Musik und Evolution ... ??!!

turko
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Und schon wieder eine S O „tiefschürfende“ Frage, daß ich selber gar nicht weiß, wie eine „Antwort“ darauf überhaupt ausschauen könnte. Aber gelegentlich beschäftigt mich das Folgende: ... (muß mich schon sehr anstrengen und nachdenken, um die Frage einigermaßen verständlich zu formulieren :) ) ...

Wenn man sich die Menschheitsgeschichte (und die ihrer „Vorgängermodelle“) so vergegenwärtigt, und deren Dauer bis zum heutigen Tage auf eine waagrechte Zeitachse überträgt, die sagen wir 1 Meter lang ist, dann spielt das, was wir „Musik“ nennen, erst auf dem letzten Millimeter (!!) eine Rolle (Eine grobe Milchmädchenrechnung von mir. Annahmen: Erstes „menschliches“ Auftauchen vor ca. 2 Mio Jahren - was ich so weiß. Existenz von dem, was ich jetzt mal flapsig unter „Musik“ verstehe: Ca. 2.000 Jahre. Von mir aus - ich will mich da nicht streiten - sollen es auch 6.000 Jahre sein ... das macht keinen prinzipiellen Unterschied).

Natürlich wurde schon sehr lange irgendwie getrommelt und geschrien. Aber - der Einfachheit halber - meine ich mit „Musik“ jetzt einmal das, was das allermeiste an heutiger Musik so auszumachen scheint: Eine (recht komplexe eigentlich) Kombination aus Melodie, Harmonie und Rhythmus.

Nun reden wir alle von „angeborener Musikalität“, vom musikalischen Gehör, und überhaupt scheint „Musik“ für uns alle immerhin so wichtig zu sein, daß man sich ein Leben ohne sie (nämlich wirklich GANZ OHNE) eigentlich gar nicht vorstellen kann. Sie hat wohl (fast ?) die gleiche Wichtigkeit wie Essen, Schlafen und Sexualität ... allesamt menschliche Grundbedürfnisse.

Wie ist es aber möglich, und jetzt kommt die eigentliche Frage, wie ist es möglich, daß unser Hirn auf so etwas wie Musik gerade nur gewartet zu haben scheint, obwohl die ersten 99,9 cm der menschlichen Wegstrecke davon noch gar keine Rede war?
Welche tieferliegende evolutionäre Funktion ist es, die die Musik so „anspricht“?
Wie ist es möglich, daß ein absolutes Fantasieprodukt aus ebenfalls durch reine menschliche Fantasie geschaffenen Spielregeln (Stimmungssysteme, Stimmführung, Harmonielehre, ...) eine DERARTIGE Wirkung auf uns hat, die absolut vergleichbar ist mit der körperlichen Empfindung einer Berührung oder eines Kopfstreichelns (oder, je nach Fall, auch dem Gegenteil)?
Warum stecken in etwas, was sich die Menschheit ganz offenbar ausgeDACHT hat, so tiefe emotionale Möglichkeiten?
Wie ist es möglich, daß sich Musik so als „von außen zugetragen“ präsentieren kann, obwohl sie doch reine menschliche Erfindung und Fiktion ist?

Zumal Musik ja „per se“ wirkt. Im Gegensatz zu einem Buch oder einem Bild, das eine Geschichte erzählt, die man nachempfinden kann. Aber Musik ist ... nur Musik ... ??!! Ist nur von menschenhand organisiertes Geräusch (jetzt einmal von Instrumentalmusik gesprochen - die kommunikative Seite von Vokalmusik lasse ich jetzt einmal außer Acht).

Ein bisschen ist es eine ähnliche Frage wie warum die Mathematik (die ja ebenfalls reine menschliche Erfindung ist ... ?!) eigentlich so gut „auf die Welt paßt“ und so gut dazu taugt, „reale“ Sachverhalte zu erklären, zu beschreiben und vorherzusagen.

Kann gut sein, daß ich als einziger dastehe, der sich über sowas überhaupt schon jemals Gedanken gemacht hat. Oder daß ich da Aufklärungsbedarf in etwas sehe, das für alle anderen überhaupt kein hinterfragenswertes Thema darstellt. Wie dem auch sei ... ich lasse mich mal überraschen.

Liebe Grüße,
Thomas
 
Eigenschaft
 
Hallo,

wenn mal bei Wikipedia nachliest (ok, ok, das ist kein Beweis, aber so der erste Denkanstoß):
"...
Die frühesten bekannten eigens zum Musizieren hergestellten Instrumente sind die Knochenflöten von Geißenklösterle auf der Schwäbischen Alb. Sie sind rund 35000 Jahre alt. Die meisten Anthropologen und Evolutionspsychologen sind sich jedoch darüber einig, dass die Musik schon lange vorher zum Alltag des Menschen und seiner Vorfahren gehörte. Warum der Mensch im Verlauf seiner Evolution musikalische Fähigkeiten erlangt hat, ist unklar. Die anatomischen Voraussetzungen für einen differenzierten Gesang haben sich vermutlich vor rund zwei Millionen Jahren entwickelt, als sich mit Homo ergaster der aufrechte Gang durchsetzte.
..."
Qulle: Wikipedia

Also, da musse mehr markieren als die letzten Millimeter!

Ich denke mal, die Annahme, dass mit der Entwicklung des Intellekts und der Physis auch das Musikmachen anfing, ist nicht weit hergeholt.

Zur Mathematik:
Angefangen hat die Mathematik, in dem man Probleme löste, also aus einem Anwendungsbezug heraus. Die Formalisierung hat sich dann irgendwann so weit getrennt, dass Mathematik eine eigene Art von Wissenschaft (Strukturwissenschaft) wurde, die aber als Anwendung unser tägliches Leben ebenso durchdringt wie Grundlagenphysik oder Informatik. Angefangen hat's mit Zählen, dann erst kamen - Jahrtausene später - die Peano-Axiome. Und dann fragt man sich, wieso die in Peano-Axiomen definierten natürlichen Zahlen so gut auf's Zählen passen. :)

Grüße
Roland
 
Musik war ja nicht immer eine Kunstform, sondern ursprünglich eine natürliche Form der Kommunikation und des Ausdruckes. Also könnte man sich die gleichen Fragen auch bezüglich der Sprache stellen.
Es liegt wohl in der Natur eines jeden höher entwickelten Lebewesens, sich mitteilen zu wollen. Und ich denke, dass auch unser Bedürfnis nach Musik auf diesen natürlichen Instinkten beruht.
Wobei sowohl das Bedürfnis nach, als auch die Musik selber, im Laufe der menschlichen und gesellschaftlichen Entwicklung komplexer geworden sind.
Und auch das trifft ja auf die Sprache zu.
 
Interessantes Thema.
Ich schreibe einfach mal, was mir spontan dazu einfällt.;)

Natürlich wurde schon sehr lange irgendwie getrommelt und geschrien. Aber - der Einfachheit halber - meine ich mit „Musik“ jetzt einmal das, was das allermeiste an heutiger Musik so auszumachen scheint: Eine (recht komplexe eigentlich) Kombination aus Melodie, Harmonie und Rhythmus.

obwohl die ersten 99,9 cm der menschlichen Wegstrecke davon noch gar keine Rede war?

Schwer zu sagen, wo Musik wirklich anfängt. Du sagts ja selbst, daß man nicht wissen kann, wann es anfing - wahrscheinlich ist es genauso schwierig wie die Frage, ab wann man unsere Vorfahren als Menschen bezeichnen kann. Wer weiß schon, was diese so vor 100000 Jahren angestellt haben - was es auch immer war, es existieren keine Belege, weil es sowas wie Noten wohl noch nicht gab - und erst recht kein elektronische Aufnahmemöglichkeiten.;)
Sowas wie einen Musikalischen "Urknall halte ich für unwahrscheinlich. Komplexere Musik kann wohl erst entstehen, wenn es etwas wie eine "Hochkultur" gibt, in der es Menschen gibt, die genug Zeit haben, sich damit zu beschäftigen.

Welche tieferliegende evolutionäre Funktion ist es, die die Musik so „anspricht“?

Melodie und Rhythmus findet man ja schon in der Sprache.
Die Sprachmelodie spielt ja bei der Kommunikation auch eine wesentliche Rolle, indem sie über die gesprochenen Worte etwas emotionales transportiert - Gemütszustände, Frage, Aufforderung, Ironie, blablub...
Sprachrhythmus entsteht durch Verwendung von betonten und unbetonten Silben.

Ich gehe davon aus, daß die Melodie älter als das gesprochene Wort ist - man findet sowas ja schon im Tierreich - es ist ja nichts Weiter, als die Änderung der Tonhöhe, wenn man Laute von sich gibt. Weil es evolutionstechnisch so alt ist, sprechen solche Tonhöhenänderungen auch eher unser Unterbewustsein an - sie wirken unmittelbar, man kann sich schwerer dagegen wehren, daß bestimmte Gefühle hervorgerufen werden.

Hätte noch so einige Gedanken dazu, aber leider keine Zeit mehr - vielleicht bis später.;)
 
@ Roland:

Nach MEINEM Empfinden muß die Markierung eben nicht länger sein. Wie angedeutet bezweifle ich gewisse musikalische prähistorische Ausdrucksformen (daher auch Flöten jeder Art) ja gar nicht. Nur sehe ich darin nicht nur einen graduellen, sondern fast (!) prinzipiellen Unterschied zu „heutiger“ Musik. Ich tue mir schwer, das (einstimmige) Herumblasen auf einer Flöte (Tonsystem? Stimmung?) zu vergleichen mit der H-Moll-Messe von Bach. Da hat die Musik in der Zwischenzeit - so scheint es mir - doch SO viel gewonnen, daß man das kaum mehr als „natürliche Weiterentwicklung“ begreifen kann. Obwohl es doch so zu sein scheint. Aber es will mir nicht ganz in die Birne. Und natürlich wird das alles schon wieder relativiert, wenn man überhaupt darüber nachdenkt, daß hier gerade der Nachfahre des ersten Einzellers sitzt, mit eben dieser Birne an seinem oberen Ende, die über sich selber und alle anderen Birnen nachdenkt ...

Und zur Mathematik: Natürlich geht letzten Endes alles auf das Zählen zurück. Aber angesichts der Tatsache, daß das menschliche Hirn eigentlich keine größere Menge/Anzahl als 7 (glaube ich) intuitiv und ganzheitlich (!!) erfassen kann, und schon gar keine exponentiellen Verläufe, bleibt es doch irgendwie erstaunlich, daß man mit daraus abgeleiteten Verfahren mit Bestimmtheit vorhersagen kann, daß am 13. April 2029 ein 250-Meter-großer Steinbrocken in einer Entfernung von 30.000 km an der Erde vorbeifliegen wird ... zum Beispiel ...

Allerdings ist es nicht minder erstaunlich, daß die gleichen Gehirne nicht fähig sind zu begreifen, daß so an die 80 % der (weiten) Tormannausschüsse in schöner Regelmäßigkeit beim Gegner landen ... :) (keine offizielle Zahl, nur die von mir so gefühlte ...).

Ich gesteh´s ja ein: Mehr Fragen, als Antworten. Und vielleicht ist es auch eher ERSTAUNEN, als eigentlich Fragen ...

Thomas
 
Musik war ja nicht immer eine Kunstform, sondern ursprünglich eine natürliche Form der Kommunikation und des Ausdruckes. Also könnte man sich die gleichen Fragen auch bezüglich der Sprache stellen.

Naja ... Sprache hat irgendwie einen Nutzen (aus evolutionärer Sicht). Musik nicht - außer man begreift sie ausschließlich als fantasievolle Weiterentwicklung und "Zweckentfremdung" einer urzeitlichen reinen Kommunikationsform.

Natürlich wollte Herr Feuerstein sich auf seiner Flöte auch ausdrücken. Vielleicht auch einfach damit spielen und die Zeit vertreiben. Aber das daraus so ein enormes gedankliches System werden konnte, mit Tonsystem, Temperaturen, Rhythmen, Harmonik, Melodik, Polyphonie ... und, vor allem, daß man die Ergebnis daraus immer noch EMOTIONAL und GANZHEITLICH und mit Genuß aufnehmen kann ... DAS ist doch erstaunlich ... irgendwie.
 
Melodie und Rhythmus findet man ja schon in der Sprache.
Die Sprachmelodie spielt ja bei der Kommunikation auch eine wesentliche Rolle, indem sie über die gesprochenen Worte etwas emotionales transportiert - Gemütszustände, Frage, Aufforderung, Ironie, blablub... Sprachrhythmus entsteht durch Verwendung von betonten und unbetonten Silben.

Ich gehe davon aus, daß die Melodie älter als das gesprochene Wort ist - man findet sowas ja schon im Tierreich - es ist ja nichts Weiter, als die Änderung der Tonhöhe, wenn man Laute von sich gibt. Weil es evolutionstechnisch so alt ist, sprechen solche Tonhöhenänderungen auch eher unser Unterbewustsein an - sie wirken unmittelbar, man kann sich schwerer dagegen wehren, daß bestimmte Gefühle hervorgerufen werden.

D A S finde ich einen interessanten Ansatz! Darüber werd´ ich mal nachgrübeln ... (nicht, daß das Grübeln an sich meine Hauptbeschäftigung oder Hauptinteresse wäre :) )
 
Paßt vielleicht auch zum Thema:
https://www.musiker-board.de/vb/plauderecke/283770-theorie-dur-vs-moll-h-rempfinden.html#post3178817

Insbesondere den Post von Effjott finde ich interessant (wenn man nicht den ganzen Spiegel-Artikel lesen möchte): https://www.musiker-board.de/vb/plauderecke/283770-theorie-dur-vs-moll-h-rempfinden.html#post3179784

Ich tue mir schwer, das (einstimmige) Herumblasen auf einer Flöte (Tonsystem? Stimmung?) zu vergleichen mit der H-Moll-Messe von Bach.

Woher weißt Du, mit wieviel Flöten und was die herumgeblasen haben?
Gut - es werden wohl keine bachschen Fugen gewesen sein.:rolleyes:
 
Ich tue mir schwer, das (einstimmige) Herumblasen auf einer Flöte (Tonsystem? Stimmung?) zu vergleichen mit der H-Moll-Messe von Bach.

Warum soll eine monophon geblasene Flöte absonderlicher Stimmung nicht Musik sein? Ich kann auch Musik mit einem Stein, einem Treppengeländer, einem Sack Reis, einem Schnitzel oder einem Reagenzglas machen.
Oder mit einer Wohnung:
http://video.google.com/videoplay?docid=-8000409016826512649
Oder so:
http://www.youtube.com/watch?v=SSulycqZH-U

Dass die HMM ein komplexes Stück Musik ist bestreite ich nicht. Aber Musik muss nicht kompliziert oder komplex sein. 4'33" ist auch Musik.

Vielleicht müssen wir dann erstmal festlegen, was unter Musik verstanden wird ... und die Definition legt dann fest, wie lang die Markierung ist. :)


Grüße
Roland


PS:
... wenn ich von Bach rede, nenne ich ihn immer noch einfach "Meister", die Marotte habe ich von meinem Klavierlehrer übernommen ...
 
Warum soll eine monophon geblasene Flöte absonderlicher Stimmung nicht Musik sein?

Dass die HMM ein komplexes Stück Musik ist bestreite ich nicht. Aber Musik muss nicht kompliziert oder komplex sein.

Vielleicht müssen wir dann erstmal festlegen, was unter Musik verstanden wird ... und die Definition legt dann fest, wie lang die Markierung ist. :)

Weil, und jetzt beginnen wir, uns im Kreise zu drehen, zwischen der FredFeuersteinFlöte und deinem Meister SOLCHE Welten liegen, daß ich (persönlich !!) mich damit schwer tue, das letztere noch als bloße Weiterentwicklung aus dem ersteren begreifen zu können. Für mich hat es schon eine andere, neue, QUALITÄT und ein anderes WESEN.

Natürlich muß Musik nicht komplex sein. Aber das Unkomplexeste, was es heute so gibt (sogar Techno, vermute ich ... :) ) schlägt Fred Feuerstein in Sachen Komplexität noch um Längen. Zumindest, soweit ich mir die Feuerstein´sche Musik nicht falsch vorstelle.

Und ja, tatsächlich hängt alles davon ab, was man als Musik definiert, und was nicht. In den allergröbsten Zügen habe ich das in meinem Eingngsposting jedoch getan, meine ich ...
 
Weil, und jetzt beginnen wir, uns im Kreise zu drehen, zwischen der FredFeuersteinFlöte und deinem Meister SOLCHE Welten liegen, daß ich (persönlich !!) mich damit schwer tue, das letztere noch als bloße Weiterentwicklung aus dem ersteren begreifen zu können. Für mich hat es schon eine andere, neue, QUALITÄT und ein anderes WESEN.

Ich denke aber, daß gerade diese archaischen Grundmechanismen dafür verantwortlich sind, daß Musik wirkt und daß es sie überhaupt gibt.
Daß etwas komplex ist, ist keine Erklärung. Technik wird komplexer, Sprache wird komplexer, Religion, Philosophie, Wissenschaft, Malerei, Süppchen kochen - und eben auch Musik - das ist kulturelle Evolution.
 
Melodie und Rhythmus findet man ja schon in der Sprache.
Die Sprachmelodie spielt ja bei der Kommunikation auch eine wesentliche Rolle, indem sie über die gesprochenen Worte etwas emotionales transportiert - Gemütszustände, Frage, Aufforderung, Ironie, blablub...
Sprachrhythmus entsteht durch Verwendung von betonten und unbetonten Silben.

Ich gehe davon aus, daß die Melodie älter als das gesprochene Wort ist - man findet sowas ja schon im Tierreich - es ist ja nichts Weiter, als die Änderung der Tonhöhe, wenn man Laute von sich gibt. Weil es evolutionstechnisch so alt ist, sprechen solche Tonhöhenänderungen auch eher unser Unterbewustsein an - sie wirken unmittelbar, man kann sich schwerer dagegen wehren, daß bestimmte Gefühle hervorgerufen werden.

Das ist in der Tat ein interessanter Ansatz.

Eine gültige Antwort auf die Frage, wie alt Musik sei, kann nur mit einer Theorie beantwortet werden. Wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse gibt es erst seit der letzten Eiszeit(etwa 50 000 - 10 000) .
Aber was war davor???

Ich habe mal in "Geschichte der Musik" von Karl H. Wörner nachgeschlagen und folgendes gefunden(Zitat):

"Die Frage nach Art und Wesen der ersten Musik ist aus heutiger Sicht wohl dahingehend zu beantworten, daß es keine "erste Musik" im Sinne eines ersten Anfanges gab, sondern Formen, die sich unabhängig entfalteten: Vorformen der Musikinstrumente und vor allem eine Sprach-Laut-Gebung. Als Ursprache steht sie vor der Trennung, die später erst in Sprechen und Singen erfolgte. Ihre Sprachelemente sind an ungefähre Tonhöhen gebunden, die für den Sinn bedeutungsvoll sind..."

Weiterhin nimmt Wörner an, dass Kunst und Musik für den Menschen der letzten Eiszeit mit magischen Vorstellungen verknüpft war.
 
Die Reaktion auf gewisse Geräusche und Klänge ist uns wahrscheinlich in die Wiege gelegt. Habe mal gehört, daß das Quietschen von Kreide auf einer Tafel deshalb so unangenehm ist, weil das Geräusch Warnschreien unserer Vorfahren bei drohender Gefahr ähnelt.

Was Komplexität angeht, sehe ich keinen Unterschied ob man nun einen Roman schreibt, einen philosophischen "Ismus" konstruiert, ein 23 Gänge-Menü "komponiert" oder eine Sinfonie.

Interessante Details über das Wirken von Klängen stehen übrigens auch in diesem Buch:
Komponieren für Film und Fernsehen - Norbert Jürgen Schneider

Unter anderem auch eine Interpretation der verschiedenen Intervalle oder die enge Verknüpfung des Gehör- mit dem Tastsinn etc.
 
Also den Hauptwiderspruch den Du am Wickel hast, sehe ich in Deinem Herangehen.

Du betonst aufrichtigerweise, dass es Dein persönliches Musikverständnis ist, dass Dich diese Eingrenzung vornehmen läßt, nachdem diese Art der Musik erst sehr spät entstanden ist.

Gleichzeitig wirfst Du die Frage auf, wieso Musik universell ist, in jeder Kultur die wir kennen vorkommt, einem Grundbedürfnis gleichkommt und unmittelbar wirkt.

Das ist vergleichsweise so als ob Du festlegst, dass "richtige" Sprache erst mit Shakespaer anfängt und gleichzeitig verwundert bist, welche Wirkung Sprache doch generell entfalten kann und wie wichtig und universell sie ist.

Das kannst Du natürlich machen - aber meines Erachtens verbaust Du Dir mit genau dieser Einschränkung und subjektiven Definition das Verständnis des Ganzen.

Ich bin mir vollkommen sicher, dass es etliche umfassenden Werke gibt, die sich Deiner Fragestellung widmen - schließlich gibt es Musikwissenschaften und vergleichende Musikwissenschaften. Den Verweis auf Wiki finde ich deshalb für einen Einstieg gut geeignet.

Dann wird sich vielleicht auch Dein Verständnis über Deine Einschränkung von "richtiger" Musik etwas ändern und mehr Reflexion einziehen. Dein Verständnis könnte man mit Fug und Recht als eurozentristisch bezeichnen: richtige Kultur ist westliche Kultur - alles andere ist Vorform, bloße Naturäußerung, simpel etc. Erinnert mich irgendwie an die Gleichsetzung von Rock und Blues als "Negermusik". Versteh mich richtig: ich denke schon, dass man Unterschiede zwischen einem stones-Song und Bach machen kann. Die Frage ist nur, wie bedeutsam sie sind. Das eine ist Musik und das andere ist Musik. Und bezüglich der Wirksamkeit auf den Menschen und seine Emotionen sehe ich da eher quantitative aber keinesfalls qualitative Unterschiede.

Ich will Dir gar nicht an den Karren fahren, sondern Dich lediglich darauf aufmerksam machen, dass die Einschränkung Deiner Art von Musikdefinition schon die Antwort vorgibt. Die Antwort lautet dann, dass richtige Musik ala Bach von einer Kultur abhängt, von einer Entwicklung der Gesellschaft, in der es Menschen erlaubt, sich nur der Musik widmen zu können, in der es eine schriftliche Form der Notation gibt (eine ähnliche Entwicklung wie von der gesprochenen zur geschriebenen Sprache), in der Musik gelehrt, wissenschaftlich betrieben und vermittelt wird, in der sich eine Musikindustrie (angefangen von Mäzenatentum, bezahlten Komponisten, professionellen Musikern, Orchestern und Aufführungsorten, einer einheitlichen Musiksprache und -theorie sowie der professionellen Herstellung von Musikinstrumenten) entwickelt, in der Tonträger vorhanden sind und so weiter und so fort.

Wirksam war Musik die ganze Zeit, sowohl als rituelle Praxis als auch als Mittel der Befriedigung von Kreativität und Gefühlsausdrücken als auch als Kommunikation und Kontemplation als auch als Ausdruck von Kultur, Identität und Menschlichkeit. Und zwar in jeder Kultur, zu jeder Entwicklungsstufe der Menschheit, rund um den Globus und für jedes Individuum.

Man braucht dazu nicht unbedingt in die Vergangenheit zu gehen: beobachte einfach Kinder. Die malen, die zeichnen, die kommunizieren und sprechen und machen Musik. Nicht aus jedem wird ein Van Gogh oder ein Kandinsky, nicht jeder ein Shakespear und nicht jeder wird ein Bach. Und natürlich kannst Du sagen, dass Dich nur die Kandinskys, die Van Goghs, Shakespears und Bachs interessieren.
Aber damit kommst Du der Frage, was Menschen an Musik finden, was sie beflügelt und dazu bringt, sich musikalisch zu betätigen und was es ihnen bedeutet, um keinen jota näher.

Wäre jedenfalls meine Grundthese in dieser Angelegenheit.
 
Ich fürchte, X-Riff, Du hast mich völlig mißverstanden, oder ich habe mich mißverständlich ausgedrückt. Ich bin weit davon entfernt, verschiedene "Musiken" gegeneinander ausspielen zu wollen. Weder zeitlich, noch örtlich. Und von "richtiger" Musik will ich gar nicht sprechen.

Das Beispiel Bach habe ich nicht gewählt, weil ich persönlich so ein glühender Bach-Verehrer wäre, sondern weil er in diesem Fall als Paradebeispiel dafür herhalten mußte, welche intellektuellen (!!) Höchstleistungen sich auf diesem Gebiet entwickeln konnten.

Und meine Frage, jetzt halt anders formuliert, ist: Wieso kann einen sowas emotional dennoch so berühren, obwohl es ja eigentlich eine intellektuelle Höchstleistung ist. Und was im menschlichen Zuhören da wohl so vor sich geht ... im Unterbewusstsein.

Den Unterschied zwischen prähistorischer und "aktueller" Musik habe ich, wie erklärt, deswegen gemacht, weil mir der Unterschied zwischen beiden so enorm scheint, daß das jeweilige Endergebnis schon fast ein neues Wesen hat. Und das mal wertfrei gesprochen. Aber vielleicht empfinde ich das ja als einziger so ... kann ja gut sein.

LG, Thomas
 
Nun - dann kann es sein, dass ich Dich mißverstanden habe.
Und meine Frage, jetzt halt anders formuliert, ist: Wieso kann einen sowas emotional dennoch so berühren, obwohl es ja eigentlich eine intellektuelle Höchstleistung ist. Und was im menschlichen Zuhören da wohl so vor sich geht ... im Unterbewusstsein.
Vielleicht weil die intellektuelle Hochleistung nur ein Teil des Ganzen ist?

Die Komplexität von bestimmter Musik wäre sicher nicht möglich ohne das bewußte Komponieren, Ordnen des Materials, der Anwendung von Regeln, des Wissens um Wirkungen und wie sie erreicht werden etc. - also bestimmt nicht ohne eine intellektuelle Höchstleistung.

Aber das Gefühl ist ja immer dabei - es läuft ja immer mit, es trifft die Auswahl, was nun ausgedrückt werden soll, wie es sich anfühlen soll etc.

Aus dieser Sicht wäre der Intellekt und der Geist ein Werkzeug des Gefühls.
 
Wirksam war Musik die ganze Zeit, sowohl als rituelle Praxis als auch als Mittel der Befriedigung von Kreativität und Gefühlsausdrücken als auch als Kommunikation und Kontemplation als auch als Ausdruck von Kultur, Identität und Menschlichkeit. Und zwar in jeder Kultur, zu jeder Entwicklungsstufe der Menschheit, rund um den Globus und für jedes Individuum.

HI,

eine Urkraft die in der Musik steckt ist die Repetition. Sie hat bestätigenden Charakter und sie kann zu Trance ähnlichen Zuständen führen. Das entdeckten die Menschen, so glaube ich, ziemlich früh. Musik verbindet, ist kommunikativ. Rituelle Handlungen sind aus diesem Grunde meist von Musik begleitet.
Abgekupferte Interferenzen von Naturereignissen oder von selbst Produziertem ergeben die einfachsten und effektivsten Rhythmen. Melodie bestand zunächst aus wenigen, vielleich nur 2 oder 3 Tönen.
So in etwa stelle ich mir den Ablauf der ersten paar 100.000 Jahre unserer Musikgeschichte vor.
Jazz z.B. hat seine Wurzeln in Afrika. Dort hat Musik noch viel mehr ihren ursprünglichen Stellenwert in der Gesellschaft als hier in Europa.
Die Explosion der Kunstmusik in den letzten Jahrhunderten ist vielleicht vergleichbar mit der Explosion der Kommunikationsmedien. Die Musik hat dadurch, so glaube ich, ihre inneren Werte aber nicht verloren.
 
Wieso kann einen sowas emotional dennoch so berühren, obwohl es ja eigentlich eine intellektuelle Höchstleistung ist.

Weil Emotio und Ratio kein Widerspruch sind. So ein Widerspruch wird zwar immer wieder gerne konstruiert und herbeigeredet, aber beide sind Formen menschlichen Wirkens und Erlebens. Sprache ist auch eine intellektuelle Höchstleistung, aber schon kleine Kinder transportieren damit erfolgreich intuitiv Gefühle. Intellektuelle Höchtleistungen können durchaus tief berühren.

Und grundsätzlich zu deinem Thema...Die Ursprünge von Musik werden in der Forschung z.B. hier geortet:
  • Mütter singen für ihre (neugeborenen) Kinder bzw. verwenden eine typische Sprachmelodie. Diese Laute klingen übrigens auf der ganzen Welt weitgehend gleich. Daher kann man annehmen, daß das eine genetisch grundlegende Disposition ist
  • Männer bedienen sich des Gesangs, um Gemeinschaft und Einigkeit zu erzeugen bzw. beschwören. Die gemeinsame Demonstration von Einigkeit und Stärke war mit Sicherheit auch in der Frühzeit eine treibende Kraft zur musikalisch koordinierten Lauten
  • Kinder spielen mit Lauten. Jedes nichttaube Kind macht das und viele tun es ausgiebig, denn das Gehirn belohnt akustische Mustererkennung mit Dopamin. Musik ist ein Lehr- und Lernhilfsmittel und daher vielfältig pädagogisch wirksam
  • Musik erleben verändert unser Zeitempfinden. Daher paßt das Erleben von Musik zum Transzendenten bzw. zum religiösen Erleben. Der Glaube war auch schon früher eine treibende musikalische Kraft
Dein Thema ist die musikalische Evolution und du siehst zwischen der Lautäußerung eines Urmenschen und einem Werk unserer Hochkultur einen prinzipiellen Unterschied. Soweit würde ich nicht gehen: es ist nichts prinzipiell Anderes, aber der Mensch als sozial gestaltendes Wesen hat die Gesellschaft in der er lebt seit der Frühzeit mehrere Male tiefgreifend verändert. So wie sich die Gesellschaft ändert, ändert sich die Musik.

Die Lautäußerung des Urmenschen ist eine ebenso angemessene musikalische Äußerung wie Bachs h-Moll-Messe, die nur in einer bestimmten Zeit in einem bestimmten sozialen Umfeld entstehen konnte. Musikalische Evolution folgt i.d.R. der gesellschaftlichen Evolution. Manchmal entwickelt sich Musik auch schneller als die Gesellschaft, aber dann kauft keiner mehr Konzertkarten :).

Harald
 

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