Blindtest rüttelt am Stradivari-Mythos

Ich denke spätestens seit den fünfziger Jahren verbinden die Klassikliebhaber eben mit einer Stradivari einen ausgezeichneten Klang. Mein Opa war Profigeiger und sprach von den Profis, die eine Stradivari spielen durften sehr ehrfürchtig.
Es war und ist eben eine Auszeichnung und Anerkennung eines Geigers, wenn er für das Spielen einer Stradivari für gut genug und unterstützenswert auserkoren wurde, oder wird.
Damit ist er/sie in der Champions League angekommen und darf sich glücklich schätzen aus der Masse nun heraus zu stechen.
Das Publikum kennt ihn vielleicht nicht, aber man raunt sich zu, dass der/die ne Stradivari spielt und schon wird er ein Geheimtipp und ein Star wenn alles gut läuft.
Die Unterstützer bekommen Anerkennung für die Unterstützung, das Publikum schätzt das Spiel gleich viel virtuoser ein und es ist eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten, da Geigen gespielt werden müssen um nicht schlechter zu werden.
Werbung, Mythos, all das spielt dabei eine Rolle. Auch die Anerkennung der Kollegen.
Und das gilt alles unabhängig vom Klang der Geige!
 
Ist ja vielleicht auch ein bissl begünstigt durch das Nichtvorhandensein objektiver Bewertungspunkte. Guter Klang ist nun einmal immer eine subjektive Wahrnehmung.

Wenn Lewis Hamilton heute ein Formel1-Rennen mit einem Silberpfeil aus den 1950ern bestreiten würde, käme wahrscheinlich niemand auf die Idee zu sagen: Na gut, er ist Letzter geworden, aber er sah am besten aus...
 
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Mein Opa war Profigeiger und sprach von den Profis, die eine Stradivari spielen durften sehr ehrfürchtig.
Mein Opa spielte auch Geige und hat mir viel über Geigen und Stradivaries erzählt. Ich bin bloß elektro-mechanischer Tastenquäler, frage mich und Euch aber was es mit Spielweise und Meiterschaft in Bezug auf einen Geige so auf sich hat? Wenn mein Opa einen Geiger loben wollte, pflegte er zu sagen: "der spielt mit Herz." Will heißen die Geige klingt nur so gut, wie der Geiger es vermag. Das gilt ja auch für Gitarren oder Orglen, würde sagen alle Instrumente.
Eric Clapton pflegt in britischem Understatement zu sagen "...its not the guitar..."
 
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Niemand hat ein Problem damit, das manche Leute für Antiquitäten Unsummen bezahlen.
Problematisch wirds nur wenn Tatsachenbehauptungen daraus folgen.
Eine Tatsachenbehauptung wäre etwa
"ich höre einen Unterschied"
Da braucht es dann eben einen Blindtest.
Dann kommt oft raus, dass viele Experten eben genauso der Suggestion unterliegen und sich täuschen können.
Weshalb brauchen sonst Ärzte eigentlich Doppelblindtests um ein Medikament beurteilen zu können??
 
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Dann kommt oft raus, dass viele Experten eben genauso der Suggestion unterliegen und sich täuschen können.
Das wäre menschlich...
In einem Vorläufer dieses Tests reduzierte sich das Urteil der Mehrzahl der „Experten“ leider auf ein schlichtes „lauter ist besser...“ ;)
Mit anderen Worten: sie waren nicht mal im Stande genau hinzuhören.
 
Mich würde interessieren ob damals schon Holz und Holzarten aus fernen Gegenden zum Bau herangezogen wurden oder ob eher die heimischen Materialien genutzt wurden.
Typischerweise werden Geigen aus Ahorn mit einer Fichtendecke gebaut. Alpen, Karpaten, Dolimiten, ... Bevor Ebenholz in Europa genutzt wurde, nahm man Obstbaumholz für das Griffbrett. Also mit Ausnahme des Griffbretts "einheimisches" Holz, wobei natürlich der Bewegungsradius der Geigenbauer kleiner war als heute. Auf Grund der Logistik waren die Geigenbauer eher "beim Holz" zu finden, Ostfriesland ist halt keine typische Geigenbauergegend, Moorbirken sind kein typisches Geigenbauerholz...
 
Ich finde es befremdlich, dass die E-Gitarristen hier einen fachfremden Thread kapern!!! :(

Bleibt auf eurer Spielwiese und lasst die Streicher hier diskutieren!
Ja, schon richtig, aber es geht eigentlich um die Blindtests, die sagen oft mehr, bzw. etwas anderes, als die Mythen uns glauben machen wollen.
 
Ich stelle mir zum Thema noch ein paar Fragen. Ja, aus eigener Kenntnis wird die hier niemand beantworten können, aber möglicherweise mag ja der ein oder andere Geigenkundigere seine Meinung dazu beitragen.

1. Holz

Wie geht das eigentlich, dass derart filigrane Konstruktionen aus Holz, die ja offenbar mehr als 350 Jahre lang quasi täglich verwendet werden, noch in Gänze, oder mal zumindest in wesentlichen Teilen, funktionsfähig erhalten sind? Zumindest mal die stark beanspruchten und die beweglichen Teile, also Griffbrett, Wirbel (und speziell auch die Aufnahmen derselben), Steg, Sattel (hat eine Geige einen Sattel?), Saitenhalter usw.. Was ist denn davon noch original und, was wahrscheinlich ist, wenn es ausgetauscht, repariert oder sonstwie ausgebessert wurde, wie wirkt sich das auf das ursprünglich vom Meister vorgesehene Klangverhalten aus?

Holzkonstruktionen, die über einen derart langen Zeitraum verwendet wurden und noch annähernd original erhalten sind, kennt man sonst eigentlich nur von Brücken, Kirchen- oder Rathaustüren, Stühlen und Bänken und ähnlich massiv gebauten Teilen. Und die sind in aller Regel auch aus harten Hölzern wie Buche oder Eiche gemacht und nicht aus eher empfindlichem, weil weichem Holzmaterial wie Fichte oder Ahorn.

Die Frage ist also: Wieviel ursprüngliches Material aus Meister Antonios Werkstatt ist an einer Stradivari heute denn überhaupt noch dran?

2. Saiten

Werden die alten Meistergeigen denn heute noch mit dem Saitenmaterial verwendet, das es vor 350 Jahren auch schon gegeben hat? Sicher gibt es Saitenhersteller, die auch heute noch traditionelle Darmsaiten herstellen. Aber ist es tatsächlich so, dass die Stradivaris nur damit gespielt werden? Falls nicht, und auch hier moderne Materialien und Herstellungsweisen zum Zuge kommen, hat der Klang vermutlich nur noch wenig mit dem zu tun, der vom Geigenbauer angestrebt wurde und ist letztlich wohl dem Zufall, bzw. der Wahl der Saiten geschuldet. (So man denn dem Glauben etwas abgewinnen kann, dass Saiten für Saiteninstrumente irgendwie klangformend und daher wichtig sind. Ist längst nicht eines jeden Credo hier :)).

Blindtest: Wir haben hier im E-Gitarrenbereich gelegentlich Diskussionen über Verstärker und deren Röhren. Da geht es um alte, neue, NOS und sonst irgendwie vergessene und wiedergefundene und speziell auch um die Qualität und Preise der Röhren der verschiedenen Herstellermarken. Viele sind der Meinung, wenn auf der Röhre Mesa draufsteht und sie entsprechend teuer verkauft wird, dann muss die auch hochwertiger sein und selbstredend auch sehr viel mehr zum tollen Klangerlebnis beisteuern können, als welche, auf denen irgend etwas Kyrillisches, JJ oder gar gar nix draufsteht.

Im Blindtest liessen sich die teuren von den billigen Röhren leider kaum oder gar nicht unterscheiden und wir wissen inzwischen alle, dass es auf der ganzen Welt nur noch 2 (oder 3) Fabriken gibt, in denen überhaupt Röhren hergestellt werden. Die billigen wie auch die teuren unterscheiden sich also doch wohl nur in dem, was dann später draufgedruckt wird. Ok, manchmal spielen offenbar auch noch nachträgliche Selektions- und Ausschusskriterien eine Rolle... aber das sollte vielleicht auch nicht überbewertet werden. Gehen wir ruhig mal davon aus, dass die meisten produzierten Röhren funktionieren und auch in den Handel kommen werden.

Bitte gerne Meinungen oder Erhellendes.

keep on geigin`
 
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ich möchte wetten, daß ein Meistergeiger das schon heraushören kann, was er da spielt. Der Test wurde mit erfahrenen Orchestermusikern gemacht... das ist möglicherweise noch mal ein großer Unterschied.
 
die stark beanspruchten und die beweglichen Teile
haben nicht unbedingt große Bedeutung für den Klang. Von daher müsste eher nach der Dauerhaftigkeit der wichtigsten Tonhölzer (siehe den Beitrag von @rw ) gefragt werden, wobei dann zu beachten wäre, dass die klimatischen Bedingungen zur Hochzeit der Cremoneser Instrumentenbauer möglicherweise speziell waren (z.B. klick; als Kontrast kann der Abschnitt zur Klangqualität zu Stradivaris Wikipedia-Eintrag dienen).
 
ich möchte wetten, daß ein Meistergeiger das schon heraushören kann, was er da spielt. Der Test wurde mit erfahrenen Orchestermusikern gemacht... das ist möglicherweise noch mal ein großer Unterschied.
Es gibt jede Menge Orchestermusiker, die Meistermusiker sind. Der wesentliche Unterschied liegt darin daß viele keine Lust haben auf das anstrengende Solistenleben bzw. Erste Geige und das weniger stressige, versorgungsichere Leben im Orchester vorziehen. Diese empfinden derartige Aussagen als diskriminierend.(Nicht nur meine Meinung, sondern die taufrische Aussage eines Staatsorchestermusikers). Ich schreibe das stellvertretend, weil der/die Betroffene/n
sich nicht selbst äußern werden.
 
Ich schreibe das stellvertretend, weil der/die Betroffene/n
sich nicht selbst äußern werden.
Sehr schade, vielleicht kannst du ja noch jemanden überzeugen, sich doch zu äußern. Zum Thema Stradivari meine ich, nicht zur vermeintlichen Diskriminierung.
 
@punkadiddle : Geigen wurden und werden so häufig umgebaut, restauriert, anders eingestellt ... - da vergeht dem Vintage-E-Gitarrensammler Hören und Sehen. Anderes Saitenmaterial und Bögen kommen dazu.
 
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Kennst du da jemanden, der einfach mal so an einer Stradivari rumbastelt?

Gibt ja eine Menge Leute, die an ihrem Käfer oder 123er Benz umbauen und verschönern, was ihnen gerade so einfällt, bzw. was an ET gerade so zu haben ist. Bei einem Rolls oder Ferrari geschieht das wohl eher seltener. Bei der Geige könnte ich mir auch vorstellen, dass das mit einer Versicherung abgesprochen werden muss und dann erst einmal die Gutachter etwas zu sagen haben.

Das gibt es aber ja erst seit den letzten 100 Jahren und diese Geigen waren ja auch 1920 schon 250 Jahre alt. Weiß man da so genau, was noch original ist oder evt. schon 1843 oder 1789 umgebaut worden ist?
 
Kennst du da jemanden, der einfach mal so an einer Stradivari rumbastelt?
Rumbasteln wohl nicht, aber z.B. ist ein halbjährlicher Wechsel des Stegs zur Anpassung an jahreszeitlich bedingte Höhenänderungen der Decke absolut üblich. Damit ändern sich auch diverse Geometrien am Instrument. Und was in 350 Jahren wohl mit einer Violine so alles passiert sein mag, allein schon zur Erhaltung?
 
Ich wollte nicht unterstellen daß ein Orchestermusiker schlechter wäre als die 1. Geige, aber andererseits gibts immer drei, vier, fünf Geiger mit so außergewöhnlichen Fähigkeiten auf der Welt, daß sie dann doch alle übertreffen und daß die das wohl rausgehört hätten. Nur daß solche Leute anders zu tun haben wie zum hundertsten Mal den Stradivari Blindtest zu machen.

Und der Physiker in mir sagt, daß man das mit einem Spektrogramm untersuchen muß und da wird man gewiß Unterschiede sehen. Aber eine der Grundannahmen bei Audiokompression ist ja, daß ein normales Gehirn mit einem normalen menschliches Ohr nur ein Sechstel der Musik wahrnimmt, vermutlich ist das Stradivari-Geheimnis in den anderen 5/6 enthalten, die man normalerweise nicht höhrt oder wahrnimmt. Und die beim Erzeugen einer als verlustlos empfundenen MP3 Datei weggelassen werden. Ein Stereo Musikstream hat unkomprimiert 1400 Kilobit pro Sekunde, die höchste Bitrate bei MP3 ist 320 Kbit. Aber die Audiophilen streiten sich eher ob 256 kBit oder 192 kBit ausreichen um ein 100% Hörerlebnis zu schaffen.

Vermutlich sind die heutigen Meistergeigen klanglich genauso gut wie Stradivari. Und viele Stradivari-Solisten haben nur ein Leihinstrument in den Händen, denn daß man als Geigensolist Multimilionär werden kann so daß man sich von dem Vermögen eine Stradivari kaufen könnte, halte ich für unwahrscheinlich.

p.s. das mit den nicht wahrnehmbaren Tönen ist zwar seit 50 Jahren im psychoakustischen Modell belegt, wußte man aber schon zu Mozarts Zeiten. Saglieri zu Mozart "Da sind zu viele Noten in der Musik".
 
psychoakustischen
LOL, das haben wir oft hier...

btw: Lt. Wikipedia gbt es noch ca. 650 echte Stradivari-Instrumente. Davon müssten sicher mehr als 500 Geigen sein, die ja gemäß der Theorie auch alle gespielt werden müssen, um sie zu erhalten. Wie viele echte, professionelle Geigenvirtuosen mag es auf der Welt geben? Wahrscheinlich doch weniger. Danach müsste eigentlich jeder mindestens mal eine (zur Verfügung) haben. Und wenn die denn alle so unglaublich mega-genial oder zumindest aussergewöhnlich klingen, frage ich mich immer mehr, warum sie denn nicht erkannt wurden?

Wird immer rätselhafter das Thema.
 
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