Realitätsabgleich: Wie schwer ist das Stück wirklich

@Regenbogenfarben: Ach, ganz so idealistisch bin ich auch wieder nicht. Ich übe z.Zt. neben dem Stück s.o. z.B. Chromatik auf Geschwindigkeit. Dave Frank sagt in seinem Video "learn how to burn" das man pro Woche das Metronom um 1 BPM (in Worten: ein) schneller stellen kann. Jetzt werde ich wahrscheinlich Mitte bis Ende nächsten Jahres in dem avancierten Geschwindigkeitsbereich sein. Das ist eigentlich okay, so lange ich nicht NUR ausschließlich das übe ....

So richtiger Frust kommt erst dann auf, wenn ich das Metronom beim Üben langsamer stellen muss als ich es am Vortag oder die ganze vorige Woche geschafft habe. Das kommt leider auch regelmäßig immer malwieder vor - so sieht wohl der schlechte Tag beim Klavierüben aus ....

Gruß,
Wini
 
Jetzt endlich, mit 10 Tagen Verspätung: :guilty:Der Übersichtlichkeit wegen zitiere ich den jeweiligen Beitrag nochmal komplett:
Takt 10 (zweite Seite), unteres System (linke Hand) spielt forte und tenuto ein paar Noten. Soweit so klar. Dann ist untendrunter noch ein Decrescendo angebracht - also erste Note f, dann wohl so mf/mp und dann irgendwie bei p(?) landen. Okay. Darauf folgt jedoch noch ein f und zwei weitere Noten(-paare) mit einem Crescendo. Spielt man den ersten Zweiklang f und den zweiten ff oder wird dann eher der erste etwas leiser gespielt?
Dazu zunächst mal folgendes: Die dynamischen Bezeichnungen in Noten sind keine Anweisungen für einen MIDI-Sequenzer! D.h. sie zeigen nicht an, welche Note wie laut zu spielen ist. Diese Bezeichnungen deuten vielmehr auf das innere musikalische Erleben des Musikers bzw. des Komponisten. Wenn der Komponist solche Zeichen schreibt, versucht er nicht, dem Spieler eine Vorschrift zu geben, wie laut er diesen oder jenen Ton zu spielen habe, vielmehr versucht er dem Interpreten einen Hinweis zu geben, welches musikalische Erlebnis er als Komponist bei dieser Stelle hatte. Gerade Anton Webern war ja bekannt dafür, daß dieses innere musikalische Erleben äußerst feinfühlig war, daher hat er auch relativ viele dynamische Zeichen in seinen Kompositionen verwendet.

Nehmen wir als Vergleich mal die Werke, die J.S. Bach für das Clavier geschrieben hat. Da gibt es überhaupt keine dynamischen Bezeichnungen. Wird man deshalb alles gleichlaut spielen? Nein, unser eigenes musikalisches Empfinden zeigt uns den Weg, wie wir Bachs Werke auf dem Klavier dynamisch zu behandeln haben. Natürlich könnte man sagen: Bach hatte halt nur ein Cembalo, er konnte damit gar nicht anschlagsdynamisch spielen. Aber trotzdem wird er ja seine Musik innerlich als dynamisch erlebt haben, er wird aber davon ausgegangen sein, daß die Noten, die er auf's Papier gebracht hat, schon für sich sprechen und dem musikalisch gebildeten Spieler schon klar ist, wann er wie lauter oder leiser, wird. Joseph Haydns Sonaten sind z.B. sehr spärlich mit dynamischen Zeichen versehen. (Die meisten Bezeichnungen, die heute in den Noten stehen, stammen von den Herausgebern.) Da steht alle paar Kilometer mal ein p oder ein f. Muß man deshalb nach einem p alle Töne gleich leise spielen? Nein, jede einzelne musikalsiche Phrase hat ihre eigene innere Dynamik, die der Musiker einfach aufgrund seiner musikalischen Erfahrung erkennen kann. Wenn Haydn z.B. zweimal die gleiche Phrase hintereinanderschreibt, weiß man als Musiker, daß ein Echo gemeint ist: Das erste mal laut, das zweite mal leise. Haydn schreibt das nicht extra in die Noten.

Für Zwölftonmusik ist aber unser musikalisches Gehör (noch?) nicht so gut ausgebildet wie für die "normale" tonale Musik. Deshalb sind die dynamischen Zeichen Weberns natürlich sehr willkommen. Trotzdem können sie uns nur ein Wegweiser sein, den wir bei der Suche in unserem Inneren nach einer schlüssigen Interpretation gerne zu Hilfe nehmen. Sie sagen uns nicht, welcher Ton wie laut genau gespielt werden muß, das muß man eben selber entscheiden. Ein in dieser Musik erfahrener andere Musiker kann da natürlich sehr gut weiterhelfen, aber ich glaube, dazu muß man nebeneinander am Klavier sitzen. Da sind dann die Möglichkeiten des Internet dann doch zu begrenzt.

Ich bin meinem Lehrer an diesem Punkt immer noch unendlich dankbar, daß er seine musikalische Erfahrung mit mir geteilt hat. Ich habe immer noch den Eindruck, daß er ein gutes Stück weiter war als ich, aber leider lebt er nicht mehr und ich kann ihn nicht mehr fragen. Aber das Fundament hat er in mich hineingelegt.

Weil dieses Thema im Forum ja auch gelegentlich auftaucht: Genau hier liegt für mich der wesentliche Punkt der musikalischen Ausbildung. Es geht um die Weitervermittlung des musikalischen Erbes in die jeweils kommende Generation in der Hoffnung, daß diese auf dem in sie hineingelegten Fundament neues erschaffen kann. Das können Online-Tutorials, Youtube-Videos und auch dieses Forum nicht leisten.

Dann kommen in Takt 11 drei Akkorde, die jeweils Staccato mit sforzato gekennzeichnet sind. Bis dato habe ich sforzato immer wie ein lautes (forte) Staccato gespielt. Ist das anders gedacht?
Ein sforzato ist einfach nur ein etwas stärkerer Akzent und bezeichnet kein Staccato.

Danach folgen keine Vortragszeichen mehr bis zum letzten Takt. Hämmere ich dann die restlichen Takte gut laut (forte) in die Klaviatur, gilt nach dem Crescendo von Takt 10 etwa ff oder geht es nach dem letzten sf wieder in "normaler Lautstärke" (p?) weiter?
Im Grunde gilt hier das, was ich oben schon geschrieben habe, aber bei diesem Stück gibt es noch enen anderen Aspekt: In der mir vorliegenden Ausgabe steht opus posthum. D.h., daß dieses Stück erst nach Weberns Tod veröffentlicht wurde. Es wäre also vorstellbar, daß es sich um eine Fragment handelt, daß Webern nicht ganz bis ins Detail vollendet hat. Oder anders ausgedrückt: das Webern vollendet hätte, wenn es zu einer Drucklegung gekommen wäre. Ich habe nicht die Mittel, das konsequent nachzuprüfen, aber die Fülle der Vortragszeichen vorher im Stück legt den Verdacht doch sehr nahe. Vielleicht ein liegengebliebenes Notenblatt auf dem Schreibtisch, anderes war plöztlich wichtiger, also sank es im Stapel der unerledigten Sachen langsam nach unten und wurde irgendwann ins Archiv befördert? Wissen wir ja nicht genau. :nix:

Ich würde das als Chance sehen, genau das zu Üben, was ich oben beschrieben habe: In sich selbst hineinhören, um herauszufinden, wie man diese Stelle schlüssig spielen kann. Da fängt die Kreativität des Musikers doch erst an!

Ich gehe übrigens noch weiter und sage, daß man die Vortragsbezeichnungen des Komponisten einfach ignorieren soll, wenn man mit ihnen keine schlüssige Interpreation findet. Nur war die musikalische Erfahrung der großen Komponisten einfach viel größer als unsere, so daß ich im Regelfall davon ausgehe, daß meine diesbezügliche Erfahrung einfach noch zu gering ist, wenn ich ein Vortragszeichen nicht nachvollziehen kann und noch etwas zu lernen habe.

So richtiger Frust kommt erst dann auf, wenn ich das Metronom beim Üben langsamer stellen muss als ich es am Vortag oder die ganze vorige Woche geschafft habe.
Hey, bei der Methode ist der Frust ja schon vorprogrammiert. Schalte doch das dämliche Metronom einfach mal aus und mach Musik! Bei Webern darf man auch schneller und langsamer werden. Das Metronom ist einfach überhaupt kein Maßstab dafür, ob man musikalisch Fortschritte gemacht hat oder nicht. Metronom braucht man bei Jazz etc. um grooven zu lernen, in der Klassik braucht man es nur, um sich an das richtige Tempo zu erinnern. ;)

Viele Grüße,
McCoy
 
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Das Gefühl, in der Spielgeschwindigkeit noch weit von den angestrebten Vorstellungen weg zu sein, kennen sicher viele - der 'Metronomdrill' ist da i.a. aber keine wirklich effektive Übungsmethodik, sondern frustriert eher als zielführend zu sein. Auch bei klassischer Musik ist es oft wesentlicher, den 'Grove' des Stückes zu verinnerlichen, gerade wenn es wie bei dem Stück von Webern nicht primär um einen im Ablauf schwer zu bewältigenden Notenreichtum pro Takt geht.

Wenn Hilfe z.B. durch einen Lehrer in Fleisch und Blut fehlt, hilft mit da manchmal folgendes:
Eine Aufnahme des Stückes runterladen und auf den Kopfhörer legen, um dann dazu quasi im Hintergrund selber mitspielen - ggf. vorher die Aufnahme mit Tools wie dem 'Amazing Slow Downer' oder was es da heute sonst so auf dem Markt gibt etwas dem eigenen Tempo angleichen.

Gruß,

Stephan
 
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