Bei einer Beerdigung singen

Die eigenen Eltern, das ist nochmal eine andere Hausnummer. Meine Mama hĂ€tte sich gewĂŒnscht, dass ich wĂ€hrend der Trauerfeier fĂŒr meinen Vater ein Lied singe, aber das konnte ich einfach nicht und sie hat das auch verstanden.
Ich hab auf der Beerdigung meiner Mutter gesungen. Sie hĂ€tte das bestimmt gewollt, das weiß ich. Es war sehr schwer, aber so eine Beerdigung kommt nicht wieder. Ich hĂ€tte mir das selbst auch nicht verziehen, wenn ich's nicht gemacht hĂ€tte. Sie wollte das immer, und so mußte das sein. Auch wenn ich das Lied bestimmt nicht besonders schön gesungen habe, es war mir ein BedĂŒrfnis. Und es war dann auch sehr traurig. Aber das war vollkommen ok.
Ich erinnere mich noch, wie eine Tante das lange danach noch erwÀhnt hatte, wie schön - und wie traurig das war.
Es war einfach ein besonderer Ausdruck meiner Trauer.

Jetzt ist das schon einige Zeit her, und ich erinnere mich noch daran. Es war genau richtig.
Meine Mutter war fĂŒr mich unerwartet gestorben. Ich erinnere mich noch genau an die Hektik - neben der Trauer, wieviel da zu regeln war, die ganzen Entscheidungen. Und dann noch die richtigen Noten suchen, die hatte ich auch nicht. Das war echt schwer, die Noten so kurzfristig zu bekommen... Dann das Lied ĂŒben, so gut es ging, um das dann wirklich zu singen. Meine Mutter hatte auch immer gern gesungen. Und bei diesem Lied denke ich auch immer an meiner Mutter.
 
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Es ist eine individuelle Entscheidung, wenn es sich um eine sehr nahestehende Person handelt.
Ich habe wĂ€hrend der Trauerfeier fĂŒr meinen Papa Rotz und Wasser geheult, da wĂ€re Singen sowieso gar nicht gegangen.
 
Macht ihr das, oder hat eine(r) von euch das schon gemacht?
Ja, anlÀsslich der Trauerfeier des Schwiegervaters meiner Schwester.
ABER... schaffe ich es in der Situation als Trauernder ein solches Lied zu singen, das die VergÀnglichkeit so genau auf den Punkt bringt? HÀlt die Stimme??
Der Verstorbenen gehörte zwar zur Familie, war aber fĂŒr mich eben nicht ganz so nah wie z.B. die eigenen Eltern. Das Singen hat daher auch tadellos geklappt - auch wenn es bei anderen mĂ€chtig auf die TrĂ€nendrĂŒse gedrĂŒckt hat. Seine Frau und mein Schwager hatten sich sehr ĂŒber die Darbietung gefreut.
Allerdings habe ich mir die Frage "HĂ€lt die Stimme?" im Falle meiner Eltern kĂŒrzlich auch schon gestellt (da ich wohl in nicht allzu ferner Zeit damit rechnen muß). Ich habe auch keine Antwort darauf.
 
Ich habe schon bei einer Beerdigung gesungen - allerdings kein Solo. Immerhin war es fĂŒr mich eine erstaunliche Erfahrung, dass ich das Singen einerseits tröstlich fand, andererseits fĂŒr die Zeit des Singens die Trauer sozusagen zu Seite legen konnte.
Ich habe aber auch schon erlebt (bei einer anderen Beerdigung), dass ich völlig unerwartet Rotz und Wasser geheult hab. Da hÀtte ich sicherlich nicht singen können.

Soll heißen: Jeder Mensch reagiert unterschiedlich und bei Beerdigungen muss man einkalkulieren, dass man selbst anders reagiert, als man es vorher dachte.
Und noch zusĂ€tzlich: Bei Trauerfeiern sind extreme Reaktionen aller Beteiligten nicht so ĂŒberraschend, sondern eher fĂŒr Zuhörer*innen berĂŒhrend. Könnte höchstens sein, dass sie mitheulen


Und ich glaube, fĂŒr alle ist es sehr berĂŒhrend, wenn Leute etwas sehr persönliches tun, das die Beziehung zur verstorbenen Person und/oder zu den Lebenden zeigt - sei es Singen, Sprechen oder Musizieren.
 
Das Singen auf Beerdigungen ist kein anders Singen oder Musizieren, es ist nur vor Menschen, deren Sinne in diesem Moment geschĂ€rft, klar, sind und das ĂŒbertrĂ€gt sich. Jeder routinierte Musiker wird die Situation meistern, weil die Routine es ist die dann beginnt zu greifen. Wenn die Trauer nicht nur gegenwĂ€rtig sondern auch persönlich ist, wird jede Wiederholung davor Hilfe sein, weil mit jeder Wiederholung zur Probe der eigene Prozess der Trauer vorangetrieben wird und zum Zeitpunkt des BegrĂ€bnisses in gewissem Sinne die eigenen TrĂ€nen (durch die Vorbereitung) schon getrocknet sind.

Ein BegrĂ€bnis ist keine Feier fĂŒr den Verstorbenen, es ist eine Feier, ein Ritual, ein Abschluss fĂŒr die Angehörigen, die Trauernden. Bin ich einer davon so ist das BegrĂ€bnis dafĂŒr gedacht mir zu helfen einen ersten Schritt zum "Weitergehen" zu tun, das Lied, das StĂŒck das ich singe, spiele ist ein Teil davon.

Es gibt "verschiedene" BegrĂ€bnisse, "ruhige", "besonnene" aber auch "offene", "klagende", ja sogar "schreiende" aber es gibt auch die "unfassbar traurigen" die "um Himmels Willen, wie darf das sein". Was ich damit sagen möchte ist, dass es doch eine Herausforderung sein kann bei einem "Kategorie V"-BegrĂ€bnis die Fassung zu bewahren, da hilft manchmal nix anderes als die Konzentration auf die Intonation der nĂ€chsten Silbe (ohne den Sinn der Phrase erfassen zu wollen). Es ist aber auch ein Geschenk diese extremen Emotionen erfahren zu dĂŒrfen.

Es gibt auch Momente beim Singen des StĂŒckes wo im Moment des Singen beim BegrĂ€bnis Parallelen zwischen Text und aktuellem Anlass durch den Kopf schießen, bis hin zu "Hilfe, das kann ich ja so gar nicht singen". Aus Erfahrung kann ich nur empfehlen, es ist nur ein Lied, nur eine Zeile im Text, diese beginnt und sie geht vorbei.
 
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Also, Leute, vielen, vielen Dank fĂŒr eure Tipps, Ermunterungen, Warnungen, Erfahrensberichte und philosophischen BeitrĂ€ge! So widerspruchlich sie alles sind, ich habe mit eurer Hilfe meinen Entschluss gefasst.
Morgen abend Fahre ich dahin, und Freitag um 10 ist die Beerdigung. Heute telefonierte ich mit einem Vetter, der die Sache vor Ort koordiniert - und wir haben meinen Gesangsbeitrag fest eingeplant!

Ich melde mich danach wieder!

Cheers,
Jed
 
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Ich wĂŒnsche Dir all die Gelassenheit und Ruhe, die Du brauchst. Deine Tante hĂ€tte sich bestimmt gefreut, und wer weiß, vielleicht schaut sie ja irgendwo von oben zu. Ein Priester sagte mal, die Engel seien die verstorbenen Angehörigen, die auf einen aufpassen. Ich finde diese Vorstellung schön.
 
Sehr cool!! Ich wĂŒnsche dir viel Erfolg, Spaß ist hier das falsche Wort, und Kraft das alles und in Zukunft zu meistern!
 
Hallo,

...drei Beispiele aus meiner eigenen Erfahrung. Ich habe selbst bei der Beisetzung meiner Mutter als Baß in einem Doppelquartett sowohl das "Doppelquartett" aus dem Elias von Mendelssohn-Bartholdy als auch das "Magnificat" von Arvo PĂ€rt gesungen. Unser Pfarrer riet mir dringendst davon ab - wegen der nervlichen Belastung. Ich wollte ihr das aber unbedingt noch mitgeben und fĂŒhlte mich durch die Musik sehr getröstet und deutlich besser.
Beispiel 2: Eine Sopranistin aus einem befreundeten Chor wollte bei der Beisetzung ihres Vaters ihm auch noch ein StĂŒck Musik mitgeben - sie sah sich allerdings nervlich nicht dazu in der Lage, da sie in der kleinen Dorfkirche ihrer Familie auf drei Meter Abstand gegenĂŒbergestanden hĂ€tte. Sie hat mich gebeten, ob ich sie in einer Aachener Kirche aufnehmen könnte, sie wĂŒrde sich um einen Organisten kĂŒmmern, so könnte die Aufnahme bei der Trauerfeier gespielt werden, sie wĂ€re mit der Stimme dabei, ohne in dem Moment singen zu mĂŒssen. Gesagt, getan, aufgenommen - ich habe das "Ave Maria" von Gonoud, das ich normalerweise nicht ausstehen kann, niemals besser gehört als wĂ€hrend der Aufnahmesession...
Beispiel 3: Einer meiner Kammerchor-Mitbassisten hat vor zwei Jahren seine Frau verloren, wir haben mit dem Chor bei der Abschiedsfeier "volles Programm" gesungen, er wußte vorher nicht, ob er mitsingen sollte oder nicht - die Frage der Nervenbelastung. Er ist am Schluß zu einer Bach-Motette aus der Bank mit in den Chor gekommen und hat sie mitgesungen. Unmittelbar danach ist er in TrĂ€nen ausgebrochen, hatte sich aber einige Minuten spĂ€ter wieder gefangen - und spĂ€ter gesagt, daß ihm das Mitsingen in dem Moment doch gutgetan hat.


Viele GrĂŒĂŸe
Klaus
 
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So, jetzt bin ich wieder daheim. Die Beerdigung ging gut - sogar meine "Letzte Rose".

Neben mir war auch ein Neffe der Verstorbenen musikalisch im Einsatz: er spielte klassische StĂŒcke fĂŒr Violine solo als Introitus und wĂ€hrend der Kommunion. Die Kirche ist eine eigenartige Verschmelzung von Alt- und Neubau und hat eine fantastische Akustik. Das wurde mir wĂ€hrend des ersten GeigenstĂŒcks klar, und es ermunterte mich erheblich.
Von euch hatte ich den Tipp, ausgiebig zu proben; erstens um musikalisch ganz Sattelfest zu werden, andererseits um den "Trauer-Effekt" des Liedes durch gewöhnung etwas abzuschwÀchen. Euer Rat, mir keine Sorgen zu machen, wenn die Stimme mitten drin einknickt oder wegbleibt, beseitigte etwas von der Verkrampfung.
Ich habe das Lied nicht einfach "runtersingen" können - bei manchen Zeilen schwangen die Emotionen doch mit, aber ich schaffte es, sie in eine vielleicht etwas eigenwillige Phrasierung umzumĂŒnzen. Meine Finger am Banjo blieben emotional weitgehend ungerĂŒhrt und lieferten eine relativ solide Basis fĂŒr die weniger feste Stimme. Übrigens, ich habe auf Feinheiten verzichtet und LAUT gesungen.

Unterm Strich: ich bin froh, dass ich's gemacht habe!

Ein paar "gehobene Amateurmusiker" verschiedener Genres waren dabei und fanden den Vortrag in Ordnung. Ein paar Zuhörer sprachen von einem "Höhepunkt" der Feier.

Ich kann als Feedback nur sagen: wenn ihr in die Lage kommt - probiert es!

Cheers,
Jed
 
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:great:
Das war bestimmt DER Höhepunkt!
Und glaub mir, auch das Geigespielen fÀllt schwer, wenn man trauert.
 
Neben mir war auch ein Neffe der Verstorbenen musikalisch im Einsatz: er spielte klassische StĂŒcke fĂŒr Violine solo als Introitus und wĂ€hrend der Kommunion.
Der hatte den leichteren Part. Es ist zwar auch nicht ganz einfach, aber die Stimme ist noch eine Hausnummer empfindsamer.
ch habe das Lied nicht einfach "runtersingen" können - bei manchen Zeilen schwangen die Emotionen doch mit, aber ich schaffte es, sie in eine vielleicht etwas eigenwillige Phrasierung umzumĂŒnzen.
Das ist ok. Alles andere wĂ€re unnatĂŒrlich, finde ich. Wenn es den anderen gefallen und sie getröstet hat, ist es doch gut.
Danke fĂŒr Deine RĂŒckmeldung.
 

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