Ich stimme dir also im Ergebnis der Intervallbestimmung voll zu, aber verstehe nicht ganz, warum es eine Rolle spielen soll, daß der Kontext eine C-Dur- oder eine A-Moll-Tonleiter ist bzw. sein kann.
Hallo Harald,
Deine Sichtweise ist mir natürlich sonnenklar.
Vielleicht kann ich den meinen o.g. Standpunkt ebenfalls aufhellen, der auch möglich ist, den man aber keinesfalls ausschließlich einnehmen muß. Wie so oft, sind unterschiedliche Perspektiven möglich und führen zu umfassenderer Kenntnis des Gegenstandes.
Um der Klarheit willen, möchte ich etwas ausholen:
Wie schon gesagt, ging es mir darum, ziemlich allgemein die wichtige Rolle von Kontexten/Bezügen aufzuzeigen.
Wir sind sehr geprägt von der Dur-Tonleiter und auch davon, daß wir Melodien, Tonleitern und Intervalle eher von unten nach oben hören als umgekehrt.
Selbstverständlich sind da Deiner und meiner Erfahrung/Prägung/Ausbildung nach Intervalle grundsätzlich immer aufwärts zu benennen. Das kann ruhig so bleiben.
Es ist aber auch eine musikalische Welt denkbar und teilweise sogar belegbar, in der diese Prämissen nicht gelten:
Wie oben angeführt, dachten die alten Griechen bezüglich der Tonleitern von oben nach unten. (Man studiere den
Wiki-Artikel.) Die Tonleitern wurden entsprechend abwärts notiert und auch die entsprechenden Melodien hatten offenbar diese Richtung. Es liegt nahe, zu vermuten, daß sie den Intervall-Abstand zweier Töne ebenfalls abwärts benannt haben. Die Richtung ist ja nirgends als Naturgesetz in Stein gemeißelt und in unserer Kultur allenfalls eine Vereinbarung.
Nun habe ich mir Personen mit Vorliebe zu Moll anstatt Dur vorgestellt. (Wenn ich spontan etwas auf dem Klavier improvisiere, bevorzuge ich momentan automatisch Moll.)
Heute habe ich zufällig ein altes Volkliederbüchlein für 50 Cent erstanden, das ich hier jetzt gut anbringen kann. Mich interessiert nämlich seit langem, wieviel dieser Lieder (ab dem 14. Jahrhundert) in Moll sind und wie weit sich die Melodie über den Grundton erhebt.
Die Auswertung:
Von 330 Liedern waren 18 in Moll (5,45%)
So, nun begebe ich mich in die Welt und Stimmung dieser 18 Moll-Lieder. Ich vergesse eine Zeit lang, daß es die Dur-Tonleiter gibt.
Jetzt zur Frage: Wie weit erhebt sich die Melodie bei den Liedern in Moll über den Grundton? (Quartauftakte spielen keine Rolle)
Ergebnisse:
bis maximal zur Quinte: 5 Lieder
über die Quinte, bis max. zur Oktave: 13 Lieder
In keinem geht sie über die Oktave hinaus.
Dies belegt, was ich oben schon aussagte, wie wichtig der Raum der Tonleiter im Umfang einer Oktave ist.
Nun sind wir in die Stimmung dieser Lieder und die verwendete Moll-Tonleiter eingetaucht und betrachten die zweite Tonstufe und die sechste (entspr. h und f im A-Moll).
Wenn uns in diesem Kontext nun die Frage gestellt wird, welchen Abstand haben die beiden Töne, so lautet die Antwort ganz selbstverständlich: Den Abstand einer (verminderten) Quinte. Daß die beiden Töne in der verlängerten Tonleiter irgendwann auch den Abstand einer übermäßigen Quart haben ist in diesem Kontext irrelevant:
Keine einzige der o.g. Moll-Melodien erhebt ich über die Oktave hinaus!
Bei den Dur-Liedern würden die Töne h und f natürlich entsprechend als übermäßigen Quart eine wichtige Rolle spielen. Es erhebt sich in den über 300 Dur-Liedern die Melodie wohl in kaum einem Fall über die Oktav des Grundtons hinaus.
Ähnliches gilt sicher nicht nur für Volkslieder, sondern für alle Lieder, wenn es sich nicht gerade um kunstvoll komponierte Lieder für ausgebildete Sänger handelt.
Ich hoffe, es ist nun klarer geworden, was ich mit Kontextabhängigkeit meinte.
Viele Grüße
Klaus