Ich finde, dass es genau diese Generation war, die Ende 70´er, Anfang der 80´er mit Punk und Postpunk (Wave?) auch recht derbe Töne losgeschlagen
Das war schon vorher. Das war schon in den ganz frühen 70ern. Ton Steine Scherben etwa waren erst noch Underground. Aber auch Udo Lindenberg sang schon 1973, wie ihm der Schnabel gewachsen war – und nicht so, wie die ganzen Schnulzenfuzzis aus der Schlagerszene (Ralph S., Bernd M. & Compagnie) das haben wollten –, und weil er das im Onkel Pö tat, blieb er auch nicht Underground, sondern wurde damit populär.
Ich finde die Musik heutzutage äußerst langweilig, die Texte sind absolute Grütze und alles ziemlich uninspiriert auf 3 Minuten Radio Edit geschnitten (mein derzeitiges Lieblingsbeispiel: Maroon 5 - This summer... WTF?!?! sry aber was ist das?? und das häuft sich immer mehr) und ich vermeide Radio und alles was Top 100 ist.
Passiert auch schon ewig. 90er Jahre. Meat Loaf. "I'd Do Anything For Love (But I Won't Do That)". Die Albumversion ist zwölf Minuten lang, ganz klar zu lang für alles, was nicht dedizierter Rocksender ist, der auch "In-A-Gadda-Da-Vida" von Iron Butterfly schmerzfrei in der 17-Minuten-Fassung spielt. Aber es gibt ja noch einen Single Edit, der fünf Minuten etwas ist. Ist den Sendern noch zu lang, die schnipseln das auf 3:36 zusammen.
Oder "(I've Had) The Time Of My Life" von Bill Medley & Jennifer Warnes. Okay, ist eigentlich auch über sechs Minuten lang, ob ihr's glaubt oder nicht. Aber da wird teilweise schon recht radikal geschnitten: erster Refrain + zweite Strophe + ganze erste Hälfte des zweiten Refrains raus. Die Textzeile "And I've never felt this way before" hört man erst im Abspann, wo der Moderator den Song schon wieder ausfadet.
Mittlerweile hat Radio Hamburg ja auch schon aus "Get Lucky" mehrere Stücken rausgeschnitten.
Schon Mitte der 90er gekonnt persifliert von Fettes Brot, die ihr überlanges "Nordisch By Nature" nach dreieinhalb Minuten mit vorheriger Ansage selber ausfaden.
Wie gut, daß "Hotel California" von den Eagles (6:30) zu alt ist, um auf Popsendern gelaufen zu sein in einer Zeit, als das gang und gäbe wurde. Die Oldie- und Rocksender spielen das alle aus – außer RTL Radio, die haben diesen Klassiker geschnitten.
Und dann noch diese Textkastrationen wegen amerikanischem Explicit Content. K O T Z
Kennst du "I Don't Want You Back" von Eamon? Ich wage zu behaupten, das hat der extra gemacht, damit sich das scheiße anhört, wenn es zensiert wird (aus jedem Refrain-Durchgang wurde viermal "fuck" und einmal "whore" rausgeschnitten).
Da hab ich mal was Fieses auf Radio Hamburg gehört: "Come Undone" von Robbie Williams, das ja bekanntlich auch zensiert ist – und der Moderator hat die beiden rauszensierten Wörter kurzerhand selber reingesungen.
Und dann waren da noch J.B.O., bei denen ein riesiger Hinweis "Parentales Advisorium – explizite Lyrik" mindestens 90% des Covers eines auch noch
Explizite Lyrik genannten Albums einnimmt. (Daß der Bandname
tatsächlich zensiert ist, da mal ganz von ab.)
Zum Thema: Was heute gut ist, ist die Bandbreite. Ich meine, wie war es denn im Popradio in den frühen 90ern? House-esker Eurodance nach dem Strickmuster "geile Schnitte singt den Refrain, schwarzer G.I. rappt die Strophen". Gefühlt die einzige, die Strophen singen durfte, war Melanie Thornton von La Bouche. Möchtegern-Techno, Bonuspunkte für piepsige Stimmen. Boygroups. Sehr viel mehr war da nicht. Da konnte auch die aufblühende deutsche Rapszene nichts groß dran verbessern. Selbst Grunge traute sich keiner, egal, wie gut sich die
Nevermind verkaufte – denn gut etablierte Privatsender hatten ja nicht selten irgendwo einen Rocksender parallel laufen, wo man den gleich neben Guns N' Roses, Aerosmith und Bon Jovi parken konnte.
Heute hast du nicht mehr diese ganz kleine Auswahl an Genres und, ja, Grundsounds, an die du dich halten mußt, sonst kriegst du vom Labelchef zu hören: "Das verkauft sich nicht, das nehmen wir nicht" – weil Erstreleases heutzutage nicht mehr zwingend über ein Plattenlabel laufen müssen, sondern auch mal per Download oder Videoportal geschehen können. Und da ist es wirklich das Volk, das entscheidet, was gut ist und was nicht. Du mußt nicht erst deine Musik zum Preßwerk bringen und in Vinyl drücken lassen, seit du sie ganz prima online verbreiten kannst – und die Bandbreiten schnell genug sind, daß das Volk auch was davon hat. Du brauchst nicht mal mehr teure Studiozeit und als Einzelkünstler womöglich noch Studiomusiker, sondern du kannst heutzutage ganze Produktionen für ein Geringes an Geld zu Hause fahren, ohne daß es nach rumpeligem Garagen-Underground klingt. Sprich, die Produktionskosten müssen auch nicht erst langwierig wieder eingespielt werden. Zwei Punkte, in denen der Musikmarkt stark liberalisiert worden ist, wodurch Künstler und Konsumenten an den Entscheidungen von Plattenbossen vorbei agieren können.
Was auch besser ist als etwa in den späten 90ern, frühen Nullern: Sängerinnen müssen nicht mehr Whitney Houston, Mariah Carey oder Celine Dion nacheifern. Damals hätte eine Judith Holofernes keine Chance gehabt – eine Amy Winehouse erst recht nicht. Aber irgendwann hatte man einfach die Schnauze voll von den vielen Post-
Bodyguard-Contemporary-R&B-Schmachtfetzen, deren Gesang zu 40% aus möglichst kunstvollen Koloraturen bestand.
Die Zeit um die Jahrtausendwende war auch die, wo gerade den privaten Popformatradios von ihren eigenen Hören ihre Minimalrotationen mit teilweise nicht mal 40 Songs um die Ohren gehauen wurden. Das traut sich heute keiner mehr.
Auf der Sollseite sind gewisse Unarten, die man leider immer und immer wieder in heutiger Musik hört. Etwa die "Edits". Man nehme irgendeine coole Nummer, die auf YouTube ca. ganz viele Klicks hat, lasse sich vom Künstler den Track in verlustfrei geben, timestretche ihn auf 120 bpm, packe einen House-Beat drunter und stürme damit an die Spitze der Charts. 80% der Radiohörer werden nicht sagen können, wer der Originalinterpret ist, sondern nur, wer der Remixer ist, und 60% der Radiohörer wissen nicht mal, daß das ein Remix ist.
Und dann ist da Autotune. Cher hat es schon im letzten Jahrtausend ins Lächerliche gezogen, allein, gebracht hat es nicht den erwünschten Effekt. Die US-Plattenbosse sagen: Die Kids, die den Plattenfirmen ihre Kohle zuschmeißen, wollen Autotune. Erste Konsequenz: Selbst ein Crooner wie Michael Bublé wird offensichtlich glatt wie ein Lineal gezogen. Cher-Effekt-Kiekser werden rausgeglättet, und das Vibrato kommt von einem LFO. Menschliche Sänger klingen bald künstlicher als Vocaloids. (Vorteil: Studiozeit zur Aufnahme von Sachen, die nicht im Computer generiert werden, wird reduziert und billiger, weil man idealerweise nur noch ein Take braucht.) Zweite Konsequenz: Autotune wird – permanent, nicht punktuell wie bei Cher – noch über den Cher-Effekt hinaus aufgerissen, bis daß es die Stimmen mit sägezahnartigen Artefakten verzerrt – die Plattenbosse sagen nämlich, darauf stehen die Kids auch. Wirklich tolerieren kann man das höchstens bei Daft Punk, weil bei denen die Vocal-Verwurstung nach immer neuen Regeln der Kunst Teil des Konzepts ist – nicht aber im R&B.
Was die Texte heute angeht: "Ich mach' für dich das Licht an" wäre um ein Vielfaches besser, wenn es ganz klar Satire wäre. Ist es aber nicht, sondern exakt so gemeint – von einer Band, die sich Revolverheld nennt.
Martman