Ich hole mal etwas weiter aus, in der Hoffnung die Verwirrung abzubauen.
Die Angabe einer Ausgangsleistung bei Audio-Endstufen ist im Grunde erst mal eine Vereinfachung in dem Versuch, die Leistungsfähigkeit anschaulich darzustellen.
Betrachten wir das etwas technischer, so ist die Endstufe eine Spannungsquelle, ihre Ausgangsgröße ist also eine (maximale) Spitzenspannung. Ohne Lasten (bzw. mit hochohmigen Lasten) wäre das auch schon alles, was man angeben müsste. Nun schließen wir aber Lautsprecher an, welche eine (frequenzabhängige und genauer betrachtet auch pegel- und zeitabhängige) niederimpedante Last darstellen. Oder anders ausgedrückt, die Endstufe muss Strom liefern. Dieser Strom ist ebenso wie die Spannung begrenzt. Da haben wir also schon mal 2 Ausgangswerte.
Der klassische Ansatz ist es jetzt, aus diesen Werten eine Leistung zu berechnen, um nur noch einen Wert zu haben. Wir haben ja irgendwann mal gelernt, dass Leistung das Produkt aus Spannung und Strom ist.
Leider ist es bei Wechselspannungssignalen nicht so einfach, wie im DC-Fall. Nehmen wir einen einfachen Sinus an und eine rein reelle Last (Widerstand), so sind sowohl Strom als auch Spannung ebenfalls sinusförmig und in Phase. Das Produkt daraus, unsere Leistung, variiert nun ebenfalls über Zeit. Wir wollen aber einen Wert angeben, wie geht das?
Dazu benötigen wir den Effektiv-Wert der Sinusschwingungen von Strom und Spannung. Der berechnet sich über ein Integral, dessen Lösung zu unserem Glück seit langem bekannt. Ich verschone euch damit, für den Effektivwert eines Sinus teilt man seinen Spitzenwert durch Wurzel 2. Den einen Leistungswert eines Sinussignals bekommen wir also aus dem Produkt der Spitzenwerte von Strom und Spannung geteilt durch 2.
Anschaulich heißt das folgendes:
Eine Endstufe gibt einen Sinus mit 14.1 V Spitzenspannung (effektiv 10 V) aus, es ist eine Last von 10 Ohm angeschlossen. Dass heißt, der Strom ist ebenfalls sinusförmig mit 1.41 A Spitzenstrom (effektiv 1 A). Damit haben wir eine Leistung von 10 W (und ja, Rundungsfehler bitte behalten). Das ist die identische Leistung, die eine DC-Quelle mit 10 V Ausgangsspannung erzeugen würde. Das ist der Ansatz des Effektivwerts, ein Äquivalent zum DC-Wert bereit zu stellen.
Der Effektiv-Wert wird im Englischen übrigens als root mean square (nach der Rechenvorschrift) bezeichnet. RMS, das haben wir doch schon mal irgendwo gelesen?
Zurück zur Leistungsangabe von Endstufen. Der traditionelle Ansatz ist die Angabe der Sinus-Dauerleistung oder auch RMS-Leistung. Das ist die Leistung, welche die Endstufe theoretisch für unbeschränkte Zeit abgeben kann, als Dauersinus. Diese Leistung ist auch sehr einfach zu messen und stimmt mit dem klassischen Verständnis einer Leistung (Vergleich DC-Fall) überein.
Lange Zeit hat man Endstufen auch genau auf diesen Fall ausgelegt. In einer Endstufe muss das Netzteil grob 2 Aufgaben erfüllen. Zum ersten muss es aus der Netzspannung (230 V AC) die DC-Versorgungsspannungen für die Endstufe bereitstellen. Die Höhe der DC-Versorgungsspannungen bestimmt die maximale Ausgangsspannung. Zum anderen muss es den Ausgangsstrom bereit stellen. Für den Fall der Sinus-Dauerleistung müssen diese Werte logischerweise auch zeitlich unbegrenzt stabil bleiben.
Irgendwann ist man aber auf den Trichter gekommen, dass so eine Sinus-Dauerleistung für Audio nicht wirklich praxisnah und relevant ist und zwar aus zwei Gründen.
Zum einen gibt es so gut wie kein Musikmaterial, welches ewig lange Sinustöne enthält. Ausnahmen wie Alarmtöne (Sirenen) bestätigen die Regel, aber wie schon erwähnt besteht Musik aus vielen kurzen impulsartigen Signalen. Der Testfall tritt also in der Praxis so gut wie nicht ein, die tatsächliche Leistungsabgabe (oder korrekter die Ausgangsspannung und der Ausgangsstrom) variiert stark über der Zeit.
Zum anderen schließen wir ja keine Widerstände an den Endstufen an, sondern Lautsprecher. Und so ein Lautsprecher hat zwar auch eine zeitlich unabhängige Belastbarkeit. Will ich aber das maximale aus ihm herausholen, so muss ich beachten, dass seine maximale Belastbarkeit zeitabhängig ist. Kurzzeitig verträgt er viel mehr (Spannung), als auf Dauer.
Wir haben also einerseits ein Signal, dass über Zeit eine sich ändernde Leistung ergibt und eine Last, welche eine über Zeit variable Belastbarkeit hat. Da liegt der Schluss nahe, dass auch die Endstufe eine über der Zeit variable Ausgangsleistung haben darf.
Anders ausgedrückt, wenn das Netzteil einer Endstufe super stabil ist, also die Spannung und den Strom immer gleich liefert, arbeitet das gesamte System nicht sehr effektiv, weil das Potential auf Grund der Eigenschaften von Signal und Last nicht vollständig und nur in den Peaks genutzt wird.
Oder umgekehrt gedacht laste ich zwar die Endstufe voll aus, ignoriere aber die kurzzeitig höher Belastbarkeit des Lautsprechers und verschenke somit Performance.
Eine moderne Endstufe liefert eine zeitabhängige maximale Ausgangsspannung (und ebenso einen Ausgangsstrom). Das Verhalten kann dabei vielstufig und komplex sein. Die genaue Abstimmung von Netzteil, Endstufenschaltung und Limitern ist dabei ein Kernpunkt der Entwicklung und das "Geheimnis" der Hersteller.
Und ja, die Dauer-Sinusleistung liegt oft deutlich unter dem, was als Peak möglich ist. Die Dauerleistung ist meistens durch das thermische Limit gegeben. Die Netzaufnahme-Leistung wird bei dieser Ausgangsleistung angegeben, denn was soll man denn auch mit einer kurzzeitigen (ms) Netzleistung anfangen? Die Netzleistung will ich wissen, um meine Stromversorgung zu planen. Eine Netzsicherung interessiert ein kurzer Strompeak herzlich wenig.
Keine Endstufe kann den Energieerhaltungssatz betrügen. Aber kurzzeitig sind heute enorme Peak-Leistungen ausgangsseitig möglich, die auf Grund von Schaltung und Messungen nicht auf der Netzseite auftauchen. Das ist korrekt und praxisgerecht, keinesfalls Täuschung.
Nun sind wir vielleicht etwas schlauer, aber was hilft uns das, wir wollen doch nur wissen, wie viel Leistung die Endstufe nun hat?
Leider gibt es keine "richtige" oder "falsche" Antwort auf diese Frage. Die "Leistung" einer Endstufe lässt sich auf sehr viele Arten ermitteln und jede ist genauso "echt" oder "ehrlich" wie die nächste. Ich verweise hier einfach mal auf den Kollegen Goertz von der Production Partner:
https://www.production-partner.de/test/verstaerker-leistungsmessung-reloaded/
Hierbei sei noch einmal betont, dass die Angabe einer Leistung nur eine Vereinfachung darstellt, um eben einen Wert zu haben. Real liegen Spannungen an und es fließen Ströme.
Die Frage muss vielmehr lauten, was ist denn die relevante Leistungsangabe für mich?
Das hängt nun wie schon erkärt von den auftretenden Signalen und den verwendeten Lautsprechern ab. Als Anwender weiß man aber in der Regel leider wenig über das Signal und noch weniger über den Lautsprecher (im Sinne seiner tatsächlichen zeitabhängigen Belastbarkeit). Pauschal kann man sagen, dass etwa große Subwoofer mehr Dauerleistung vertragen und bei Topteilen die Kurzzeitleistung relevanter ist. Oder dass bei Livemusik mehr Peak-Leistung benötigt wird, bei Dubsteb-Konserve dagegen auch die Dauerleistung relevant sein kann.
Für mich ist wichtig, dass im Datenblatt Angaben mit Hinweis auf die Messmethode stehen. Eine ausführliche Angabe sieht für mich etwa so aus:
- maximale Ausgangsspannung (Spitzenspannung)
- maximaler Ausgangsstrom (Spitzenstrom)
- maximale Ausgangsleistung an Impedanz x/y für z ms (Sinus 1 kHz)
- maximale Ausgangsleitung Rauschen (z.B. EIA-426-B noise crest factor 12 dB) an Impedanz x/y
- maximale Ausgangsleitung kurzer Burst (z.B. CEA-2006B) an Impedanz x/y
- maximale Ausgangsleistung längerer Burst an Impedanz x/y
- thermische Dauerleistung an Impedanz x/y
Damit lässt sich einschätzen, was die Endstufe tatsächlich leisten, ob sie eher auf Peak oder auf Dauerleistung ausgelegt ist und was bei "bösen" Burst (Subwoofer) noch herauskommt.
Muss ich mich auf eine Angabe beschränken, so bevorzuge ich die mit definiertem Rauschsignal und bekanntem Crestfaktor. Daraus lässt sich nämlich auch eine RMS-Leistung ableiten (siehe Production Partner oder bei CF 12 dB einfach den Wert durch 8 teilen).
Steht nur die RMS-Leistung da, weiß ich auch noch, ob in Peaks nicht doch mehr geht. Und wie öfters erwähnt halte ich diese Leistungsangabe für die unrelevanteste von allen möglichen. Wir hören nicht mit ewigen Sinustönen.