Hallo Teestunde,
schon bei Deiner ersten Version spürte ich das Bedürfnis, etwas zu Deinem Text zu schreiben, wollte aber erst mal abwarten, vor allem aus zwei Gründen:
Erstens geht es eher um eine inhaltliche Anmerkung, zweitens hat auch dieser Text ein sprachlich gewohnt hohes Niveau, so dass das Ungleichgewicht um so größer ausfiele.
Die Versionen zeigen für mich allerdings eine Entwicklung auf, die vor allem inhaltlicher Art ist und damit sind Anmerkungen, die auf den Inhalt zielen, vielleicht hier doch ganz gut aufgehoben.
Gleich in den verschiedenen Versionen ist der Einstieg, dessen erster Part sich auch nicht ändert, wenn man mal von der Wendung "kam herauf" zu "brach herein" bezüglich des Sturmwindes absieht. In allen Fällen scheint es ein Naturphänomen zu sein, das auf den Menschen einwirkt. Die "eisige Verdammnis" der zweiten Version, die einer Intention nah rückt, weicht in der letzten Fassung wieder der Beschreibung des Schnees - hier auch die sprachliche Anmerkung: ein fallender Schnee, von mir aus auch einer, der nicht aufhört und unablässig fällt, gefällt mir besser ein Schnee, der schüttet - das verbinde ich eher mit Regen.
In der geschilderten Beziehung von Gott zur Natur (und irgendwie dazwischen steckt der Mensch) im weiteren Verlauf bis hin zur Mitte der zweiten Strophe steckt etwas, bei dem ich nachfragen möchte: Ist es so, dass die Natur, die ja Gottes Geschöpf ist, vor ihm weichen muss? Muss die Natur fliehen, setzt sie Gott einen Widerpart entgegen - muss Gott sich
gegen sie durchsetzen? Geht es hier um
dominantes Verhältnis, um Herr und Knecht? Überall, wo - nach meinem eher rudimentären christlichen Verständnis - sich ein Wunder anzeigt, scheint der natürliche Lauf der Dinge aufgehoben und Gott greift mehr oder weniger direkt in die Natur ein - aber ist dieser Eingriff ein
Angriff auf die Natur, so dass diese fliehen muss - und kann nur eins von beiden (Gott und Natur) sein, wie es hier ausgedrückt ist:
O Gott – nicht Erd, nicht Himmel
länger mächtig sind;
beide müssen fliehen dich,
wo dein Reich beginnt.
Wo Gottes Reich ist, sind Erde und Himmel nicht mehr mächtig, beide müssen fliehen, wo sein Reich ist, hört ihres auf - das klingt für mich nach
Unvereinbarkeit von Erde und Himmel.
Und das in der Nacht, in der Gott seinen Sohn zur Erde schickt als Versöhnungsangebot?
Den zweiten Teil der zweiten Strophe deutet etwas an, das ich und allen, die die Weihnachtsgeschichte kennen: das Abheben auf die Unauffälligkeit, ja "Niedrigkeit" und Unbedeutsamkeit des Ortes der Niederkunft gegenüber ihrem Rang als - zumindest im christlichen Glauben - geschichtsträchtigen und geschichtsbestimmenden Verhältnis des Ankommens von Gottes Sohn.
So eingängig mir die Entwicklung der dritten Strophe eingeläutet scheint, so folgerichtig wie fragwürdig (im Sinne des Wortes: würdig, zu fragen) scheint mir der Schluss.
Vorausgesetzt werden kann, dass es um die Szene geht, in der die wenigen, die in Bethlehem die Niederkunft von Jesus Christ erkennen und sich dorthin aufgemacht haben, um ihm ihre Anerkennung und Gefolgschaft zu entrichten und als dessen Zeichen Geschenke überreichen. Die Frage, was das Lyrische Ich schenken kann, um sich hier einzureihen, ist folgerichtig und führt erst in der dritten Strophe mit der Frage "Was kann ich Dir geben?" das LI ein, vermittelt dessen Beziehung zu dem ansonsten unpersönlich geschilderten Erlebnis und beantwortet die gestellte Frage mit einem
Ich gebe, was ich habe:
Nimm mein Herz! Nimm mich!
Hier stellen sich mir mehrere Fragen:
In meinem Verständnis schenken die drei Weisen Dinge, die etwas ausdrücken, die also tatsächlich wie auch symbolisch wertvoll sind. Damit reiht sich für mich das Geschenk ein in etwas, das man hat und einem anderen als Geschenk übergibt.
Das, was man gibt, stellt einen Verlust in seiner eigenen Welt dar - das Weihrauch, die Myrrhe, das Gold, das man gegeben hat, hat man nicht mehr selbst, man hat keine Verfügung mehr darüber.
Ist das gleichzusetzen mit dem Geschenk der eigenen Liebe? Verdoppelt sich nicht das Geschenk der Liebe, indem man es gibt? Erleidet bei dem Geschenk der Liebe eine Seite einen Verlust? Und wenn das so ist:
Ist das Geschenk der Liebe in diesem Sinne nicht minder wert als das Geschenk von Dingen (oder einer weiteren Ebene: etwas, das man tut als eine Lebensäußerung und Lebenstätigkeit),
weil man dabei keinen Verlust erfährt?
Oder ist es umgekehrt? Ist das Geschenk der Liebe nicht ungleich wertvoller als ein Geschenk von Dingen oder Tätigkeiten,
weil es viel umfassender ist? Dringen wir hier zu dem Herzen der Dinge vor, dazu, dass Jesus ein Menschenfänger wird, der den ganzen Menschen will - und zwar auf Freiwilligkeit und Liebe gegründet und als Beziehung und nicht als Besitz oder Eigentum?
Ja sicher.
Und gleichwohl ruft bei mir die ganze letzte Strophe und insbesondere die beiden letzten Zeilen eine Unstimmigkeit hervor:
Was kann ich Dir geben? Sicher kann ich Dir (gemeint ist Jesus bzw. Gott) mich und mein Herz (meine Liebe) geben. Aber tun das die drei heiligen Könige nicht auch? Wird also nicht unausgesprochen ein Unterschied aufgemacht zwischen den Königen, die etwas dingliches schenken und mir, die ich mich und mein Leben gebe? Und finde ich als heute lebende Person, nichts, das ich nicht
darüber hinaus als Ausdruck dieser Liebe geben kann oder mag? Und so wie mir das Umfassende aufscheint, das im Geschenk der eigenen Person liegt, so scheint mir auch auf, dass dies zum einen eine Einschränkung beinhaltet, denn es äußert sich nicht in Dingen oder Taten,
sondern bleibt ganz innerlich - als private, persönliche, intime Beziehung einer Person, des Lyrischen Ich zu Gott.
Die letzte Zeile beinhaltet nicht nur das Geschenk der Liebe einer Person, sondern auch die Aufforderung, Gott möge diese annehmen.
Braucht es das und bedeutet das nicht eine Grenzüberschreitung beim Schenken? Braucht es das, meint, dass meinem rudimentären Verständnis christlichen Glaubens Gott durch Jesus jedem Menschen das Angebot macht, zu ihm zu kommen. Seiner Gnade obliegt es dann, dieses Angebot einzulösen oder den Menschen nach einer Prüfung zur Läuterung aufzurufen. Klaren Herzens kommend aber scheint der Mensch wohl doch auf die Gnade Gottes vertrauen zu dürfen.
Die Frage nach einem Geschenk mit einem Geschenk zu beantworten, heißt gleiches mit gleichem zu beantworten. Ist das mit der zweifachen Aufforderung, das Geschenk anzunehmen, auch so? Braucht Gott diese Aufforderung? Oder ist es nicht das LI, das meint,
diese Aufforderung dem Geschenk noch beifügen zu müssen oder zu sollen? Wenn ich mich an einige allerdings eher profane Beschenkungsszenerien zu Weihnachten erinnere, lösten mal direkt, mal weniger direkten Aufforderungen, sich doch mal dieses oder jenes Geschenk anzugucken oder es auszupacken oder aus- bzw. anzuprobieren mit der mehr oder weniger subtilen Auffoderung verkoppelt, auch die angemessene Freude und Überraschung zu zeigen, eher meine emotionalen und inneren Warnlämpchen aus. Denn es war das untrügliche Zeichen dafür, dass es dem Schenkenden auch um die Wahrnehmung seiner selbst ging und eines schon vorher ausgemachten Paktes, bei dem ich allerdings nur als Objekt zugegen war: ich schenke Dir etwas - also freu Dich gefälligst und zeig es mir! Und zeige mir auch, dass meine Gedanken, was Dich wohl glücklich macht, geglückt sind: zeige mir also, dass ich Dich verstehe und glücklich machen kann. Was leider beileibe nicht bei allen Geschenken und Schenkenden der Fall war.
Ich kann diese letzten beiden Zeilen als Zeichen der Dringlichkeit, des Überwältigtseins, der absoluten Stimmigkeit mit dem Geschenk seitens des LI deuten, das auch mit einer kindlich-reinen Unmittelbarkeit einhergeht: ich will eine Beziehung und nun will ich auch eine Antwort. Ich kann es deuten als Zeichen der Unbedingtheit dieses Geschenkes, als das Letzte und Höchste, das ein Mensch jemand anderem gegenüber machen kann.
Ich kann diese beiden letzten Zeilen auch als Zeichen einer sich abzeichnenden Grenzverletzung deuten, als eine Aufforderung, die dem Freiwilligkeitscharakter eines Geschenks nicht ansteht, als eine Aufforderung, die keine Zurückweisung oder Prüfung erduldet oder erdulden mag und die meint, es bedarf dieser Aufforderung, damit das Geschenk ankommt, gewürdigt und angenommen wird, und vielleicht letztlich einen Zweifel offenbart, dass dies ohne Aufforderung passieren wird.
@Teestunde - nun ist es doch wieder ein so langer post geworden.
Mir geht es um Deutung - und da geht es um verschiedene Interpretationsmöglichkeiten und -ansätze, um das Weiterdenken von gelegten Spuren im Text, um den Abgleich mit eigenen Deutungsmustern und Werten - und da ist das Ausleuchten von Zwischenräumen, so hoffe ich, erhellend.
Im Übrigen glaube ich, dass Du mit all Deinen Texten etwas bewegen willst.
Bewegt hast Du mich zum Nachdenken über eine Geschichte, mitten im Dezember, die schon lange her ist und über Geschenke und was Schenken bedeuten kann.
Vielen Dank und herzliche Grüße
x-Riff