Echt Thüringer Waldzither - da konnte ich nicht widerstehen!

Jed
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Seit vielen Jahren spiele ich neben Banjo, Mandoline und ein wenig Gitarre auch Waldzither. Das geht! Im allgemeinen wird die Waldzither als "Zwischending zwischen Gitarre und Mandoline" bezeichnet, und die Stimmung der 5 Saiten basiert auf den gleichen Intervallen, wie beim 5-string-Banjo. Meistens verwende ich meine Zupfinstrumente als Liedbegleiter, wobei die Waldzither sich besonders für deutsche Volkslieder eignet. Aber auch Instrumentalstücke, die ich für Banjo erfinde, funktionieren gut auf der Waldzither. Mittlerweile gehöre ich zu der kleinen Waldzither-Community, die sich alle 2 Jahre in Suhl/Thüringen trifft, um die Waldzither zu erlernen, zu erforschen, bekannt zu machen und vor allem zu spielen!
Dort erfährt man, dass ein aus Thüringen stammender Hamburger Instrumentenbauer namens Boehm in den 1920er und -30er Jahre den Namen "Waldzither" für sich patentierte und das entsprechende Instrument industriell fertigte und zu großer Popularität brachte, vor allem unter der damaligen Jugend (und nicht nur beim Wandervogel!) Auch andere Hersteller bauten Waldzither, zwar immer mit der gleichen Besaitung, aber doch mit baulichen Änderungen, wie z.B. Ritzel-und-Schnecke-Mechaniken statt Boehms Fächerschraubenmechanik, oder mit gewölbtem, gespähnten Rücken statt wie bei Böhm einem flachen Rücken. Mein Exemplar stammt wohl aus dem Vogtland und hat einen gespähnten Rücken und eine Fächermechanik zum Stimmen. Kann man wohl als "Vogtländische Waldzither, Hamburger Modell" bezeichnen. Es trägt das Etikett eines Musikladens in Freudenstadt/Schwarzwald.

So weit, so gut! Böhm hatte eine tolle Idee und ein Geschäftsmodell, auf das viele Hersteller aufspringen konnten, um eine deutschlandweite Abdeckung mit Waldzithern zu erreichen! Aber was gab's vor Boehm? In der Waldzitherschule von W. Wobersin liest man von den alten Thüringischen Zithern, bei denen die tiefe, 5. Saite neben dem Griffbrett verlief und nur als Bordun eingesetzt werden konnte. So was hatte ich in der Vitrine im Museum (genauer: Waffenmuseum in Suhl!) gesehen - aber wie klang so etwas? Wie fühlte sich der Hals an, der wie bei der Renaiassance-Cister nur halb so breit war, wie das Griffbrett?

Google ist dein Freund ... da tippte ich eines Tages "Thüringer Waldzither" ein, und siehe da: bei Kleinanzeigen gab's ein Hit! Ein Instrumenmt vom Zitherbauer Heym aus Suhl in Thüringen. Frisch restauriert. Schöne Fotos. Befriedigende Antwort auf die Frage der Spielbarkeit. Heim war im ersten Drittel des 20. Jhdts. aktiv.
Ich schlug zu!
Und das bekam ich:
01vorne.jpg
02hinten.jpg
03Seite.jpg

Der Verkäufer hatte zum Versand die Saiten entspannt und den Steg extra verpackt, also hieß es erstmal: stimmen! Als ich den Steg auf seine alte "Fussspuren" gesetzt hatte, waren alle Saiten oktavrein. Allerdings ging das genaue Stimmen recht schwer. Ich musste ein Hilfsmittel, das ich für eine alte Mandriola angefertigt hatte, zur Hilfe nehmen, um manche Saiten bis zur "Betriebsspannung" zu bringen. Als ich die Saiten wieder 'runter machte und die Mechanik ausbaute, stellte ich fest, dass die verwendete Mechanik eine Konstruktionsschwäche hat, die nun nach all den Jahrzehnten zugeschlagen hatte. Glücklicherweise entdeckte ich eine einfache und billige aber wirksame Abhilfe, und nun lassen sich die Saiten wie beim neuen Instrument stimmen! Aber das ist eine andere Geschichte!
Jetzt versuche ich mich daran zu gewöhnen, dass die Töne zwischen der offenen Basssaite (C) und dem nächsten offenen Chor (GG) fehlen!
Cheers,
Jed
 
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Congrats! Hochinteressant, ich kannte als "Hamburger" Modell nur die Böhmversion mit Fächermechaniken. Ich lese demnächst mal im Detail. Meine eigene Thüringer ist von Kruse, deutlich moderner.
 
Schönes Instrument Jed!!
Die Heym Waldzithern sind schöne Instrumente, mir gefallen sie einen Ticken besser als die mit der Fächermechanik.
Heyms Instrumente hatten oft eine "Rosette", die aber meistens verloren gegangen ist. Ein feines Stoffgewebe auf welches eine Verzierung geklebt worden ist aus "Dresdner Pappe". Gibt es übrigens heute noch zu kaufen.

48825343rz.jpg


Viel Freude damit wünscht
Michael
 
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Das Teil sieht ja echt witzig aus, vor allem die schmale Kopfplatte. Und das Griffbrett scheint auch recht massiv zu sein oder täuscht das?
 
das Griffbrett scheint auch recht massiv zu sein oder täuscht das?
Nein, es täuscht nicht!
Diese Thüringer Zither von Heym bildet sozusagen das fehlende Bindeglied zwischen den Böhm- und ähnlichen Waldzithern der 20er- und 30erjahre und der Cister/Zither der Barokzeit (die die alten niederländischen Maler so gern darstellten). Das sieht man am deutlchsten am Hals. Heutige Gitarren, Mandolinen, Ukes, Banjos , Bouzoukis, etc. haben Hälse, die so breit sind, wie die Griffbretter und ziemlich dick. Die relativ dünnen Griffbretter sind vollflächig darauf geleimt.
Bei den alten Cistern bildete der Hals nur eine schmale Verbindung zwischen Korpus und Stimmstock. Im Falle meiner Zither ist der eigentliche Hals nur 1/3 so breit, wie das Griffbrett. Es ist klar, dass das Griffbrett dann stärker gebaut sein muss, um die Saitenspannung abzufangen. Beim Spielen sitzt der Daumenkuppe auf der Rückseite des Griffbretts, neben dem Hals.
Man gewöhnt sich daran!
Einiges ist anders, als bei der "modernen" Waldzither. Hier meine Thüringer neben meiner vogtländer Waldzither, Hamburger Modell.
15HeymUndVogtland.jpg

Wie man sieht, hat die Vogtländer mehr Volumen. Deshalb ist sie auch lauter und voller im klang. Außerdem hat sie die Möglichkeit, mehrere Töne an der 5. Saite zu greifen; die Thüringer hat zwischen der offenen, tiefen C-Saite und der offenen G-Saite keine Töne. Nichtsdestotrotz klingt die Thüringer zierlich-glockenartig. Richtig laut wird sie nur, wenn man den traditionallen Anschlag verwendet: den rechten Daumen an der 5. Saite abstützen und mit der Nagel des Zeigefingers in einer Aufwärtsbewegung über die Saiten kratzen. (Falls die tiefe C passt, kann man sie zupfen, indem man den Daumen wegzieht - ein bisschen wie Clawhammer-Banjo!) Fingerpicking geht auch, wohl leise und dezent.
Meine linke Hand freut sich sehr über die Thüringer, denn die Mensur ist, wie man im Foto sieht, erheblich kürzer (41,5 cm gegenüber 50,5 bei der Vogtländer). Das heißt, die Bünde stehen näher aneinander, und Akkorde, die sich über mehrere Bünde erstrecken, sind leichter zu erreichen. dazu kommt die Breite der Sattel. Die Thüringer hat eine Sattelbreite von 45 mm, wobei nur die 4 Doppelchöre dort aufliegen; die Vogtländer hat eine Breite von nur 40 mm für alle 5 Chöre! Das bedeutet, dass Akkordgriffe bei der Thüringer fast immer sauber klingen. Dazu kommt die für das alter von über 100 Jahren hervorragende Saitenlage von nur 3 mm am 12. Bund!
Meine Heym-Zither aus dem Thüringer Wald is streng genommen ein Museumsstück. Allerdings verführt sie mich mit ihrer leichten Spielbarkeit und ihrem zarten Klang zu langen Improvisationen, mal laut und rhythmisch, mal zart und lyrisch.
Und schließlich reden die akademischen Musiker von heute von "historisch informierter Aufführungspraxis" und spielen echt alte oder (meist) nachgebaute Blockflöten, Zinken, Gamben, Hammerklaviere und was sonst noch. Ich meine, auch der Folkie sollte sich so etwas gönnen dürfen!
Cheers,
Jed
 
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Schönes Instrument, Jed! Darf ich als derjenige, der im Herbst 2024 in Suhl den Vortrag über die Böhm-Waldzithern gehalten hat, eine kleine historische Korrektur anbringen?
Du schreibst, die Thüringer Zither von Heym bilde sozusagen das fehlende Bindeglied zwischen den Böhm- und ähnlichen Waldzithern der 20er- und 30er Jahre und den Zistern der Barockzeit. Das stimmt so nicht: Böhm hat bereits 1897 in Hamburg mit der Produktion seiner Waldzithern begonnen - 9 Jahre, bevor Theodor Heym 1906 seine erste Waldzither gebaut hat. Sein Vorbild waren noch ältere Thüringer Waldzithern, die er aus seinem Meiniger Umfeld kannte. Die Suhler Produktion von Friedrich Ludwig Möller und Theodor Heym war instrumentenbautechnisch ein Sonderweg, der mit dem Tod Theodor Heyms im Grunde zu Ende war, mal abgesehen von Hilmar Günther, der ab den 1990er Jahren wieder Instrumente in dieser Tradition gebaut hat.
Eine nennenswerte Produktion von Waldzithern setzte im Vogtland erst nach dem 1. Weltkrieg ein, offenbar, nachdem man von dem Erfolg erfahren hatte, den Böhm mit seinen Instrumenten im Hamburg erzielte, gerade auch bei den Jugendbewegten. Dass man im Vogtland die Böhm-Waldzithern kannte, lässt sich u.a. daran ablesen, dass in den Katalogen von Anfang die Instrumente häufig auch in einer "Hamburger Form" angeboten wurden.
Im Anhang findest Du eine ältere, in dieser Hinsicht aber nach wie vor zutreffende schriftliche Fassung meines Suhler Vortrags.
 

Anhänge

  • Böhm History Deutsch.pdf
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Du schreibst, die Thüringer Zither von Heym bilde sozusagen das fehlende Bindeglied zwischen den Böhm- und ähnlichen Waldzithern der 20er- und 30er Jahre und den Zistern der Barockzeit. Das stimmt so nicht: Böhm hat bereits 1897 in Hamburg mit der Produktion seiner Waldzithern begonnen - 9 Jahre, bevor Theodor Heym 1906 seine erste Waldzither gebaut hat.
Hallo, Norbert, danke für dein Interesse! Ich freue mich immer wieder, deine neuesten Erkenntnisse aus der "Böhmologie" zu hören.
Insofern war mir klar, dass es Böhm-Waldzithern gibt, die älter sind, als die ersten Heym-Waldzither. Die Verbindung, die ich postulierte zwischen Heym- und Renaissance-Zithern, war eher morphologisch als chronologisch gedacht. Denn der Hals meiner Heym erinnert mich an dieses Bild des Nachbaus einer Zither, die aus einem niederländischen Schiffswrack aus dem 17. Jhdt. geborgen wurde:
Cittern-shipwreck-reconst3.jpg


Insofern ist die Heym-Zither vielleicht kein "Missing Link" sondern eher ein "Throwback" in der Evolution der Cister. Auf jeden Fall vermittelt sie beim Spiel die Haptik der alten Instrumente.
Cheers,
Jed (vom Hopfenblütenquartett, 2017 :cool:)
 
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Ach, das Hopfenblütenquartett: Jetzt kann ich die Buchstaben J.E.D. auch richtig auflösen :). Wenn Du das so gemeint hast, stimme ich Dir voll und ganz zu. Die Hälse mit nur einseitig unterlegtem Griffbrett bei Heym sind tatsächlich noch ein Relikt der alten Cister.

Ich kenne sonst nur ein Instrument, das möglicherweise im 20. Jh. gebaut wurde und das ebenfalls noch hat. Und da ist der Kopf/Hals so grob gefertigt (im Vergleich zum Rest des Instruments), dass es fast ein wenig selbstgeschnitzt aussieht.

PXL_20250502_143816461.jpg
DSCN1619.JPG
 
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Unser schweizerisches Pendant zur Waldzither ist wohl die Krienser Halszither aus dem Kanton Luzern. Um 1880 entstanden die frühesten Exemplare, dieses hier ist von 1924.

49696898jn.jpg


Das asymetrische Halsprofil findet sich interessanterweise kaum auf unseren Instrumenten, mir sind zwei eines Instrumentenbauers aus Basel bekannt welche diesen noch haben (um 1770). Danach sind ausnahmslos symetrische Profile verwendet worden.

Es grüsst, Michael
 
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O ja, die Schweizer Halszither ist von der Bauweise sehr nah dran an der Waldzither. Wie genau die beiden Instrumente historisch zusammenhängen, da bin ich aber überfragt. Ich vermute, die Entwicklungslinien haben sich doch schon vor einer Weile getrennt.

Bei meinem ersten Cistern-Symposium 2007 in Suhl hatte ich aber die Ehre, Marcel Renggli bei seinem Vortrag auf der Halszither mit meiner Waldzither begleiten zu dürfen :).

DSC_0262.JPG
 
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An diesem Symposium würde ich sehr gerne mal teilnehmen, ist nur nicht gerade um's Eck bei mir.....
Hier noch Bilder die ich mal bei meinem Besuch im Musikinstrumentenmuseum Basel gemacht habe. Jacob Huber hiess der Herr und war wohl in den 1760er Jahren aktiv. Man beachte das Halsprofil welches nach heutigen Massstäben wohl als eher "wuchtig" zu bezeichnen ist.

49698410js.jpg


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49698412xr.jpg


Liebe Grüsse!!
 
Wurden die Teile vielleicht einfach im Sitzen gespielt? Sonst macht die Halsform aus meiner Sicht gar keinen Sinn.
 
Wurden die Teile vielleicht einfach im Sitzen gespielt? Sonst macht die Halsform aus meiner Sicht gar keinen Sinn.
Na klar - alle Zupfinstrumente werden im Sitzen gespielt: Gitarre, Laute, Mandoline, Banjo, Bouzouki, Saz, Cittern, Waldzither, Halszither, Dobro, Autoharp ...
Will man sie im Stehen spielen, braucht man lediglich Gurtknöpfe dran. Wieso soll die Halsform etwas ausmachen?
Cheers,
Jed
 
Er meint wahrscheinlich liegend, auf dem Schoß oder auf dem Tisch, was ich für wahrscheinlich halte bei Instrumenten mit Kastenhals.
 
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Er meint wahrscheinlich liegend, auf dem Schoß oder auf dem Tisch, was ich für wahrscheinlich halte bei Instrumenten mit Kastenhals.

Genau das meinte ich, war wohl etwas mißverständlich formuliert:
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So etwas meinte ich, denn ein rechteckiger, massiver Hals macht vor allem Sinn, wenn man ihn nicht umgreifen muss.
 
Die Waldzither begleitet mich stumm seit früher Kindheit.
Als wir 1964 in den Kreisverkehr am Sandhof einfuhren war mir auf dem Beifahrersitz des Käfers sehr unbehaglich.
Ich wurde an dem Tag zum ersten mal im Kindergarten abgegeben.
Später lag der Wanderer mit laute auf meinem Schulweg.
 
Auf einem Gemälde welches ebenfalls im Museum ausgestellt ist (und ich leider nicht fotographiert habe) ist eine Dame aus wohlhabendem Hause sitzend dargestellt, mit einer dieser Cistern. Aber auf dem Schoss liegend wurden sie nicht gespielt, dafür gibt es keine historischen Belege.
 
Die Halszither (10) wirkt schon für auf dem Tisch liegend gebaut.
 
Die Waldzither begleitet mich stumm seit früher Kindheit.
Früher war die Waldzither weitaus bekannter als heute! In der Spielesammlung einer Tante meiner Frau fanden wir ein "Schwarzer-Peter"-Spiel aus der Zeit so um 1930 herum. Und ein Kartenpärchen sah so aus:
Wandervögel MF.jpg

Offensichtlich Linkshänderwandervögel, aber der Junge hat eindeutig eine Waldzither - die fünf Knöpfe deuten die fünf Saitengruppen an.
Cheers,
Jed
 
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Heute steht das Denkmal eher unscheinbar oberhalb des Kreisverkehrs den mittig ein Denkmal ziert das wirkt als hätte ein Baustoffhändler sein Material dort abgeladen.
Früher hielt unter dem Wanderer mit Laute noch ohne den Kreisverkehr die Straßenbahn an einer der Haltestellen an der man aussteigen konnte wenn man in die Wälder wandern wollte.
 

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