Neue Publikumssegmente können sicher erschlossen werden, doch dann müsste man nicht nur über Auftrittsort, Repertoire und Vereinsrituale nachdenken, sondern auch über Kooperationen und Marketing.
Hallo accordion,
ja ganz richtig!! Als ich aber genau diese Punkte vor 1-2 Jahren hier (als alter Medien-Profi) vertrat, gabs Zunder, als ob ich ein Allerheiligstes geschändet hätte. Wir gehen mit dem Norddeutschen Philharmonischen Akkordeon-Orchester konsequent diesen Weg, spielen nie in einer Aula oder gar Turnhalle, verwässern nicht unser Repertoire mit einem Mix aus Allem, Vereinsrituale sind uns ein Gräuel und das Marketing hat bei uns oberste Priorität und wird nicht "nebenbei" von Amateuren erledigt. Wem bekannt ist, dass Marketing ein Studienfach an Hochschulen ist, wird nicht auf die Idee kommen, das auch selbst zu können. Dazu gehört eben mehr, als nur mal ein Programmheftchen zu stricken. Ich nenne nur das Stichwort "Corporate Identity".
Gegen die demographische Entwicklung können auch wir nichts machen, ebenso wenig gegen die alles dominierende Popkultur. Ob man aber unbedingt jedem Teenie das Akkordeon schmackhaft machen muss, darf bezweifelt werden. Mit den Jahren ändern sich nämlich auch die Vorlieben und Geschmäcker und wer mit 15 auf Hardrock stand, wird mit 50 vielleicht sein Herz für die Klassik, oder aber für handgemachte Musik ("unplugged") und etwas sanftere Klänge entdecken. So hat eben jede Generation "ihre" Musik, mit der sie sich und ihr Lebensgefühl ausdrücken kann. Und das Lebensgefühl eines 55-jährigen ist eben nunmal ein anderes als dass eines Twens. Werbeprofis haben das längst begriffen und sich auf die "Neuen Alten" als Zielgruppe eingestellt.
Übrigens: die sogenannte "Volksmusik" (oder was viele dafür halten) ist nicht nur der mit Lichtjahren Abstand größte Umsatzbringer der Musikindustrie, weit vor allen Popgrößen, sondern hat auch erstaunlich viele junge Talente in ihren Reihen, die zudem nicht die schlechtesten Musiker - auch auf dem Akkordeon - sind. Man muss diese Musikrichtung nicht mögen, Tatsache aber ist, dass diese riesige Fan-Gemeinde sich nicht nur aus Altenheim-Bewohnern rekrutieren kann, da müssen auch etliche jüngere Jahrgänge dabei sein. Diese Altersgruppe ist auch noch aus einem weiteren Grund das Lieblingskind der Musikindustrie: diese Leute kaufen nämlich noch CDs! Die Jungen dagegen laden alles aus dem Netz runter. Warum ist das so? Weil die Alten Geld haben! Deshalb können sie auch mal 20 Euro für eine Eintrittskarte zum Akkordeonkonzert ausgeben.
Unser Orchester läuft jedenfalls keinem Trend hinterher und obwohl wir keine "Volksmusik" spielen, haben wir so volle Häuser, dass die Zuschauer unmöglich alle mit den Orchestermitgliedern irgendwie verwandt sein können. Im Gegenteil kommen immer neue Zuschauer, die durch Mundpropaganda neugierig geworden sind, sogar neue Mitglieder für den Orchesterverein haben wir schon auf diese Weise gewonnen. Da stört es uns auch nicht, wenn viele über die Vierzig / Fünfzig sind. Warum auch? Es kommen ja immer neue 50-er nach. Und unser Orchester rekrutiert sich zu 80%aus jungen Talenten unter 30. Beste Voraussetzungen also für die nächsten Jahrzehnte.
Was uns vielmehr Sorgen macht, sind die knappen öffentlichen Mittel, die ein Orchester einfach braucht, um zu überleben. Das Orchester hat jetzt ein Stadium erreicht, das es einfach unanständig erscheinen lässt, von den MusikerInnen zu verlangen, auch noch Geld mitzubringen. Daher werden Gagen gezahlt, für jede Probe, für jedes Konzert und für Reise und Hotel. Natürlich müssen diese Kosten gegenfinanziert werden, und hier bitte ich um Verständnis, dass dies zu unserem "Betriebsgeheimnis" gehört. Öffentliche Mittel sind allerdings so knapp, dass sie schon fast unsichtbar sind. Da hilft nur - ich wiederhole mich hier gerne - Marketing, Marketing, Marketing! Die Früchte, so hoffen wir, werden wir in wenigen Jahren ernten, wenn die Maßnahmen, die wir jetzt eingeleitet haben, Wirkung zeigen.
Dann lasse ich mal wieder was vom NPAO hören.
Bis dahin grüßt die Gemeinde
Euer
play_bach