Hallo! Das ist ein fantastisches Projekt, das Sie sich vorgenommen haben. Candy Apple Red ist eine der ikonischsten Fender-Farben überhaupt, und die historische Korrektheit anzustreben, zeugt von großer Leidenschaft. Ihre bisherige Recherche ist bereits exzellent und zu großen Teilen korrekt. Gerne helfe ich Ihnen dabei, die Lücken zu füllen und gebe Ihnen die nötigen Tipps für die Umsetzung.
Teil 1: Die Historie von Candy Apple Red – Ist Ihre Recherche korrekt?
Ja, Ihre Recherche ist im Kern absolut richtig. Lassen Sie uns die Punkte noch etwas präzisieren:
- Nitrolack: Korrekt. Die klassischen Fender-Finishes der Pre-CBS-Ära (vor ca. 1965/66) und auch danach waren auf Basis von Nitrozelluloselack.
- Schichtaufbau: Ihr beschriebener Aufbau ist der klassische Weg für ein "echtes" Candy-Finish. Es ist keine deckende Farbe, sondern ein lasiertes (durchscheinendes) Finish, das seine Tiefe und seinen Glanz durch die darunterliegende Metallic-Schicht erhält.
- Grundierung (Primer): Meist weiß (White Primer), um eine neutrale und gleichmäßige Basis zu schaffen.
- Basislack (Base Coat): Hier liegt der von Ihnen korrekt recherchierte historische Unterschied.
- Bis ca. 1965/66: Ein Silber-Metallic-Lack wurde als Basis verwendet. Oftmals war dies Inca Silver oder ein ähnlicher Silberlack aus dem Fender-Sortiment. Das Ergebnis ist ein kühleres, brillanteres Rot.
- Ab ca. 1965/66: Fender wechselte zu einer Gold-Metallic-Basis. Dies gab dem Rot einen wärmeren, tieferen und leicht goldenen Schimmer, der besonders unter Lichteinfall sichtbar wird. Für eine historisch korrekte Lackierung einer ~1963 Strat müssten Sie also Silber als Basis wählen.
- Candy-Schicht (Color Coat): Korrekt, ein speziell formulierter, transluzenter roter Nitrolack. Die Kunst liegt hier darin, die Farbtiefe durch mehrere, sehr dünne und gleichmäßige Schichten aufzubauen. Ihre Beobachtung, dass ungleichmäßiger Auftrag zu "Flecken" oder unterschiedlicher Farbintensität führt, ist die zentrale Herausforderung bei diesem Lack.
- Klarlack (Clear Coat): Absolut richtig. Über die Farbschicht kamen mehrere Schichten Nitro-Klarlack, um die Farbe zu schützen, ihr Tiefe zu geben und sie auf Hochglanz polieren zu können.
Sie haben die Historie also sehr gut erfasst. Der Wechsel von Silber- zu Goldbasis ist der entscheidende Punkt für die exakte historische Einordnung des Farbtons.
Teil 2: Tipps und Tricks zum Selberlackieren
Es ist verständlich, dass Sie Respekt vor der Aufgabe haben, besonders vor dem Auftrag der Candy-Schicht. Aber mit Geduld und der richtigen Vorgehensweise ist das machbar. Ihre Zurückhaltung bei Gitarrenbauern im Norden ist leider eine bekannte Erfahrung; viele sind ausgelastet oder nehmen keine reinen Lackieraufträge an.
Hier sind die Schritte und Tipps im Detail:
A) Vorbereitung ist alles
- Sicherheit: Arbeiten Sie IMMER in einem sehr gut belüfteten Raum (Garage mit offenem Tor, Werkstatt mit Absaugung) oder im Freien an einem windstillen, staubfreien Tag. Tragen Sie eine Atemschutzmaske mit einem Filter für organische Dämpfe (A2/P2-Klassifizierung ist ein guter Start), Schutzbrille und Handschuhe. Nitrolack ist gesundheitsschädlich.
- Der Body: Der Holzkorpus muss perfekt vorbereitet sein. Gehen wir davon aus, er ist aus rohem Holz (Erle oder Esche). Schleifen Sie ihn stufenweise bis auf eine Körnung von 240, dann 320. Er muss sich absolut glatt anfühlen. Falls der Body bereits grundiert ist, schleifen Sie die Grundierung mit 400er Körnung leicht an.
- Aufhängung: Befestigen Sie im Halsfach oder in einem der Schraublöcher für die Brücke eine Halterung (z.B. ein langes Stück Holz), damit Sie den Body aufhängen und von allen Seiten lackieren können, ohne ihn zu berühren.
B) Der Lackiervorgang und das Zwischenschleifen
Das Geheimnis liegt in
dünnen Schichten und
Geduld. Dicke Schichten führen zu Läufern (Nasen) und brauchen ewig zum Trocknen.
- Grundierung (Primer):
- Auftrag: Sprühen Sie 2-3 dünne Schichten weiße Nitro-Grundierung. Halten Sie zwischen den Schichten ca. 1-2 Stunden Abstand.
- Trocknung: Lassen Sie die Grundierung mindestens 24 Stunden durchtrocknen.
- Zwischenschliff: JA. Das ist der wichtigste Schliff für eine ebene Basis. Schleifen Sie die grundierte Fläche nass (mit ein paar Tropfen Spülmittel im Wasser) mit 600er oder 800er Schleifpapier. Ziel ist es, eine perfekt glatte, seidenmatte Oberfläche ohne Unebenheiten zu erhalten. Schleifen Sie auf einem Schleifklotz auf den flachen Stellen und vorsichtig mit der Hand an den Rundungen.
- Silber-Metallic-Basislack:
- Auftrag: Sprühen Sie 2-3 dünne, gleichmäßige Schichten. Metallic-Lacke müssen sehr gleichmäßig aufgetragen werden, damit sich die Metallpartikel schön ausrichten. Achten Sie auf überlappende Bahnen.
- Trocknung: Lassen Sie den Lack mindestens 24 Stunden trocknen.
- Zwischenschliff: NEIN, WENN MÖGLICH! Ein Anschleifen der Metallicschicht kann die Ausrichtung der Partikel stören und zu unschönen Kratzern oder matten Stellen führen, die man später durch den Candy-Lack sieht. Schleifen Sie hier nur, wenn Sie einen groben Fehler (z.B. einen Läufer) haben, und dann nur extrem vorsichtig mit 800er oder 1000er Papier.
- Transluzenter Candy Apple Red Lack (Die heikle Phase):
- Der Trick: Es geht darum, die Farbe "aufzubauen". Sprühen Sie nicht, um zu decken, sondern um zu tönen.
- Auftrag:
- Beginnen Sie mit einer sehr dünnen "Nebel-Schicht" (dust coat/mist coat) aus größerem Abstand. Kurz trocknen lassen (ca. 15-20 Minuten).
- Sprühen Sie dann weitere, sehr dünne Schichten in einem Kreuzgang (einmal längs, einmal quer). Halten Sie die Sprühdose immer in Bewegung und immer im gleichen Abstand zum Body.
- WICHTIG: Kontrollieren Sie nach jeder Schicht die Farbtiefe. Hängen Sie den Body auf und betrachten Sie ihn aus etwas Entfernung. Hören Sie auf, wenn Ihnen der Farbton gefällt. Meist sind es 3-5 sehr dünne Schichten. Lieber eine Schicht zu wenig als eine zu viel.
- Trocknung: Lassen Sie die Farbschicht mindestens 48 Stunden gut durchtrocknen, bevor Sie mit dem Klarlack weitermachen.
- Zwischenschliff: AUF KEINEN FALL! Jeder Schleifvorgang auf der Candy-Schicht würde sofort zu helleren Stellen führen, die Sie nie wieder ausgleichen können. Das ist der Grund, warum die darunterliegenden Schichten perfekt sein müssen.
- Klarlack (Glossy Nitro Clear Coat):
- Auftrag: Jetzt wird Volumen aufgebaut. Sprühen Sie 8-12 dünne Schichten Klarlack. Halten Sie zwischen den ersten paar Schichten 1-2 Stunden Abstand. Nach 3-4 Schichten können Sie die Trockenzeit auf 24 Stunden erhöhen.
- Zwischenschliff (optional): Wenn Sie nach 4-5 Schichten Klarlack eine "Orangenhaut" (leichte Wellen im Lack) sehen, können Sie einen leichten Zwischenschliff mit 800er Nassschleifpapier machen, um die Fläche wieder zu ebnen, bevor Sie die restlichen Schichten auftragen.
- Aushärtung: Das ist der Geduld-Teil. Nitrolack muss "ausgasen". Hängen Sie den fertig lackierten Body für mindestens 3-4 Wochen an einen warmen, trockenen und staubfreien Ort. Je länger, desto besser. Erst wenn Sie mit dem Fingernagel auf einer unauffälligen Stelle keinen Abdruck mehr hinterlassen können und der Lack nicht mehr riecht, ist er hart genug für den Endschliff.
- Endschliff und Politur:
- Nassschleifen: Beginnen Sie mit 800er Nassschleifpapier und arbeiten Sie sich langsam hoch: 1000 -> 1200 -> 1500 -> 2000. Das Ziel ist es, die Oberfläche perfekt zu glätten und alle kleinen Unebenheiten zu beseitigen. Am Ende haben Sie eine seidenmatte, aber spiegelglatte Oberfläche.
- Polieren: Mit speziellen Polierpasten für Lacke (gibt es im Autozubehör oder Gitarrenbau-Shop) und einem weichen Tuch (Mikrofaser) polieren Sie die matte Oberfläche in mehreren Schritten (grobe, dann feine Paste) auf Hochglanz.
Teil 3: Deutschsprachige Video-Anleitung
Das ist tatsächlich der schwierigste Punkt. Hochwertige, deutschsprachige Step-by-Step-Anleitungen speziell für eine Nitrolackierung in Candy Apple Red sind sehr selten.
- Empfehlung: Suchen Sie nicht nach einem perfekten Video, sondern kombinieren Sie.
- Allgemeine Lackiertechniken: Suchen Sie auf YouTube nach Kanälen von professionellen Lackierern (oft aus dem KFZ-Bereich), die die Grundlagen des Sprühens (Abstand, Geschwindigkeit, Überlappung) erklären. Die Technik ist dieselbe. Suchbegriffe: "Spritzlackierung Anleitung", "Lackieren mit Sprühdose Profi Tipps".
- Gitarrenbau-Communitys: Die besten Tipps und Anleitungen finden sich oft in Foren. Das Musiker-Board und das GitarreBassBau-Forum sind exzellente deutsche Anlaufstellen. Dort gibt es bebilderte Bauthreads, wo Mitglieder ihre Lackierungen Schritt für Schritt dokumentieren. Sie können dort auch gezielt Fragen stellen.
- Englischsprachige Videos mit deutschen Untertiteln: Viele exzellente englische Kanäle (z.B. von "Brad Angove", "Highline Guitars" oder "Guns and Guitars") bieten oft automatisch übersetzte Untertitel. Auch wenn die Übersetzung nicht perfekt ist, sehen Sie die einzelnen Schritte und können diese mit den hier gelesenen Informationen abgleichen. Suchen Sie nach "how to paint a guitar candy apple red".
Ein konkreter Kanal, der oft gute Einblicke in den Gitarrenbau gibt, ist
"Gitarre & Bass" – vielleicht finden Sie in deren Archiv ein passendes Video.
Fazit:
Ihr Vorhaben ist anspruchsvoll, aber keineswegs unmöglich. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der perfekten Vorbereitung, absoluter Sauberkeit, Geduld zwischen den Schritten und dem Verständnis, dass der Candy-Auftrag die heikelste Phase ist, die nicht korrigiert werden kann.
Wenn Sie sich die Zeit nehmen und jeden Schritt sorgfältig ausführen, können Sie ein Ergebnis erzielen, das dem Original in nichts nachsteht. Viel Erfolg bei diesem wunderbaren Projekt!