Funktion der Bewicklung des Bogens

J
JohnMcCartney
Registrierter Benutzer
Zuletzt hier
02.01.18
Registriert
11.03.12
Beiträge
95
Kekse
0
Hallo,

was ist der Zweck der Drahtwicklung bei einem Geigenbogen?
Es scheint nicht darum zu gehen, den Bogen vor Abnutzung und Schweiß zu schützen, weil man dann einfach ein längeres Daumenleder installieren würde, was einfacher herzustellen und bequemer zu spielen wäre. Auch wird die Umwicklung zum guten Teil unter dem Daumenleder angebracht, was bezüglich einer Schutzfunktion keinen Sinn ergibt.
Es scheint auch nichts mit der Position des Zeigefingers zu tun zu haben - bei meinem ersten Bogen wirkte es bei meiner Hand sinnvoll, den Zeigefinger genau in der Mitte des Drahtes zu positionieren. Bei anderen Bögen und bei anderen Händen funktioniert das aber nicht.
Momentan kann ich mir nur vorstellen, dass die Bewicklung den Zweck hat, den gewichtsmäßigen Schwerpunkt des Bogens zu verlagern. Je nach Material und Länge/Dicke des Drahtes ergibt sich ein anders Gewicht, was jeweils den Schwerpunkt des Bogens verlagert und somit eine Einflussmöglichkeit bietet, die Bespieltbarkeit oder die Balance für das Spielen zu beeinflussen.

Und warum heißt es Daumenleder, wenn einige Geiger den Daumen gar nicht darauf positionieren, sondern daneben an die Kante oder an den Frosch anlegen und viel mehr den Zeigefinger darauf legen? Dann müsste es eher Zeigefingerleder heißen.

Sehe ich das richtig, oder stehe ich massiv auf dem Schlauch?

Lieber Gruß, John
 
Eigenschaft
 
Hi John,

Deine Überlegung hinsichtlich der Gewichtserhöhung und Schwerpunktverlagerung geht schon die richtige Richtung. Je näher das Gewicht an der Hand selbst liegt, umso besser lässt sich die Stange ja kontrolliert führen.

Ganz interessant ist hierbei der Zusammenhang zwischen der ab ca. 1910 stärkeren Umwicklung und der sich weiter kultivierenden Bogentechnik. Die bis dahin übliche Seidenumwicklung/Silbergespinst wurde durch Silberdraht ersetzt, um neben höherer Holzdichtes und größerer Kopfform mit dem Silberdraht ein höheres Bogen-Gewicht zu erzielen. Ab ca. 1860 bis 1910 war nämlich eher der leichte Bogentyp (50 -56 gr) gebräuchlich. Der Bogenbau war damit wohl der geforderten Spieltechnik dieser Zeit verpflichtet. Präferiert und gelehrt wurde ein stark betontes Handgelenkspiel, das die Einbeziehung des Oberarmes tunlichst vermied. Dies schränkte jedoch die Ausdrucksmöglichkeiten stark auf die linke Hand (Vibrato, Triller,…lediglich Tonschwankungen, nicht aber Dynamik) ein. Um die Jahrhundertwende weichte dieses Dogma angesichts herausragender Geiger, die ihren "großen Ton" und – viel wichtiger noch –ausdruckstärkeres Spiel u.a. mit dem Einbeziehen ihres (Ober) Armes erzielten, auf. Und die Bögen wurden zudem nun schwerer gebaut (u.a. mit Silberdraht). Nun konnte man mit weniger "Krafteinsatz" eine variablere und differenziertere (und auch physiologisch gesündere) Bogenführung erzielen – also das Ausdrucksspektrum erweitern.

Das Daumenleder soll meines Wissens tatsächlich die Stange vor dem Handschweiß schützen. Aber wer weiß, möglicherweise hat sich dies mal ursächlich einer besseren Griffigkeit so entwickelt oder man nennt es aus "sprachlicher Großzügigkeit" Daumenleder (?) oder es verweist auf frühere Bogengriff-Arten. Keine Ahnung.

Grüße
Kylwalda
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 4 Benutzer
Wenn das Daumenleder vor Schweiss schützen soll, dann ist die Konstruktion nicht sehr ausgereift, da 60% der Finger (Mittel- bis kleiner Finger) gar nicht mit dem Daumenleder in Kontakt kommen, sondern direkt am Bogenholz aufliegen...

Wenn man in Google Bildersuche "thumb position violin bow" eingibt, kann man sehen, dass es keine einheitliche Daumenposition gibt. Manche stellen den Daumen in die Kuhle des Frosches, manche in die Lücke zwischen Frosch und Leder, und manche auf den ersten Zentimeter des Leders.
Keine dieser Positionen finde ich besonders ergonomisch (am ehesten noch die auf dem ersten Zentimeter des Leders), die Konstruktion ergibt für mich keinen tieferen Sinn.
Für mich wäre es plausibel, wenn es eine Stelle gäbe, die etwas breiter/flacher ist, auf der der Daumen eine größere Auflagefläche hätte, damit es nicht so schnell zu Druckpunkten auf der Daumenspitze kommt (und damit man wüsste, wo der Daumen überhaupt eindeutig hingehört).
--- Beiträge wurden zusammengefasst ---
Was spricht eigentlich dagegen, den Daumen *aussen* auf den Metallring des Frosches zu setzen? Die Auflagefläche ist dort sehr bequem.
 
Was spricht eigentlich dagegen, den Daumen *aussen* auf den Metallring des Frosches zu setzen? Die Auflagefläche ist dort sehr bequem.

Find ich jetzt weder bequem, noch habe ich das Gefühl, den Bogen auf diese Weise kontrollieren zu können.

Hab mich eben aber auch gefragt, ob das alles so zwingend ist. Als ich heute mal einen mir zugelaufenen Bogen ohne Daumenleder und Umwicklung gereinigt und gespielt habe, fand ich das eher sympathisch. Sowohl von der Optik her als auch vom Spielgefühl. Und auf mich wirkt der auch, als wäre weder das eine noch das andere je dran gewesen. Die Stange beginnt am Frosch oktagonal und wird dann rund. Möglicherweise hat man ja hierdurch schon die angestrebte Gewichtsverteilung erzielt. Er ist kürzer als die anderen, und scheint mir auch kein Teurer zu sein…etwas spärlich die Behaarung…vielleicht sollte ich den XXXL-Haflinger "Anton" in der Nachbarschaft ja mal besuchen….:engel::D
 
Auch ich frage mich, warum der Bogen eigentlich die richtige Griffweise nicht einwandfrei durch entsprechende Ausformungen vorgibt.
Ich habe auch viele Lehrvideos und Bilder angeschaut und viele verschiedene Anleitungen gefunden. Ich nutze jetzt die Griffweise, die meine Lehrerin auch verwendet, aber angenehmer fand ich die Position des Daumen in der Mulde des Frosches.
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer
Ich habe ja nicht nur einen Geigenbogen und nicht jeder ist gleich gestaltet. Da ich kein Geigen- bzw. Bogenbauer bin, kann ich nur vermuten und für mich die praktische Seite beleuchten.
Einer meiner Geigenbögen hat nur Leder und das auch oberhalb des Frosches und er hat keine Draht-Umwicklung. Er liegt sehr gut in der Hand, da das Leder griffig ist und auch bei schwitzigen Händen den Bogen sauber kontrollieren lässt.
Die anderen Bögen haben nur einen "normalen" Lederbereich und die typische Draht-Umwicklung. Auch sie liegen gut in der Hand, sind aber durch den Draht und den lackierten Bereich oberhalb des Frosches bei schwitzigen Händen etwas rutschiger.
Natürlich hält die Draht-Umwicklung etwas länger als das Leder. Man sieht meinem "Lieblingsbogen" durchaus an, dass er die meiste Zeit in meiner Hand verbracht hat und das Leder müsste wohl irgendwann auch ersetzt werden.
full



Ganz ohne Umwicklung und Leder wäre ein Bogen aus meiner Sicht schneller abgenutzt und würde schlechter in der Hand liegen.

Hier noch einige Schnappschüsse meiner Bogenhaltung:


Vielleicht kann ja @fiddle noch sein Fachwissen hier einbringen, das wäre klasse!
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer
Wow GeiGit, das sind ja mal anständige Spielspuren!:) Meine Griffhaltung ist die Gleiche wie Deine.

Hier ist mal besagter Bogen. Da nichts darauf verweist, dass Umwicklung oder Leder je dran gewesen wären, vermute ich mal, daß das ein absoluter Fabrik-Billig-Bogen ist, bei dem man sich diese Arbeitsgänge gespart hat, und ausschließlich durch die Gewichtung der Holzstange den Schwerpunkt erzielt hat. Man hat ihn Richtung Froschende achtkantig belassen und im späteren Verlauf rund gestaltet, was ja durch Wegnahme der Kanten Gewicht reduziert.

IMG_2106.JPGIMG_2104.JPG IMG_2105.JPG IMG_2103.JPG
Beim zweiten Bild ist der Übergang vom Oktagonalen zum Runden zu erkennen.

Mit einer Länge von 65,8 ist er wohl ein "Kinder-Bogen", der bei einer ½ Geige dabei war. Den hierbei unmittelbaren Kontakt zum Holz finde ich persönlich tatsächlich angenehmer als bei meinen anderen Bögen.
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer
Wow GeiGit, das sind ja mal anständige Spielspuren!:)
Ja, das sind sie! Sind aber nicht alle von mir, da ich diese Bögen alle von meinem Opa, einem Berufsmusiker geschenkt bekommen, bzw. geerbt habe.
Mein Lieblingsbogen (der zweite von oben) begleitet mich schon seit mindestens 35 Jahren und wurde vorher schon sehr viel von meinem Opa gespielt. Er war viele Jahre mein einziger Bogen, dann kam vor gut 25 Jahren der untere dazu, der dann mein Hauptbogen wurde, da er etwas besser mit meiner akustischen Geige funktionierte. Als ich dann meine E-Geige im Juni 2013 kaufte wanderte der zweite von oben in den E-Geigenkoffer und ist also seit gut Jahren wieder mein Hauptbogen (da ich 90-95% E-Geige spiele).
Den Bratschenbogen (der oberste) und den dritten Bogen von oben habe ich erst knapp ein Jahr und nur testweise gespielt. Der Geigenbogen ist mein bester und teuerster Bogen und er ist mir für die Bühne zu schade. Ich spiele mit ihm auch nicht besser, also bleibt er noch ne Weile in seiner Bogenschatulle und wird nur ab und zu gespielt. Der Bratschenbogen ist so momentan nicht zu gebrauchen, da er krumm ist und sich aktuell nicht genug spannen lässt.
 
GeiGit, vielen Dank, ordentliche Spielspuren...ich glaube ein durchschnittlicher Geigenlehrer würde an der Haltung bemängeln, dass der Zeigefinger ein wenig weiter reingreifen sollte (Bogen in der Mitte des zweiten Zeigefingerknochens), und der Daumen und kleine Finger gebeugt (rund) sein sollte, Mittel- und Ringfinger ein wenig näher am Frosch und diagonaler.
 
Mein Geigenlehrer hat es mir genau so gezeigt, wobei der Daumen tatsächlich durch das Fotografieren nicht so gebeugt ist wie er das normalerweise wäre ;)
Ich kann nur sagen dass die Haltung sehr gut funktioniert, jedoch alleine mit dem Handy aber schwer aufzunehmen ist. Dadurch, dass der Bogen nicht genau so gehalten wird, wie beim Streichen ist natürlich auch die Haltung nicht genau so, auch wenn die Finger noch an den Positionen sitzen. Viellich müsste ich mal jemand anderen fotografieren lassen :rolleyes:
 
Hallo alle,

vorweg: ich bin kein Bogenmacher.

In der Barockzeit war die Griffhaltung deutlich weiter vorverlagert (Richtung Spitze), als mit den heutigen, klassischen Bogenhaltungen
und den beiden wesentlichen Techniken: russische Schule (z.B. Oistrach) gegenüber franko-belgisch (z.B. Itzhak Perlman).

Die Barock-Bögen hatten anfangs überhauptkeinen Schutz der Stange.
Das sog. Daumenleder hat/hatte die Funktion, daß der Daumen mehr Grip bekommt und die Stange weniger leicht wegdreht.
Das Daumenleder sitzt heute dort, wo der Daumen in der Barockzeit lag. (..und der lag teilweise noch weiter vorne!)

Ich bin wirklich kein Experte der barocken Spielweise, aber ich habe mal bei einem einwöchigen Kurs über barocke Aufführungspraxis
teilgenommen - das war eine sehr berfremdliche, aber ungeheuer lehrreiche Erfahrung. (barock greifen und bolß kein Vibrato!)

Daumenleder und Wickel sind eine Erfindung des 19. Jahrhunderts - der Zeit der "neuen" Bögen mit den französischen
Protagonisten wie Peccatte, Lamy, Tourte, Voirin, Sartory .. um die bedeutendsten mal zu nennen.

Der "Wickel" für den Zeigefinger hat zwar auch eine Schutzfunktion, aber er dient in erster Linie dazu, um geringe Gewichts- und
Balanceunterschiede zu regulieren. (ich bin kein Bogenmacher - das kann ein Experte besser erklären, als ich..)

Leder und Wickel: wahrschinlich ist heute tatsächlich nur noch wenig davon praktikabel wenn man sich neue Bogenkonstruktionen
anschaut, die gewichtstechnisch teilweise garnix mehr mit den klassischen Holzbögen zu tun haben (z.B. Arcus).
Ich warte noch auf die Gelegenheit, einen Arcus zu spielen - mir wird sicher noch einer über den Weg laufen ;)


cheers, fiddle
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 4 Benutzer
Ich spiele ja erst seit 1,5 Jahren Cello.
Meine beiden Bögen haben die Silberwicklung, und ich habe bisher auch nicht wirklich verstanden, wozu die da ist.
Über der Wicklung war eine dünne transparente Plastikummantelung, die ich zuerst gar nicht bemerkt hatte, hat ja auch nicht gestört. Vor ein paar Wochen hab ich sie entfernt (ließ sich einfach abwickeln) - vorher war das Silber schön silbern, jetzt läuft es natürlich an und der Zeigefinger wird schwarz.

Da ich nun weiß, daß die Wicklung der Austarierung dient, hätte ich die Hüllen ja auch belassen können?
Also mich stört das jetzt nicht, sieht ja auch "echter" aus, aber fürs Interesse: war das nun Teil der Verpackung, oder vielleicht wirklich zum Draufbleiben gedacht?
Vom Gefühl her gibt es keinen Unterschied.
 
Die Folie ist zum Abmachen dran. Wenn´s Dich mal doch stören sollte, weil es abfärbt, kannst Du aber einfach Tesa oder sonstige Folie wieder drüberkleben.
Bei meiner Recherche zum Thema Pegheds habe ich noch diesen Clip entdeckt, in dem der Geigen/Bogenbauer ein paar recht interessante Dinge zu einem Bogen erzählt, der einem Bogen von einem Gemälde aus dem 17 Jahrhundert nachempfunden ist.


Ab Minute 4 wird´s interessant



Und dann noch diese "dezente Apparatur", die wohl zu einer gebändigten Bogenführung verhelfen soll


:D o.k. off topic, aber zu schön!
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer
Die transparente Klebefolie über dem Wickel gibt es, nach meiner Beobachtung, erst seit 10, 15 Jahren.
Sie dient dazu, daß die Finger eben nicht schwarz werden und zum zweiten sind die meisten Wickel bei
billigen Bögen nicht aus Massiv-Silber, sondern aus versilbertem Kupferdraht.

Wenn man durch die Versilberung "durchgegriffen" hat, dann kommt das Kupfer zum Vorschein und die
Finger werden dann noch schwärzer, höhö. :D

Das passiert mit der Folie nicht.

cheers, fiddle
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 2 Benutzer
Okay, meine eine von der Folie befreite Umwicklung färbt (noch?) nicht ab. Aber Danke für den Hinweis, bei dem Set-Billig-Bogen lass ich das dann besser auch mal sein.
ratocaster, Vielleicht mal in einer Werkstatt, die mit Kabel-Verlötungen zu tun hat, nach einem Stücken transparentem Schrumpfschlauch nachfragen, sieht eventuell etwas eleganter aus als Folie und hat auch besseren Grip als Folie.
 
Tja, hätte ich erst mal euch gefragt :)
Aber ab ist ab, und eigentlich soll es ja auch so sein. Doch die Folie war so gut, daß ich sie, ehrlich gesagt, nach Monaten überhaupt erst bemerkt habe.
Dünn, griffig, enganliegend, fast unsichtbar. Ob Schrumpfschlauch das könnte?
Wenn es irgendwann doch nervt, kann ich ja neue Wicklungen machen lassen, jetzt ist es ja eh schon angelaufen. Aber wie der Bogenmann dann gucken wird, wenn ich "und bitte folieren" sage?

Meine Bögen sind ein billiger Stingl-Carbon und ein Yamaha CBB301, wenigstens beim letzteren ist es sicher Silberdraht. Der Stingl ist nur als Ersatzbogen gedacht, bzw. war zur Überbrückung, weil ich auf den Yamaha 2 Wochen warten mußte.
 
Ob Schrumpfschlauch das könnte?

Im Netz findet man durchaus sehr sehr dünnwandigen Schrumpfschlauch. Durch Erwärmen bekommt man ihn ja absolut enganliegend hin. Bei Voelkner z.B. bekommt man transparente Schrumpfschläuche in versch. Durchmessern und sehr dünnen Wandstärken.
 
Interessanter Diskurs, für mich als E-Basser nicht unbedingt naheliegend, aber ich schaue gerne über den Tellerrand und freue mich über solche sachliche und zielgerichtete Diskussionen!
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer

Unser weiteres Online-Angebot:
Bassic.de · Deejayforum.de · Sequencer.de · Clavio.de · Guitarworld.de · Recording.de

Musiker-Board Logo
Zurück
Oben