist dagegen meist viel zu lieblich -- oder eben "verschmelzend". :-D (Der Wandel im Verständnis des Begriffs "Harmonie" geht damit ja direkt zusammen.)
 
(Der Wandel im Verständnis des Begriffs "Harmonie" geht damit ja direkt zusammen.

Genau. Das Akkordeon ist ein Kind seiner Zeit -- des romantischen Zeitalters, und dazu passt sein Klang ja auch perfekt. Mein Ausgangspunkt war u.a. die Frage: Was, wenn z.B. Heinrich Schütz ein Akkordeon gehabt hätte? Wie hätte das klingen müssen, um dem damaligen Klangideal gerecht zu werden?
 
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Hallo Baumfuchs,
ich konnte vor zwei Jahren mal auf diesem Regal hier auf dieser Website spielen (17. Jhdt., Original, kein Nachbau!). Auf der Abbildung rechts unten sieht man es geöffnet. Das metallische sind die Klangkörper mit den Zungen. Der Museumsleiter hat uns sogar eine ausgebaut, um zu zeigen, wie die funktioniert. Genau weiß ichs nicht mehr aber die längsten waren ca. 8cm lang - also so riesig bauen die auch nicht.
Wenn's Dir um ein portables Instrument geht, mit diesem Klang, gibt es ja auch die kleineren "Bibelregale" oder gibt es auch Portative mit Regalregister. Im Akkordeongehäuse ist's mir völlig unbekannt - Du bräuchtest ja auch alles doppelt.

Gruß,
Jonny
 
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Schönes instrument! Gibt es davon Klangbeispiele? Die "Pfeifen" sehen seltsam aus, komische Form und als wären sie aus Aluminium. Das verwirrt mich etwas. Und die riesigen Bälge... nehmen wir mal an, da ist auf Sicherheit gebaut worden. Kann mir nicht vorstellen, dass ein einzelnes Zungenregister soviel Wind verbraucht, oder?

Gruß,
Baumfuchs
 
als wären sie aus Aluminium
Nein, ich glaube sie sind aus Zinn oder Blei und Zinn, wie die Orgelpfeifen aus dieser Zeit.
Aluminium als Werkstoff wurde erst viel später entdeckt.

Als Empfehlung, wer sich für historische Musikinstrumente interessiert:
Sammlung in Willisau
Unsere Musikgruppe hatte ein Spezialführung. Wir konnten fast jedes Instrument der Sammlung anspielen, das wir wollten.
Für ein Klangbeispiel - ich hab keins gefunden aber frag' doch da einfach mal an.
Zufällig war damals zu der Zeit auch eine Akkordeon-Wanderausstellung :D

Gruß,
Jonny
 
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