Kirchentonleitern: Frage für wirklich tief Denkende

turko
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Guten Abend Kollegen,

eine Frage, die mich schon des längeren umtreibt, die ich aber erst jetzt (aus Anlaß eines Threads, der gerade in diesem Forum läuft) an Euch stellen will, ist:

Es ist ja eine Tatsache, daß sich die Intervallstrukturen von Kirchentonleitern bilden lassen, indem man eine Dur-Tonleiter mit jedem ihrer Töne als neuen Grundton perpetuiert. Das ist eine überaus hilfreiche und praktische Eselsbrücke, die sogar so hilfreich ist, daß sie manchmal zu Verwirrung und Fehlannahmen führt, wie auch in diesem Forum schon mehrfach geschehen.

Meine Frage ist nun konkret:
Ist diese Verbindung zwischen Dur-Tonleiter und Kirchentonleitern, wonach jede Dur-Tonleiter gleichzeitig das Tonrecervoir für jene Kirchentonleitern ist, die als Grundton einen der Dur-Tonleitertöne haben, und dass sich alles so scön ausgeht, ist diese Verbindung eigentlich zufällig, oder liegt dem irgendeine Systematik oder innere Logik zugrunde (die ich allerdings noch nicht durchblickt habe) ?

Danke für Rückmeldungen jener, die Licht in mein Dunkel bringen können.

Thomas
 
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Diese Frage finde ich durchaus spannend. Eine Antwort habe ich aber leider auch nicht.

Seit fast 40 Jahren stoße ich immer wieder auf das antike griechische Tonsystem, das damals ja noch nicht nach Tonleitern, sondern nach Viertonsegmenten, den Tetrachorden, gegliedert war. Ich habe auch versucht, "de institutione musica" von Boethius zu lesen, in der alten Übersetzung von Oscar Paul von 1872.
Im Grunde verstehe ich es aber immer weniger, je öfter ich drüber nachdenke ;)

Die damaligen vier Modi, die sich ja zu unseren jetzigen Modi "dorisch", "phrygisch", "lydisch" und "mixolydisch" ausbuchstabieren lassen (lassen wir die plagalen mal weg), waren damals der Versuch, die schon existierenden Melodien zu erfassen. Und damals schon mußte man teils auf chromatische Varianten ausweichen, um allen Anforderungen gerecht zu werden.
Auch im heutigen Europa sind nicht alle Melodien mit den sieben Kirchentonleitern abbildbar.

Dir nicht unbekannt, aber vielleicht manch anderen: Das, was wir heutzutage die "normale" Durtonleiter nennen, wurde erst im 16. Jahrhundert mit einem Namen benannt. Davor wurde zwar die ionische Leiter schon teils verwendet, aber offensichtlich als tiefalteriertes Lydisch notiert. Erst Glareanus hat wohl gesagt (salopp): das Ding wird jetzt so oft verwendet, jetzt kriegt es auch einen eigenen Namen.

Die Theorie lief also seit jeher der musikalischen Realität hinterher. Für eine Antwort auf Deine eigentliche Frage nach dem Zusammenhang könntest Du vielleicht mit einer Zeitmaschine knappe 3000 Jahre in die Vergangenheit reisen und da bei den alten Sumerern anfangen zu suchen - und dann aber vermutlich nichts finden, weil die Leute dort mit unserer Art Systematik nichts anfangen könnten. Dann wird's philosophisch.

Ich habe viel über die Entstehung unserer europäischen Mehrstimmigkeit im Mittelalter gelesen und in einem Buch gab einen längeren Absatz mit ziemlich genauen Regeln, die mit reinen Quinten zu tun hatten, die ja in sich niemals sauber aufgehen. Und dieser längere Absatz endete mit dem Satz: "Am Ende soll alles gut zusammen passen". Das fand ich sehr erhellend. (Die genaue Stelle muß ich erst wieder finden ...)

Fazit: Musiktheorie war eigentlich schon immer unzureichend :D

Somit von mir keine Antwort, sondern erst einmal eher eine Verkomplizierung der Frage. Und die Antwort liegt vermutlich drei Metaebenen höher.
 
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Klingt jetzt vielleicht etwas unqualifiziert, aber ich probier's trotzdem mal:

Musiktheorie ist im Gegensatz zur Mathematik nicht durch die Struktur der Welt vorgegeben, sondern ist komplett vom Menschen gemacht und besitzt daher auch keine innere Logik.
Und das System wurde vom Menschen einfach so konstruiert, dass es für seine Denkgewohnheiten Sinn macht.

Eine ähnliche Frage wäre für mich: Ist es Zufall, dass das Frequenzverhältnis zwischen A und C das selbe ist, wie zwischen E und G? Nein, der Mensch hat das einfach so festgelegt, weil's praktisch ist. Dahinter gibt es aber nichts zu begreifen, das muss man einfach nur akzeptieren, wenn man mit dem System arbeiten will.

In der Geschichte wurden ja auch immer wieder die "Regeln" der Musik geändert, weil man irgendwann an einen Punkt gekommen ist, an dem das System keinen Sinn mehr gemacht hat. Und dann wurden einfach die Regeln geändert, so dass es wieder Sinn ergibt.
 
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Ich glaube, da musst Du wesentlich weiter zurück gehen. Die "Modi" sind deutlich älter als das, was wir heute als Dur-Moll kennen. Sie gehen auf das griechische Tonsystem zurück, das heute wohl am ehesten mit "äolisch" vergleichbar wäre, auch wenn wir natürlich keine Tonquellen haben. Aber schon in diesem System ist eine gewisse Form der Diatonik beschrieben worden, die dann über die Jahrhunderte verfeinert wurde.

- @omnimusicus hat das viel besser beschrieben. Ich höre hier auf zu tipseln ;)
 
In der Geschichte wurden ja auch immer wieder die "Regeln" der Musik geändert, weil man irgendwann an einen Punkt gekommen ist, an dem das System keinen Sinn mehr gemacht hat. Und dann wurden einfach die Regeln geändert, so dass es wieder Sinn ergibt.
Na gut.
Und wann und wie soll das IM GEGENSTÄNDLICHEN KONTEXT geschehen sein ?

Thomss
 
ist diese Verbindung eigentlich zufällig, oder liegt dem irgendeine Systematik oder innere Logik zugrunde?
Das hab ich mir noch nie überlegt, ich dachte das ist viel einfacher:
die Systematik ist das Ergebnis der Kombinatorik - das sind alle Möglichkeiten, die du mit den gegebenen Halb- und Ganztonschritten bilden kannst.
 
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muss ganz ehrlich zugeben , dass ich von Theorie nicht soviel Ahnung habe, aber manchmal
greife ich mir mal die Phrygische Tonleiter heraus ,sie beginnt ja mit dem Halbton , wenn wir mal
G nehmen so ist das dann G As Bb ,C D ES F G. Was ich damit sagen will , diese Sache klingt sehr
nach Moll und düster , mit verzerrter Gitarre kann man da das alte Black Sabbath Gespenst aus
seinem Verließ locken.
 
... die Systematik ist das Ergebnis der Kombinatorik - das sind alle Möglichkeiten, die du mit den gegebenen Halb- und Ganztonschritten bilden kannst.
Gut, dann die Frage von hintenherum formuliert: Warum kommt in dem ganzen System keine einzige schwarze Taste vor (das ist natürlich nur RELATIV zu verstehen !!) ?
 
Und wann und wie soll das IM GEGENSTÄNDLICHEN KONTEXT geschehen sein ?
Ich schätze, das weißt du wesentlich besser als ich, mit Musikgeschichte hab ich's nicht so.
Aber ich würde sagen, mit Einführung der Stufentheorie (laut Wikipedia so zwischen 18 und 19 Jhr.)
 
Was ich damit sagen will , diese Sache klingt sehr ... nach Moll und düster ...
Ich denke, diese Wahrnehmung hat nicht sehr viel mit unserem Thema hier zu tun.

Thomas
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Ich schätze, das weißt du wesentlich besser als ich, ....
Nein, tue ich nicht. Sonst hätte ich nicht danach gefragt.
Ausserdem fand ich persönlich Deinen Gedankengang nicht wirklich überzeugend, und hätte mich mit dieser Zusatzinformation eventuell überzeugen lassen.

Thomas
 
Warum kommt in dem ganzen System keine einzige schwarze Taste vor

Ursprünglich gab es gar keine schwarzen Tasten. Die Chromatik und das Herumwandern in mehreren Tonarten sind geschichtlich gesehen eine relativ neue Errungenschaft, die auch viel mit den Fortschritten in der Mathematik und im Instrumentenbau zu tun haben.
 
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Auch ich möchte hier etwas beitragen: in einem 'sehr gescheiten' Buch von Friedrich Herzfeld wird das sehr gut erklärt, aber ich denke nicht jeder hat Zugang zu diesem Buch - es trägt den Titel 'Du und die Musik' (Ulstein Verlag).
Herzfeld schreibt über Kirchentonarten (KTA): um 1600 rum hat sich unser Dur-Moll-System erst entwickelt. Davor waren pentatonische Tonleitern, gefolgt von griechischen Tonleitern in Gebrauch.
Man hat die Namen griechischer Tonleitern übernommen und einzelne Leitern vertauscht. Die 2. & 3. Stufe (Dorsch und Phrygisch). waren Grundstöcke dafür. Beide Tonarten enden mit einem Ganztonschritt c auf d (Dorisch) und d auf e (Phrygisch). Letztere beginnt dabei auch noch mit einem Halbtonschritt. Später dann kam noch die Chromatik hinzu, was notwendig war für das Tonsystem an sich. Wichtig auch wegen der Tonschritte in der Dur-Tonleiter 1-1-1/2-1-1-1-1/2 (in G-Dur Bspw. also Fis und nicht F). So ergab sich das System aller Dur-Tonarten, siehe Quintenzirkel.
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Moll = traurig
Dur = fröhlich
:D
 
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@ MrRojo: Dieser Teil Historie ist mir in groben Zügen schon bekannt, aber ich kann leider (noch) nicht recht erkennen, wo der Zusammenhang zu der von mir gestellten Frage ist.
Aber ich werde darüber noch sinnieren. :)

Thomas
 
Warum kommt in dem ganzen System keine einzige schwarze Taste vor (das ist natürlich nur RELATIV zu verstehen !!) ?
Aus meiner Sicht: 6 reine Quinten (3:2) aufeinandergeschichtet und dann mittels Okatvteilung (2:1) in eine singbare Ordnung gebracht ergeben eine lydische Tonleiter. Ich vermute, daß das Pythagoras (oder sonst jemand der schlauen Köpfe der damaligen Zeit) schon herausbekommen hatte. Sobald ich die 7. reine Quint obendrauf setze, bin ich im Grunde schon beim hochalterierten Grundton. Daraus folgt: Wenn ich die 7. Quint vermindere, bin ich wieder beim Grundton. Und jetzt ist es nur ein Frage der Kombinatorik, daß ich die verminderte Quint nicht an 7. Stelle verwende, sondern an irgendeiner anderen.

(So gesehen würde ich die Frage auf die lydische Tonleiter beziehen und nicht auf die Dur-Tonleiter.)

Dann ergibt sich:
verminderte Quint an 6. Stelle = Ionisch
verminderte Quint an 5. Stelle = Mixolydisch
verminderte Quint an 4. Stelle = Dorisch
verminderte Quint an 3. Stelle = Aeolisch
verminderte Quint an 2. Stelle = Phrygisch
verminderte Quint an 1. Stelle = Lokrisch

Zwar sind das evtl. interessante Gedankengänge, aber ich habe das dumpfe Gefühl, daß es Deine Frage nicht beantwortet (falls ich sie überhaupt verstanden habe), weil es im Grunde wieder nur ein durch 3 Spiegel um die Ecke gelenkter Blick auf das selbe Ausgangsproblem ist.

Viele Grüße,
McCoy
 
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Wenn ich Deine Antwort, McCoy, jetzt richtig vesrstehe (und dessen bin ich mir ebenfalls gar nicht sehr sicher :) ), dann beschreibt die ja "nur" die erklärbare Herkunft der KTL, bzw. deren Ableitung von Lydisch.

Meine Frage ging aber eher darum, warum sich so automatisch diese schöne Eselsbrücke mit den weißen Tasten (basierend auf C-Dur) ergibt, also die Relation zu DUR.

Thomas
 
Das hab ich mir noch nie überlegt, ich dachte das ist viel einfacher:
die Systematik ist das Ergebnis der Kombinatorik - das sind alle Möglichkeiten, die du mit den gegebenen Halb- und Ganztonschritten bilden kannst.
Find ich auch einen sehr guten Ansatz.

Gut, dann die Frage von hintenherum formuliert: Warum kommt in dem ganzen System keine einzige schwarze Taste vor (das ist natürlich nur RELATIV zu verstehen !!) ?
Weil's praktisch ist. Auf anderen Instrumenten hast du keine schwarzen Tasten und das System funktioniert genauso. Ein Klavier wurde einfach so gebaut, dass man am Einfachsten in C-Dur spielen kann.
Würdest du das einen Klarinettisten fragen, würde der wahrscheinlich sagen: Warum ist das System so bescheuert gemacht, dass keine einzige schwarze Taste darin vorkommt? (Und dich dann bitten, das ganze von Bb Dur ausgehend zu spielen).
 
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Warum kommt in dem ganzen System keine einzige schwarze Taste vor
weil man am Klavier die weissen Tasten für C-dur und a-moll vorgesehen hat, warum auch immer:).
Rein praktisch stellt sich für mich die Frage, zu welchen Harmonien spiele ich und wie ist die eigentliche Melodie gedacht?
oder liegt dem irgendeine Systematik oder innere Logik zugrunde (die ich allerdings noch nicht durchblickt habe) ?
ich glaube, daß ist unseren (westlichen) Hörgewohnheiten geschuldet, hat also Tradition. Anderswo hat man andere musikalische Traditionen.
Hier, vor allem im (free oder improvisiert z.B.) Jazz und "neuer" oder experimenteller Musik sind die Leute ja versucht damit zu brechen. Ist also zwar alles "irgendwie" berechenbar, aber eben nicht in Stein gemeisselt, denke ich mal:rolleyes:. Wer weiss schon, was in 200 Jahren die Hörgewohnheiten bestimmt.
 
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Meine Frage ging aber eher darum, warum sich so automatisch diese schöne Eselsbrücke mit den weißen Tasten (basierend auf C-Dur) ergibt, also die Relation zu DUR.
darauf hat meine antwort abgezielt, aber vielleicht hab ich deinen gegenfrage weiter oben nicht richtig verstanden.

ich versuche es mal so:
gegeben ist die folge 1-1-1/2-1-1-1-1/2. sind wir uns da einig. oder war das die frage? dann müsste ich nochmal zurückrudern.

falls doch:
wenn du bei C anfängst, und eine schwarze taste einbaust, wird es nicht mehr aufgehen mit der folge von ganz- und halbtönen.
das bedeutet andersrum: die kirchentonarten sind alle Möglichkeiten, die du mit den gegebenen Halb- und Ganztonschritten bilden kannst.
 
warum sich so automatisch
Ja, genau dieses Wort "automatisch" ist der Punkt, an dem ich Deine Frage nicht verstehe. Ich weiß einfach nicht, was Du damit meinst. :nix: Wo setzt diese Automatik ein? In der Logik der Leitern, in der Vorstellung des Lernenden, in den physikalischen Grundbedingungen der Frequenzen?

Viele Grüße,
McCoy
 
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Ich weiß einfach nicht, was Du damit meinst. :nix: Wo setzt diese Automatik ein?
Gute Frage ... nachdenk ... :

Ich meine das so:
Auf der einen Seite steht die C-Dur-Tonleiter, die für alle möglichen harmonischen Überlegungen zur Veranschaulichung als quasi Ausgangspunkt benützt wird. Wahrscheinlich, weil sie keine Vorzeichen (aka "schwarze Tasten") hat.
Auf der anderen Seite stehen die Kirchentonleitern, die - ganz ursprünglich und jede für sich gesehen gesehen - ja miteinander überhaupt nichts zu tun haben (?).

Und jetzt ergibt sich wie durch Zauberhand der Umstand, daß just diese C-Dur-Tonleiter durch Permutation all diese Kirchentonleitern enthält. Und keine weitere mehr.

Ich hoffe, ich konnte etwas erläutern. ;)

Thomas
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die kirchentonarten sind alle Möglichkeiten, die du mit den gegebenen Halb- und Ganztonschritten bilden kannst.
Das muß ich mir erstmal durchdenken ... aber das kann gut ein Weilchen dauern ..... :)

Thomas
 
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