Sequenzen und Kadenzen als erfolgreiche strukturgebende Prinzipien in der Musik

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Das Thema soll heißen:
Plauderei über Sequenzen und Kadenzen als erfolgreiche strukturgebende Prinzipien in der Musik (-geschichte)

Es ist so für den Titel zu lang. Es soll aber der Charakter einer Plauderei haben, selbstverständlich ohne Tiefsinnigkeit auszuschließen.

Der interessante Aspekt ergab sich allmählich aus diesem Thread und wurde ausgelagert.

Fortsetzung:

... Autumn Leaves (Dur und paralleles Moll) ...

Es gibt viele Reharmonisierungen dieses Songs und ich weiß nicht auf welche Fassung Du Dich beziehst.
Die Grundstruktur entspricht jedoch der einer Quintfall-Sequenz (Barock-Sequenz, Sechter-Sequenz), einer klaren Moll-Tonart, also z.B. Am Dm G C F Bdim E Am

Rein funktional sollte man eine Sequenz übrigens nicht deuten, die Logik liegt in den sich wiederholenden Schritten der Sequenz selbst. Sprich, die Tatsache, daß alle Dreiklangsstufen in der Quintfall-Sequenz verwendet werden, sollte nicht dahingehend interpretiert werden, daß man von Moll in die parallele Dur-Tonart wechselt.

In folgendem Link (Post) sind die frühen Versionen von Autumn Leaves zitiert, aus denen der Jazz-Standard entstanden ist und man hat sich im Thread um Reharmonisierungen bemüht. Dies ist übrigens - i.d.R. unter Beibehaltung der Tonart- ein interessantes Verfahren, einen Song ganz anders klingen zu lassen.

Viele Grüße
Klaus
 
Eigenschaft
 
...Es gibt viele Reharmonisierungen dieses Songs und ich weiß nicht auf welche Fassung Du Dich beziehst.

Die Barock-Kadenz mag unbestritten harmonische Grundlage des Songs sein, aber das ist nicht meine Baustelle.
Eine in meinem Zusammenhang passendere Analyse der Akkordfolgen hatte ich im Beitrag verlinkt:
http://www.jazclass.aust.com/articles/aut.htm
Auch das im Beitrag ebenfalls verlinkte Hör-Beispiel von Miles Davis mag weiterhelfen und dann natürlich diverse Real Book-Ausgaben.
Das Chorus-Schema enthält darin einen Dur/Moll Wechsel, wobei die (gängige) Formulierung IIm7b5 - V7b9 in der Harmonik des Jazz eine Moll-Kadenz kennzeichnet, die in diesem Fall aufgelöst wird. Das ergibt
VIm7 V7 Imaj7 VImaj7
IIm7b5 V7b9 Im7 Im7...

Im folgenden, weiteren Beispiel beginnt das Trompetensolo auf der 2 des zweiten Takts im Chorus:
http://www.youtube.com/watch?v=JhustC1pmO0&feature=player_detailpage#t=200s

Fm7 | Bb7 | Ebmaj7 | Abmaj7 |
Dm7b5 | G7b9 | Cm7 | Cm7 |

Fm7 | Bb7 | Ebmaj7 | Abmaj7 |
Dm7b5 | G7b9 | Cm7 | Cm7 |

Dm7b5 | G7b9 | Cm7 | Cm7 |
Fm7 | Bb7 | Ebmaj7 | Abmaj7 |

Dm7b5 | G7b9 | Cm7 F7b9 | Bbm7 Eb7 |
Abmaj7 | Dm7b5 G7 | Cm7 | Cm7 |


Gruß Claus
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Unter dem reichlichen "Futter" Deiner Beiträge bin ich den Links nicht gefolgt, weil meine Audiokanäle besetzt waren. (So ist mir Miles Davis durch die Lappen gegangen. War aber auch nicht meine Zielrichtung.)

Ich betrachte einmal exemplarisch einen "Happen" Deines letzten Posts näher:

Fm7 | Bb7 | Ebmaj7 | Abmaj7 |
Dm7b5 | G7b9 | Cm7 | Cm7 |

Die Akkordfolge entspricht, um einen Takt verschoben und transponiert, der von mir oben angegebenen Quintfallsequenz:

Am Dm G C F Bdim E Am

(Ohne die Septimen, die aber ebenfalls seit dem Barock verwendet werden, im Sinne von Am7 Dm7 G7 Cmaj7 Fmaj7 Bdim7 E7 Am7)
Also ausschließlich leitereigene Töne von Moll, bis auf die verdurte Dominante.

Einzige (funktional unwesentliche) Abweichung wäre die b9 über dem Grundton (Dominante), also praktisch der vermindete Septakkoŕd geschichtet über b9 (inklusive Grundton in der Akkordfolge ausnahmsweise ein Fünfklang, wovon im Jazz natürlich nicht alle Töne gespielt werden müssen) statt dem Durseptakkord über dem Grundton (Vierklang).

An diesem Beispiel zeigt sich, daß die beiden "Baustellen" Barock und Jazz sehr verwandt sein können. :)
(Mein obiger Gedanke war, daß, man von einem Wechsel in die parallele Durtonart bei dieser Sequenz nicht reden sollte.)

Der TE möge die vielleicht zu speziell erscheinende Abschweifung verzeihen (inzwischen ausgelagert). Doch sie zeigt, daß in Songs, die auf der Quintfallsequenz beruhen, die Tonart nicht verlassen wird, ob obwohl alle sieben Stufenakkorde eingesetzt werden.
Sie ist seit Jahrhunderten beliebt und immer wieder für Hits gut: "Autumn Leaves" , "Fly me to the moon" , "Still Got The Blues" (Gary Moore), "I Will Survive" (Gloria Gaynor), "Europa" Santana usw..

Viele Grüße
Klaus
 
Zuletzt bearbeitet:
...An diesem Beispiel zeigt sich, daß die beiden "Baustellen" Barock und Jazz sehr verwandt sein können. :)
Was sonst, wir reden im konkreten Fall schließlich über tonale Musik, die nach den Regeln der Funktionsharmonik beschreibbar ist. :)

Dennoch gibt es da eine etwas andere und sinnvolle Sichtweise, wenn man Jazz spielt.
Auf der Grundlage deiner Analyse würde man es m.E. schwer haben, bei einer Jazz-Improvisation über Autumns Leaves zu überzeugen.

Gruß Claus
 
Um die Verwirrung komplett zu machen ...

Ich glaube, es geht Claus darum, was der Musiker, der Solist (Jaz-Solist) während des Spiels DENKT, wie er HÖRT und wie er EMPFINDET.
Die Betrachtungsweise von Klaus (auch noch 2 gleiche Namen ...) ist eher "harmonielehre-theoretischer" Natur ...

Beide Betrachtungsweisen haben Ihre Berechtigung, abhängig davon, was man mit der Betrachtung letztlich anstellen will ...

LG, Thomas
 
Hmm ..., ich wollte den Aspekt eigentlich nicht auswalzen, sollte aber wohl näher erklären, worauf es mir ankam:

Die Quintfallsequenz ist eben nicht primär funktionstheoretisch zu deuten.

Das Wesen der Sequenz besteht darin, daß das einmal aufgestellte Modell tonhöhenversetzt wiederholt wird, bis sich der Kreis schließt, nämlich nach dem achten Akkord. Das ist in dieser Folgerichtigkeit bei keiner anderen Akkordfolge vergleichbarer Länge gegeben.

Anders ausgedrückt: Unser Ohr hat nach den ersten vier Akkorden das Prinzip der Sequenz erkannt, da sich zwei Quintfälle tonversetzt wiederholt haben.
Das könnte jetzt so weitergehen in immer entferntere Akkorde. Der verminderte Akkord ermöglicht es, die Sequenz nach sieben Akkorde auf den Ausgangsakkord zurückzuführen.
Das ist eine recht hohe Zahl von verschiedenen Akkorden, die wir in diesem Fall aber recht gut erfassen können. Warum?
Nicht nur wegen des plausiblen Prinzips der Sequenz, sondern auch wegen der Tatsache, daß nur leitereigene Töne der Moll-Ausgangstonart verwendet werden (inklusive der verdurten Dominante). Deshalb empfinden wir diese Folge als außerordentlich schlüssig.

Wahrnehmungspsychologisch kann man es so ausdrücken:
Beim Hören von Musik findet neben dem momentanen Hören des gerade Gespielten ständig auch ein Erinnern und ein Erwarten statt. Es entsteht im Bewußtsein ein Raum aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Stärke der Empfindung hängt sehr damit zusammen, wie groß dieser Raum ist - wie sehr also das Gehörte einen Bezug zum eben Gehörten und zu den Hörerwartungen hat. Wenn wir zwischen diesen Komponenten im Begriff sind, eine Struktur zu erkennen, dehnt sich der Raum des Bewußtseins momentan aus, was oft als Glücksgefühl empfunden wird.

Die Quintfallsequenz liegt bezüglich dieser wahrnehmungspsychlogischen Faktoren sehr günstig. Wir sind i.a. weder unter- noch überfordert. Wäre das der Fall, so würde unser Bewußtseinsraum sich sofort verkleinern, bis hin zum "Abschalten".

Abschließend zur Funktionsharmonik:

Alles funktionelle Streben führt zum zielgerichteten Abschluß in der Schlußkadenz.
Die Sequenz kann als gestalterischer Gegenspieler gesehen werden. Hier wird ein Modell vorgestellt, das versetzt, sprich bewegt wird. Die einmal in Gang gekommene Bewegung hat die Tendenz niemals aufzuhören. Also diesbezüglich das glatte Gegenteil der Funktionsharmonik.
Man könnte z.B. die Quintfallsequenz im Prinzip immer weiter fortführen:
z.B. Am Dm G C F Bb Eb Ab ...

Das wäre aber langweilig, da wir schnell das Prinzip durchschaut hätten und unser Bewußtseinraum sofort schrumpfen würde.

Für die Beliebtheit der Quintfallsequenz über die Jahrhunderte hinweg, spielt m.E. eine ganz wesentliche Rolle, daß durch die Art der Vereinigung des sequenziellen und des funktionsharmonischen Prinzips der Bewußtseinsraum angenehm erweitert wird.

Viele Grüße
Klaus
 
Zuletzt bearbeitet:
In der Tat ... es gibt viele Beispiele von Songs, die sich in sequenziell gedachten Passagen "zu tode kreiseln" ... (Windmills Of Your Mind) ...
 
Turko, Du hast meinen Abend gerettet!

Danke, daß Du mir diesen längst vergessenen Song wieder in das Gedächtnis zurückgerufen hast. Eine Grundlage für ein Menge prima Arrangements!

Der Song enthält auch z.T. die Quintfallsequenz, doch strukturbildend ist hier der sich ständig wiederholende Rhythmus und das sequenzielle Prinzip der Melodie.

Jedenfalls bietet der Song eine gute Grundlage für Interpreten, Arrangeure und Solisten:

Dusty Springfield (wohl bekannteste Fassung)
LETTERMEN (a capella)
Art Farmer
Dorothy Ashby - Jazz-Harfenistin
Oscar Peterson Trio
Dizzy Gillespie

Am Schluß der Komponist selbst
oder etwa Mozart?

Viele Grüße
Klaus
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Klaus,
ich möchte mich aus theoretischer Sicht den Einwand von Claus (zonquer) erneuern.
Du sagst, eine Sequenz soll man rein funktional nicht deuten. Da ist was dran und es gibt dazu eine lange Debatte. Einige Autoren argumentieren, dass die Quintfall-Sequenz die Tonalität neutralisiere. Carl Dahlhaus hat in den "Untersuchungen zur Entstehung der harmonischen Tonalität" seine Reform des Funktionsbegriffs mit diesem Problem verknüpft. Im Falle von "Autumn Leaves" sehe ich hier aber einen musiktheoretischen Konflikt, den man m.E. so auflösen muß, daß man neben der Quintfallsequenz dennoch den Wechsel zwischen den tonalen Zentren G und Bb anerkennen muß. In einem Artikel von 2011 haben zwei Autoren das "Autumn Leaves"-Beispiel als Instanz einer "Double-Star"-Configuration zwischen zwei funktionalen Modi beschrieben (Fig. 13 auf Seite 15):
http://user.cs.tu-berlin.de/~noll/FundamentalPassacaglia.pdf
beste Grüsse
Thomas
 
Hallo Thomas,

willkommen in Musiker-Board!

Im Falle von "Autumn Leaves" sehe ich hier aber einen musiktheoretischen Konflikt, den man m.E. so auflösen muß, daß man neben der Quintfallsequenz dennoch den Wechsel zwischen den tonalen Zentren G und Bb anerkennen muß.

Dieser Konflikt tritt doch nur auf, wenn man unterstellt, daß "Autumn Leaves" mit der sog. Jazzkadenz II-V-I beginnt (was in Jazz-Versionen durchaus so gemeint sein kann) und damit zunächst Dur (die I) der Bezugspunkt ist. (Dies unterstellen auch die Autoren in dem von Dir zitierten Artikel, der aus anderen Gründen interessant ist.)

Unter dieser Voraussetzung, die bei Jazzhöreren nahe liegt, wird man in seinen Hörerwartungen aber später enttäuscht, wenn plötzlich ein Akkord als "Spielverderber" auftritt:
On closer inspection we notice one chord which does not toe the line. Which is the spoilsport ? The B chord.
Quelle: von zonquer angegebener Link: Michael Furstner in: http://www.jazclass.aust.com/articles/aut.htm#03

Es bleibt dann nichts anderes übrig, als einen neuen funktionalen Modus anzunehmen, nämlich das dunkle, parallele Moll.

"Autumn Leaves" ist jedoch nicht als Jazz-Song entstanden, sondern der in Frankreich lebende Ungar Joseph Kosma komponierte mit "Les feuilles mortes" ein französiches Chanson. Kosma studierte an der Budapester Musikakademie. Seine Lehrer waren klassische Musiker (u.a. Leo Weiner und Béla Bartók).

Ich denke, man kann selbstverständlich davon ausgehen, daß Kosma eine der Grundformeln der tonalen Harmonik des späten 17. und des frühen 18. Jahrhunderts bekannt war: die Quintfall-Sequenz I IV VII III VI II V I

Dem Auftakt von "Les feuilles mortes"/"Autumn Leaves" darf man daher aus guten Gründen eine Harmonisierung mit der I (Moll) unterstellen, was ja auch in der zweiten Strophe bei voller Instrumentierung deutlich wird (siehe eine ältere Fassung, insbes. das Akkordeon). Der Auftakt kann melodisch auch zwanglos als Beginn Molltonleiter aufgefasst werden.

Wenn man also von der wohl gebräuchlichsten Akkordsequenz in der Musikgeschichte ausgeht, lassen sich die Akkorde völlig plausibel, ohne Enttäuschung von Hörerwartungen und der Annahme zweier Modi erklären.

Wieder einmal zeigt sich, wie die eigenen Hörgewohnheiten die Rezeption von Musik beeinflusst. Man geht nun einmal von den gelernten Ordnungsprinzipien aus und versucht zunächst mit diesen, die neuen Eindrücke zu deuten.

Carl Dahlhaus zeigte u.a. an der Quintfallsequenz und ihrer Vorformen auf, wie sie sich aus einer auf Intervallbeziehungen und Kontrapunkt gestützten Musik allmählich eine akkordisch und tonal gemeinte entwickelte.
Da uns heute sehr mit der tonalen Musik vertraut sind, ist der Aspekt für uns weniger relevant.


Immerhin zeigt die diatonische Quintfallsequenz, daß hier das Ordnungsprinzip "Akkorde im Bezug zur Tonika" durch ein anderes geschwächt und überlagert wird, nämlich das des diatonischen Quintfalls.

Daher sollte man nicht versuchen, die diatonische Quintfallsequenz rein funktional zu deuten. Das Ordnungsprinzip "Sequenz" spielt in der Auffassung der Akkordfolge eine entscheidende Rolle. Wir erkennen bei entsprechenden Stücken, daß sie "passt" obwohl uns u.U. gar nicht bewußt ist warum.

Viele Grüße

Klaus
 
Hallo Klaus,
ich freue mich sehr über diese Diskussion! Dein Argument ist - wenn ich so sagen darf - , "etymologischer" Natur. Du verortest Joseph Kosma in der Tradition der harmonischen Tonalität und stelltst dem die II V I - Progression als "Jazz-Kadenz" gegenüber. Allerdings ist die II - V - I nicht vom Jazz allein "gepachtet". Das Problem der funktionalen Deutung von Sequenzen stellt sich auch innerhalb der harmonischen Tonalität im 18. und 19. Jahrhundert.
Aber in der Tat könnte man etwa Händel's Passacaille aus der 7. Cembalo-Suite als Vertreter desselben harmonischen Prototypen ansehen wie "Autumn Leaves" (wenn es auch nicht ganz den Topos einer traurigen, melancholischen Melodie trifft). Der wichtigeste harmonische Unterschied ist vielleicht die Präsenz der Tonika G-Moll am Beginn (bei Händel). Die Präsenz dieses Akkordes unterdrückt natürlich noch stärker eine Tonikalisierung von Bb. Immerhin kann es Händel nicht bei der blossen Wiederholung der Quintfall-Sequenz belassen. Er kadenziert schon mal in den Takten 27/28 und bricht nach I IV VII III VI aus der Quintfall-Sequenz aus und bringt anstelle der breiten II V I die beschleunigte Progression IV V I II V I. Die II V I zeigt sich hier in zweierlei Gestalt, nämlich als Teil der ganzen Sequenz und als eigenständiger 2. harmonischer Modus (in der Terminologie von de Jong & Noll). Aber es steht außer Frage, daß bei Händel alle sieben Stufen der Diatonik als strukturelle Einheit konstitutiv sind. Auch für Autumn Leaves ist das wohl richtig...
Für mich besteht dennoch ein theoretischer Konflikt darin, dass es andere - eigentlich sehr ähnliche - Stücke gibt, in denen die Sequenz viel deutlicher zerfällt. Ein schönes Beispiel ist "Beautiful Love" von by Wayne King, Victor Young und Egbert Van Alstyne aus dem Jahre 1931.
In den Realbook-Changes (Link siehe unten) wird die Quintfall-Sequenz zwar evoziert, ist aber zunöchst nicht vollständig. Ausserdem beginnt sie mit II V I:
II V I - IV VII III (II V) I ....
Kurz darauf kommt die "fehlende" VI, aber sie folgt auf VI. (Eine "Tetraktys-Chromatische" Kleinterz-Alteration im Sinne der funktionalen Modi).
Hinsichtlich des Anfangs kann man von Model (II V I) und Sequenz (IV VII III) sprechen, aber beide erlauben eine funktionale Interpretation.
Ist "Beautiful Love" wirklich grundlegend anders als "Autumn Leaves" in Bezug auf die Frage einer funktionalen Interpretation?
beste Grüsse
Thomas

http://www.google.de/imgres?imgurl=...LMUZryGIiFtAaQ7YDADw&ved=0CDYQ9QEwAA&dur=1696
 
..."Autumn Leaves" ist jedoch nicht als Jazz-Song entstanden
Der Großteil der Standards wurde von "Nicht-Jazzern" geschrieben, was auf mich beim Hören von ursprünglichen Aufnahmen bisweilen verstörend wirken kann.
Jazzer interessierten sich für die populären Stücke des Great American Songbook usw., weil es die Popularmusik ihrer Kindheit und Jugend war und nun als Folie für die Umgestaltung und Improvisation dienen kann.
Anders wäre wohl kaum erklärbar, warum ein Stück wie "Surrey With The Fringe On Top" von Miles Davis aufgenommen wurde.
http://www.youtube.com/watch?v=Ss1CXo8QMi8
http://www.youtube.com/watch?v=2OnTcJwq-eU

So erfährt auch "Autumn Leaves" in der Bearbeitung durch Jazzer auch verschiedene Umdeutungen. Die Fassung mit Judy Niemack und Uli Beckerhoff ist dafür m.E. ein gutes Beispiel.
Die bestimmte "Rückführung" dieser Harmonien auf den unbestrittenen Ursprung der Dreiklang-Sequenz mit Verkürzung auf die Wirkung der Sequenz kommt mir da sehr durch deine Auffassung bedingt vor.

Wenn man die genannte Dreiklang-Sequenz im Vergleich zum Youtube Clip hört, wird man jedoch nicht nur die "Abstammung" wahrnehmen können, sondern auch die Entwicklung, die das Stück durch die Bearbeitung genommen hat.
Hier noch zwei Versionen, die ich bedeutend finde. Es sind die berühmt gewordene Aufnahme von Miles Davis und eine Fassung aus dem 1974er Comeback-Album von Chet Baker. Beide wurden mit höchst illustrem Musikerensemble eingespielt.
Miles http://www.youtube.com/watch?v=Z14c1EjKoEU
Cannonball Adderley, Miles Davis, Hank Jones, Sam Jones, Art Blakey
Chet http://www.youtube.com/watch?v=O923RxX4Hpc
Chet Baker, Paul Desmond, Ron Carter, Bob James, Steve Gadd

Gruß Claus
 
Hallo Klaus,
ich freue mich sehr über diese Diskussion!
Und ich danke für Deine interessanten Beiträge!

Allerdings ist die II - V - I nicht vom Jazz allein "gepachtet".
Genau aus diesem Grund schrieb ich "sog." Jazzkadenz. Manchmal gerät in Vergessenheit, daß die häufigste Akkordverbindung in der Jazzmusik schon lange vor dem Jazz existierte.

Aber in der Tat könnte man etwa Händel's Passacaille aus der 7. Cembalo-Suite als Vertreter desselben harmonischen Prototypen ansehen wie "Autumn Leaves"...
Nicht nur das, sondern "gefühlte" 50% der Stücke aus dem Barock enthalten die Quintfallsequenz. ;)
Und das Grundmodell ist I IV VII III VI II V I, also beginnend mit der I und nicht der II, wie in der sog. Jazzkadenz. Natürlich wird es im Barock sehr variantenreich eingesetzt und besonders bei Bach häufig zur Modulation. Letztere ist leicht möglich, wenn die "reale" Quintfallsequenz verwendet wird (reiner Quintsprung statt dem Tritonussprung im Bass).
Bleibt der Tritonus, so fungiert er als "Wächter" der Tonart und der Kreis schließt sich nach sieben Akkorden in derselben.

Das Problem der funktionalen Deutung von Sequenzen stellt sich auch innerhalb der harmonischen Tonalität im 18. und 19. Jahrhundert.
Selbstverständlich! Doch, wie schon angedeutet, macht eine funtkionale Deutung der Quintfallsequenz nur begrenzt Sinn:

Moll: t s (D) tP tG s6 D t
Dur: T S D37 Dp/Tg Tp Sp D T

Warum? Weil die dominierende Kraft in dieser Akkordfolge die Sequenz (in fallenden Quinten) ist. Die sequenzielle Melodik in diesen Stücken drängt zudem die Funktionalität in den Hintergrund. Gerade die Schwächung der Funktionalität ist es ja, welche einen Ausstieg aus der Sequenz auf unterschiedliche Weise ermöglicht, mit nachfolgendem Abkadenzieren.

Für mich besteht dennoch ein theoretischer Konflikt darin, dass es andere - eigentlich sehr ähnliche - Stücke gibt, in denen die Sequenz viel deutlicher zerfällt. Ein schönes Beispiel ist "Beautiful Love"...
"Beautiful Love" ist ähnlich, doch wie Du sagst, die Sequenz ist zerfallen. Der Anfang lässt sich zwanglos als eine Folge von zwei II-V-I-Verbindungen auffassen, zumal die I auch gleich dadurch betont wird, daß sie, im Gegensatz zur II und V, zwei Takte lang gilt, also Ruhe einkehrt.

Bei "Les feuilles mortes" hingegen existiert die Quintfallsequenz in Reinkultur (in Moll): I IV VII III VI II V I

Wenn man als Jazzhörer hingegen die II-V-I-Verbindung gewohnt ist, tritt das obige auf:
On closer inspection we notice one chord which does not toe the line.
oder auch, wie zonquer es ausdrückt:
... was auf mich beim Hören von ursprünglichen Aufnahmen bisweilen verstörend wirken kann.

Und folgendes ist natürlich richtig:
So erfährt auch "Autumn Leaves" in der Bearbeitung durch Jazzer auch verschiedene Umdeutungen.

Ich lege die Schwerpunkte jedoch eher auf die Originale und Ursprünge und ziehe ein einfaches Erklärungsmodell einem komnplizierteren vor, wenn die Wahl besteht.
Daher verwendet für mich "Autumn Leaves" ganz einfach nacheinander alle sieben Stufenakkorde, in Quintfällen angeordnet, beginnend und endend mit der Tonika. Seit Jahrhunderten ein immer wieder interessantes Modell für eine Akkordfolge! :)

Viele Grüße
Klaus
 

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