Lyrisches Ich (Autor vs. fiktiver Erzähler)

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Toller Hans Guck in die Luft, tolle Verwandlung…
Lieber @x-Riff , bin zunächst mal sehr erleichtert, dass du meinem Experiment wohl mit Interesse und Sympathie verfolgt hast!:)

Meines Erachtens haben wir gemeinsam mit deiner von mir total geteilten obigen Zusammenfassung für Kontext:
Es ist die Situation und alles, was dazu gehört - eben der Kontext - der dessen jeweilige Bedeutung bestimmt.
alle Gründe zusammen, warum es uns Autoren oft so unendlich schwer fällt, etwas zu formulieren, was o.g. Anspruch auch nur in Ansätzen entspricht!
Aber Hin und wieder hab ich auch Ideen für Songs, wo ich in eine "Rolle" schlüpfen würde, und aus der Sicht eines Charakters erzähle, dessen Ansichten ich z.B. ganz und gar nicht teile. Da mache ich mir die Gedanken, ob der Hörer das ohne Erklärung immer korrekt einordnen kann oder dann irritiert wäre.
Wikipedia und andere Lexika definieren eher aus logisch, abstrakter Sicht! Sie suchen nach einem gesellschaftlich relevanten Kontext, der möglichst allen Menschen eine individuelle Eingliederung in den Gesellschafts-Körper ermöglicht.

Die Kunst hingegen ist für mich eher wie ein Ausweg aus einer Gesellschaft, in der man sich manchmal gefangen fühlt, als einen Versuch, seine Individualität zu bewahren, beziehungsweise sich innerhalb der Gesellschaft um eine gewisse Wertschätzung für die eigene Individualität zu bemühen.

Und deshalb meine ich, dass ein Autor den Bau seiner Sprache immer feiner begreifen sollte, um sich so individuell wie nur möglich zu äußern. Und deshalb überlege ich meist am Anfang, welches Stilmittel meine intuitive Idee so individuell wie nur möglich ausstrahlen könnte.

Die Stilmittel ähneln einer Leiter, mit deren Hilfe man leicht immer höher klettern, einem Bohrer, mit dem man leicht immer tiefer bohren kann.

Ein gesellschaftsfähigen Kontext schaffen zu sollen, bereitet mir oft schlaflose Nächte.

Eine Leiter hoch zu klettern oder einen Bohrer zu benutzen… erscheint mir hingegen manchmal federleicht wie guter Sex… :love: Und warum sich selber nicht einreden, dass es einigen im Publikum genauso empfinden könnten?:love:
 
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Ein gesellschaftsfähigen Kontext schaffen zu sollen, bereitet mir oft schlaflose Nächte.
Das glaube ich gerne. Schon weil mit "Kontext schaffen" die Vorstellung verbunden ist, man könne ihn bestimmen. Das kann man nur zum Teil.
Wichtig ist mir, sich über den Kontext Gedanken zu machen, der da ist. Bei Dir, der Du für andere schreibst, ist der Kontext deutlich weiter entfernt als für einen singersongwriter, der selbst auftritt. Du hättest aber, denke ich, die Möglichkeit, die Interpretation Deines Textes durch eine Person oder eine Band, deren Haltung Dir absolut konträr ist, zu verweigern. Damit bestimmst Du über den Kontext, in dem Dein Text zu einem Publikum dringt.

Liedermacher wie May, Wader, Biermann und viele andere erzählen Geschichten zu den Texten und songs, die sie darbieten. Auch das schafft einen Kontext.
Übrigens macht das im youtube-Video Bodo Wartke auch. Er spricht von vier Liebeslieder-Kategorien, das Ganze scheint mir eingerahmt in ein Kabarret-Programm. Dementsprechend ist nicht für bare Münze zu nehmen, was er da singt. Dass man das von Bodo Wartke allgemein erwarten kann - das scheint mir auch klar. Insofern scheint mir eine darüber hinausgehende Distanzierung bzw. Verdeutlichung im Sinne von "Hallo Leute - das folgende ist nicht ernst zu nehmen. Macht das bitte zu Hause nicht nach!" herzlich überflüssig.




Ein Platten-/CD-Cover oder ein Video schafft einen Kontext. Ein Aufführungsort ist ein Kontext. Auch ein Aufführungsvertrag, der einem sicherstellt, die Auswahl und Darbietungsart der songs allein zu bestimmen, schafft einen bestimmten Kontext. Das Bühnenoutfit, die musikalische Umsetzung - all das und noch viel mehr - schaffen einen Kontext für einen songtext. Davon kann man unter Umständen nur einen Teil beeinflussen.

Aus meiner Sicht macht es Sinn, sich sowohl über den Teil des Kontextes, den man beeinflussen kann, als auch über den Teil des Kontextes, den man nicht beeinflussen kann, Gedanken zu machen. Denn beide Teile beeinflussen die Art und Weise, wie die eigenen songs wirken. Dass man auch in Gedanken nicht alles erfassen kann, ist für mich klar - dazu ist das alles viel zu komplex. Ich sehe es ein bißchen so wie ein Selbstständiger: es gibt sehr viele Dinge, die anderen eine Vorstellung und ein Bild von mir und dem, was ich anbiete, vermitteln. Und ich versuche einfach, so viel wie möglich davon positiv zu beeinflussen. Über den durchaus großen und weiträumigen Rest habe ich eh keinen Einfluss.

x-Riff
 
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Seal druckt seine Songtexte nicht mehr ab, nachdem ihm Hörer rückgemeldet haben, tollere Inhalte rausgehört zu haben als eigentlich im Text standen.
 
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ABei Dir, der Du für andere schreibst, ist der Kontext deutlich weiter entfernt als für einen singersongwriter, der selbst auftritt.
Das ist richtig! Man braucht tatsächlich unerwartet viel Zeit, bevor Texter und Musiker halbwegs verstehen, was sie voneinander erwarten dürfen.

Leider verwechseln einige Musiker Texte von Hits, deren Inhalte und Machart sie gut finden, mit ihren eigenen Ideen. Selbst wenn ihre Musik gar keine Ähnlichkeit mit diesen Hits hat. Selbst wenn ihr Schwärmen für fremde Texte die Fantasie des eigenen Texters von vornherein in Richtung Plagiat drängt!

Andererseits singen bestimmte Komponisten auf ihre Melodie englisch klingende Schimmeltexte, ohne zu beachten, dass deutsche Texte oft mehr Silben verlangen als englische.

Ich arbeite am liebsten auf eine simple Klavierstimme. Weil man auf dieser Basis künstlerisch noch sehr flexibel kreieren kann. Leider kommen viele Bands dennoch immer wieder mit fertig arrangierten Demos und zwingen mich auf diese Weise, Texte zu schreiben, die perfekt in Metrik und Sound mit der Stimmung der fertigen Musik harmonieren. Zwar sagen sie anfangs eine wechselseitige Zusammenarbeit zu, aber tatsächlich planen sie ihrerseits keine Zeit für Änderungen ein.

Ich werde angeblich geschätzt für meine selbstständige Art, auf Musik zu schreiben, aber tatsächlich erkaufe ich mir dieses billige Lob oft mit hunderten einsamen Stunden Textarbeit, wobei ich viel lieber im Team schreiben würde :confused:

Du hättest aber, denke ich, die Möglichkeit, die Interpretation Deines Textes durch eine Person oder eine Band, deren Haltung Dir absolut konträr ist, zu verweigern. Damit bestimmst Du über den Kontext, in dem Dein Text zu einem Publikum dringt.
Naja, „bestimmen“ kann in einer Partnerschaft nur der Auftraggeber. So ist das Leben :nix: Man zeigt natürlich auch als Texter guten Willen. Obwohl man weiß, dass man Kreativität eigentlich nicht erzwingen kann…

Meine Erfahrungen sagen mir übrigens, dass erfolgreiche Änderungen seltener neuen Inhalten kreieren, sondern nur den Tonfall, die Stilistik verfeinern. Auch deshalb studiere ich täglich die deutsche Sprache, um innerhalb weniger Stunden eine „Mecker-Fassung“ schreiben zu können, mit der man schneller und näher an den gewünschten Text kommt. Ja, Texte und Texter haben Anforderungen.

Es wundert mich deshalb nicht, dass viele Musiker lieber mit der ewig geduldigen KI arbeiten würden, auch wenn diese bisher keine echten Gefühle fabrizieren kann… vielleicht sind Gefühle demnächst wieder einmal out. Dann kommt die Zeit für coole Komponisten!

Fazit

der TE stellt zwar scheinbar etwas andere Fragen :

Mich würde mal interessieren, wie da so eure Erfahrungen sind, sowohl als Songwriter als auch als Rezipient. Habt ihr da bestimmte Tricks, wie ihr euch subtil von der Figur distanziert... oder ist euch das generell komplett egal, und jeder Song ist ein Kunstwerk für sich und es kümmert euch nicht, obman euch (als Autor) missversteht und irgendwelche Sichtweisen andichtet. Und man könnte die Songs unabhängig voneinander einfach bunt mischen? (Klar, wenn man genügend Material hat, könnte man auch jeweils ein Konzept-Album daraus machen... aber das ist ja nicht bei jeder einzelnen Songidee gleich der Fall)
Aber seine Fragen sind trotzdem eng mit meinen Erfahrungen verbunden! …:nix:

:hat:
 
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