Achtung, längliches subjektives Posting ohne wirkliche eigene Erfahrung mit Synthesia....
Kannst du aus eigener Erfahrung berichten wie es sich bei dem System mit dem freien spielen dann verhält?
Nein, kann ich nicht. Aber ich kann versuchen, einige Querbezüge herzustellen.
Rein von meinem eigenen Beispiel als (leider viel zu Spät-)Einsteiger ausgehend würde ich erwarten, dass auch der Synthesia-Spieler das Stück nach einer kleinen Weile komplett aus dem Gedächtnis spielt (je nach Länge und Komplexität natürlich). Deswegen tue ich mir auch ein wenig schwer mit (flüssigem - das Prinzip bereitet mir keinerlei Probleme) Notenlesen lernen, da ich zugegebenermaßen immer noch zu inkonsequent beim Thema "Klavierspielen lernen" statt "Stücke spielen lernen" bin. Sonst würde ich permanent einfache Dinge vom Blatt zu spielen versuchen (ich hab mir dazu den Mikrokosmos von Bartok geholt, muss ich echt mal anfangen) und würde sicher schneller Fortschritte machen als derzeit. Aber da hab ich niemandem Vorwürfe zu machen außer mir.
Da ich auch nicht wirklich aus dem reinen Notenblatt zügig die Melodie ablesen bzw. im Kopf hören kann (könnte ich bei einer Synthesia-Piano-Roll auch nicht) [1], ist es für mich hilfreich, wenn ich sie bereits kenne. Das bringt ja Synthesia gleich mit und man bekommt sogar die Kopplung "Ton - Taste - Dauer/Rhythmus" mitgeliefert, aber halt nicht in Notenschrift. Insofern kann ich mir vorstellen, dass man (wenn man die Koordination zwischen dem angezeigten "Flow" und den Tasten halbwegs raus hat) mit Synthesia zumindest anfänglich schneller vorankommt.
Stellt sich dies bei der anderen Technik auch ein mit der Zeit, oder ist der Flow Spieler ohne diese Anzeige dann aufgeschmissen wenn er an einem Instrument sitzt wo dies nicht möglich ist?
Dass er aufgeschmissen ist, glaube ich nicht. Das Stück spielen kann er ja, wie auch von MusikBert vermutet, höchstwahrscheinlich aus dem Gedächtnis. Bzw. ist er in etwa so aufgeschmissen wie ein nach Noten spielender Pianist, der kein Notenblatt hat. Entweder er kanns aus dem Kopf oder halt nicht.
Und ich sehe auch nicht, warum ein Synthesia-Spieler dann nicht auch eigene Interpretationsweisen einbringen kann, nachdem er das Stück erlernt hat. Er hört sich ja selbst spielen.
Musikalische Zusammenhänge erfasst der Synthesia-Spieler mit der Zeit vermutlich so wie jemand, der sich autodidaktisch Noten beibringt: Ein wenig schon, einfach durch Übung und sich selbst dabei hören und auch ein wenig rumprobieren. Leute, die nach Gehör spielen können, vermutlich etwas mehr als ich, bei dem das (derzeit? wer weiß) überhaupt nicht geht. Für mehr bräuchte es einen Lehrer und/oder entsprechende Literatur, und die hantieren nun mal traditioniell mit der Notenschrift.
so werden auch die Synthesia-Schüler ihren Händen beigebracht haben, was und wie zu spielen ist, und die Vorlage (das Video) brauchen sie dann nicht mehr.
Davon gehe ich auch aus. Viele Pianisten - und damit meine ich nicht nur die Profis - spielen ja zumindest ihre Paradestücke auch ohne Noten.
Genau so beim Blattspiel könnte ich meist nie sagen welcher Finger gerade auf welcher Note ist. Ich sehe die Startposition des Tons und dann sehe ich wie weit er nach oben oder unten geht und daraus leite ich die Entfernung vom aktuellen Ton ab.
Nunja, das geht ja mit Synthesia genauso, nur dass die Notation "seitwärts" ist. Auch da würde ich erwarten dass man nach ein wenig Übung den Strich von oben reinsegeln sieht und zum rechten Zeitpunkt die entsprechende Taste bedient, ohne darüber bewusst nachdenken zu müssen. Und es stellt sich dann sicher auch eine Verbindung "optisches Bild - Ton - Taste" ein, genauso wie Du das für die Notenschrift hast.
Das funktioniert in allen möglichen Bereichen. Ich könnte z.B. nach einer schönen Kurvenkombination auf dem Motorrad nicht sagen, wie oft und wo ich zwischendurch z.B. geschaltet habe. Und ich sehe, wie eine Strecke (= Klavierstück) "schön" zu fahren ist, ohne über "wann wo wie stark abwinkeln" nachzudenken. Es gibt also das Ziel, die Strecke gut zu fahren und über die Details muss man im Rahmen seines Könnens nicht mehr nachdenken.
Voraussetzung ist, dass die grundsätzlichen Funktionen möglichst automatisiert abrufbar sind (siehe dazu auch das exzellente Buch "Die obere Hälfte des Motorrads" des Verhaltensforschers Bernt Spiegel, das zwar Motorradfahren als primäres Beispiel nimmt, aber auch recht allgemeingültig für das Thema Lernen und Werkzeugbeherrschung im weitesten Sinn ist). Davon bin ich leider beim Klavierspielen noch ein ganzes Ende entfernt.
Um das zu lernen habe ich verschiedene Quellen verwendet - Fahrschule für die absoluten Basics, primär sehr sehr viel eigenes Fahren, aber auch viel Lesen, und zwar keine Reiseberichte, sondern Grundlagen und Prinzipien. Videos hingegen waren z.B. dafür überhaupt nicht mein Fall.
Warum habe aber z.B. ich nicht mit Synthesia angefangen? Zum Einen konnte ich prinzipiell schon Noten lesen (flüssiges Lesen ist natürlich nochmal was anderes) und die sagen wir mal vorhandene Materialbasis ist deutlich größer. Ich hätte nichts gegen das Prinzip an sich, aber die Abhängigkeit von dem System ist einfach mal vorhanden. Bei Noten genauso, aber die sind nun mal der weitverbreitete Standard.
Die von McCoy genannte "Offline-Fähigkeit" ist natürlich nicht zu unterschätzen, die würde ich schon als gewichtigen Vorteil sehe, aber dafür könnte man ja - prinzipiell - die Piano Roll von Synthesia nehmen[2]. Und mir persönlich würde das Lernverfahren vermutlich einfach nicht sonderlich liegen (siehe auch Videos und Motorrad), aber dafür kann ja Synthesia nichts.
In dieser Richtung würde ich die Frage des Ausgangspostings sehen, nämlich das Notenlesen für die Erweiterung der Materialauswahl und für die Erarbeitung weiterer Stücke zu lernen. Zur Frage, wie man dazu am besten vorgeht, gibt es berufenere Leute.
Ciao
Jan
[1]Interessante Erfahrung: Es scheint Musiker gern mal zu überraschen, dass man das einfach nicht kann bzw. sie setzen das voraus. "Sing das doch einfach mal".
[2]Rein als Gedankenexperiment: Mal angenommen Synthesia und die Piano Roll wären der Standard und dann käme jemand mit dieser merkwürdigen neuen Notenschrift um die Ecke... Prinzipiell sollte man eigentlich mit genügend Übung auch nach nem Midi-Dump spielen und darin Muster erkennen können. Der ist noch kompakter.