Kreativiät - Beginner's Mind im Zen

Zap-O!
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Erinnerst du dich noch an deine ersten Gehversuche an der Gitarre? Damals – als du noch nichts wusstest. Als jeder Akkord, den du gelernt hast, eine unglaubliche Faszination in dir auslöste und die von dir erzeugten Klängen dich selbst unfassbar begeisterten. Der Zen-Buddhismus nennt das Shoshin – der Geist des Anfängers oder der Geist des ersten Mal (Lies dazu die englische Wikipedia!). Damit wird eine Einstellung bezeichnet, die dem Lernen und der Kreativität sehr zu Gute kommt: Sich Neuem mit Offenheit und Wissbegierde hinzugeben, sich aller vorgefassten Meinungen und Vorurteilen zu entledigen und so zu lernen, als wäre es das erste Mal. So entgehst du dem Gefühl, dich immer zu wiederholen, dieselben Ideen zu spielen und nichts Neues mehr zu erschaffen.

Als ich anfing Gitarre zu spielen, zeigte mir mein damaliger Lehrer die typischen Pfadfinder-Akkorde wie E-Dur und A-Moll und ich spielte schnell die ersten Songs mit eben diesen Akkorden. Die Gitarre jenseits des dritten Bundes stellte noch ein großes Mysterium dar, dennoch wollte ich für meine eigenen Songs „coole Dinge“ finden und experimentierte mit den bereist gelernten Griffen herum , die ich in die Mitte des Griffbrettes verschob, leicht abwandelte und/oder hier und da eine Leersaite einfügte. Wenn ich etwas gefunden hatte, was interessant klang, schrieb ich es auf. Oder schrieb einen Song damit.

Als das Interesse am Gitarrenspiel ernster wurde, nahm ich Unterricht in der Musikschule und später auch bei verschiedenen Privatlehrern. Ich musste eine Menge Akkorde lernen, die verschiedenen Tonleitern und auch Notenlesen. Das Griffbrett wurde mir immer vertrauter, ich erkannte die Zusammenhänge zwischen einem Arpeggio und einem Tonleiter-Fingersatz. Doch je mehr ich lernte, umso mehr schien ich zu vergessen, wie man Musik und Klänge durch bloßes „rumprobieren“ erschuf. Immer mehr spielte ich die gelernten und in der Praxis erprobten Griffe. Ich konnte jetzt alle Umkehrungen eines Cmaj7 als Drop-3-Voicings spielen. Das war schon gut so. Aber irgendwie war der Spaß abhandengekommen.
Der Verlauf dieser Geschichte bis dahin ist gar nicht so untypisch für viele Musiker. Doch viele schaffen es auch nicht, diese Hürde zu überwinden. Das hört man dann manchmal, wenn jemand einfach seine Licks und Läufe runterspielt. Und gar nicht mehr aus ihnen herauskommt. Und ist das nicht paradox? Man lernt und übt und paukt, aber am Ende ist man nicht viel kreativer. Im Gegenteil, man fühlt sich wie ein- und festgefahren, in dem, was man schon zu gut kennt.

Die meisten Neulinge am Instrument sprühen erstmal vor Ideen. Sie kennen noch kein richtig oder falsch. Da ihre Möglichkeiten, sich auf dem Instrument auszudrücken, sehr beschränkt sind, erforschen sie eben eigenständig neue Möglichkeiten. Sie müssen allein über ihr Ohr und ihren Geschmack entscheiden ob sie etwas gut finden. Dieser Prozess kommt jedoch oft zum Stillstand, wenn jemand anfängt, die theoretischen Hintergründe und die bereits vorhandenen und oft erprobten Konzepte der Musik zu studieren. Denn meistens lernt man dann auch, in bestimmten Wegen zu denken. Und beschränkt sich dann meistens selbst. Ich nehme stark an, dass dadurch auch ein weit verbreiteter Mythos entstand: Zu viel Musiktheorie/Wissen schade dem Feeling, man spielt dann zu kopflastig.

Der große Zen-Meister Shunryu Suzuki sagt dazu: „[Wir müssen] alles vergessen was wir in unserem Geist haben, und etwas entdecken, das ganz neu und in jedem Augenblick anders ist. […] Wahres Verstehen wird aus der Leerheit kommen.“[1] Deine Aufgabe als kreativer Musiker ist es, dich frei zu machen von allem, was deinen Geist blockiert. Wenn du das schaffst, dann kannst du mehr lernen und trotzdem (und gleichzeitig!) mehr selbst erschaffen.

Gewöhne dir (wieder) an, mit allem was du schon weißt und kannst, kreativ umzugehen, damit herumzuspielen und es auf verschiedene Weisen auszuprobieren. Der Mann, der vielleicht am meisten über Akkorde auf der Gitarre wusste – Ted Green – schreibt in der Einleitung seines Buches Chord Chemistry: „If an idea is given, ask yourself how many other ways you could play the same idea.“[2] Und genau darum geht es! Es kommt nicht von ungefähr, dass dieses Buchen meisten in Regalen von den Gitarristen zu finden ist, die es Ernst meinen mit der Musik. (Bei vielen verstaubt es aber auch einfach ungenutzt...)

Du bist Musiker, du bist Künstler. Der kreative Prozess darf niemals zum Erliegen kommen! Denn davon und dafür lebst du schließlich. Bewahre dir den Geist des Anfängers. „The moment you think you know everything there is to know, you will have lost the way. The beginner’s mind is the mind of wisdom.“[3]

Was denkt ihr darüber? Habt ihr änliche Erfahrungen gemacht? Wie geht ihr mit Zeiten um, in denen ihr denkt, es geht nicht weiter? Wie ist eure Philosophie zum Thema Kreativität?

Dieser Text ist ein Auszug aus meinem aktuellen Blog "Akkord der Woche Nr. 14 - C#m7/9/11" auf meiner Website www.zap-o-guitar.com. Ich freue mich über jeden Besucher! :)

Liebe Grüße, Sebastian

Zitate aus:
[1] Shunryu Suzuki: Zen-Geist, Anfänger-Geist. Herder 2009, Freiburg im Breisgau, S. 127.
[2] Ted Greene: Chord Chemistry. Alfred Publishing Co., Inc. 1985, Van Nuys (CA), S. 2.
[3] Philip Toshido Sudo: Zen Guitar. Simon & Schuster Paperbacks, New York 1997, S. 27.
 
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Der große Zen-Meister Shunryu Suzuki sagt dazu: „[Wir müssen] alles vergessen was wir in unserem Geist haben, und etwas entdecken, das ganz neu und in jedem Augenblick anders ist. […] Wahres Verstehen wird aus der Leerheit kommen.“[1]

Naja, das ist aber schon etwas arg populistisch in der Zen-Philosophie gewildert.

Leerheit ist im Zen die "absolut Wahrheit" hinter dem Vorhang unserer Wahrnehmung, das Erkennung der Einheit aller Dinge und damit das Erlöschen der Dinge, die wir als getrennt wahrnehmen. Shiki soku ze ku, ku soku ze shiki. Leerheit ist Form, Form ist Leerheit.

Kurz gesagt: Da sehe ich eigentlich keine konkrete Verbindung zum Gitarre üben.

Wenn schon Zen dann würde doch die Achtsamkeit viel besser passen, also dass man das, was man tut, ohne Ablenkung und quasi als sein eigener Beobachter tut.
 
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Heyho @Xanadu!

Naja, das ist aber schon etwas arg populistisch in der Zen-Philosophie gewildert.

Da hast du sogar recht. Es geht mir auch gar nicht um Zen an sich. Aber diese Idee, die dort beschrieben wird, diese Einstellung, sich seiner schon vorhandenen Gedanken/Ideen/Meinungen zu entledigen um auf etwas Neues zu kommen, halte ich schon für wichtig.

Das gibt's auch aus anderen Richtungen, wenn dir das vielleicht besser gefällt:
Der englische Dichter John Keats nannte diese Fähigkeit z.B. negative Befahigung. Robert Greene (nicht verwandt mit Ted Greene!) schreibt in seinem Buch "Mastery" über ihn und die negative Befähigung: "Wahrhaft kreative Menschen aller Art können ihr Ego zeitweise ausschalten und einfach nur sehen, ohne krampfhaft an einem im Viraus gefällten Urteil festhalten zu müssen. [...]."
 

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