Die kunst der improvisation

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Günter Sch.
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Sie beginnt an der wiege der menschheit: unartikulierte laute, händeklappen, auf schenkel oder brust schlagen, der eigene körper als instrument zum ausdruck von stimmungen, befindlichkeiten, mitteilungen, annäherungen, drohungen, zum mittun auffordernd, soziale bindungen zwischen partnern und gruppen herstellend und paarungsbereitschaft fördernd. Das alles gab und gibt es bereits im tierreich, und daran hat sich nichts wesentliches geändert.

Ob vögel, frösche, grillen, zikaden vorbild waren, mit geringen mitteln durch renonanz und frequenzauswahl große wirkungen zu erzielen, ob zufälle einen grashalm, einen hohlknochen, ein gespanntes fell oder eine bogensaite zum klingen brachten, irgendwann wurde die instrumentalmusik erfunden, manches taugte mit definierbaren tönen fürs melodische, anderes fürs rhythmische. Und so begann das schlagen, zupfen, blasen, und streichen, das ebenfalls bis heute andauert.
Im mythos waren es die götter, die durch zufall die instrumente erfanden, den menschen schenkten, und so spielten sie im sakralen und den damit verbundenen riten und festen bis hin zu glockenklang und orgelton, aber auch mit schrillen klängen und perkussiv orgiastisch mitreißend, eine bedeutsame rolle.

Um etwas mitzuteilen, muss man etwas zu sagen haben, oder eben nur "hier bin ich", und eben dieses vermitteln können. Sprachen werden durch nachahmung erlernt, am mühelosesten in einem bestimmten prägealter, in dem auch die sprachintonation angelegt wird, die einen lebenslang begleitet; mit erweiterter, bewusster körpersprache, wozu ich alle musikalischen tätigkeiten zähle, verhält es sich ebenso. Das ist je nach begabung ein mehr oder weniger langer und zuwendung erfordernder prozess.
Ein hirt auf dem felde mag stundenlang vor sich hin dudeln, ohne sich das mindeste dabei zu denken, seine freiheit ist nur begrenzt durch das verwendete instrument. Hat seine weidenflöte wenig bohrungen, kann er auch nur wenige stammtöne hervorbringen, diese aber durch atemdruck und überblasen verändern, in immer neuen kombinationen und rhythmen, und da sowohl frequenzband wie zeit kontinuierliche phänomene sind, kann er sehr alt werden und hat noch nicht alle möglichkeiten freier improvisation erschöpft.
Dem wortsinn nach ist"improvisation" das unerwartete, noch nicht dagewesene, nicht das imitieren und nachspielen. Aber da musik meist sozial eingebettet ist, ist der einzelne eingebunden in tradition, situation u.a., auch im zusammenwirken mit anderen wird seine freiheit eingegrenzt, er muss sich ein- und unterordnen, es sei denn, ihm wird gestattet, sich in "soli" zu ergehen. Das kann reih-um gehen wie in einer solistisch besetzten jazzband, wo jeder seinen chorus als variante des gemeinsamen themas zum besten gibt, und wenn all dran waren, gibt es noch ein "ensemble", und dann ist das stück aus.

Der wunsch nach wiederholung war immer groß, mitsingen oder -tanzen zu können, setzt normen voraus, und in allen kulturen finden wir solche und praktiken, die ich eingebürgert haben und fast unverändert langeperioden überdauern. Ungewohntes schreckt zunächst ab, dass es mit begeisterung aufgenommen wird, ist eher selten. Eine zirkuskapelle muss sich ebenso nach dem tempo der pferde richten wie eine Big Band nach den turniertänzern, die geringste abweichung führte zum chaos.Heute läuft der größte teil des musikkonsums über die studioaufnahme, die durch tonträger verbreitet und selbst bei "live"- auftritten per play-back erklingt. Hier überwiegt die lust am wiedererkennen das bedürfnis nach neuem, unerwartetem, unvorhergesehenem ("improvisiertem"), und dass ein sänger mal indisponiert ist, ohne schönenden hall oder mit ungewohnter lautstärke singt, an anderer stelle atmet, gar gedächtnislücken hat oder einen einsatz verpasst, kommt nicht vor. Alles ist immer perfekt im jeweiligen stil.

Aus dem wunsch oder zwang nach wiederholung ergab sich die notwendigkeit der aufzeichnung, nicht nur bei musik, denn wer könnte außer einigen spezialisten den ganzen Homer oder die bibel zitieren, lägen sie nicht schriftlich vor!
Der liedschatz der kirche wurde zunächst als gedächtnisstütze im auf und ab der töne notiert, der rhythmus ergab sich aus dem text, mehrstimmigkeit erforderte genaueres, und seitdem ziehen sich mehrere stränge der musikausübung quer durch alle zeiten und kulturen:
die ungebundene, illiterate freie improvisation,
die an mancherlei vorgabengebundene, mit mehr oder minder spielraum,
die durch schrift in den wichtigsten parametern weitgehend festgelegte.







 
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Interessante Lektüre. Aber das, was im Titel steht, finde ich im Text nicht so ohne Weiteres wieder. Was macht Improvisation zur Kunst bzw. (ab) wann ist Improvisation Kunst?
 
Klugscheißmodus an: Ist improvare übersetzt nicht verbessern? Ich bin kein Lateiner und leite mir das nur vom englischen Wort improve her ... Würde mich mal interessieren, ob es da einen Zusammenhang gibt. Gerade wenn ich an Ornett Colemans Freejazz denke ... drängt sich mir der Gedanke schon auf.
 
Wenn schon Englisch: die richtige Spur ist providence...
 
Aaaalsoooo, auch wenn ich in Latein nur ne Vier hatte, improvare ist leider keine Lateinische Vokabel, aber dafür gibt es das Wort "improvisus" (-a, -um) das ist ein Adjektiv und bedeutet soviel wie "unvorhergesehen" oder "unvermutet".....vom Wortstamm her kann man das auf jeden Fall auf improvisieren zurückverfolgen :great:

@LibertinChanson: Lass den Klugscheissmodus nächstes mal aus ;) (Vorsicht! Keine Belidigung oder Provokation ;)

LG Flo
 
@saitentsauber
Ich habe noch nicht fertig.
Für die sprachinteressierten: lateinische wurzel wie oben, italienisch "improvisare"= aus dem stegreif dichten (was in der renaissance von improvisatori und improvisatrici als wettbewerb betrieben wurde) oder frei reden, abgeleitet von "improviso" oder "improvisto" =plötzlich, unvorhergesehen.
Englisch: "improvise", eines der vielen romanischen lehnswörtern, das im rahmen des humanismus auf die insel gelangte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Günter Sch.;6166001 schrieb:
italienisch "improvisare"
Kleine, unwesentliche Präzisierung: "improvvisare" läuft ebenso wie der bedauernswerte "contrabbasso" ständig Gefahr, eines Doppelkonsonanten beraubt zu werden. :)
 
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Ich würde mich gerne an der Diskussion beteiligen, weil in mir einige Gedankengänge bzw. Erfahrungen warten, niedergeschrieben zu werden ...

Aber ich habe noch nicht genau verstanden, WAS GENAU hier Thema ist. Und ich möchte keine Themenverfehlung begehen ...

Also, was ist es ?

a) Ab wann ist es Kunst, wenn jemand improvisiert ? Und WARUM ...
b) Die Historie der Improvisation in der Musik ?
c) Das behauptete Verschwinden dieser Kunst und seine Gründe ... ?
d) Oder was ganz anderes ... ?

LG, Thomas
 
Wie wurde wann und wo improvisiert?
In Indien erlernt man die kunst des raga-spielens auf der sitar, indem man bei einem meister in die lehre geht, ihm jahrelang dient, um die verschiedenen modelle kennenzulernen, sie sich einzuprägen, um sich schließlich ihnen stundenlang nach allen regeln der kunst hingeben zu können. Die 22 unterteilungen einer oktave ermöglichen viele melodische wendungen, die einstimmigkeit kann partiell rhythmisch unterstützt werden.
In ein balinesisches gamelan-orchester wächst man von klein auf hinein und fügt sich den traditionellen mustern, im ferneren osten gibt es andere instrumente, andere tonsysteme und spielkulturen. All das sprengte den rahmen dieser betrachtung, und wir verbleiben zunächst im mitteleuropäischen raum.
Die fortschreitende entwicklung verlangte nach arbeitsteilung, musik wurde beruf und blieb bestenfalls liebhaberei. Verlangten die bauern beim tanz unter der dorflinde, dass der fiedler sich in eigenen ideen ergehe oder wollten sie immer wieder das vertraute "Ich kumm aus frembden landen her", woanders "L'homme armè", in Mecklenburg "Brauder Jakob" hören? Das erste singen wir noch heute zur weihnachtszeit zu den worten "Vom himmel hoch, da komm ich her",das zweite wurde in etliche messen eingebaut, und bis die musikalische globalisierung auch die ländlichen bereiche überflutete, war folklore bei allen festen und gelegenheiten dabei. Musik wurde immer mehr geregelt, den verschiedenen bedürfnissen angepasst, und, flüchtig, wie sie ist, sie hinterließ wenige spuren. Einigen wollen wir nachgehen.
Aber zunächst fragen wir, wie und womit man sich musikalisch/unverwechselbar/eigen äußern kann. Da wäre zunächst die eigene stimme, aber von bedeutender vokaler improvisationspraxis weiß ich nichts, da wären allenfalls der singsang von kleinkindern, das jodeln und die virtuosen auszierungen der primadonnen und kastraten der barocken oper zu nennen. Noch bei Rossinis "Barbier"und manchen Verdi-arien erlauben sänger/innen sich persönliche schnörkel. Von "scat-gesang" wird später die rede sein.
Mitteleuropäische musik tendierte zur mehrstimmigkeit, und so waren es zunächst vorwiegend die harmoniefähigen tasteninstrumente, die dazu aufforderten, sich der eigenen eingebung frei hinzugeben. Es war im18./19,.jh. üblich, bei konzerten neben dem répertoire über ein gegebenes thema oder frei zu "fantasieren". Ein rest findet sich in der "kadenz" am satzende von solokonzerten, in denen der virtuose sein ganzes können wirkungsvoll zeigen kann.
Aber auch der organist begleitet noch heute einen teil des gottesdienstes nach eigenem belieben, denn die orgel mit ihrer klangfülle und-variabilität lädt geradezu zum improvisieren ein.
Diese praktiken sind nicht regellos, regeln sind erlernbar, und so kann man mit fug und recht von handwerk oder wie bei der seit der antike gelehrten rhetorik als redekunst von solcher sprechen. Dabei übergebe ich Albrecht Dürer das wort: "Ich habe in meinem leben viele schöne dinge gesehen, auch mich selbst bemüht, aber was kunst sei, das weiß ich nit!" Dass kunst können voraussetzt, ist ein oft wiederholter spruch, aber auch die nachbarschaft zu "künstlich" ist unverkennbar.Naturgegebenes material wird in menschenhand zum "werk",sei es die ausformung von ton zu gefäßen, von holz zu schnitzwerk oder schiffsbau, von stein zu skulptur, haus, kathedrale oder palast, aus fasern werden gewebe, die pflanzenwelt gestalten wir in gärten und parks. Dass markt, rationalisierung und verschwendung zu öden kultursteppen und wohnsilos führen, lassen wir mal außer acht.
Und aus schwingenden medien machen wir musik, als lehrlinge, gesellen oder meister, zu täglichem gebrauch, zu besonderen anlässen, gemäß der nachfrage, einer erwartungshaltung nachkommend, zu massenkonsum und kommerzieller verwertung oder auch nicht.









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Ich würde mich gerne an der Diskussion beteiligen,
Aber ich habe noch nicht genau verstanden, WAS GENAU hier Thema ist. Und ich möchte keine Themenverfehlung
@ turko
Nimm es als improvisation oder plauderei über ein gegebenes thema, wobei ich selbst noch nicht weiß, wohin es mich führt, eben unerwartet und unvorhersehbar. Beteiligung ist besonders erwünscht, wenn es in bereiche führt, in denen ich mich nicht auskenne.
@CUDO
Danke!
 
Zuletzt bearbeitet:
Ok, dann halt hier mal meine Wortspende mit dem, was ich an Gedanken zu diesem Themenkomplex beizutragen im Stande bin ... :

Ich habe die Erfahrung gemacht, daß die Leute ganz verschiedene Auffassungen davon haben, was konkret unter Improvisaton zu verstehen ist. Beziehungsweise interpretieren sie diese völlig unterschiedlich.

Da ist einerseite die wirklich völlig freie Improvisation, nicht nur in der Musik ... . Frei von Regeln, frei von Strukturen. Diese mag sinnvoll sein, und ist für den/die Ausführenden ganz sicherlich sogar spannend.

Aber für die Zuschauer/-hörer kann das schon eine Qual werden. Denn kennt man die Regeln nicht, um die herum die Improvisation gebaut wird, oder gibt es womöglich gar keine, dann ist das nur schwer erträglich. Eine Muster-Suche dort, wo überhaupt keine Muster zu finden sind, ist entsetzlich mühsam und frustrierend ... für mich persönlich (!!) findet Freejazz in einem derartigen Rahmen statt. Ich habe im Laufe meines bisherige Lebes einige Versuche unternommen, die tieferliegenden Strukturen zu entschlüsseln, bin aber immer gescheitert ... und habe mich mit der Erkenntnis getröstet, daß letztlich ja auch nur ein verschwindender Bruchteil der Musiker diesen Weg zu gehen bereit sind ...

Dann ist da die (musikalische) Improvisation, die gewissen Regeln und Hörerwartungen folgt, und die diese Erwartungen in kleinen Dosen und ganz gezielt immer wieder bricht, wenn ein Meister am Werk ist ... Stichwort JAZZ.

Interessant finde ich die Tatsache, daß "Außenstehende" oft der Meinung sind, der - in diesem Fall - Jazz-Musiker erfinde all das, was er gerade spielt wirklich neu, quasi in einem Strudel der Inspiration, ... dabei kombiniert er doch nur die Bausteine seines Handwerks in neuer Art und Weise ... bei einem Redner würde auch niemand auf die Idee kommen, er habe die einzelnen Worte und Redewendungen neu erfunden ... daß dennoch bisweilen eine mitreißende Rede herauskommen kann, liegt an der Fäigkeit des Redners, die Worte auf aufrgende neue Weise zu sortieren/anzuordnen und vielleicht neue "Bilder" zu finden ...

Zuletzt noch die Beobachtung aus meinem persönlichen Bekanntenkreis, daß viele Musiker - auch gut ausgebildete und durchaus fähige - die Eigenschaft haben, "an den Noten zu kleben", als gäbe es ohne Noten gar keine Musik. Das hängt sicher mit der Art und Weise zusammen, wie sie musikalisch sozialisiert wurden (klassischer Unterricht, Akademie, ...). Will man so einen Musiker zum schweigen bringen, braucht es nicht mehr, als die Anweisung "Sing`/Spiel´ an dieser Stelle doch einfach, was Dir gefällt und was paßt!". Das reicht oft aus, um jegliche Teilnahme des Betreffenden für eine gewisse Zeit im Keim zu ersticken.

Dahinter steckt scheinbar das Fehlen einer gewissen Unbefangenheit dem musikalischen Tun gegenüber ... für solche Menschen ist Musik machen "nur Mittel zum Zweck", nämlich dem Zwck, "perfekte" Musik nach festen Vorgaben entstehen zu lassen. Das Musizieren selbst, mit Fehlern und Irrtümern, mit Ausprobieren und Scheitern, mit dem Wagnis eines Neuen ... das hat keine Bedeutung und ängstigt. Der Komponist/das Werk ist alles, die persönliche Befindlichkeit dem gegenüber zählt nichts.

LG, Thomas
 
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musikalisch sozialisiert
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Das Musizieren selbst, mit Fehlern und Irrtümern, mit Ausprobieren und Scheitern, mit dem Wagnis eines Neuen ... das hat keine Bedeutung und ängstigt. Der Komponist/das Werk ist alles, die persönliche Befindlichkeit dem gegenüber zählt nichts.
Schlimm genug, dass es oft so ist. Wenn man Improvisation mal nicht völlig losgelöst betrachtet, sondern immer noch in Strukturen, dann ist sie eigentlich eine sehr schöne Verbindung zwischen Komponist und Interpret, wo beide zu einigermaßen gleichen Teilen ihre Kreativität einbringen können. Hinsichtlich der Mustererkennung ist der Anteil des Komponisten allerdings klar im Vorteil, denn den gibts ja schon länger und er ist von spontanen Fehlern in aller Regel verschont.
 
Waren unsere großen meister hervorragende improvisatoren?

Wir haben berichte vom wettstreit zwischen Händel und Scarlatti, Bach und Marchand, Friedrich II. gab Bach ein "königliches" thema, das er später, ausgearbeitet, "Musikalisches Opfer" nannte, das wunderkind Mozart improvisierte sogar zum stauenen der hohen herrschaften mit verdeckter tastatur, Beethoven bearbeitete nach einem spaziergang die seine, und schrieb anschließend den 3.satz, op.27.2 nieder. Das tat er zu allen tages - und nachtzeiten, was seine ständigen wohnungsprobleme erklärt, die klavierliteratur wimmelt von fantasien, präludien, toccaten, die alle improvisatorische züge aufweisen, bei Schubert und Chopin sind es "impromptus", bei Liszt und Brahms "rhapsodien",
Alles dies ist kompositorisch locker gestrickt, mit viel laufwerk, akkordbrechungen, rezitativ-artigen einschüben, einen gedanken fortspinnend oder mit heterogen/kontrastierenden teilen.
Hat es von Bachs "Chromatischer Fantasie" je ein autograph gegeben? Es gibt 3 verschiedene versionen (Rust, Krebs. Forkel), keine von Bach, und der arpeggierte abschnitt ist nur in akkorden angedeutet, der freiheit des spielers und dem umfang seines instrumentes (das alles war ja nicht genormt) überlassen.
Mozart, der ganze werke im kopf hatte, bevor er sie fehlerfrei niederschrieb, dürfen wir doch zutrauen, aus dem stegreif spielen zu können, und von Max Reger heißt es, er habe bei einem klavierabend vergessen, was auf dem programm stand und in der not nur eigenes, im augenblick erfundenes, wiedergegeben.
Summa: wer komponieren und ein instrument spielen kann (damals selbstverständlich), kann auch improvisieren.
Wenn ich einen vergleich wagen darf, verhält sich das spontane zum komponierten wie eine skizze zum ausgearbeiteten gemälde. Das skizzenhafte, unfertige kann übrigens wie im falle vom William Turner sehr reizvoll und hochwertig sein.
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"Komponieren ist eine Art verlangsamte Improvisation; Oft kann man nicht schnell genug schreiben, um mit dem Strom der Gedanken Schritt zu halten." Arnold Schönberg.

"Es ist fraglich, ob man nach langer Arbeit besseres leisten könnte." Denis Diderot über die Improvisation bei der Redekunst.


Ist Improvisation nicht die Mutter aller Kreativität?
 
Ist Improvisation nicht die Mutter aller Kreativität?

Ja. Ist sie.

Und ich möchte bezweifeln, daß die großen Komponisten einen wesentlichen Unterschied empfunden haben zwischen Improvisieren und Komponieren. Höchstens, daß im Komponieren noch mehr Detailarbeit d´rinnen steckt ...
 
In einem "Kreislerianum" schildert E.T.A. Hoffmann den verlauf einer gut-bürgerlichen musikalischen teegesellschaft: die tochter des hauses müht sich mit einer arie, unterbrochen durch die ausrufe am spieltisch "Ach,ich liebte_-", "Achtzehn, zwanzig ", "War so glücklich - -" usw.
Schließlich wird Kreisler um variationen gebeten, da er ja so himmlich fantasiere. Er legt die Goldbergvariationen auf, schon nach dem ersten kanon entschwinden einige gäste, bis nr.30 hält nur einer durch, aber Kreisler, beflügelt, spielt immer weiter fort, was der ostinate bass hergibt. Nur der bediente bleibt, und die beiden spielen noch eine violinsonate für sich ganz allein.
Im 19.jh. nahm man manches nicht so genau, Clara beklagt sich, wie Liszt mit Roberts musik umginge, andere hörten lauter falsche bässe, man spielte vom blatt oder aus dem gedächtnis, so gut es eben ging. Reisende virtuosen verblüfften durch ihr gedächtnis, sie hatten ihr begrenztes répertoire in kopf und fingern und hinterließen dem nächsten jh. den frack und den zwang zum auswendig-spielen. Ein gutes gedächtnis ist sehr hilfreich, hat aber mit musikalität nichts zu tun, allenfalls hat man bei virtuos/schwierigen werken eine bessere kontrolle übe die hände und den technischen ablauf.
Dazu ein eigenes "Kreislerianum":
es war bei einer deutsch-sowjetischen fète, als eine junge dame sich hören ließ, was ich als "Appassionata-light" identifizierte, der applaus war groß, und der chef des ganzen wandte sich zu mir "Da kannste dir eine scheibe abschneiden!" . Ich hatte dasselbe werk am selben ort in Beethovens originalfassung gespielt, allerdings mit den noten auf dem pult.

Kreativität, ja, aber bitte mit eigenem!
 
Improvisieren ist wie Feuer im Ofen entfachen. Das Holz ist jedesmal ein anderes und auch der Schornstein zieht je nach Wetterlage nicht immer gut. Manchmal will es einfach nicht angehen. Oft genügt dann eine klitzekleine Umschichtung oder noch ein wenig schnell entflammbares Papier - - und schon geht's ab.
Manche Leute haben ein Händchen dafür, manche nicht so. Vielleicht, weil sie die Natur der Flamme nicht so kennen oder mögen.
Schema F ist unbrauchbar beim Entflammen der improvisierten Musik.
 
Ich würde gern von der ebene der vergleiche, aufrechnungen und definitionen zur praxis des was und wie übergehen, systematisch oder "kreativ" (das überfrachtete wort meide ich geflissentlich), mit oder ohne Haunschild und Sikora, und wer da einiges pulver auf der pfanne hat, mag dazu beitragen.
Aber vorher erst mal tief luft holen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Gute Idee.

Geht man von der üblicherweise genommenen Praxis aus, dass ein Thema (was auch immer) vorliegt, dann stellen sich die mit den verwendeten Harmonien verbundenen Leitern als erste Problemzone heraus. Kennt man sie, oder muss man sie erst durch Trial and Error herausfinden, gibt es vorherige Absprachen oder wird erwartet, dass man alleine klarkommt.
Das ist meistens der Punkt, an dem mein Scheitern beginnt, denn all das damit verbundene ist eine rein intellektuelle Aufgabe, der ich mich beim Improvisieren nicht gewachsen sehe, - weil ich intuitiv handeln und reagieren möchte.
Analyse bedeutet Zeitverlust; der Zug fährt mir währenddessen davon.

Es bleibt mir der Versuch mitzuhalten und die Gefahr "falscher Töne" getrost einzugehen.
Hier hat mit Sikora eine einfache Methode zur Legalisierung falscher Töne geliefert, die auf verschiedene Arten in die Praxis des Improvisierens einfliessen kann. (Wiederholung, Übergangston, Ziselierung)

Als Bassist hat man bei der Improvisation die Möglichkeit, die Rolle des Instrumentes als Bindeglied zwischen Rhythmus, Struktur und Melodie zu nutzen und selbst Vorgaben zu liefern, an denen sich die anderen (und man selbst) erproben und abarbeiten. Das bedeutet einen gewissen Fokus auf den Bassisten mit der damit verbundenen "Bringschuld", die aber auch bei genügend kreativer Energie Anreiz sein kann.

Beginnt die Improvisation ganz ohne thematische Vorgaben, beispielsweise mittels eines Klangteppichs, dann liegt die mMn. noch interessantere Form vor. Dazu fällt mir jetzt erstmal keine Strategie ein.
 
Günter Sch.;6170757 schrieb:
Ich würde gern von der ebene der vergleiche, aufrechnungen und definitionen zur praxis des was und wie übergehen, systematisch oder "kreativ" (das überfrachtete wort meide ich geflissentlich), mit oder ohne Haunschild und Sikora, und wer da einiges pulver auf der pfanne hat, mag dazu beitragen.
Da würde mich interessieren wie Du es mit der Geschichte um Bach hälst, dass er mehrstimmige Fugen improvisieren konnte. Legende? Wobei der Anteil an Improvisation ja dann einen Schritt zurück geht, wenn strenge Regeln auftreten. Ich stelle es mir jedoch (handwerklich) schwieriger vor Musik zu improvisieren, die Regeln folgt, die sich aus dem ergeben, was ich ein paar Takte vorher gespielt habe und das ganze dann vielleicht 3 stimmig. Da müssen einige Hirnwindungen auf Hochtouren laufen. Zumindest einfacher als die freie Improvisation. Ich kann mir das gar nicht so richtig vorstellen...
 

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