Gitarren in Drop-Tunings klingen verstimmt

  • Ersteller Starvin' Marvin
  • Erstellt am
Hallo Starvin´ marvin,

ich habe mir den ganzen Thread durchgelesen - leider habe ich keinen Zugriff auf die Soundsamples. Ein paar Gedanken meinerseits zu deinem Problem:

1. Eine Gitarre ist niemals (!) über das gesamte Griffbrett bundrein. Die einzigen Gitarren, die das haben, sind die mit "true tempered frets" wie ein User schon angemerkt hat.
2. Die Gitarre ist immer (!) ein Intonationskompromiss.

Grund für diese beiden Aussagen sind die verschiedenen Faktoren, die Einfluss auf die Intonation haben:

1. Die Länge der schwingenden Saite: Das ist klar, darauf baut unser System die Gitarre intonieren zu lassen natürlich auf. Hierzu muss man aber wissen, dass diese Werte (für die Bundabstände) berechnet (mit 4 Stellen nach dem Komma im cm Bereich) werden und niemals zu 100% stimmen. Habe ich bei der Berechnung in den ersten Bünden einen Fehler gemacht, potenziert sich dieser über das gesamte Griffbrett. Diesen Fehler würde ich aber bei modernen Ibanez Gitarren, die mithilfe von CNC Technik gefertigt werden, erstmal ad acta legen. Es kommt vor, ist aber selten geworden.
Hier ist eher das korrekte Verrunden der Bünde entscheidend, da kann man schonmal 0,2 - 0,5mm abweichen wenn man

2. Der Druck auf die Saite:
Das wird dir ja bekannt sein, du wurdest ja auch mehrmals drauf hingewiesen - zurecht auch, denn das ist mit Abstand der größte Fehler. Dazu kommt auch etwas, was man nicht außer Acht lassen darf: das zufällige "benden" bzw. "ziehen" der Saite. Da kann ich nur aus der Erfahrung mit Schülern reden. Hier wird gern, weil es bequemer ist, der Finger nicht im 90° Winkel aufs Griffbrett gelegt, sondern seitlich, sodass ich die Saite ein wenig wegschiebe. Mit viel Druck bei Jumbobünden und ein wenig "wegdrücken" der Saite komme ich laut Stimmgerät einen Viertelton (!!!!) hoch. Das klingt mega verstimmt. Und das aus Unachtsamkeit.

Der "Druck auf die Saite" ist allerdings auch der Abstand zwischen Saite und Griffbrett. Ein Beispiel:
Nehmen wir an, deine Saitenlage am 5 Bund beträgt ca. 1mm ( ein realistischer, gemessener Wert bei mir), am 12. Bund beträgt er 1,6mm. Die Intonation bzw. Oktavreinheit stelle ich ja mit Leersaite + 12 Bund ein. Was passiert also? Ich stelle meine Intonation mit 1,6mm "bending"-Weg ein, nicht aber mit 1 mm. Ich muss (!!) also eine Abweichung im 5. Bund bekommen, auch wenn alles andere perfekt ist - was es niemals ist.
Das ganze gilt natürlich dadurch auch für den Sattel. Ein zu hoher Sattel und schlechte Halskrümmung kann zu folgendem (extremen) Verlauf führen:

Saitenabstand 1.Bund: 1mm
Saitenabstand 3.Bund: 1,3mm
Saitenabstand 7.Bund: 1,4mm
Saitenabstand 12.Bund: 3mm
Saitenabstand 15.Bund: 1,6mm
Saitenabstand 20.Bund: 1mm
Saitenabstand 24Bund: 0,8mm

Wir haben also einen stark gebogenen Hals. Stellen wir die Intonation für den 12 Bund ein, wird der 1. Bund sehr falsch klingen. Dazu kommt noch der generell zu große Abstand: Unser System der Bundierung ist für das intonieren ohne "bending" der Saite durchs greifen ausgelegt. Im besten Fall (wie bei einem Nullbund) ist der Sattel genmauso hoch wie das darauffolgende Bundstäbchen. Das ist nicht praktikabel für E-Gitarren, da dann die Intonation ab Bund 5 leiden wird. Für Akustikgitarren aber immernoch gängige Praxis. Die werden meist nicht Jenseits des 7. Bundes gespielt.

Das Bending, wie hier andere schon angemerkt haben, entsteht ja auch durch das Anschlagen. Auch irgendwie logisch, da ich ja die Saite auslenke. Um hier einen sehr starken Unterschied festzustellen, muss ich zwar schon ordentlich reinhauen - aber auch das passiert voll mit Adrenalin und guter Laune auch schonmal - gerade auf der Bühne. Da nehmen es die meisten einem ohnehin nicht krumm. Mich hat zumindest niemand nach dem Gig angesprochen und gesagt "Hey, mega geiles Konzert. hammer Energie, hat richtig Laune gemacht. Aber durch deinen starken Anschlag intoniert diene Gitarre nicht so sauber, hab die Musikerpolizei gerufen..." :D

3. Die Saite selbst

Hier habe ich erst kürzlich feststellen müssen, dass es doch wirklich einen starken Unterschied macht. Bei mir im Standard Tuning.

Eine Strat mit 11-52 Saiten sowie 8-42 Saiten intoniert wahnsinnig unterschiedlich. Ich kann die dickeren Saiten (da gleiches Tuning = mehr Saitenzug) nicht deutlich tiefer einstellen. Dadurch habe ich natürlich eine höhere Tonerhöhung durch die gegriffene Saite als bei den dünneren Saiten. Denn je mehr Zug auf den Saiten ist, desto stärker reagieren sie auf ein Bending. Also zeihe ich die 11er E-Saite 1cm über das Griffbrett, ist der Ton höher als würde ich die 8er E-Saite 1cm übers Griffbrett ziehen.

Hier spielt übrigens auch die spezifische Masse (also die Dichte) sowie die Steifigkeit der Saite zumindest sekundär eine Rolle. Eine Saite mit hoher Steifigkeit lässt sich schwieriger Spielen als eine mit geringer Steifigkeit. Dadurch wird automatisch mehr Druck erzeugt.


4. Das größte Problem steht immer vor dem Gerät :D

Ja, hier gibt es die verschiedensten Mittel und Wege, sich die Intonation zu ruinieren.
2 hatten wir oben schon, also jetzt die Anderen:

Ich greife den Hals zu fest.
Hier wird der Hals gedehnt. Das geht nicht? und wie. Gerade bei dünnen Hälsen. Mit meinem Arm/Ellenbogen am Korpus setze ich einen Angelpunkt. Mit meiner Greifhand bin ich Bereich der 5. Bundes. Ich kann, wenn ich nur verkrampft genug bin (was ich nicht unbedingt merken muss), dann kann ich die Greifhand zum Körper hinziehen. Ich spanne den Hals also. Gerade ausprobiert: an meiner Vintage mit relativ dicken Hals wie auch an meiner Cort X Custom (dem Ibanez Hals sehr ähnlich wenn nicht gleich, da Cort für Ibanez fertigt) kann ich so die Saitenlage ohne extremen Aufwand von 1,7mm am 12 Bund auf 0mm bringen.

Ich messe falsch.
Auch hier kann sich der Fehlerteufel einschleichen. Mit einem Stimmgerät, was wie du sagst Bundreinheit anzeigt, kann irgendwas nicht stimmen. Die Skalierung der Abweichung mag komisch gewählt sein, das Gerät von minderer Qualität o.Ä. Es ist shconmal gut, dass du dich auf dein gehör verlässt. Gerade günstigen Stimmgeräten vertraue ich nicht mehr. besonders nicht diesen Aufstecktunern für die Kopfplatte. Selbst dem Stimmgerät meines Line6 Pod HD500x ( kein billiges Teil") stimmen meine Ohren manchmal nicht zu. Das zeigt mir aber durch die Skalierung aber den Effekt der Saitenschwingung sehr deutlich an.

Du kommst zufällig ans Floyd Rose. ein kleiner Stups daran und deine gesamte Intonation ist im Eimer. Blockiere es in der "Normalposition" für solche Dinge.

In deinem speziellen Fall kann es aber auch sein, dass du die Einzeltöne sehr gut greifst, die Oktave durch eine krumme Fingerhaltung z.B etwas verziehst. Oder deine Fehler addierst. Angenommen du willst ein F und F´ (E-Saite 1. Bund, D-Saite 3.Bund) gleichzeitig spielen. deine E-Saite intoniert durch einen zu hohen Sattel zu hoch und deine D-Saite intoneirt richtig. Wenn du jetzt unbewusst die E-Saite ein klein wenig verziehst, weichst du soweit ab, dass du es hören kannst.

Du hast dir das schlechteste aller Intervalle zum Überprüfen ausgesucht.
Eine Oktave ist so mit das Mieseste, was man tonal einstellen kann. Das liegt wieder an der Physik.
Nehmen wir das leere A auf der A-Saite. Eine Frequenz von 440Hz. Die Oktave hat folglich 880Hz.
Intoniere ich das A mit 436Hz (was erstmal nicht so stark auffällt solange man keine Töne zusammenspielt) ergibt das eine rechnerische Oktave von 872Hz. Wir weichen also, sollte das oktavierte A richtigerweise bei 880Hz liegen shcon fast 1% ab. das ist verdammt viel und sehr belastend zu hören. Falls dein Stimmgerät es zulässt, nimm mal ein Riff mit einer Gitarre auf, welche du mit dem Kammerton 435Hz gestimmt hast und soliere mit einer Gitarre die bei 440Hz gestimmt ist darüber. Ich sage dir, daraus werden Albträume gemacht....






Ok, das erstmal zu den möglichen Ursachen. Wie also Abhilfe schaffen?

Ich würde so vorgehen. Vergewissere dich, dass du alles machst, dass du richtig misst. Lass erstmal das Stimmgerät eingepackt bzw. nutze es nur zum Stimmen der Leersaiten. Dann dieses Tutorial (Oktavreinheit und Bundreinheit) durchnehmen:
https://www.rockinger.com/das-rockinger-manual/setup-und-tuning

Damit solltest du einen guten Kompromiss erreichen, den die beschriebene Methode eignet sich super, das gesamte Griffbrett bespielbar zu machen. Du wirst immernoch Intervalle haben, die nicht super sauber klingen, aber damit wirst du leben müssen.
Ich persönlich halte nicht viel davon, sofort kompensierte Sättel einzubauen. Denn die sind auch nur Allgemein beschaffen und passen Intonationsmäßig nicht unbedingt auf deine Gitarre.

Alternativ gibt es noch die Methodik, sich das Instrument für seine Bedürfnisse einzustellen (meine Methode).
Überleg dir, was du hauptsächlich spielen möchtest. Mehr in den oberen lagen, mehr in den unteren Lagen. Darf es shcnarren, wenn ja, wo und wieviel? Wenn du weißt wofür die Gitarre da sein soll, intoniere sie in dem Bereich richtig wo du es am wohlklingensten brauchst. Auch dafür ist die Rockinger Methode mit gewissen Modifikationen sehr gut geeignet.
Eien Gitarre ist dein Instrument, du musst dich wohl fühlen und darauf spielen können. Ich habe meine Gitarren in "Rhytmus" und "Lead" grob aufgeteilt. Man kann auch auf der "Rhytmus" Gitarre Leads spielen, in einem A/B-Vergleich zur Lead Gitarre kann man aber ein Unterschied beim intonieren feststellen. Aber auch nur wenn ich mir die Einzelspuren anhöre ohne andere Instrumente. meine Freundin, die keine Musikerin ist, sagt, sie klingen gleich.


Probier ein paar andere Saiten aus, achte auf deine Finger, schraub ein bisschen an der Intonation rum. Dabei kannst du nun wirklich nichts kaputt machen, wenn du das passende Werkzeug nutzt.

Anbei noch 2 Videos, die die generelle Problematik mit Gitarren und Intonation verdeutlichen. Er ist Holländer, daher versteht man sein Englisch sehr gut.


 
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Wow vielen Dank für den ausführlichen Beitrag. Den werde ich mir mal in Ruhe durchlesen. Anbei für dich nochmal meine Audio-Samples:

https://easyupload.io/q52xh1
 

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