Ich äußer mich mal dazu, weil in letzter Zeit auch viele meiner Kumpels seltsam finden, dass ich mit Elektronischer Musik angefangen hab und bei denen auch immer dieselben Aussagen darüber kommen wie im OP "Is doch voll einfach, kann jeder"...
Zum Background: Ich hab mir mit 12 selbst Gitarre spielen beigebracht, später Violine, Klavier, Schlagzeug und diverse andere Saiteninstrumte...ich spiele und singe in einer Punkband, in einer Rockabillyband und hab Songwriterprojekte am laufen. Studiere Komposition und Musiktheorie, schreibe also auch "klassische" Musik.
Wie man Rockmusik macht, kann sich OP ja wohl vorstellen...muss ich nicht näher erläutern.
So, nun zur Elektromusik (in dem Fall DnB):
Ich benutze Ableton Live Suite 8 zum produzieren meiner Tracks (Überwiegend DnB, auch Dubstep und HipHop)
Vor einem Jahr hab ich mir das Prog zugelegt und dabei so ziemlich keine Ahnung von Elektronisch hergestellter Musik und deren Produktion hatte, ich komme ja aus der Rockecke, aber über die Aneignung meines Wissens darüber und wie viele hunderte Tracks es gebraucht hat, bis ich soweit bin, wie ich jetzt gerade bin brauch ich auch nicht zu reden weil es nicht hierher gehört und den Rahmen sprengen würde.
also, eine Produktion fängt bei mir meistens mit den Drums an.
Ich packe einen Drumsampler in einen Kanal, suche Stundenlang in meiner recht großen Database nach geeigneten Bassdrumsamples, zum einen brauch ich eine BD mit nettem Low-end. Nachdem ich die gefunden hab, such ich ein Sample mit einer BD mit nettem Punch und High-End. Dazu fasse ich immer wieder meinen Subwoofer an um das ganze auch zu spüren. Ich lass beide zusammenspielen und Filtere von beiden die Frequenzen raus die ich brauche (ich brauch von der ersten ja nicht die höhen, von der zweiten auch nicht den Bass, würde ich es nicht filtern endet es schon gleich am Anfang in Matsch). Das ganze geht natürlich mit einem EQ und Analysern von statten, zusätzlich mit meinem Gehör und dem Gefühl in den Fingern, beim anfassen der Boxen.
Dennoch passen beide irgendwie nicht zusammen, also muss ich bei beiden Samples die Transienten verschieben, um den richtigen "Punch" zu finden. Danach noch beide etwas komprimieren.
Dasselbe ungefähr bei der Snaredrum, wobei hier auch desöfteren 3-4 verschiedene Samples benutzt werden, eins für den Punch, eins für den Tail, eins fürs Highend und evtl noch eine für nen Random Soundeffekt, wobei man alles auch hundertfach machen kann, wenn man richtig filtert etc., meistens leg ich dazu noch "White Noise" drüber mit ein paar Halleffekten, damit sie länger klingt ohne den Punch zu zermatschen, je nachdem welches Tempo man gewählt hat kann man natürlich auch einfach so Hall drauf packen, wenn es zu schnell wird eher nicht.
Passt jetzt Bass und Snare zusammen? Wenn nicht, muss man eben an manchen stellen ein anderes Sample wählen bis alles schön zusammepasst.
Über das alles leg ich noch meine eigens in Monaten zusammengebastelte Snare und Bassdrum drüber, natürlich mit gefilterten Frequenzen und angepassten Transienten. Jetzt noch die Lautstärke von jedem einzelnen Sample anpassen, dann noch auf die Lautstärke in der Masterspur achten und wir haben nen ganz nicen rohen Drumsound, den wir uns ungefähr so vorgestellt haben, zumindest was die Snare und BD angeht.
Hihats, Crash, Ride und Shaker etc. leg ich auf ne extra Spur, weil die auch eine andere Bearbeitung benötigen und man beides auch nicht gut zusammen bearbeiten kann. Dazu such ich natürlich erstmal die passenden Samples aus, weil nicht jedes Sample zu dem Ergebnis passt, meistens überhaupt nicht. Dann cutte ich auf der Spur alles unter 200-300Hz weg und mit der richtigen Samplewahl klingt alles schön rund und passt ganz gut zusammen.
Jetzt bastel ich einen Beat daraus. Einfach mal irgendwas, was mir gerade passt, bzw. was ich mir vorher durch die Samplewahl schon vorgestellt habe, was es sein sollte...ich kann obv nicht dieselben Samples für DnB benutzen, die ich beim Dubstep oder HipHop oder House benutze.
Auf den nächsten Kanal leg ich ein VST Instrument, (für das ich obv auch einige Monate an einarbeitung und verständnis jeder Funktionen gebraucht habe) wähle eine einfach Sinuswelle aus, lasse den beat laufen und spiele auf der Gitarre oder dem Klavier ein paar Licks, Melodien, bis ich irgendwas gefunden hab, was ganz nett klingt (Manchmal spiele ich auch direkt am Synth rum, weil ich eh weiß wohin ich will). Wenn am Ende eher etwas Leadmäßiges rauskommt, dann wähle ich natürlich andere Sounds im VST, dazu später mehr, jetzt erstmal nur der Bass.
Ich schreib die Melodie rein, filtere alles über 250Hz und unter 30Hz weg, mach evtl. noch etwas Chorus Effekt rein, und schalte die Spur auf Mono (warum das alles, kann man ja hier im Forum nachfragen). Natürlich darf die Melodie nicht zu fancy sein, nicht zu komplex, etc. es geht bei der Musik nicht um Melodien, sondern eher um das Hörerlebnis und die Gefühle, da stört einfach zuviel Melodie, aber den Mittelweg zw. beidem zu finden ist nich so leicht.
Darüber, meistens auch eine Oktave drüber (der Sinusbass spielt ungefähr ab 40Hz-90Hz) leg ich einen Sawbass (so ab 100Hz), mit derselben Melodie, allerdings entgegen dem Sinusbass gefiltert, damit sich beide nicht beissen. Den Saw hört man im später kaum raus, wenn er fehlt vermisst man ihn irgendwie.
Auf den Saw Bass brauch ich halt noch ein Sidechainkanal zur BD, weil die sich sonst in den Frequenzen beißen und gegenseitig vermatschen. Gut, dann verbringt man damit noch etwas Zeit, um das richtige Timing von Leiser und Lauter werden zu finden.
Jetzt die Leadmelodie, läuft anfangs ab wie der Bass, nur später braucht man etwas Sounddesign erfahrung, kreativität und einen Plan, was man macht, wenn man nicht Presets benutzen will (und srsly, Presets benutzen ist in der Elektronischen Musik ein No-Go).
Aber man ein Sound reicht nicht aus, man braucht für Zwischenteile, Intro, Breaks, etc. verschiedene Leads und Bässe, also muss man an beidem wieder arbeiten.
Genauso, wie man bei beidem wieder neue Melodien, welche zueinander passen finden muss.
Dann noch ein paar Padsounds um es fülliger zu gestalten, welche natürlich auch noch selbstgemacht sein müssen, etc.
WTF, man ist ganz alleine! Da gibts keine anderen Leute wie in Bands, die ein paar Ideen in den Raum werfen, womit man selbst wieder Ideen bekommt. Man hört sich das alles nun mittlerweile zum millionsten mal an und kommt nicht mehr weiter...rein garnicht
Also, nach den 2-3 Tagen, die man jetzt für obiges gebraucht hat, sitzt man da.
Probiert Tagelang was aus...alles klingt scheiße, man schmeißt es nach stundenlanger arbeit weg und wünscht sich Leute herbei, die einem neue Ideen bringen,
Arrangement, Melodie, Sounds, Gesamtsound..alles wirkt nach einer gewissen Zeit einfach nur noch kacke und immer wieder gleich.
Es geht aber irgendwann weiter, nur meistens muss man dafür sehr vieles von dem vorigen wieder neu anfangen
Wenn dann alles soweit steht und man es sich immer und immer wieder anhört, fällt einem auf:
Oh, hier in der Lead könnte ein Notchfilter ganz nice sein, dann hier noch der und sonst ein Filter und man fängt an Automationsspuren zu schreiben (oft hat man solche Ideen und Soundvorstellung auch direkt, nach dem ersten hören der Melodien, also die paar Schritte obendrüber), dann hier noch ein Reverse Hall reinbasteln, hier vll. nen Bitcrusher mit dem Hall Sidechainen, hier ein wenig Wobble reinschreiben, da wär vll. ein "Random"Sample nett, der Teil hier sollte eher so klingen und nicht so (und man verbringt stunden damit, den richtigen Sound für 4 Takte zu finden), hier noch ein Sweep rein, da nen Riser, hier die Bassdrum etwas später, da etwas deeper, hier und da ein paar Beatvariationen, ein paar Melodievariationen etc. usw. usw.
Am nächsten Tag mit frischen Ohren wieder ran...und alles wieder verändern, weil da zuviel und da zuwenig von allem war etc., das Arrangement verschieben, rumbasteln, evtl. wieder was ganz neues einfallen lassen usw.
Und am Schluss alles Mixen und Mastern. Diese Schritte zu beschreiben würde hier aber jeden Rahmen sprengen..so long...man hat nen halbwegs netten Track gebastelt und kann sich nun trauen ihn in ein paar Foren zu posten.
So, das ganze gilt obv nur für "meine" DnB Tracks...wenn ich Dubstep mache oder sonstwas, geht alles wieder ganz anders und sowieso macht es jeder ganz anders, aber es bleibt trotzdem alles genauso Zeitintensiv und nicht gerade easy (wenn man was halbwegs ordentliches hinlegen will), zu machen, wie ich beschrieben habe.
Bei Elektronischer Musik geht es nicht nur um Melodien und Musikalität (und wenn du dich darüber unterhalten möchtest, dann schreib ne PM an mich, ich gebe dir gerne meinen Skypenick, dort können wir uns über Musiktheorie unterhalten), man muss die Technik beherrschen und diese zu beherrschen um damit ordentliche "listenable" Musik zu machen, ist ein richtig hartes Stück Arbeit!