Wir verlieren hier mit dem Exkurs auf Übungsstrategien die ursprüngliche Frage zwar etwas aus den Augen, bei der es nach möglichen Ursachen und Therapien von Vortragshemmungen ging, aber irgendwie hängt das eine dann doch mit dem anderen zusammen ...
Du darfst den Fehler ab jetzt sofort nie wieder machen ...
... sonst mögen dir die bösen Fingerchen abfaulen!
Ob ein alttestamentarisches "Fehlerverbots-Dogma" zielführend ist, möchte ich bezweifeln. Wenn für Lernende musizieren zur Sollerfüllung durch Abarbeiten von Ge- und Verbotstafeln wird, dann muss man sich nicht über Versagensängste und Spielblockaden wundern.
Die Frage, ob Fehler nicht sogar für Lernprozesse unabdingbar sind, bedürfte zunächst der Klärung, ebenso der große Mythos vom angeblichen Nutzen des "langsamen Übens" - beides kann hier aber angesichts der Komplexität des Themas nicht umfassend erörtert werden.
Dass das
fehlerfreie Memorieren einer schnellen Passage in Echtzeit im Normalfall unsere Gedächtniskapazitäten überfordert, und hier langsames Vorgehen - allein aus Gründen der Fehlervermeidung - angebracht ist, ist unbestreitbar, aber eben auch ein ganz anderes Thema.
Zumindest läßt sich zum "Trainingstempo" beispielhaft feststellen, dass sich Kinder beim laufen lernen einen Teufel um ihre Geschwindigkeit scheren. Die ist nämlich in Relation zu ihrer erst rudimentären Körperbeherrschung bereits anfänglich schon so hoch, dass sie fast zwangsläufig auf die Nase fallen oder gegen Hindernisse laufen, denn für komplexe Bewegungsmodulationen (Richtungsänderung, Abbremsen, bewußte Veränderung der Schrittfrequenz) muss die dazu notwendige propriozeptive und visuell-räumliche Kontrolle erst erlernt werden.
Dass der Weg der Bewegungsbeherrschung von "langsam zu schnell" gehe, gehört also zu den vielen populären Neuro-Mythen im Umfeld des Lernens.
Zielführendes, erfolgreiches Bewegungslernen geht von der
veranlagten, allgemeinen Fähigkeit (Greifen) zur
intentionalen, speziellen Fertigkeit (Klavierspielen) aus. Beide entwickeln sich - weitgehend unabhängig vom Faktor der Bewegungsfrequenz - vom einfachen, wenig angepassten und durch starke Reduktion der Bewegungskomplexität ungelenk erscheinenden Ablauf zur komplexen, situationsbezogenen und behänden Bewegungsbeherrschung.
So haben die anfänglich meist noch steif durchgedrückten Knie von Kleinkindern beim Laufen durchaus eine sinnvolle Funktion, nämlich die Reduktion der Bewegungskomplexität mittels Beschränkung der Freiheitsgrade.
Für die Instrumentaltechnik hat das zur Konsequenz, dass Temposteigerung nicht durch "langsames Üben" zu erreichen ist (dieses hat im Lernprozess durchaus seine Berechtigung, z.B. zur Verinnerlichung von isolierten Bewegungsphasen), sondern primär durch Reduktion der Komplexität, d.h. durch Vereinfachung von Problemstellen - und zwar möglichst immer unter Bedingungen, die nicht zu sehr vom avisierten Zieltempo abweichen. Letzteres ist extrem wichtig, denn wie jeder aus Erfahrung weiss, können z.B. Fingersätze, die im langsamen Tempo funktionieren, sich im schnellen Tempo als untauglich herausstellen.
Dazu kommt ein weiterer Faktor, der gegen "Zeitlupen-Üben" als Allheilmittel spricht:
Kontrolliert langsame Bewegungen gehören im Erwerbsprozess der kinästhetischen Differenzierungsfähigkeit allein aufgrund der dazu benötigten
muskulären Haltefunktionen (also dem krassen Gegenteil "schneller Muskelbewegungen") zur motorischen Königsklasse.
Ein richtig verstandenes "langsames Üben" bezieht sich hingegen nicht auf die
langsame Ausführung der Spielaktionen, sondern allein auf die Anzahl der Spielaktionen pro Zeiteinheit. Ein Übungsnutzen entsteht daher nur, wenn jede Aktion im Grenzbereich des individuell jeweils aktuellen
obersten Tempolimits ausgeführt wird, d.h.
"so schnell wie möglich" - lediglich mit größeren zeitlichen Aktionsabständen, die aber nicht "inhaltsleer", sondern durch bewußte Kontrollaktivitäten bedingt sind.
Das ist ein mental extrem fordernder und anstrengender Übungsprozess, der nichts mit tranigen Zeitlupenbewegungen tun hat, sondern permanente Aufmerksamkeit und einen kontrollierten Zyklus von Antizipation, Exekution und Feedback erfordert. Aber letztendlich gilt auch hier:
Wer Sprinter werden will, muss Sprints üben!
Mir hilft es auch immer, die Fehler zu analysieren, die ich mache.
Das ist sinnvoll und entspricht der guten alten Volksweisheit
"Aus Fehlern lernt man", bei der es im Kern um das Erlernen einer "Fehlerkultur" geht, d.h. um einen kompetenten Umgang mit Fehlern.
Wer diesen, auch für das Erlernen eines Instruments unverzichtbaren Lernprozess scheut, kann sich natürlich
"Nur wer nichts macht, macht nichts falsch" zur Lebensdevise machen - das ist dann das "Lindner-Syndrom" und führt bekanntlich ins Abseits.