Mein drittes Standbein ist es Lieder einzuüben, aber nie mehr als drei zur gleichen Zeit.
Das ist mMn schon mal nicht unwichtig - man sollte sich nicht überfordern, denn da geht die vom TE ersehnte Leichtigkeit mit Sicherheit flöten.
@Keyborg: Ich weiß nicht, wie es jetzt bei Dir angedacht war, aber 10 oder mehr Songs auf einmal zu lernen, wäre für mich persönlich einfach der Overkill. Ich denke, Leichtigkeit setzt voraus, dass man eben auch mal Dinge spielt, die einem leicht fallen.
Du hast Probleme mit einem Song? Dann vereinfache ihn doch mal so, dass Du ihn locker spielen kannst. Fast jedes Lied kann man auf etwas simplere Elemente runterbrechen, die die eigentliche Substanz ausmachen. Du hast auch mal das mit dem Singen angesprochen - auch wenn Du es nicht als Hauptziel siehst, ist genau das eine wichtige Methode, Dir einen Song zu eigen zu machen. Sing ihn erstmal und schrammel die Akkorde dazu, eben so, wie es Dir locker von der Hand geht (auch wenn es mit dem Original-Arrangement dann noch nicht so viel gemein hat). Dadurch verinnerlichst Du Struktur und Melodik, und das sollte es Dir erleichtern, dann auch die komplizierteren Läufe und Riffs in den Song einzubetten, dem sie schließlich dienen sollen.
Ich habe den Eindruck, Du machst es gerade umgekehrt: Du versuchst sozusagen zu lernen, wie man eine Torte kunstvoll dekoriert, hast aber bisher weder die Böden gebacken noch die Füllung zusammengerührt.
Im Moment habe ich zb die Aufgabe über einen Dur Blues (A7, E7, D7) bei der Improvisation die Terzen anzupeilen.
Gut, da lese ich jetzt nix ab oder habe Tabs aber das ist einfach grauenvoll was ich mir da zusammen spiele.
Das klingt in der Tat ein bisschen verkopft, wie Du selbst es ja ausdrückst. Versuche vielleicht mal, zum Backing eigene Melodiefetzen zu pfeifen oder zu singen, und erst dann, sie zu spielen. Was das Ding mit den Terzen angeht, kannst Du mal versuchen,
nur diese in den verschiedenen Lagen zu spielen, aber rhythmisch zu variieren. Dann nimm den Grundton dazu und spiel die beiden im Wechsel, dann noch die Quinte... Du wirst feststellen, dass es schon unendlich viele Möglichkeiten gibt, drei Töne zu verbinden, sie abwechselnd mit etwas Vibrato zu versehen, mehrfach hintereinander kurz anzuschlagen oder einfach mal über den Taktwechsel hinweg zu halten. BB King war ein Meister darin, Licks spannend zu gestalten, die über mehrere Takte hinweg nur aus zwei, drei Tönen bestanden. Ich denke, das meint auch Dein Lehrer mit "anpeilen".
Überhaupt ist Rhythmus auch bei Soli die halbe Miete. Wenn Du zB ein Pattern aus 3 Vierteln über einen 4/4-Takt spielst, verschiebt es sich quasi relativ zum Beat und bekommt eine ganz andere melodische Aussage. Die andere extrem wichtige Dimension ist
Überzeugung. Du kannst einen völlig "falschen" Ton spielen und ihn an dieser Stelle richtig klingen lassen, wenn Du ihn nur mit genug Nachdruck spielst. Man muss Dir nur abnehmen, dass Du den Scheiß ernst meinst!
Ich bin nicht gut. Echt nicht. Ich halte mein Pick mit drei Fingern, an der Greifhand bleibt der kleine Finger meistens weggeklappt, und beim G-Dur-Akkord greife ich das tiefe G fast immer mit dem Daumen. Trotzdem sind wir mit meinen verschiedenen Bands eigentlich immer gut angekommen, als ich noch viel live gespielt habe. Immer mal wieder musste ich feststellen, dass die Leute mich auch für einen viel besseren Gitarristen hielten als ich es bin. Was ich daraus gelernt habe: es kommt gerade live viel weniger auf Perfektion an als darauf, MUSIK zu machen. Und das heißt, mit dem Publikum zu kommunizieren, sich nackig zu machen und das reinzulegen, was Du hast, mit Leidenschaft und Überzeugung.
Nicht zuletzt hat das aber wieder Rückwirkung auf Dich. Ich war zweifellos immer dann ein besserer Gitarrist, wenn ich gerade eine Band hatte - das war ein wichtigerer Faktor als die Zeit, die ich mir fürs Üben nehmen konnte.
Das ist mir speziell heute wieder aufgefallen als ich auf Facebook unterwegs war. Viele meiner Freunde sind Gitarristen. Viele drehen jetzt "Quarantäne" Videos um sich und uns abzulenken. Und spielen da die tollsten Sachen, singen dazu etc.
Wo ich von mir denke "Junge, du kannst wirklich überhaupt nichts".
In dem Punkt glaube ich, dass Du einer sehr verbreiteten Verzerrung der Wahrnehmung erliegst, die viele unnötig runterzieht. Der Punkt ist: Du weißt nicht, was ein anderer gern gespielt
hätte, wenn er/sie es nur könnte. Präsentiert wird im Endeffekt das, was klappt, und als Zuhörer hörst Du nur das. Die anderen können aber mit ziemlicher Sicherheit manches nicht, was Du locker spielen kannst.
Deine eigenen Leistungen misst Du - im Gegensatz zu denen Anderer - eher an dem, was Du
nicht spielen kannst. Damit setzt Du Dich zu sehr unter Druck. Ich bin auch nicht der erste hier, der Dir raten möchte: spiel auch mal wieder was, was Du gut kannst, und erfreue Dich daran. Nimm vielleicht auch mal was auf, mit dem Du zufrieden bist, und stell es ins Netz - wahrscheinlich wirst Du feststellen, dass andere das gar nicht für so selbstverständlich halten, wie Du selbst es scheinbar tust.
Alleine ist es eh viel schwieriger, sich zu motivieren. Die Motivation ist bei Dir im Grunde da, das habe ich schon verstanden. Aber vielleicht ist es dem inneren Schweinehund doch ein bisschen zu wenig, das alles nur für Dich selbst zu lernen. Ich denke, Du brauchst dringend ein bisschen positives Feedback und Austausch mit anderen, sprich etwas entspannten Spaß. Die gute alte Probenraum-Jamsession, noch besser eine richtige Band suchen - das macht auch wieder Kräfte frei, um neues in Angriff zu nehmen. Und es bleibt viel besser hängen, weil das Unterbewusstsein nicht immer die nervige Frage stellt,
wofür man das eigentlich alles lernen soll.
Gruß, bagotrix