Weil mir auf die ohnehin etwas schwammig formulierte Frage meines Vorredners keine bessere Antwort eingefallen ist. Für den Aufbau der in unserem Kulturkreis gängigsten Tonskalen gibt es, wie schon im Eingangspost vermutet, eine physikalische Erklärung. Eine Tonskala, die sich aus den Gesetzen der Akustik ergibt, kann nicht gleichzeitig durch Gewöhnung entstanden sein. Die Gewöhnung spielt allerdings für die Verbreitung oder Nichtverbreitung bestimmter Tonskalen eine große Rolle.
Es gibt übrigens für die Herleitung der Intervalle verschiedene Wege. Die Frequenzen der Grundtöne stehen annähernd in recht einfachen Zahlenverhältnissen zueinander. Zum Beispiel kann man die Grundschwingung der großen Sekunde und die der großen Terz linear zwischen der der Prime und der Quinte anordnen, so dass sich ein Intervallverhältnis von 8:9:10:12 ergibt. Dieses Intervallverhältnis ergibt sich auch aus der Naturtonreihe, in der die angenäherte Quarte allerdings der elfte Teilton ist, der zu den übrigen Teiltönen in einem eher komplizierten Zahlenverhältnis steht und deshalb als dissonant empfunden wird. Es hat sich daher eingebürgert, die Quarte als Umkehrung der Quinte zu definieren (Verhältnis 3:4). Für den ersten Tetrachord ergäbe sich also ein Intervallverhältnis von 8:9:10:10 2/3. "Auf der Zwölf" wird dann der zweite Tetrachord mit identischen Intervallverhältnissen aufgebaut. Die zweite Stufe steht also zu ihren Nachbartönen im selben Frequenzverhältnis wie die sechste, die dritte wie die siebte und so weiter.
Rechnen wir der Einfachheit halber mit a'=450 Hz. Diese Zahl ist durch 9 teilbar, eine Zahl, die uns weiter oben im Zusammenhang mit der zweiten Stufe begegnete. Es liegt also nahe, a' als die zweite Stufe aufzufassen, so dass wir uns in G-Dur bewegen. Dann ergeben sich für die Grundschwingungen folgende Frequenzen:
g'=400 Hz, a'=450 Hz, h'=500 Hz, c''=533 1/3 Hz, d''=600 Hz, e''=675 Hz, f''=750 Hz, g''=800 Hz.
Ja, wie man sieht, gibt es doch noch einen Ton mit einer recht krummen Frequenz, aber wir können das Ganze auch noch um eine Duodezime transponieren und kommen dann zu einer D-Dur-Tonleiter:
d'''=1200 Hz, e'''=1350 Hz, f#'''=1500 Hz, g'''=1600 Hz, a'''=1800 Hz, h'''=2025 Hz, c#''''=2250 Hz, d''''=2400 Hz.
Die sieben Intervalle sind hier, von unten nach oben, großer Ganzton (9:8), kleiner Ganzton (10:9), diatonischer Halbton (16:15), dann ein großer Ganzton, der die beiden Tetrachorde voneinander trennt, und im zweiten Tetrachord noch einmal großer Ganzton, kleiner Ganzton und diatonischer Halbton. Transponiert man die parallele Molltonart um eine kleine Terz, um die gleichnamige Molltonart zu erhalten, dann bleiben zwar die hier genannten Frequenzen alle erhalten, doch stehen die fünf neuen Töne nicht im gewohnten Intervallverhältnis zu den alten. Keiner der Ganztonschritte lässt sich nämlich in zwei diatonische Halbtöne aufteilen, da zwei aufeinander geschichtete diatonische Halbtöne sogar größer als ein großer Ganzton sind! Wegen der ungleich großen Intervalle hat also jede Tonart ihre eigene Färbung.
Bei einem Aufbau nach dem Quintenzirkel ergeben sich nur große Ganztöne, so dass das Frequenzverhältnis zwischen den drei tiefsten Tönen der Dur-Tonleiter 64:72:81 beträgt. Die große Terz ist also verstimmt, und außerdem schließt sich der Quintenzirkel nicht. Man hat deshalb die Quinte minimal verkleinert, so dass sich auch die aus ihr abgeleiteten Intervalle wie der große Ganzton und die große Terz minimal verkleinern, wobei letztere reiner wird. Der neue Ganzton ist nun sechsmal kleiner als die Oktave und der neue Halbton exakt halb so groß, so dass sich für ihn annähernd ein Frequenzverhältnis von 18:17 ergibt. Gegenüber den reinen Intervallen sind nun alle Intervalle mit Ausnahme der Oktaven minimal verstimmt, am stärksten die kleine Terz.