Darf man heute noch tonal komponieren?

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Darf ein Komponist heute noch tonal komponieren? - Diese Frage möchte ich hier aufwerfen.

Wer sich als ernst zu nehmender Komponist im Kulturbetrieb behaupten will, muss heutzutage leider atonal komponieren. Taditionelle, tonale Harmonik wird heute nur noch im "Unterhaltungs"- oder Filmmusiksektor geduldet. Wer sich traditioneller Harmonik bedient, dem wird - besonders in Deutschland - das Etikett des "bloßen Unterhaltungsmusiker" aufgeklebt (was eine negative Wertung darstellen soll). So jemand hat nie die Chance, einen bedeutenden Kompositionspreis - etwa der Länder - zu gewinnen oder Fördergeld zu erhalten: Tonale Musik gilt nicht als förderungswürdig! Warum eigentlich nicht?

In Deutschland scheint dies auch mit der Geschichte zusammenzuhängen: Während in der Nazizeit atonale Musik als "entartet" galt, scheint nach 45 die Sicht ins andere Extrem umgeschlagen zu sein: Nun wird tonale Musik in den Untergrund gedrängt. Wurden in den 30ern atonale Komponisten als "böse Kommunisten" angesehen, stehen heute tonale Komponisten tendenziell unter "Faschismusverdacht", was besonders auf Adorno zurückgeht.

Ich frage mich, warum man nicht zu einer wirklich liberalen Position finden kann: Sowohl atonale als auch tonale Musik ist legitim. Kriterium sollte nicht sein, ob Musik tonal oder atonal ist, sondern ob sie gut oder schlecht ist.
 
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Darf ein Komponist heute noch tonal komponieren? - Diese Frage möchte ich hier aufwerfen.

Wer sich als ernst zu nehmender Komponist im Kulturbetrieb behaupten will, muss heutzutage leider atonal komponieren. Taditionelle, tonale Harmonik wird heute nur noch im "Unterhaltungs"- oder Filmmusiksektor geduldet. Wer sich traditioneller Harmonik bedient, dem wird - besonders in Deutschland - das Etikett des "bloßen Unterhaltungsmusiker" aufgeklebt (was eine negative Wertung darstellen soll). So jemand hat nie die Chance, einen bedeutenden Kompositionspreis - etwa der Länder - zu gewinnen oder Fördergeld zu erhalten: Tonale Musik gilt nicht als förderungswürdig! Warum eigentlich nicht?

In Deutschland scheint dies auch mit der Geschichte zusammenzuhängen: Während in der Nazizeit atonale Musik als "entartet" galt, scheint nach 45 die Sicht ins andere Extrem umgeschlagen zu sein: Nun wird tonale Musik in den Untergrund gedrängt. Wurden in den 30ern atonale Komponisten als "böse Kommunisten" angesehen, stehen heute tonale Komponisten tendenziell unter "Faschismusverdacht", was besonders auf Adorno zurückgeht.

Ich frage mich, warum man nicht zu einer wirklich liberalen Position finden kann: Sowohl atonale als auch tonale Musik ist legitim. Kriterium sollte nicht sein, ob Musik tonal oder atonal ist, sondern ob sie gut oder schlecht ist.

Was für eine Frage! Wer schreibt Dir denn vor, ob Du tonal oder atonal komponierst? Niemand. Wenn Du auf Fördergelder scharf bist, dann mußt Du mit den Wölfen heulen. So ist das nun mal. Ansonsten kannst Du doch machen, was Du willst. Wenn Du ernst genommmen werden willst, dann komponiere DEINE Musik - Hauptsache, sie ist authentisch und Du kannst Dich zu 100% hinter Dein Werk stellen. Ich scher mich keinen Deut um Moden oder Trends. Ist mir auch egal, ob meine Musik nach Beethoven , Berg oder Schönhausen (oder nach allen gleichzeitig) klingt, weil ich sie nach meinen eigenen Vorgaben entwickle und ausbaue. Wobei ich mir natürlich auch im Klaren bin, dass gewisse Hörgewohnheiten einfließen - so what. Du betreibst Schwarz-Weiß-Malerei. Ich habe noch nie gehört, dass einem "tonalen" Komponisten faschistoide Tendenzen unterstellt wurden. Das ist doch totaler Quatsch. Und wenn da tatsächlich einer die Nazi-Keule herausgeholt hat, um irgendeine Musikrichtung zu diskreditieren, war das kein Musiker sondern irgendein Idiot, der auch mal was sagen wollte. Deine Aufmerksamkeit hat er ja zumindest erreicht...Außerdem ist die Grenze zwischen "atonaler" und "tonaler" Musik fließend. Jammer also nicht rum, mach (komponier') Dein Ding und achte nicht darauf,was andere sagen, wenn Du nicht zum massen-kompatiblen Gefälligkeits-Komponisten werden willst und eines Tages in einer Möchtegern-Jury Möchtegern-Stars aburteilst.
 
Tonale Musik gilt nicht als förderungswürdig! Warum eigentlich nicht?
Ein paar Gedanken von mir dazu:
Zahlreiche Vereine und Musikverbände versuchen dem Stillstand in der Kunst entgegenzuwirken indem sie neue Musik fördern. Daher werden neuer Musik oftmals Förderprogramme eingeräumt. Etwa durch Festivals für neue Musik bei der junge Komponisten ihre Chance erhalten.
Mit neuer Musik ist das nunmal so, dass man genauer hinhören muss und für eine breitere Akzeptanz auch für mehr Gegenwart dieser Musik sorgen möchte.

Und ich rede hier noch nichtmal von a-tonaler Musik.

Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Förderer einen Künstler fördert, der Ihn besonders anspricht. Da die meisten Förderer musikalisch sehr versierte Menschen sind, haut sie die x-te Mozartneuauflage nicht mehr vom Hocker. Musik ist ein Spiegel der Zeit in der sie entsteht und momentan ist eben "neue Musik" in und die von dir angesprochene Musik out - zumindest in der Szene. Dass ein Großteil der Deutschen lieber den Hans Zimmer Soundtrack hört als Stravinsky ist klar. Aber einen Kompositionsprofessor muss man erstmal beeindrucken/überraschen, und das funktioniert nur wenn man nicht klischeehaft komponiert.

ps: Deine Politisierung kann ich nicht nachvollziehen.
 
Muss man heute komponieren, wenn man nicht weiß, was, wie, wozu und warum?
Wer etwas zu sagen hat, sich dabei musikalischer mittel bedienen will, sein handwerk gelernt hat, muss sich um einen unverwechselbaren personalstil bemühen, wenn man ihm zuhören soll. Er muss interpreten überzeugen, ihnen dankbare aufgaben zuweisen, damit sie ihr können einsetzen, um ein neues, fesselndes werk auch misstrauischen oder widerspenstigen hörern zu vermitteln.
Musik ist nicht abstrakt, sie muss realisiert werden, wobei ambiente und funktion sehr verschieden sein können. Mit altgewohntem kann man im populären sektor aufwarten, im konzertsaal weht ein anderer wind. Es gibt allerdings heute auch da schon eine trivialität der "moderne", "begabte kegelbrüder" (der ausdruck stammt aus "Dr. Faustus") eignen sich verfahrensweisen an, die einmal originell waren, andere ergehen sich in esoterischer schaumschlägerei, oder man erfährt aus dem programmheft, was der meister sich gedacht habe, ohne dass man das der musik anhört.
Ein freund von mir liest korrekturen für einen bekannten verlag, ich fand ihn verzweifelt über eine riesenpartitur brütend, eine immense fleißarbeit mit genauester angabe von vortragsnuancen, während einige instrumente ffff bliesen, säuselten gleichzeitig andere im pppp, offenkundig schreibtischarbeit ohne jeden praktischen bezug. "Wer soll sowas spielen?" "Und wer soll es sich anhören?" Ich möchte weder das eine noch das andere, ik möchte, um mit dem maler Max Liebermann zu sprechen, als musiker und hörer mein' spaß ham un nich bloß dem komponisten sein'n.


Wenn ich einige säle mit niederländischen stilleben durchwandert habe, bietet die "moderne" eine erfrischende abwechslung, statt detailtreue, akademie-braun, lasuren und firnis lebhafte farben und formen, meisterwerke oder nicht, eine optische bereicherung, auf täuschend ähnliche, naturalistische fäkalienhaufen kann ich allerdings verzichten, da brauche ich nicht in museum oder ausstellung zu gehen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Günter Sch.;4533861 schrieb:
Ein freund von mir liest korrekturen für einen bekannten verlag, ich fand ihn verzweifelt über eine riesenpartitur brütend, eine immense fleißarbeit mit genauester angabe von vortragsnuancen, während einige instrumente ffff bliesen, säuselten gleichzeitig andere im pppp, offenkundig schreibtischarbeit ohne jeden praktischen bezug.

Au weia. Einmal abgesehen davon, dass eine derartige Dynamikanweisung wohl offenkundiger Unsinn ist, halte ich ein vierfaches Forte für eine Zumutung - vor allem den Musikern gegenüber (dreifach f reicht aus!). Nur um den Zwang der Originalität willen wird hier leichtfertig die Gesundheit von Musikern aufs Spiel gesetzt. Lärmschutz gilt auch für Musiker!

Es gibt ja den Fall des schwedischen Komponisten Dror Feiler, dessen Komposition "Halat Hisar" (Belagerungszustand) das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks vom Spielplan genommen hat - wegen zu hoher Lautstärke.

Zitat: Das Werk war wegen akuter "gesundheitlicher Beeinträchtigungen" der Musiker abgesetzt worden. "Das Stück beginnt mit Schüssen aus Maschinengewehren, die vom Band zugespielt werden und das ist noch die leiseste Stelle", erläuterte Trygve Nordwall vom Bayrischen-Symphonieorchester. Ein Musiker habe nach der Probe drei Stunden lang permanente Ohrengeräusche gehabt. "Es war meine Entscheidung, ich musste das Orchester schützen." Einige Stellen der Komposition seien unspielbar gewesen.
http://home.arcor.de/c.ludwigsen/gesund/musik_als_laerm.htm
Der Komponist zeigte sich entsetzt! Mitgefühl mit den Ausführenden geht ihm offenbar ab! Die Musiker mussten sich dem Verdacht ausgesetzt sehen, eine latente reaktionäre Aversion gegen Neue Musik zu haben.

Es ist ja ohnehin beklagenswert, dass Musiker, die besonders häufig Neue Musik spielen, nachweislich einen erhöhten Krankenstand aufweisen. Bei den super-avantgardistischen Komponisten geht das nach dem Motto: Hauptsache "originell" - selbst auf Kosten der Gesundheit! :rolleyes:
 
Ganz prosaisch kommt hinzu, dass neue werke hohen probenaufwand bedeuten, wobei es zweifelhaft ist, ob man dafür vom komponisten oder publikum belohnt wird.
Am schlimmsten ist es für dirigenten u.a., wenn der autor ihm bei den proben im nacken sitzt, es hat nicht jeder die mentalität, den wortschatz und die autorität Knappertsbuschs, sich dagegen zu wehren ;)
Dann gibt es die dilettanten, die da glauben, ein unsterbliches meisterwerk geschaffen zu haben, und wer zweifelt, ist missgünstig oder inkompetent.
Das musikleben ist ein bunter bilderbogen: may the clowns come in !
 
Zuletzt bearbeitet:
Es gibt ja den Fall des schwedischen Komponisten Dror Feiler, dessen Komposition "Halat Hisar" (Belagerungszustand) das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks vom Spielplan genommen hat - wegen zu hoher Lautstärke.
Ich weiß nicht ob das Stück wert ist gespielt zu werden, aber der Grund der Absetzung kommt mir doch komisch vor.

Für einen Berufsmusiker der ein Instrument im Wert von mehreren Tausend Euro spielt sollte doch auch noch 150 Tacken für einen ordentlichen Gehörschutz drin sein...
Es ist erstaunlich was 15 dB Dämpfung da ausmacht.



Aber mal zum Thema:
Wer nach Fördergeldern hechelt stellt halt auch eine Form des Auftragskomponisten da. Aber Musik schreiben, das darf doch jeder wie er will. Wenn dann keine Steuergelder fließen - na dann geht es ihm wie abertausenden anderer Musiker die entweder das Geld selber verdienen müssen indem sie Musik schreiben die wirklich jemanden gefällt oder aber er macht es als Hobby. Ich sehe in beidem eigentlich nichts schlimmes.
 
Mal ganz aus dem praktischen Leben.
Ich besuche jetzt seit ca. 4 Jahren die Donaueschinger Musiktage, woman direkt am Nabel der Zeit sitzt.
Die meisten Stücke die dort Uraufgeführt werden, werden gleichzeitig zum letzten Mal aufgeführt,
auch eine typische neue Musik Erscheinung. Aufjedenfall finden sich dort immer häufiger auch "tonale" Elemente
neben sogenannten "atonalen" Klängen. Die vielgerühmte Emanzipation der Dissonanz, heißt ja nicht, wie es noch anfang des 20. Jhdt.
häufig vorkam, das keine "wohlklänge" mehr verwendet werden. Beides nebeneinander gelten zu lassen, und dadurch beides erst zu seiner vollen Wirkung kommen zu lassen, ist ein Trend der in der letzten Zeit zunimmt.

Zu ffff oder fff, lautstärkeangaben meinen oft auch Charackter. Demnach finde ich das es sehr wohl einen Unterschied zwischen 3 oder 4 f gibt.
 
Au weia. Einmal abgesehen davon, dass eine derartige Dynamikanweisung wohl offenkundiger Unsinn ist, halte ich ein vierfaches Forte für eine Zumutung - vor allem den Musikern gegenüber (dreifach f reicht aus!). Nur um den Zwang der Originalität willen wird hier leichtfertig die Gesundheit von Musikern aufs Spiel gesetzt. Lärmschutz gilt auch für Musiker!
Erstens hat das wohl kaum etwas mit Originalität zu tun - dafür ist ein vier-(oder mehr)faches forte/piano schon viel zu häufig gebraucht. Zweitens sind Dynamikangaben in Musiknoten nie absolute Werte. Ein ffff ist nicht zwingend lauter als ein fff, oder gar ein ff. In einem romantischen Werk, das maximal bis ff und pp geht, werden die Musiker oft (je nach Interpretation) immer noch so laut und so leise wie möglich spielen. Wenn dann mehr fs und ps dazukommen, wird sich hauptsächlich die Skalierung ändern. Wenn ein Komponist bis zu drei f braucht, wird das die Lautstärke sein, bei welcher die Musiker so laut wie möglich spielen sollten. Wenn er fünf fs braucht, dann ändert sich das eben, und ein im selben Stück auftauchendes fortissimo wird halt nur noch mässig laut sein.

Die Frage ist hier also weniger, welche maximalen und minimalen Lautstärken möglich sind, sondern wie fein die Musiker in der Lage sind, verschiedene Dynamikgrade abzustufen. Und klar, auch hier gibt es Limiten (wieso ich persönlich nicht mehr als fff und ppp brauche). Die absolut erreichbare Lautstärke hat viel mehr mit der gewählten Instrumentation, der Verteilung über die Register etc. zu tun und ist eine andere Frage.

Klar, ich finde es auch problematisch, wenn die Gesundheit der Musiker gefährdet wird. Aber das hat beileibe nichts mit Neuer Musik zu tun. Ich wäre sehr interessiert deinen Nachweis für einen erhöhten Krankenstand bei Musikern zu sehen, welche besonders häufig Neue Musik spielen. (Ausserdem auch die Frage über welche Krankheiten wir hier reden.) Denn ich kenne dieses Problem vor allem von den traditionellen Symphonieorchestern, und nicht von den Neue-Musik-Ensemblen, welche ja häufig auch viel kleiner besetzt sind.

Ich bin zwar nicht hauptberuflich Instrumentalist, aber ich habe schon in genügend vielen Orchestern mitgespielt um schmerzhafte Lautstärken am eigenen Leib zu erleben. Beim spielen von Neuer Musik (welche ja, wie gesagt, mehr von Ensembles als Orchestern gespielt wird), hatte ich noch nie solche Probleme (was natürlich nicht heisst, dass sie nicht genauso existieren).
 
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@ Szrp:
Deine Argumentation finde ich fragwürdig, du stellst hier eine These als Argument dar.
Ich werde morgen mal die Philharmoniker befragen, ob du da recht hast, schließe es aber ehrlich gesagt bereits aus

Armin

PS: Ein Komponist sollte vielseitig sein, wie zB Ligeti
 
@meister hubert: Auf welchen Teil von dem, was Szrp schrieb, beziehst Du Dich? So oder so, kann ich alles von ihm gesagt nur bestätigen bzw. unterstreichen. Jedes weitere Wort wäre nur Wiederholung.
 
Es gibt einfach Dinge, die sich meines Erachtens nicht für immer erübrigen, die aber zu einem gewissen Zeitabschnitt uninteressant sind (zumindest für mich). Aktuelle tonale Kompositionen interessieren mich schlichtweg nicht; habe nicht das Gefühl, dass da gerade etwas passiert, was für mich aufregend, neu, erhellend wäre - und hier spricht keinesfalls ein verkopfter E-Musik-Nazi, sondern ein Musikliebhaber mit sehr breit gefächertem Geschmack.
Und natürlich haben alle recht, die sich hier frür Vielseitigkeit aussprechen. Aber, um es nochmal zu betonen: in der neuen Klassik langweilen mich tonale Kompositionen, genauso, wie ich erzählende Filme in der aktuellen Kinokunst für vollkommen überflüssig halte.

Die Stärken der harmonischen, tonalen Komposition findet man doch zur Zeit oft und an überraschenden Orten ([Indie-]Charts), wozu dann auf Teufel kommraus dann so etwas von einer Musikrichtung fordern, deren Stärken doch überall liegen, und nicht in der Harmonie?
Das wäre meine Sicht auf arrivierte Musiker, denen jetzt einfallen würde, tonal zu komponieren - wenn da jemand aber ganz viel Bock drauf hat und mit viel Forschungsinteresse dran geht, dann bitte...

(übrigens würde ich gerne einen aktuellen Soundtrack genannt bekommen, der vollkommen tonal komponiert worden ist, und er zugleich hörenwert wäre)
 
Das schöne beim tonalen komponieren: man trifft immer alte bekannte! Besonders empfehlenswert die auftaktquarte, sie führt überall hin, ob Marseillaise oder Internationale, ob Beethoven oder Brahms.
 
Aber sicher 'darf' man heute noch tonal komponieren. In der gesamten Pop-Branche geschieht nichts anderes, und niemand hinterfragt es. Die Frage müßte eher lauten: 'Kann' man noch tonal komponieren, nämlich etwas in die Welt setzen, das nicht schon lange abgegrast, noch nicht oft wiederholt und von überzeugender Frische ist?

Blickt man zurück, war neues Komponieren immer auch ein 'Vermeiden von': Die mittelalterlichen Quintparallelen wichen dem Quintparallelen-Verbot, und was einst als State of the Art galt, wurde nicht nur vermieden, sondern mit Bann belegt. Es entstand eine sehr geordnete, sehr kunstvolle, durch viele einschränkende Regeln sehr glatte Polyphonie.

Das wurde durchbrochen durch das 'Barocke', was bekanntlich 'schiefrund' heißt und ursprünglich ein Schimpfwort war; der vorherigen Glätte der Dissonanzbehandlungen folgte damit die Suche nach der Dissonanz, und auf dem Höhepunkt der Dissonanz-Suche finden wir Bach.

Die nachfolgende Epoche ist wieder ein 'Vermeiden von', nämlich von schwülstiger Dissonanz-Suche und von harmonisch wie polyphon allzu Kompliziertem. Stamitz & Co schreiben Sätze, für deren Unbedarftheit Bach sich geschämt hätte. Aber sie erschließen der Musik damit neue Möglichkeiten und eine neue Frische.

Danach wird's wieder komplizierter und wird allmählich wiederum zu einem 'Vermeiden von', z.B. bei Schumann von allzu klarer Metrik, die synkopisch metrischer Verschleierung weicht, und harmonisch einem Vermeiden klarer Kadenzierungen. Und was die klassischen Kleinmeister noch in naiver Frische abspulten, wird ersetzt durch möglichst überraschende Wendungen und findet sein bekanntestes Beispiel schließlich im Tristan-Akkord und dessen ungewöhnlicher Auflösung. Dabei gibt es den Tristan-Akkord schon im Barock, denn vom Tonmaterial her und enharmonisch betrachtet, ist er einfach ein Moll-Akkord mit Sixte ajoutée im Baß. Aber er wird überraschender eingeführt und überraschender, bzw. gar nicht aufgelöst.

Liszt schreibt schließlich die ersten wenigen atonalen Klavierstücke. Und als die Spätromantiker (Berg, Webern, Schönberg haben alle spätromantisch begonnen, und es gibt von ihnen sehr wohlklingende romantische Jugendkompositionen) sich zur Atonalität bekehren, bekehren sie sich wiederum zu einem 'Vermeiden von', nämlich von Klängen, deren Klischeehaftigkeit man müde geworden ist. Nach den mittelalterlichen Quintparallelen, nach dem darauf folgendem Quintparallenen-Verbot, nach der klischeehaften S-D-T-Kadenz, nach dem Versuch, dieser Klischeehaftigkeit durch raffiniertere Reizmittel zu entrinnen, folgt nun das Dreiklangsverbot. Und um ja jeden hörbaren Regeln zu entweichen, verpackt Schönberg das Prinzip 'Vermeiden von' in ein eigenes Regelwerk, das sich Zwölftonmusik nennt: Regeln, die das hörende Erkennen von Regeln vermeiden wollen.

Die Komponisten haben also so ziemlich alles durchprobiert. Und eigentlich ist es egal, ob man fragt: Darf man noch tonal komponieren? oder fragt: Darf man noch atonal komponieren? Die Frage ist eigentlich eher: Kann man, ob tonal oder sonstwie, überhaupt noch etwas komponieren?
 
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Es gibt da noch das kriterium des "ambiente", erklingt musik live in der kirche, im konzertsaal, in der kneipe, disco oder virtuell in diversen medien. Da wird dem hörer das gegeben, was er erwartet, und das ist zum wenigsten originalität, sonder gewohntes mit kleinen varianten.
Es ist Grand-Prix-zeit, und mir fällt es schwer, die darbietungen musikalisch zu unterscheiden, das gleiche strickmuster mit anderen personen, kostümen und accessoires. Aber auch bürgerliche opern- oder konzertbesucher erwarteten nichts neues, in Dessau verließ ein teil den saal, wenn "verdächtiges" erklang, bei Brahms kehrten sie zurück.
Moderne malerei hat sich eine gewisse wertschätzung erworben, was nicht zuletzt auf die marktpreise zurückzuführen ist, wofür liebhaber soviel geld aufwenden, das muss doch wertvoll sein, und so eilt man zu ausstellungen und lässt sich dort "führen". Was hört man zuerst bei kunstraub? "Im wert von - - - - - !"
Wo nachahmung höchst erwünscht ist, ist sie es anderswo nicht. Ravels "Bolero" sollte man tunlichst nicht nachahmen, so etwas kann man nur ein mal machen. Orff oder Ligeti sind so originell, was auf den angewandten mitteln beruht, dass epigonentum leicht erkannt und verpönt wird.
Wer gehört werden will, muss sich seinen hörern anpassen, es herrscht großer bedarf einerseits, so gut wie keiner andererseits, oder es müssten eine zündende idee oder gesellschaftliche ereignisse dahinterstecken. Aber dass man stracks aus der oper zur revolution eilt, ist schwer denkbar, dann schon eher aus der kirche ins wahllokal mit dem bekannten ergebnis, nur beruht das nicht auf der musik, sondern dem mahnenden wort.
 
Günter Sch.;4743412 schrieb:
Wer gehört werden will, muss sich seinen hörern anpassen

Genau, nieder mit der Kunst, alle Künstler sollen fortan ihr wahres Ich verstellen und dem Publikum schönen Schein vorlügen.
 
Genau, nieder mit der Kunst, alle Künstler sollen fortan ihr wahres Ich verstellen und dem Publikum schönen Schein vorlügen.

Genau, der Künstler soll quasi wie ein Fast-Food-Dienstleister á la McBurger dem nicht sehr belastbaren Publikum nur das in den Rachen werfen, was es 100%g sehen und hören will = bloß keine Überraschungen. Oma Meier und Disco-Stefan könnten nämlich bei solchen Sachen wie Atonalität ("ääh, ich hör` da keine Melodie...ääh") einen Herzinfarkt oder Potenzprobleme bekommen. Aber zum Glück leben wir ja in einer - scheinbar - sehr freien Welt und haben die Wahl, B (wie Bohlen) ist ja nicht gleich B (wie Berio).
 
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Genau, nieder mit der Kunst, alle Künstler sollen fortan ihr wahres Ich verstellen und dem Publikum schönen Schein vorlügen.

Genau, der Künstler soll quasi wie ein Fast-Food-Dienstleister á la McBurger dem nicht sehr belastbaren Publikum nur das in den Rachen werfen, was es 100%g sehen und hören will = bloß keine Überraschungen. Oma Meier und Disco-Stefan könnten nämlich bei solchen Sachen wie Atonalität ("ääh, ich hör` da keine Melodie...ääh") einen Herzinfarkt oder Potenzprobleme bekommen.
Nun, die dumme Masse hört zu nicht kleinen Teilen Musik die weitaus abgedrehter ist als die sogenannte "Neue Musik".

Wenn allerdings ein Künstler von niemanden gehört wird kann man kaum den Publikum einen Vorwurf machen. Muss es denn jeden Schund fressen?
Trotz allem verbietet ja niemanden den entsprechenden Künstler Musik zu machen.


Das ist wie mit der freien Meinungsäußerung. Jeder hat ein Recht zu sagen was er will, aber niemand die Pflicht ihm zu zu hören.


Versteht mich nicht falsch, ich höre (mittlerweile) selber gerne auch mal atonale Sachen. Wenn aber ein Künstler kein Publikum findet weil dieses die Musik langweilig oder ätzend findet liegt das meist am Künstler. Es gibt überall für jede Nische potentiell interessierte Hörer, solange die Musik gut ist.


Wenn jemand lieber Meshuggah hört als Schönberg - was solls? Das macht sie nicht zu schlechteren Menschen, nicht mal zu welchen mit schlechteren Musikgeschmack.
 
Vergesst bitte nicht all die profanen musiker, die die hehre kunst zeitweilig verraten, ja, nicht einmal das wort "kunst" oder "künstler" nehmen sie gern in den mund, diese banausen! Am theater gilt die redensart, "das handwerk muss stimmen, kunst ist glückssache!" Wer da den "künstler" raushängt, braucht für spott nicht zu sorgen. Die definition Schaljapins setze ich als bekannt voraus.
Es war üblich, dass die mitglieder eines rundfunksinfonieorchesters auch in kleiner besetzung unterhaltungs- und tanzmusik spielten. Klavierspieler (ich habe von meinem renommierten lehrer die scheu übernommen, das wort "pianist" auszusprechen) wollten für stunden dem nachkriegs-stacheldraht entkommen und spielten in allen möglichen, auch fragwürdigen "clubs". Mit dem solotrompeter der örtlichen staatskapelle spielte ich in lauer sommernacht "Die post im walde", ein überaus kitschiges stück, und den noch studierenden holten andere mitglieder großer orchester öfter, um gepflegte tanzmusik zu machen. Das brachte nicht nur ein paar mark, das machte sogar spaß!
In einer Big Band mit der rhythmusgruppe pfefferminzakkorde tippen und allenfalls ein solo bei "Hamps Boogie-woogie", "Stardust" oder "In the mood" hinlegen, wer erinnert sich nicht gern? Und mit wiener musikanten walzer spielen, machte einen auch nicht dümmer.
Wieviel tänzerisches steckt in der "großen" musik von Bach bis - - - -, und wie oft werden tempi und rhythmik verfehlt, weil den akademisch ausgebildeten interpreten eben jene erfahrungen fehlen.
Keiner musik schadet, wenn sie "musikantisch" dargeboten wird, und klanglich sprödes muss umso sorgfältiger, um nicht zu sagen " schöner" gespielt werden, eines meiner lieblingstücke ist aus Schönbergs op 11, das man eben nur hinhauchen darf.
Warum fällt mir das spanische sprichwort ein "unter allen narren ist der sich gelehrt dünkende der lästigste" ? Wer sein halbes leben vor dem klavier verbracht hat, um "seinen" ton, den möglichst blauen, zu suchen, trägt gewiss auch eine kappe, aber er ist doch fröhlich dabei.
Und jetzt gehe ich, Bartoks "Paprikajancsi" spielen!
 
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Warum "Neue Musik" ein Schattendasein führt und welche Dinge dabei für den Hörer eine Rolle spielen, das wird in diesem Artikel, den ich erst kürzlich gelesen habe, mMn gut erklärt:

http://www.zeit.de/2009/43/N-Musik-und-Hirn
 
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