Aktivdiffusion als Kompensation für mangelnde Akustik

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Ich hatte vor löngerer Zeit mal angekündigt, Näheres zu meinem Konzept der Aktivdiffusion in kleinen Räumen zu bringen, kam aber aus Zeitgründen nicht dazu, das mal ein einem sauberen Aufsatz zu bringen. Ich habe das Thema nach längerer Pause mal wieder aufgegriffen und mit einem Konzept der Aktivschallunterdrückung kombiniert, was Ich kurz anreissen möchte, als Anregung für Nachahmer.

Worum geht es:

Kleine Räume haben sehr oft ein Höhen-Bass-Problem, da infolge der großen Zahl an Reflektionen, die sich einstellen, bis eine Welle pegelmäßig genügend abgeklungen ist, starke Raumoden wirken, die dazu führen, daß Höhen an Möbeln schiefsymmetrisch gestreut werden und sich Bässe bei einzelnen Frequenzen aufschaukeln.

Eine moderate Dämmung, die die Höhen genügend unterdrückt, sodass Reflektionen - gleich welcher Qualität - erst gar nicht auftreten, ist für die Bässe nicht ausreichend. Eine starke Dämmung, die die Bässe genügend unterdrückt, töten die Höhen zu stark ab und macht den Raum zu dumpf. Das ist für das Mischen unschön und für das Einspielen oder die Klanggestaltung unbrauchbar.

Die favorisierte Lösung in Studios ist, drehbare Akustikelemente zu platzieren, die entweder Höhen absorbieren oder sie diffus reflektieren. Ein bekannter Anbieter hat diesbezüglich sogar einen Rahmen (patentiert ?) der das Einstecken der Elemente ermöglicht. Als weitere Maßnahme gibt es Helmholzresonatoren, die einzelne Frequenzen gezielt durch Gegenresonanz unterdrücken. Diese sind je nach Bauform mehr oder weniger breitbandig. Dies soweit der "Stand der Technik".

Ich habe das nun dahingehend automatisiert, dass Ich sowohl Gegenschall, als auch Diffusion elektronisch erzeuge. Damit ist es sowohl einfach einstellbar, nachjustierbar und auch umschaltbar.

Der Gegenschall wird mit Lautsprechern erzeugt, um potenzielle Reflektionen von der Seite, die sich nicht oder nur schwer dämmen lassen, nämlich die Bässe, am Ort der Mischpunktes noch weiter zu unterdrücken. Dazu wird die Mischung, die aus den Stereolautsprechern kommt, entsprechend zweikanalig verzögert und in eine Echo-Raum-Modell eingespeist, das in etwa einem typischen Hall-Reverb-Effekt entspricht, allerdings nur die ersten 2-3 Reflektionen und deren Wiederreflektionen berücksichtigt. Diese werden von der Seite auf den Mischplatz gesendet. Zunächst habe Ich das auch mit den Höhen gemacht, allerdings ist deren Reflektionsbild zu kompliziert, wegen u.a. der Beugungen an den Monitoren, dem Tisch und den Wandregalen etc. Zudem ergab sich wieder das altbekannte Problem, dass minimale Kopfbewegungen bereits den Effekt untergruben. Bei den Bässen (ca 200 Hz abwärts) funktioniert es hingegen prächtig.

Die Diffusion wird ebenfalls mit Lautsprechern erzeugt. Diese sind leicht hinter dem Hörplatz (konkret bei 3/5, also 3m Abstand zur Front, 2m Abstand zur Rückwand) direkt an den Wänden positioniert und strahlen nach hinten und zur Seite. Direkt daneben sind Holzdiffusoren platziert. Dies führt dazu dass der Rückraum stark mit Höhen angereichert wird. Die Anordnung sieht also wie folgt aus:
aktivraumkonzept.gif

Die roten Lautsprecher deuten die Kompensation an - die grünen die Anreicherung. Die Signale kommen aus einen digitalen Signalprozessor, der auf FPGA-Basis arbeitet, von der Algorithmik und der Rechenpower auch durch einen Software-basierten DSP zu ersetzen wäre. Es müssen nach der aktuellen Einstellung 2 + ( 2+2) *2 + (2+2+2) * 2 = 22 Kanäle a 192 kHz berechnet werden. 96kHz täten es wahrscheinlich auch. Bei den Basskanälen könnte man sogar auf 12kHz runter, was sich im FPGA aber wegen der universellen pipeline nicht lohnt. Die quivalente Prozessorleistung wären rund 100 Multiplikationen pro Sekunde.

Mit beiden Methoden ist es möglich, die trotz eines starken Einsatzes von Dämmstoffen oft dennoch unzureichende Bassdämmung weiter zu verbessern und gleichzeitig die dadurch aber oft schon überdämpften Höhen wieder aufzufrischen. Mit etwas Geschick ist es auch möglich, den Raum derart mit Gegenschall zu versorgen, dass er eine Wand komplett wegfällt und er akustisch grösser wird, wodurch ein scheinbar großer Raum entsteht, um Mischungen auch auf diese Weise abzuhören.

Anders, als bei den "Helmis" gibt es hier z.B: kein Nachschwingen, weil der Resonator sich nicht ers aufschaukeln und wieder ausschwingen muss, sondern wirklich berechnet die Basswelle vernichtet, die gerade aktiv ist.

Momentan experimentiere Ich mit einem dritten Lautsprecher, der die von den Kompensationslautsprechern kommenden Erstwellen aktiv unterdrücken soll.

Mehr folgt.
 
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"Ich" wird in einem normalen Fließtext, ausser am Satzanfang natürlich, klein geschrieben. Sorry für OT, aber wenn ich sowas wieder und wieder lese, dann rollen sich mir die Fußnägel auf...

Ach ja, und der Herr hieß "Helmholtz". :)
 
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Gibt's aber auch schon.

An der Uni in Graz gibt's einen Saal mit "variablem Nachhall", wo einfach einige Mikrofone und Lautsprecher an den Wänden verteilt sind, und damit den Reflexionsgrad der Wände einstellbar machen.
 
Interessantes Konzept, das Diffusfeld durch Lautsprecher anzureichern. Ich nehme an das Signal wird verzögert?
 
So ein System hatte Thomann in den 90er Jahren im damals neu gebauten PA-Vorführraum (ich denke nicht, dass die vielen Mikros und Lautsprecher heute noch installiert sind - ist mir jedenfalls nicht aufgefallen).
Die Simulation eines Doms oder von Fußballstadien war damit durchaus realistisch möglich....
 
Richtig, das Konzpet der Anreicherung mit Hall an sich ist nicht neu. Seit es Hallprozessoren gibt, wird da herumexperimentiert. Ich z.B: mit einem TMS320:
http://96khz.org/oldpages/echocancelling.htm. Wir hatten auch schon Mitte der 90er mal an der Uni ein Projekt zusammen mit dem FB Musik. Es ging um die ungefähre Herstellung einer Grossraumakustik in den kleinen Übungsräumen. Im Einfachsten Fall stellst Du einfach ein Mikro auf, das auf einen Lautspecher geht, der den eingefangenen Schall wieder mit etwa 10%-30% abgibt. Um Rückkopplungen zu vermeiden, nimmt man die Mikrosignale von der linken Seite des Raumes und füttert damit die Lautsprecher gegenüber. Das führt zu z.T. wilden Konstellationen.

Neu ist die Kombination von Echocancelling , Diffusion und Nutzung von Diffusoren in Kombination. Das ist ein wenig dem Rechenaufwand geschuldet, der - soforn man es nichtakademisch zu bezahlbaren Preisen machen möchte - mit DSPs bisher nicht realisierbar war. Die Systeme waren einfach zu teuer oder zu schlecht. Irgendwelche Reflektionen herzustellen, ist ja simpel. PASSENDE werden benötigt.

Ja, die Signale sind verzögert. Genau genommen sind sie je nach Frequenz in der Phase individuell verschoben. Sie sind auch so bearbeitet, dass die Erstreflektion verlischt und das geregelt auf Bruchteile von us genau. Auto-Adaptiver-Spektral-Filter ist hier das Stichwort.Ich habe ein solches System in einem aktiven Gegenschallsystem verwendet und es später ausgebaut, um es für Tonaufnahmen zu nutzen.

Inzwischen sitzt es in anderer Form im FPGA. Da sind Dinge möglich, die mit einem DSP, der auf der Stereosumme arbeitet, nicht gehen. Ich bin dabei, es in eine kompakte Form zu bringen, damit es mit mein P2-FPGA-System passt. Dann kann man es zusammen mit dem Synthesemodul erwerben. Es wird so konfiguriert, dass es in zwei FPGA-PCBs passen wird. HW-Kosten unter 300,-! Momentan liegt der Entwicklungsfokus aber noch auf dem Synthesemodul selber - kann also noch etwas dauern.
 

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