exotischer Umbau

  • Ersteller Kalle Wirsch
  • Erstellt am
Kalle Wirsch
Kalle Wirsch
Registrierter Benutzer
Zuletzt hier
28.05.24
Registriert
22.08.08
Beiträge
553
Kekse
5.761
Ort
Kuchen
Ich bin beim stöbern im Netz auf folgende Seite gestoßen:

http://www.robertsmusicalrestorations.com/Completed%20project%20files/25%20Note%20Accordion.htm

Sieht so aus, als könne man die einzelnen Tasten pneumatisch ansteuern. Ist mal was anderes.

Umgekehrt wäre das noch interessanter. Wenn man mit dem Akkordeon eine Kirchenorgel spielen könnte. Das wär dann doch mal was für unseren Ippenstein. Dann könnte er endlich die beiden Welten vereinen. Kirchenorgel mit Akkordeon als Manual - das wäre doch DIE Innovation seit Bach. :rofl:

Vielleicht gibt's ja noch schrägere Umbauten - bin mal gespannt.
 
Eigenschaft
 
Hallo Leonhard,

Das gezeigte Instrument ist ein Nachbau-Versuch für etwas, das es schon seit ca. hundert Jahren gibt. Man hat ja schon vor 1900 versucht, die Musik zu "automatisieren" und damit größeren Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen, denn bis dahin konnte nur der Musik hören, wer sich eine Kapelle oder einen Musiker leisten konnte.

Das fing erstmal mit den Walzenspieldosen an; die wurden zu Anfang im französischen Jura und später auch in Wien und anderen Städten hergestellt. Sie waren allerdings sehr teuer und hatten den Nachteil, dass man im Wesentlichen nur immer die gleichen Lieder spielen konnte, die auf der Walze drauf waren.

Es machten sich nun Hunderte von findigen Köpfen daran, was Besseres zu erfinden, und man kam über mehrere Übergangsstufen (z.B. Blechplattenspieler) zur pneumatischen Steuerung, bei kleineren Instrumenten mit gelochten Papiernotenrollen oder für Großinstrumente (Kirmesorgeln) mit Kartonnotenbüchern.

Es ging nun eine wahre "Automatisierungswelle" durch die Musikindustrie; man hat alles automatisch gesteuert: Klavier, Orgel, Banjo, Schlagzeug, Harfe, Glockenspiel usw. und irgendwann hat es auch das Akkordeon erwischt.

Es gibt heute noch in Antwerpen in bestimmten Kneipen riesige Tanzorgeln, die u. a. mit zwei oder drei Akkordeons bestückt sind und die heute noch laufen.
Man hat auch lebensgroße Puppen mit Akkordeons bestückt und diese Puppen konnten sogar noch die Finger bewegen und dadurch den Anschein wirklichen Spielens erwecken.

Die Tasten wurden pneumatisch über kleine Bälge angesteuert (so wie in dem Post abgebildet), die über Unterdruck (Vakuum) von der Notenrolle aus gesteuert wurden. Ein Paradebeispiel steht in meinem Lieblingsmuseum im Schloss Bruchsal.

http://www.dmm-bruchsal.de/

Das ist eine Figur, die angeblich den Alleinunterhalter Tino Rossi darstellen soll und der auf einer Scandalli spielt. Er hat sogar noch einen schlagzeugenden Sarotti-Mohr bei sich.

Es gab auch viele selbstspielende Akkordeons, die von außen nicht gleich erkennen ließen, dass sie nicht wirklich vom Bediener gespielt wurden, so z. B. den "Tanzbär" aus Sachsen und die "Magic Organa" von Hohner. Auch diese Geräte sind in Bruchsal zu besichtigen.

http://www.vintageaudioberlin.de/vabgalerien/kurioses/Hohner Magic Organa/index.htm
http://www.vintageaudioberlin.de/vabframe2/kurioses.htm

Es gibt außerdem noch einige Museen, wo man auch solche Kisten besichtigen kann, so z. B. in Rüdesheim, Königslutter etc.

Selbstspielende Akkordeons (heute allerdings mit elektronischer Steuerung) werden sogar heute noch hergestellt.

http://www.magieca.de/
http://www.ziehorgel.de/harmonika.php

Wer also keine Lust mehr zum Üben hat, der kaufe sich so ein Ding.

Jetzt höre ich lieber auf, sonst wird's der längste Post des Forums. Ich habe ungefähr zwei laufende Meter Literatur über dieses Gebiet im Schrank.

Gruß Claus

Und jetzt doch noch ein Nachklapp:
http://www.youtube.com/watch?v=SCXILs1Mmlc&NR=1
Im gleichen Umfeld gibt es ein Video des Hohner-Seybold-Orchestrions Piano-Accordeo-Jazz; das bescheuertste Akkordeon aller Zeiten mit je einer Piano-Tastatur rechts und links und draufgeschraubtem Schlagzeug...
http://www.youtube.com/watch?v=5TQsuYrtR-0
 
Zuletzt bearbeitet:
  • Gefällt mir
Reaktionen: 8 Benutzer
Lieber Claus
vielen Dank für diese Links! Ein hoch interessantes Thema. Mit der Automatisierung der Musikinstrumente wurde ja versucht, die Musik reproduzierbar und unabhängig von den Musikern zu machen. Das Akkordeon ist insofern auch ein Teil dieser Entwicklung, da Begleitung und Melodie von einem Musiker gespielt werden kann, was sonst zu zweien gespielt wurde.

zu Anfang im französischen Jura

Kleine Korrektur: Ste Croix gilt als Zentrum der mechanischen Musik und liegt im Schweizer Jura http://www.myswitzerland.com/de/erl...een/spieldosen-und-automaten-museum-cima.html eine Gegend, wo traditionell auch Uhren hergestellt werden. Ein anderes Museum, das die grossen Musikmaschinen (z.T. auch mit Akkordeons) ist das Museum für Musikautomaten in Seewen bei Basel http://www.bundesmuseen.ch/musikautomaten/index.html?lang=de Beide lohnen einen Besuch.

Sozialgeschichtlich und auch aus der Perspektive der Musik finde ich die Themen der Automatisierung der Musik und der Industrialisierung der Musikinstrumentenherstellung sehr interessant, irgendwie fand ich im Musiker-board kein geeignetes Forum dafür.

Grüsse, accordion
 
Hallo, Claus,

das bescheuertste Akkordeon aller Zeiten mit je einer Piano-Tastatur rechts und links

wieso bescheuert?
Für diejenigen unter uns, die vom Klavier her kommen ist das doch eine bedenkenswerte Alternative. ;)
Fragt sich, wie sich das mit der Balgführung so verhält.

Gruß
Reinhard
 
@ Accordion:

Tut mir ja leid, dass ich das nach Frankreich eingemeindet habe. Ich war mehrmals in L'Auberson im Museum Baud und weiß noch sehr genau, dass die sich nicht so unbedingt als Schweizer fühlten. Aber das ist eine andere Geschichte.

Das Museum in Seewen ist mir natürlich sehr bekannt; ich kannte den Herrn Dr. Weiß-Stauffacher ganz gut.

Es gibt aber in der Schweiz wie auch in Frankreich noch einige sehr gute Museen dieser Art. Ebenfalls nicht zu vergessen die Niederlande und Belgien.

Das Instrumentenmuseum in Utrecht ist das absolute Glanzlicht. Und jetzt noch ein OT: Es gibt dort auch ein Eisenbahnmuseum allererster Güte.

@reini2

Das wird es wohl sein; die Balgführung wird schon schwierig. Vor allem: Wo den Handriemen dranmachen?

Gruß Claus
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Leo,

in der Tat ist das interessant, aber es gibt das ja bereits als Harmonium oder speziell in der Orgel als "Physharmonica". Das war ein Zungenregister mit Stimmplatten, bei dem der Organist die Luftzufuhr per Schweller bestimmen konnte.

Viele Grüße

Andreas
 
Hallo Leo,

in der Tat ist das interessant, aber es gibt das ja bereits als Harmonium oder speziell in der Orgel als "Physharmonica". Das war ein Zungenregister mit Stimmplatten, bei dem der Organist die Luftzufuhr per Schweller bestimmen konnte.

Viele Grüße

Andreas

Hallo,

das lässt sich m.E. nicht vergleichen. Bei jedem wie auch immer gearteten Schweller geht es ja darum, dass man die Windzufuhr (Meistens durch Änderung des Kanalquerschnitts) in bestimmten Grenzen verändert. Hier geht es ja um die Adaption einer automatischen Steuerung durch Betätigung der Taste; diese Bälge können ja nur "Ja" oder "Nein" sagen und nichts dazwischen, d. h. es ist eigentlich eine "Digitalsteuerung" durch eine Automatik, wie man heute sagen würde.

Natürlich hat man vor dem Krieg auch Harmonien automatisiert, z. B. bei der berühmten "Scheola" von Schiedmayer (Stuttgart). Aber auch da geht es nicht primär um die Windzufuhr zu den Zungen, sondern um die automatische Steuerung der Tasten durch gelochte Papiernotenrollen.

http://www.harmoniumnet.nl/Schiedmayer-1929-120-Jahr.html

Gruß Claus
 
Hallo Claus,

ich bezog mich auf Leos Beitrag und wollte zeigen, daß das "Akkordeon" in der Orgel bereits verwirklicht worden war.

Grüße

Ippenstein
 
Hallo,

für die Interessierten an automatischen Akkordeons:

Ein Video über die Hohner Magic Organa. Das ist ein Instrument aus den Dreißigern des vorherigen Jahrhunderts. Man kann sehen, wie die Notenrolle eingelegt wird und wie man das Instrument spielt. Die Notenrolle wird durch ein Federwerk angetrieben, das vorher aufgezogen werden muss. Die Stimmzungen müssen ganz normal über den Balg gespielt werden. Da aber die Steuerung mit den im Post von Leonhard gezeigten Bälgchen betätigt wird, braucht man zusätzlich noch Saugluft. Diese wird über ein Fußpedal erzeugt. Nur werden hier keine Tasten angesteuert, sondern Ventile im Innern, die die Luft zu den Stimmzungen durchlassen. Die ganzen Knöpfe sind nur Attrappen, die fest eingeleimt sind.

Das heißt, man hat gut zu tun; Aufziehen, Balg betätigen und auch noch auf das Pedal trampeln. Ich habe viel üben müssen, nachdem ich das Ding restauriert habe, um die Organa richtig bedienen zu können, denn wir haben im Museum auch noch ein Schlagzeug, das da angeschlossen werden kann und das auch automatisch mitspielt. Wir hatten mal vor Jahren eine Besucherdelegation aus USA, die das Instrument unbedingt sehen und hören wollten.

Der Zustand des Instruments ist natürlich eine Schande; total verstimmt und mit einer Menge fehlender Töne; das hat die Magic Organa nicht verdient.
So sollte man ein Instrument nicht vorführen; ich habe halt nichts Besseres an Videos gefunden.

Gruß Claus

http://www.youtube.com/watch?v=ce6sFsPQM3s
 
Zuletzt bearbeitet:

Ähnliche Themen


Unser weiteres Online-Angebot:
Bassic.de · Deejayforum.de · Sequencer.de · Clavio.de · Guitarworld.de · Recording.de

Musiker-Board Logo
Zurück
Oben