Der Neuwert einer Vintage-Gitarre

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"Alte Gitarre sind modern!"

Diese Aussage hat sich in den Köpfen vieler Gitarristen eingebrannt. Ob das in der Praxis auch in jedem Fall stimmt, ist hingegen gar nicht mal so sicher.

In jedem Fall sagt man diesen alten Instrumenten einen besseren Klang nach und wir legendenliebenden Gitarristen sind gerne bereit, für ein solches Instrument einen (fast) beliebigen Preis zu zahlen.

Aber welcher Preis ist denn gerechtfertigt? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir mit verschiedenen "Preisen" hantieren:
  1. Der Neupreis,
  2. Der Neuwert,
  3. Der Gebrauchtwert,
  4. Der Marktwert und der und der
  5. Sammlerwert.
1. Der Neupreis

Den Neupreis zu bestimmen, ist ganz einfach (oder auch nicht): Man benötigt eine Rechnung, einen alten Katalog oder eine alte Preisliste.

Häufig ist es gar nicht so leicht, diesen Preis zu ermitteln. Entsprechende Informationen sind nur sehr rar im Internet zu finden. Das ist um so bedauerlicher, als der Neupreis die Grundlage für eine seriöse Bestimmung der weiteren Preise darstellt.

2. Der Neuwert

"Was würde ein "altes" Instrument kosten, wenn es heute gebaut würde?" Das ist die Frage, die es zu beantworten gilt, wenn man den Gebrauchtpreis und den Marktwert bestimmen möchte.

Der Weg führt in diesem Fall über die sogenannte Inflationsrate. Sie beschreibt die durchschnittliche Preissteigerung eines definierten Warenkorbes auf jahresbasis. Da die Preise in der Regel mit jedem Jahr steigen (schade eigentlich!), liegt es auf der Hand, daß ein "altes" Instrument heute einen Neuwert besitzt, der über dem seinerzeitigen Neupreis liegt.

3. Der Gebrauchtwert

Eine alte Faustregel besagt: "Gebraucht=halber Neuwert"

Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit, denn der Zustand des Produktes spielt hier auch noch eine Rolle. Läßt man eine Streuung von 50% des halben Neuwertes zu, so wird sich der Gebrauchtwert zwischen 25% und 75% des Neuwertes bewegen, was in aller Regel zu realistischen Annahmen führt.

Wo der Gebrauchtwert sich letztendlich einpegelt, hängt von verschiedenen Faktoren ab (Zustand, potentielle Reparaturen,...). Hier besteht also gewissermaßen eine art "Verhandlungsspielraum".

4. Der Marktwert

Hier betreten wir den Bereich der freien Marktwirtschaft und es gelten die Gesetze von Angebot und Nachfrage. Es hilft kein noch so hoher Gebrauchtwert, wenn keine oder nur eine geringe Nachfrage besteht. Der mögliche erzielbare Preis auf dem Markt, kann dann also deutlich geringer ausfallen.

Anders herum geht das Spiel natürlich auch: Ist ausreichend Nachfrage da, wird man auch den Gebrauchtwert am Markt durchsetzen können.

Liegt der erzielbare Preis über dem Gebrauchtwert, haben wir eine Grenze überschritten.

5. Der Sammlerwert

Jeder Preis, der über dem Gebrauchtwert einer Ware liegt, ist in irgendeiner Weise durch andere Dinge motiviert, die mit dem Wert des Gebrauches nicht mehr viel zu tun haben.

Der Sammlerwert ist eine sehr diffiziele Sache. Hier spielen, neben anderen Dingen, haupsächlich Angebot, Nachfrage, Originalität und Selteheit eine Rolle. Im Extremfall kann sich da ein Marktwert ergeben, der weit über dem eigentlichen Gebrauchswert liegt. Die PAF's sind ein gutes Beispiel dafür.

Bestimmung des Neuwert

Von allen eben genannten Preisen und Werten, läßt sich der Neuwert noch am einfachsten ermitteln.

Da der Warenkorb für den Preisindex wohl kaum Rücksicht auf die besonderen Belange der Gitarrenproduktion nimmt, wurde zusätzlich eine Preissteigerung von 1% pro Jahr angenommen.

Ausgehend vom Neupreis wird für jedes Jahr die aktuelle Inflationsrate und die zusätzliche Preissteigerung berücksichtig. Letztendlich ist das eine einfache Prozentrechnung, die für jedes Jahr durchgeführt werden muß.

Ich habe mir für diesen Zweck eine Excel-Datei erstellt, die nicht nur diese Berechnung vornehmen kann, sondern darüber hinaus auch die Inflationsraten aus den USA und der Bundesrepublik Deutschland kennt.

Ich bin dadurch in der Lage, sehr leicht den Neuwert einer alten Gitarre anzugeben. Dazu ist lediglich der damalige Neupreis, die Währung (Dollar oder DM) und das Jahr des Kaufes notwendig.

Sehen wir uns einmal ein paar Beispiele an:

1. Gibson Les Paul Standard

Der Neupreis lag 1957 laut Preisliste bei $247,50
Heute müßte man für die gleiche Gitarre 2298,18 Euro bezahlen.

Sehen wir mal nach, ob es stimmt. Klick
Gar nicht mal schlecht oder? Beim Musik Service muß man heute 2333 Euro bezahlen. Wenn das keine Punktlandung ist!

2. Gibson Les Paul Custom

Der Neupreis lag 1957 laut Preisliste bei $375,00
Heute müßte man für die gleiche Gitarre 3482,09 Euro bezahlen.

Die Praxis zeigt uns einen Neupreis vom 3399 Euro. Punktlandung!

3. Gibson ES-334

Der Neupreis lag 1959 laut Preisliste bei $282,50
Heute müßte man für die gleiche Gitarre 2422,95 Euro bezahlen.

Beim Musik-Service sind 2399 Euro fällig!

Zusammenfassung

Die Ermittlung des Neuwertes einer alten Gitarre ist gar nicht mal so schwer.
Wer einen Preis wissen möchte, kann hier einfach die bekannten Daten posten. Der Onkel sorgt dann für das Ergebnis.

Auf diese Weise wird sich sicherlich so manches Aha-Erlebnis ergeben! ;)

Ulf
 
Eigenschaft
 
ahaa ... ne jetzt im ernst super geschrieben :great:! jetzt weiß ich mehr ;)

mfg
 
Hübsch. Machst du das auch mit Gitarren von 84 oder sind die nicht "alt" genug ? :D

Edit: Ich schreibs einfach mal rein.
Gitarre (Marke und Modell noch unbekannt) 1984; 1960 DM
 
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hach mist :D
klasse thread :great:
 
FastfingerJoe schrieb:
Hübsch. Machst du das auch mit Gitarren von 84 oder sind die nicht "alt" genug ? :D
Das geht natürlich auch mit "jüngeren Modellen, zum Beispiel meine Aria Pro II Cardinal Black and Gold:

Neupreis 1982: 2000 DM
Neuwert heute: 2060 Euro

Eine Projektion (Vorhersage) auf die Zukunft ist (im beschränken Maße) natürlich auch möglich:

Neuwert 2020: 3590 Euro

FastfingerJoe schrieb:
Ich schreibs einfach mal rein.
Gitarre (Marke und Modell noch unbekannt) 1984; 1960 DM
Hier die Antwort:

Neupreis 1982: 1960 DM
Neuwert heute: 1822 Euro

Meine drei Beispiele aus dem ersten Beitrag lassen auch noch eine interessante Schlußfolgerung zu:

Alle drei Modelle sind heute im Grunde genommen nicht teurer als damals! Da soll noch mal jemand kommen und sagen, daß Gibson unverschämt die Preise erhöht hätte! ;)

Ulf
 
DerOnkel schrieb:
Meine drei Beispiele aus dem ersten Beitrag lassen auch noch eine interessante Schlußfolgerung zu:

Alle drei Modelle sind heute im Grunde genommen nicht teurer als damals! Da soll noch mal jemand kommen und sagen, daß Gibson unverschämt die Preise erhöht hätte! ;)

Ulf

Interessant ist, dass ich genau das Gibson-Beispiel vor einiger Zeit auf einer Wirtschafts/Börsen-Seite zum Thema US-Inflation gefunden habe. (Wirtschaft ist zwar nicht mehr mein Beruf, aber ich kann nicht davon lassen...)

Problematisch ist an Deinem Beispiel, dass Du die massiv unterschiedlichen Wechselkurse US$/DM 1957 und US$/Euro heute nicht berücksichtigst. In der Praxis macht es aber wenig aus, weil in Heimatwährung (USA) genau das gilt, was Du beschreibst.

In dem genannten Artikel wurde aber folgende Frage angeschlossen: warum führt die massive Stückzahlerhöhung und die wesentlich höhere Automation der Produktion nicht zu einer realen Preissenkung?? Die Jahresproduktion von 1957 rotzt Gibson heute in einer Woche raus (das ist jetzt eine unfundierte Schätzung meinerseits....hat jemand die tatsächliche Zahl?). Damals haben Facharbeiter die Gitarren per Hand gebaut, heute sitzen angelernte mexikanische Hausfrauen an Fliessbändern und bedienen CAD/CAM-Fräsen.

Und trotzdem ist der Preis (in Kaufkraft) der selbe?

Rätsels Lösung (des Wirtschaftsfachmanns): die US-Inflationszahlen sind massiv nach unten manipuliert...Gibson hat tatsächlich den Preis (in Kaufkraft, bzw 1957-Dollar) gesenkt, was aber aufgrund fragwürdiger FED-Daten nicht erkennbar wird. Aber das führt jetzt ot.....obwohl ich etliche Seiten dazu verfassen könnte....schon mal den Begriff "hedonistischer Faktor" gehört? Oder "Substitutionsmethode?" :D

Wenn Du eine echte Wertbestimmung haben willst: gängig ist auch die Umrechnung in Arbeitsstunden eines Durchschnitts-Verdieners.
Ich habe z.B. mal aufgeschnappt: Ein Vox AC 30 hat Ende der 50er ein englisches Arbeiter-Jahresgehalt (Ja! Jahresgehalt!) gekostet.
 
DerOnkel schrieb:
Da kommen die Daten für die US-Inflation her. ;)

Freund Ray,
Du hast doch sicherlich den Neupreis einer alten Strat im Schrank. Man her damit...

Ulf

Erster!!:

Für eine Strat blätterte man bei Erscheinen im Jahr 1954 US$ 249,50 hin.

Das war, lt. Guitar-Sonderheft ca. 10% mehr als der Preis einer LP Gold-Top.

Immerhin, bei den meisten Gibsons ist es einfach zu ermitteln, weil die Modellbezeichnung (335, 175, etc..) einfach der Preis im Jahr der Markteinführung war.
 
LostLover schrieb:
Problematisch ist an Deinem Beispiel, dass Du die massiv unterschiedlichen Wechselkurse US$/DM 1957 und US$/Euro heute nicht berücksichtigst. In der Praxis macht es aber wenig aus, weil in Heimatwährung (USA) genau das gilt, was Du beschreibst.
Ich rechne in der Ursprungswährung bis heute und stelle dann auf Euro um. So ich den aktuellen Tageskurs in meinem Sheet habe, sollte also kein Problem da sein, oder?

LostLover schrieb:
In dem genannten Artikel wurde aber folgende Frage angeschlossen: warum führt die massive Stückzahlerhöhung und die wesentlich höhere Automation der Produktion nicht zu einer realen Preissenkung?? Die Jahresproduktion von 1957 rotzt Gibson heute in einer Woche raus (das ist jetzt eine unfundierte Schätzung meinerseits....hat jemand die tatsächliche Zahl?). Damals haben Facharbeiter die Gitarren per Hand gebaut, heute sitzen angelernte mexikanische Hausfrauen an Fliessbändern und bedienen CAD/CAM-Fräsen.
Und trotzdem ist der Preis (in Kaufkraft) der selbe?
Du führst zu recht an, daß die im Laufe der Jahre eingeführten Rationalisierungsmaßnahmen eine Preissenkung zu Folge haben sollten. Wenn wir uns die aktuellen Preise ansehen, scheint das nicht so zu sein. Dafür mag es mehrere Gründe geben:
  1. Der Warenkorb für die Ermittlung der Preissteigerung stellt nur sehr schlecht (oder gar nicht) die Bedürfnisse des Instrumentenbaus dar. Würde man einen dedizierten Warenkorb für diesen Fall ansetzen, müßte man ggf. andere Werte für die Inflation annehmen.
  2. Im Gegensatz zu früher leisten sich große Hersteller einen enormen Verwaltungsapparat und investieren Unsummen in (teilweise zweifelhafte) Werbekampanien. Ich persönlich bin manchmal nicht so sicher, ob diese Ausgaben wirklich gerechtfertigt sind. Aus eigener Erfahrung weiß ich, daß ein Manager heutzutage nicht mehr den Überblick über "seinen Laden" hat und die Auswirkungen der von ihm getroffenen Entscheidungen in den wenigsten Fällen in der Firma erlebt. (In meiner Firma wechseln die Manager mit einer Frequenz von 2-3 Jahren)
Wenn man es richtig machen wollte, muß man das Instrument heute auf die gleiche Weise bauen. An dieser Stelle hinkt meine Theorie also etwas. Da es sich aber insgesamt um eine Art Wahrscheinlichkeitsrechnung handelt, denke ich, daß man damit recht gut Leben kann.

LostLover schrieb:
....schon mal den Begriff "hedonistischer Faktor" gehört? Oder "Substitutionsmethode?" :D
Gnade! Ich bin nur ein einfacher Inschinör, eine "Krieg" mit einem WiWi kann ich nicht gewinnen! ;)

LostLover schrieb:
Wenn Du eine echte Wertbestimmung haben willst: gängig ist auch die Umrechnung in Arbeitsstunden eines Durchschnitts-Verdieners.
Dahinter steht die Frage, was man als Referenz nehmen sollte? Die Anzahl der zu leistenden Arbeitsstunden zum Erwerb eines Produktes geht IMHO auch über die Kaufkraft und sollte in der Inflationsrate abgebildet sein.

LostLover schrieb:
Für eine Strat blätterte man bei Erscheinen im Jahr 1954 US$
Fender Stratocaster

Neupreis 1954: $249,50
Neuwert heute: 2429,53 Euro

Der Vergleich mit heute ist schwieriger, da es (für meine Begriffe) verdammt viel Strats gibt. Klar ist, daß man nur mit einer in den USA produzierten Strat vergleichen darf. Ich würde mal vorsichtig schätzen, daß mein Preis sich im oberen Mittelfeld aller Strats befindet.

LostLover schrieb:
Immerhin, bei den meisten Gibsons ist es einfach zu ermitteln, weil die Modellbezeichnung (335, 175, etc..) einfach der Preis im Jahr der Markteinführung war.
Interessant! In der Gibsonpreisliste von 1959 steht die ES-335 mit $282,5 drin. Warum heißt die dann nicht ES-282? :D

Ulf
 
In den freien Marktwirtschaften wird der Preis von Angebot und Nachfrage bestimmt.
Und irgendwann morgens steht einer auf der mir für meine Gitarre ein vielfaches von dem bezahlt was ich mal bezahlt habe.
Dabei will ich gar nicht darüber nachdenken was eine Gitarre von Angus einem AC/DC Fan wert ist.Und wenn man einmal so was hat trennt man sich auch nur in der höchsten Not davon..........
 
LostLover schrieb:

Pöh!

Für eine Strat blätterte man bei Erscheinen im Jahr 1954 US$ 249,50 hin.

Pöh!

Stimmt :)

Man muss aber noch 39,95 dazuzählen, fürs Case. Das ist heute ab den USA Standards aufwärts dabei.


Ich hab in irgendsonem Fachbuch noch die Preise für jedes Jahr, wenns interessiert :D


PS: @ Onkel: der Preisvergleich oben hat noch nen kleinen Haken: die alten Angaben sind nämlich Liste UVP, die MS-Preise dagegen schon Street-Price.

Interessant ist, dass Fender wirklich billiger ist. Liste damals versus Liste heute.
 
Mich würde mal interessieren, abseits vom wirtschaftlichen :

Es wird ja wie Der Onkel auch scon geschrieben hat, oft behauptet, Vintage Gitarren würden besser klingen.

Gibt es dafür eigentlich auch irgendwelche objektiven Anhaltspunkte ( also beim Holz, PU-Magnet oder sowas in der Art ) oder ist das rein subjektives Empfinden ?
 
SaitenSchamane schrieb:
Mich würde mal interessieren, abseits vom wirtschaftlichen :

Es wird ja wie Der Onkel auch scon geschrieben hat, oft behauptet, Vintage Gitarren würden besser klingen.

Wenn die nur im Schrank lagen, wohl kaum.

Wenn sie 10.000 Spielstunden auf dem Buckel haben, ist was dran. Woran das exakt liegt, kann afaik noch niemand 100%ig sagen (Irgendwelche verklebten Teilchen in den Zellen, die sich dann lösen o.ä., aber da gibts wohl noch mehr Theorien).

Praktisch merkt man den Unterschied, weil teilweise eingespielte Gitarren wirklich unterschiedlich in sich selbst klingen. Day/Waldenmaier/Rebellius beschreiben in ihrem Buch z.B. eine Gitarre, die nur als Akkordschrammelgitarre auf den unteren Bünden gespielt wurde. Und dort wunderbar klang. Auf den hohen Bünden dagegen tot und steril.


Google mal nach Emil Weiss oder Klangoptimierung. Da erfährst du ein wenig mehr. Auch darüber, wie man das heute "künstlich" macht.
 
Ray schrieb:
Google mal nach Emil Weiss oder Klangoptimierung. Da erfährst du ein wenig mehr. Auch darüber, wie man das heute "künstlich" macht.

Danke für den Tipp :great:
 
SaitenSchamane schrieb:
Es wird ja wie Der Onkel auch scon geschrieben hat, oft behauptet, Vintage Gitarren würden besser klingen.

Gibt es dafür eigentlich auch irgendwelche objektiven Anhaltspunkte ( also beim Holz, PU-Magnet oder sowas in der Art ) oder ist das rein subjektives Empfinden ?
Was besser klingt, ist in erster Linie eine Sache des subjektiven Empfindens und das ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Allein das, macht eine objektive Diskussion fast unmöglich!

Beim Thema Tonabnehmer kann ich ganz klar sagen, daß es keinerlei objektive Begründung gibt, warum ein alter Tonabnehmer besser klingen soll als eine neuer mit den gleichen technischen Daten. Gerade zu diesem Thema (mein kleines Steckenpferd) habe ich schon unzählige Beiträge verfaßt.

Die mechanische Konstruktion einer Elektrogitarre bietet da schon mehr Anhaltspunkte:

1. Die Tatsache, daß man zum Bau gut abgelagertes und trockenes Holz benötigt, stellt einen immensen Kostenfaktor dar. Kaum ein Hersteller ist heute Willens sich über mindestens 8 bis 10 Jahre eine größere Menge Tonholz auf Lager zu legen, um es dann langsam und definiert trocknen zu lassen, wie es einige "gute" Gitarrenbauer noch heute machen. Hier lagern die Hölzer teilweise bis zu 50 Jahre!!

Die jetzt übliche industrielle Trocknung im Ofen liefert angeblich nicht das gleiche Ergebnis. Das Holz ist nach dieser kurzen Zeit noch nicht zur Ruhe gekommen, was sich nachteilig auf das Schwingungsverhalten auswirken kann (soll).

Im schlimmsten Fall, kann das Instrument sich schon nach kurzer Zeit verziehen oder Risse bekommen. So etwas kann heute häufig bei billigen China-Produktionen beobachtet werden. Ich sprach da unlängst mit einem alteingesessenen hamburger Händler, der auch eine Werkstatt unterhält und zu diesem Thema Bücher schreiben könnte.

2. Auch die Verfügbarkeit von qualitativ hochwertigem Tonholz ist heute ein Problem. Nicht ohne Grund hat Gibson damit begonnen, den Korpus aus mehreren Stücken Mahagoni zu produzieren und durch Fräsungen das Gewicht des nicht vollständig abgelagerten Holzes zu reduzieren.

Im Vergleich zu früher ist der Bedarf an gutem Tonholz stark gestiegen. Da Holz nun mal kein schnell wachsender Rohstoff ist, wirkt sich das nachteilig auf den Preis aus. Folglich suche die Hersteller immer nach billigeren Alternativen.

Einige Hölzer sind heutzutage aus Gründen des Arteschutzes auch gar nicht mehr verfügbar (Rio-Palisander). Eine Nachzucht der Bäume in anderen Regionen (Honduras-Palisander) liefert nicht das gleiche Ergebnis, weil die klimatischen Bedingungen sich unterscheiden.

3. Häufig werden heute auch andere Produktionsverfahren angewendet. Das, was früher als gut und richtig angesehen wurde, ist eventuell der Rationalisierung zum Opfer gefallen. Gerade der Hals-Korpus-Übergang übt einen entscheidenden Einfluß auf das Schwingungsverhalten aus. Hier kann man durch eine einfachere Konstruktion eventuelle viel Aufwand und damit Geld sparen.

Der Einsatz von CNC-Fräsen sorgte heute für eine gleichbleibend gute Qualität bezüglich der Reproduzierbarkeit eines Korpus. Innerhalb kurzer Zeit kann man eine große Menge Korpuse (Korpi? Wie heißt eigentlich die Mehrzahl von Korpus??) mit der exakt gleichen Form herstellen. Alte Gitarrenbauer bevorzugen Stechbeitel und Hobel, da sich die Vibrationen der Fräse ihrer Meinung nach nachteilig auf das Schwingungsverhalten auswirken.

4. Das ein eingespieltes Instrument anders klingt, als wenn es 10 Jahre im Schrank gestanden hat, ist eine bekannte Tatsache. Der von Ray zitierte Emil Weiss emuliert diesen Vorgang, indem er das Instrument definiert Schwingungen aussetzt und es auf diese Weise entdämpft. Das Verfahren ist nicht neu und wurde schon vor vielen Jahren von einem Professor Lang (glaube ich) beschrieben.

Emil Weiss und seine Klangoptimierung sind nicht unumstritten. Auch hier im Board gibt es diverse Beiträge zu dem Thema (z.B. Klangoptimierung für Instrumente). Emil Weiss ist hier selber als User "emil" angemeldet.

Egal wie man zu diesem Verfahren steht, aus physikalischer Sicht wird da schon was dran sein und die Tatsache, daß Emil auf das Ergebnis seiner Arbeit eine lebenslange Garantie gibt, mag ebenfalls als deutlicher Hinweis gewertet werden. (Jetzt aber nicht alle mit HB's und anderem Billigkram zu Emil laufen. Aus "Dreck" kann man bekanntlich kein Gold machen! ;)). Es ist in jedem Fall sehr interessant, sich mit diesem Thema einmal auseinanderzusetzten!

Ulf
 
@Der Onkel Wirklich klasse Bericht! Sehr aufschlussreich, gerade für Vintage Gitarrenbesitzer hoch interessant!

Was den sound anbetrifft von Vintage Gitarren so bleibt das auch wieder eine Frage des Geschmacks, aber ich finde ihn eindeutig besser als so manche Reissuesounds!

Kompliment! :)
 
DerOnkel schrieb:
Ich rechne in der Ursprungswährung bis heute und stelle dann auf Euro um. So ich den aktuellen Tageskurs in meinem Sheet habe, sollte also kein Problem da sein, oder?

Doch, weil eben die Kaufkraftentwicklung eine andere ist. Mal abgesehen davon, dass die Währungen sich mehrfach geändert haben. Von den Wechselkursen und der Nachfrage/Angebot-Situation der Instrumente mal ganz zu schweigen.

Ich würde den USD-Preis 1957 in DM umrechen zum damaligen Kurs. Und das mit dem heutigen Strassenpreis vergleichen.

Selbst das hinkt: Der US-Dollar war an den Goldpreis gebunden, Devisenkurse nach heutigem Muster gab es also gar nicht. Die Städte lagen immer noch weitgehend in Trümmern, die letzten Kriegsgefangenen waren grad vor 2 Jahren nach Hause gekommen. Damals waren Les Pauls in Deutschland auch für viel Geld gar nicht erhältlich. Die Leute hatten einfach andere Sorgen. Die USA erlebte aber einen gewaltigen Wirtschafts-Aufschwung mit nie gesehenem Wohlstands-Zuwachs. M.E. haben wir es vor allem dieser Tatsache zu verdanken, dass so fantastische (und teure) Luxus-Instrumente damals in relativ grosser Stückzahl gebaut und verkauft wurden.


Aus eigener Erfahrung weiß ich, daß ein Manager heutzutage nicht mehr den Überblick über "seinen Laden" hat und die Auswirkungen der von ihm getroffenen Entscheidungen in den wenigsten Fällen in der Firma erlebt. (In meiner Firma wechseln die Manager mit einer Frequenz von 2-3 Jahren)

HAR,HAR,HAR!! Weitgehend normales Phänomen.Kenn ich gut.

Gnade! Ich bin nur ein einfacher Inschinör, eine "Krieg" mit einem WiWi kann ich nicht gewinnen! ;)

Gnade gewährt. Dein Gedankengang ist ja absolut richtig. Ich will nicht gegenhalten, sondern deine wirklich obercoole Idee ja nur ein bisschen aufpeppen.

Dahinter steht die Frage, was man als Referenz nehmen sollte? Die Anzahl der zu leistenden Arbeitsstunden zum Erwerb eines Produktes geht IMHO auch über die Kaufkraft und sollte in der Inflationsrate abgebildet sein.

Nein. Preisentwicklungsindices und Durchschnittseinkommen entwickeln sich unterschiedlich. Wenn man das mit langen Datenreihen nachvollziehen will, ist es letztlich nichts anderes als eine Zinseszinsrechnung. Und die ist eine Exponentialfunktion. Ergebnis: bei langen Zeiträumen führen kleinste Abweichungen in den Prozentzahlen zu gewaltigen Differenzen im absoluten Ergebnis. Und diese Differenz kann man als "Wohlstandszuwachs" oder umgekehrt "Verarmung" bezeichnen. Unzweifelhaft: wir können uns heute wesentlich mehr leisten als unsere Grosseltern - und arbeiten weniger dafür.

[*]Der Warenkorb für die Ermittlung der Preissteigerung stellt nur sehr schlecht (oder gar nicht) die Bedürfnisse des Instrumentenbaus dar. Würde man einen dedizierten Warenkorb für diesen Fall ansetzen, müßte man ggf. andere Werte für die Inflation annehmen.

Hinzu kommt: der deutsche "Index für die Preisentwicklung" ("Inflationsrate" ist ein populärer, aber falscher Begriff) und die amerikanischen Preisentwicklungsdaten sind zwei völlig unterschiedlich berechnete, nicht vergleichbare Daten. Es geht schon damit los, dass in Europa für die Erhebung der Preisentwicklungsrate die EZB zuständig ist, die nur die Aufgabe hat, Währungspolitik zu machen: also den Euro zu stabilisieren auch gegen die Wirtschaftsinteressen einzelner Staaten. Während die FED in USA auch und in erster Linie Wirtschaftspolitik betreibt - und dazu ggf. den Dollar inflationiert. Und dann Daten veröffentlicht, die genau das nicht erkennen lassen DÜRFEN, weil ihnen sonst der ganze, auf Pump finanzierte Laden um die Ohren fliegt.

Die Amis kennen zum Beispiel eine "Kernrate" (core rate). Man könnte meinen, dass der zugrundeliegende Warenkorb den "Kern" dessen abbildet, was konsumiert wird. Das Gegenteil ist der Fall: hier werden ausgerechnet Nahrungsmittel und Energiekosten (Strom, Benzin) rausgerechnet. Das ist also eine Zahl, die den Durchschnittsverdiener nullundgarnicht interessiert - aber in allen Veröffentlichungen ständig genannt und für Prognosen und Kommentare herangezogen wird.

Sorry, jetzt ging das weit OT - aber wenn ich erst mal in Fahrt komme.....


Interessant! In der Gibsonpreisliste von 1959 steht die ES-335 mit $282,5 drin. Warum heißt die dann nicht ES-282? :D

Oha! Stimmt, irgendwann in den Fünfzigern galt das schon nicht mehr - Gibson war wohl selbst erstaunt, wie lange manche Modelle sich hielten - und die Preise sich entwickelten. Ich weiss es definitiv nur für die ES 125 und imo galt das auch für die ES 175. Hab ich also mit Halb-Wissen Teil-Blödsinn verzapft. Sorry.
 
DerOnkel schrieb:
..... Innerhalb kurzer Zeit kann man eine große Menge Korpuse (Korpi? Wie heißt eigentlich die Mehrzahl von Korpus??)

Ulf


Singular: Corpus
Plural: Corpora

Eigentlich sagt man auch "das Corpus/Korpus", bei Musikinstrumenten wie z.B. Gitarren oder Geigen hat sich es allerdings eingebürgert "Der Corpus/Korpus" zu sagen.

Grüße,
chewingum


by the way: klasse Beiträge hier!
 
Ich hab inzwischen mal recherchiert. Mit erstaunlichem Ergebnis. :eek:

Meine Rechnung sieht so aus:

1957 kostete eine Paula in USA $250. Der Dollarkurs war bei ca. 4 DM.
Wenn also jemand sich eine Goldtop aus den Staaten mitbrachte oder einem wenig weitsichtigen GI ;) abgekauft hat, musste er ca. DM 1000 (EUR 510) dafür bezahlen. (Zölle, etc. ignorier ich mal)

Das Durchschnittsmonatseinkommen (BRUTTO!) eines Angestellten lag damals bei Eur 228.

Das heisst also: der Hobbygitarrist von 1957 musste für dieses Schmuckstück ca. 2,25 Brutto-Monatsgehälter (9 Wochengehälter) auf den Tisch legen.

Heute ist das Bruttodurchschnittsgehalt ca. 3500 EURO. Für eine neue Paula muss der Durchschnittsverdiener also nicht ganz drei Wochen malochen !!

Heisst: Der Preis einer Gibson Les Paul ist - in Monatseinkommen in Deutschland - um ca. 66% gefallen!!!! Oder: Wenn eine echte 1957er Gold-Top für schlapp 8000 Euro über den Tisch ginge, hätte sie ihren "Wert" (im Sinne von: was muss man tun, um sich solch' Luxus zu leisten?) in etwa gehalten.

Da sieht man die Gibson Custom-Shop-Preise gleich mit anderen Augen, gelle?

"Nu kommst Du", wie Kuddl Schnööf immer sagte.... :)
 

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