Also ich besitze die (so nehm ich an) aktuellsten Ausgaben folgender Real Books von Sher Music:
The New Real Book, The Standards Real Book, The European Real Book und The Latin Real Book.
Unterm Strich bin ich mit diesen Büchern sehr zufrieden und kann sie auf jeden Fall empfehlen.
Die Zusammenstellung der Stücke ist in meinen Augen hervorragend und äußerst vielseitig. Dazu kommt das wunderschöne Notenbild, das in den älteren Versionen, die ich zu Gesicht bekommen habe, immer lieblos hingekritzelt gewirkt hat. In den neuen Auflagen ist es dagegen so schön und übersichtlich gestaltet, dass viele denken, es handle sich dabei um die Ausgabe eines Computerprogrammes.
Wahrscheinlich waren die alten Versionen, die ich gesehen habe noch die "originalen", illegalen. Ich habe schon des öfteren vernommen, dass die alten Bücher aus irgendwelchen Gründen besser sein sollen. Die Begründungen dafür waren für mich nie besonders nachvollziehbar, doch ich kann es nicht beurteilen.
Ich für meinen Teil vermute da so eine Art Nostalgie - "das waren ja noch die echten Bücher, die von früher...", und die ganzen Stars haben ja damit gearbeitet usw. Es erinnert mich ein bisschen an den Vintage-Wahn in der E-Gitarren-Welt.
Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass manche Stücke so stark verändert worden sind, dass sie nicht mehr als Original durchgehen, und mir ist bisher auch nichts dergleichen aufgefallen - abgesehen davon, dass allzu lange Intros und Outros weggelassen wurden. Ein solches Stück hätte man ja einfach draußen lassen können - es gibt doch so viele andere.
Dass die Bücher diverse Fehler enthalten kann ich aber bestätigen. Vor allem komplizierte rhythmische Passagen sind nicht immer ganz korrekt notiert. Beispielsweise schleicht sich gerne mal bei drei im Swing gespielten Achteln fälschlicherweise eine Kennzeichnung als Triolen ein. Auch habe ich manchmal das Gefühl, dass das eine oder andere Akkordsymbol exakter positioniert werden könnte. Und Akkorde, deren Funktion nicht so einfach musiktheoretisch zu begründen ist, können schon mal eine vielleicht fragwürdige Interpretation erhalten. Aber hey - das ist Jazz! Ein Stück kann so vielfältig gedeutet und interpretiert werden, und wenn man mit einem vorgegebenen Klang nicht ganz zufrieden ist, motiviert er einen zum Reharmonisieren.
Alles in Allem lässt sich über die meisten Fehler jedenfalls streiten, und bisher sind mir noch keine untergekommen, die so gravierend gewesen wären, dass daraus ein wirkliches Problem entstanden wäre.
Bevor ich ein Stück lerne, höre ich mir ohnehin immer mehrere verschiedene Versionen davon an, da es mir über die klangliche Vorstellung leichter fällt, einen Bezug zu ihm aufzubauen.
So viel zu den vier Real Books im Allgemeinen. Nun noch ein paar Informationen zu den Büchern im Einzelnen:
Das "New Real Book" ist eine typische (wenn nicht die typischste) Sammlung von Jazz-Standards. Der Schwerpunkt liegt ganz klar auf den bedeutendsten Kompositionen der einflussreichsten Stars. Auch etwas Latin-Jazz ist mit an Bord.
Das "European Real Book" beinhaltet viele starke Kompositionen sehr unterschiedlicher zeitgenössischer europäischer Künstler. Viele davon waren/sind mir unbekannt, was jedoch nicht unbedingt was zu bedeuten haben muss. Es handelt sich um weitgehend modernen Jazz. Ein Hauch von klassischer Musik schwebt über vielen Stücken, was ein typisches Merkmal vieler europäischer Jazzmusiker ist.
Mit dem "Standards Real Book" kann ich persönlich bislang am wenigsten anfangen. Es beinhaltet in erster Linie amerikanische "Evergreens" aus unterschiedlichen Stilrichtungen - Jazz, Blues, Rock'n'Roll, Pop, Soul etc. So gut wie jedes Lied in diesem Buch hat einen Text, der mit notiert ist. (Mit anderen Worten: Es handelt sich um ein Songbook.) Für Instrumentalisten ist es nicht immer ganz einfach, das Thema eines Stücks originalgetreu zu interpretieren, da die Melodieläufe oft eher simpel gehalten sind, während sie vor allem durch gesangliche bzw. stimmliche Artikulation und die Sprache an sich ihre Bedeutung erhalten. Wobei wahrscheinlich Bläser - wie vor allem Saxophonisten - damit eher weniger Probleme haben müssten.
Ein Großteil des Inhalts dürfte jedenfalls in erster Linie für Sänger und für Fans der jeweiligen Lieder interessant sein. Es ist mit knapp 600 Seiten übrigens das dickste der vier Bücher.
Das "Latin Real Book" ist fast genauso dick wie das Standards Real Book. Ich habe es erst seit kurzem und kann noch nicht viel dazu sagen. Der Inhalt ist grob unterteilt in: Contemporary Salsa - Salsa Classics - Brazilian Classics - Latin Jazz. Die Sammlung der Stücke wirkt auf mich sehr vielfältig. Es scheint so ziemlich alles, was es an Lateinamerikanischer Musik gibt vertreten zu sein.