"Tanz mit Toten"

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Hallo,
nach längerer Abstinenz vom Forum, melde ich mich mit einem leicht morbidem Titel aus der Versenkung, mit der Bitte um eure geschätzte Meinung zu Stil, Form und Inhalt des "Machwerkes".
Vielen Dank!
Grüße
willy


Tanz mit Toten

Du kannst die miese Laune nicht ertragen?
Das Grübeln und die Angst?
Das Bangen und das Klagen?
Du konntest Armut niemals sicher tragen?

Du kannst schon diese Sprache nicht mehr hören,
voller Bilder schwarzgemalt?
Sie mögen deine Ruhe stören,
auch mit Musik von Engelschören.

Ref.:
und trotzdem:
Tanzen wir mit Toten!
Mundschutz vorm Gesicht!
Mit Scheinen in der Hand!
Tanzen wir mit Toten!
Ohne Recht, ohne Gericht,
mit nichts und niemandem verwandt.

Und dann hast du da ein Wesen an der Hand.
Dann bist du groß und es ist klein.
Das alte Leben an der Wand.
Hängt nun wie’ n schlaffer Sack, so unbemannt.

dann sagst du:
Ich kann die Suche nicht mehr sehen.
Das Gefundene ist hier.
Das offene und der Beweis.
Jeder soll mit seinen Mitteln.
Doch unser Lachen, es bleibt leis’.

Ref.:
und deshalb
Tanzen wir mit Toten!
Mundschutz vorm Gesicht!
Mit Scheinen in der Hand!
Tanzen wir mit Toten!
Ohne Recht, ohne Gericht,
wir sind mit alledem bekannt.

Und ein jeder geht am Abend
mit sich selbst zu Bett.
Und er vergisst und sie vergisst,
da ist wohl wirklich niemand mehr,
der noch den dumpfen Schmerz vermisst.

Ich weiß schon längst nicht mehr genau,
wofür ich bin und wofür gut.
Warum mal milde
und dann wieder voll von Wut.
Wusste ich's denn je?

Ich werd’ die schwarzen Bilder nicht mehr los,
vollends gelähmt- bis auf den Kopf.
Kann mir feierliches Lügen gönnen,
solange bis die Ärzte kommen, die
genau wie ich, niemals etwas dafür können.

Ref.:
der letzte
Tanz mit Toten!
Tiefe Falten im Gesicht!
Mit Linien in der Hand!
Tanz mit Toten!
im Dunkel- so gib mir Licht!
eine Kerze- wo ich stand.
 
Eigenschaft
 
Hallo willypanic,

habe mich mit Interesse und Vergnügen mal in deine Veröffentlichungen rein gelesen.

Meine so genannte linke Hirnhälfte war gut beschäftigt und die rechte hat oft gelächelt.:)

Bei diesem Text ist alles etwas anders. :gruebel:

Das liegt wohl in erster Linie an dem Verwirrspiel der ICHs DUs Ers SIEs ESes WIRs und SIEs. Nur die IHRs dürfen nicht mitspielen. Zufall :confused:

Um mich von diesem Reigen der Pronomen nicht in den entgültigen Kritikerwahnsinn treiben zu lassen, bezeichne ich mich vorsichtshalber als den Jongleur. (Obwohl eigentlich Du hier jonglierst;))

Des Weiteren unterstelle ich mal, das die DUs dem LI gegenüberstehen und nicht seine eigene dunkle Seite repräsentieren.

Nehmen wir einfach den Jongleur als so ein DU.

Den fragt nun das LI, ob er vor seinen dunklen Gefühlen flieht und sich von den Gesellen der dunklen Seite gestört fühlt.
Das LI dichtet dem Jongleur ein Kind an die Seite, das ihn größer macht und sein verflossenes Leben zu einem schlaffen Sack.
Aber dem J. macht das nix aus. Stolz verweist er auf sein Kind und verkündet: Die Suche ist beendet! Dann geht der J. wie alle anderen ins Bett und vergisst...gibt es nun überhaupt noch jemand auf der Erde, der den Schmerz vermisst?

Ja, sagt der Jongleur, warum nicht?

Ja sagt auch das LI: ICH vermisse den Schmerz inmitten einiger WIRs. Besonderes Kennzeichen des LI: es hat die Orientierung verloren, ist mal mild und mal wütend, bis zum Kopf gelähmt mit schwarzen Bildern und ein Lügner vor dem Herrn.

Kein Wunder, dass dieser gelähmte Lügner in den fetten Lettern des Refrains behauptet, ewig mit dem Tod zu tanzen. Gemeinsam mit den gleichgesinnten WIRs. (der Jongleur weigert sich anzunehmen, mit den WIRs sei er und seinesgleichen gemeint. Es bedarf raffinierterer Methoden, ihn aufs Parkett zum anarchischen Totentanz zu bitten)

Das LI nähert sich derweil seinem letzten Tanz mit den Toten, sein letzter Wille: Stellt eine Kerze dahin, wo ich einst stand.

Beim Tanz mit dem Mundschutz wird beim J. die rechte Hirnhälfte munter, bei der abschließenden Zeile bekommt er gar eine Gänsehaut! Denn er erinnert sich an die Kerzenmeere der Trauernden in Duisburg oder Erfurt und wird (wie immer angesichts derartiger Medienbilder) hin und her gerissen...

Ja, sagt sich der Jongleur, so könnte es gemeint sein und geht vergnügt weiter.

Er ist halt nicht so für das Abstrakte, eher mehr für das Sinnliche..;)
 
Zuletzt bearbeitet:
Mal wieder sehr raetselhaft, der Herr Panic. ;)
Ich erkenne "Dein" Thema Leben, Kinder, Partnerschaft, Entfremdung wieder, bereichert um die von Dir erwaehnte morbide Note.
Trotzdem oder vielleicht auch deshalb gefaellt mir dieser Text von allen bisher am besten, auch weil er in meinen Ohren nicht mehr so sehr holpert wie manch aelterer und die Sprache einheitlicher ist.
Den eigentlichen Sinn kann ich aber wieder nur erahnen. Auch das Ich und das Du scheint mir gegen Ende etwas zu verschwimmen.
Am besten finde ich die Refrains und die Strophe ""Und ein jeder...
Wobei ich mich da frage, ob da nicht eher ein Punkt nach dem "vergisst" hinsollte. Letztendlich gilt aber auch da: Den Sinn kann ich nur erahnen aber ich mag die Stimmung, die mir der Text vermittelt.

Magst Du etwas zu den Toten sagen, mit denen hier getanzt wird? Da draengen sich mir so viele Bilder und Deutungsmoeglichkeiten auf, dass ich dem doch etwas hilflos gegenueberstehe. Andererseits auch ein passendes Gefuehl. ;)
 
Ich denke der Text ist ein Monolog, auch wenn sich das Lyrische Ich dialogisch an ein Du wendet. Das Ich ist gleichzeitig ein Du und ein Wir. Das Ich ist verwoben in dieses Leben, welches es mit vielen Dus teilt, die zu einem Zusammengehörigkeits-Wir und manchmal zu einem "sie" also zu den "anderen" werden.

Ich denke die ersten beiden Strophen und der erste Refrain wenden sich gegen die Gleichgültigkeit, mit welcher das Du und später das Wir der Welt gegenübersteht, egal wie viel Leid gerade in der Welt passiert, denn jeder steht letztendlich für sich "mit nichts und niemandem verwandt". Die Zeile "Du kannst schon diese Sprache nicht mehr hören" klingt in meinen Ohren wie die täglichen Kriege, Vertreibungen, Ungerechtigkeiten und das unendliche Leid, das wir in den Nachrichten mitbekommen, das wir aber nicht mehr wirklich ertragen können, da wir zum größten Teil hilflos dem gegenüberstehen und um einigermaßen weiterleben zu können, verdrängen wir es, anstatt doch zu versuchen etwas zu tun. Deshalb tanzen wir mit den Tausenden Toten jeden Tag, den im Krieg getöteten, den Verstümmelten und Verhungernden mit einem "Mundschutz vorm Gesicht!"​
"Ohne Recht, ohne Gericht" - wer soll uns dafür richten, dass wir Produkte, die von Kindern hergestellt wurden, kaufen, wir, die jeden Tag aus Bequemlichkeit Tonnen von Abgasen in die Luft pumpen, Müllberge produzieren, Berge von Essen wegschmeißen, wo andere verhungern. Es gibt kein Gericht und keinen Richter, welche hier Gerechtigkeit üben könnte, nur unser schlechtes Gewissen, das Gewissen des lyrischen Ichs plagt uns. "Es gibt kein Leid auf der Welt, das einen nichts angeht. Jeder trägt die Welt." (Emmanuel Levinas)

Dann setzt du ein Kind in die Welt und dein altes Leben bekommt einen neuen Mittelpunkt. Du siehst deine Ziele und Ideale von früher an dir vorüberziehen, du lebst nun für jemand anderen und vergisst, was du mal warst, für was du einstehen wolltest. Gleichzeitig ist doch das Kind, die Liebe zu dem Kind das Schönste, es tritt trotzdem in Spannung zu den individuellen Zielen. Das Kind ist zugleich das Schönste, aber es verhindert gleichzeitig ein anderes Schönes: "Ich kann die Suche nicht mehr sehen. / Das Gefundene ist hier."​
Wir sind erwachsen, wir wissen "wies läuft". Wir leben das gewohnte, geregelte Leben "Doch unser Lachen, es bleibt leis'", es tötet unsere Emotionen, unseren Enthusiasmus, unsere Fähigkeit zur Liebe, es stumpft uns ab, wir leben den Kompromiss. "I'll take a quiet life, a handshake, some carbon monoxide" (Radiohead - no surprises)
Die letzte Zeile im Refrain ändert sich nun. Wir kennen die ungerechten Strukturen und richten uns in ihnen ein, wir wissen, dass man sie eh nicht ändern kann. Trotzdem kann uns niemand für diesen Lebensstil richten, wir leben dieses Leben aus Gewohnheit, jeder lebt es so: "Ohne Recht, ohne Gericht, / wir sind mit alledem bekannt."

Nun kommen die letzten drei Strophen, die mir am besten gefallen:​
Das Ideal der Liebe, es ist verwelkt, es ist Alltag, jeder ist mit sich allein, auch wenn man zusammen lebt: "Und ein jeder geht am Abend / mit sich selbst zu Bett. / Und er vergisst und sie vergisst,"​
Der Schmerz wäre zumindest eine Emotion, aber nicht mal schmerzhaft findet man es, sondern man findet sich damit ab nach Jahren: "da ist wohl wirklich niemand mehr, / der noch den dumpfen Schmerz vermisst."​
Die Midlife-Crisis greift um sich: "Ich weiß schon längst nicht mehr genau, / wofür ich bin und wofür gut." Die letzte Orientierung fällt der Ratlosigkeit zum Opfer, sogar die "Heldenjahre" der Jugend, wo man doch sein Ich gefestigt hatte, werden in Frage gestellt: "Wusste ich's denn je?"

Ich werd' die schwarzen Bilder nicht mehr los,
vollends gelähmt- bis auf den Kopf.
Kann mir feierliches Lügen gönnen,
solange bis die Ärzte kommen, die
genau wie ich, niemals etwas dafür können.

Die Fähigkeit zu handeln, kommt dem LI völlig abhanden, es wird die Verzweiflung nicht mehr los, es ist "vollends gelähmt- bis auf den Kopf." Nur noch die dunklen Gedanken kreisen in seinem Kopf, aber es findet keine Lösung, es ist gelähmt in der Ausweglosigkeit seiner Gedanken, es kann nicht ausbrechen. Es ist apathisch und handlungsunfähig, vielleicht auch kurz vor seinem Tod. Aber es kann nichts dafür, genau wie die Ärzte, die Spezialisten, deren Aufgabe es ist einen Menschen zu heilen. Aber es gibt keine Heilung für den Tod. Die Menschen sterben meistens nicht "an etwas", sondern sie sterben, weil ihre Zeit gekommen ist. Der Arzt versucht den Tod anhand dem Eintreten einer Krankheit zu erklären, um eine scheinbare Erklärung zu liefern, aber es ist nur ein medizinisches Spiel, "ein feierliches Lügen" und das Beste oder Traurigste ist, dass der Arzt auch nichts dafür kann.

Der letzte Ref wird zum letzten "Tanz mit Toten! / Tiefe Falten im Gesicht! / Mit Linien in der Hand! Tanz mit Toten!" - jeder Satz endet mit einem Ausrufezeichen und drückt die letzte Verzweiflung aus, die letzten Atemzüge. Gleichzeitig wird doch eine Sehnsucht greifbar, "so gib mir Licht!" könnte eine Ansprache an Gott sein, doch die letzte Zeile spricht von einem Du, welches dem Ich "eine Kerze", ein Andenken, etwas das bleibt, geben soll, dort wo das Ich stand. Vielleicht ist das Du, das eigene Kind, das weiter leuchtet. Es ist eine leise Hoffnung, die bleibt. "Die Welt ist fort. Ich muss dich tragen" (Paul Celan) Jemand wird das lyrische Ich weitertragen, seine ganze Welt…

willypanic, Danke für diesen Text!​
 
Vielen Dank an euch drei, wobei mein besonderer Dank an xshadow für seine 100%- Interpretation gilt.
Es ist ein seltsames Gefühl, wenn keine Spielräume mehr bleiben. Doch dieses "Verstandenwerden" ist etwas ganz besonderes und so bin ich glücklich über eure Beiträge.
Viele Grüße
willy
 
Ein großartiger Text, der hängenbleibt und halbverdaut zum nochmaligen Kauen auffordert.

Keine Lösung, ein Verlauf, ein Lebenslauf - ehrlich, so weit es geht und das LI sich selbst und die Welt versteht, was alles ist, was es hat und was bleibt. Schwer, die Stimmung auszuloten - und das ist gut so. Es sind so viele Blätter schon gespielt, mit Karten, auf denen Wut steht oder Melancholie oder Traurigkeit oder Verzweiflung oder Selbstmitleid oder Zorn oder Aufstand und es sind schon so viele Trümpbfe gemacht worden auf den Spielfeldern der Moral, des Beistandes, der Anklage, des Trotzes, des Dennoch - da besticht dieser Text auf den Verzicht all dessen und schildert, wie es ist und empfunden wird und was bleibt ...

Die Stärke ist das Hinschauen und dieses Hinschauen auszuhalten ohne Einflüsterungen, Beschwichtigungen, Verpackungen, Übergeordnetes, Weiterführendes, Darüberhinauszeigendes ...

x-Riff
 
Oooch willypanic,

jetzt hatte ich mich schon auf einen kleinen netten Meinungsaustausch gefreut:gutenmorgen:

Also ICH hätte Dich zum Beispiel gern gefragt, welchen Grund es für Dich gab, Deinen Erzähler so im Dunklen zu belassen?:gruebel:

Auch hätte ich nochmals zugeben wollen, dass ich den Text nicht so recht verstanden habe, weil...

... aber das hätte sich ja vielleicht schon mit Deiner Antwort auf die mir unklare Erzählerperspektive verändert.

Keiner muss müssen. Aber kann ich Dich nicht doch noch mal ein wenig....;)
 
...konnte ich das ahnen?
Nachdem:
Ja, sagt sich der Jongleur, so könnte es gemeint sein und geht vergnügt weiter.

Ich war der Überzeugung, der Wörterwerfer sei wenig beeindruckt vom Text, Rätselhaftes sei weitgehend erklärt und die Welt soweit in Ordnung.

Doch da beim Jonglieren immer etwas in der Luft hängt und ich ja meine Texte hier so ohne jede Rücksicht auf Verluste veröffentliche, um die Meinung der Leser zu erfahren, bin ich aber hoch erfreut, über das neu entflammte Interesse deinerseits.
Deshalb kannst du mich gerne noch mal ein wenig...;)

Nur wüsste ich gerne, wie du es gern hättest, denn die Erzählperspektive ist doch mMn nicht so unklar.
Habe ich mir doch schon oft über meinen inflationären Umgang mit dem Wort "ich" und seinem Sinn in meinen Texten Gedanken gemacht.
Doch bin ich es ja, der sie schreibt.
Und so mag ich sie am liebsten singen. (Auch wenn regelmäßig keiner rafft, worum es geht. Was nicht an meinem Sprachfehler liegt, sondern an diesem Tier am Schlagzeug):rolleyes:

Warum hast du also den Text nicht so ganz verstanden? Nach deinem Beitrag hatte ich nicht diesen Eindruck.

Noch nie hat jemand zu einem meiner Texte eine so zutreffende Textanalyse abgeliefert, wie xshadow.
Das hat mich sehr berührt und tief beeindruckt.
Sehr gerne möchte ich mich trotzdem mit dir darüber unterhalten, was könnte es schöneres geben, als ins Gespräch zu kommen.

Sehr gefreut hat mich auch deine Anmerkung bezüglich deiner beiden, bei der Lektüre meiner Texte, sehr aktiven Hirnhälften.
Ich hätte gerne gesehen, wie diese eine Hirnhälfte lächelt- Ich kann nur mit den Ohren wackeln!
Aber ich lerne imer gerne dazu.
Also jonglier mir einen Ball zu, ich werfe bestimmt zurück.

Grüße
willy
 
Hallo willypanic,

beim Lesen Deiner Antwort vermute ich unter anderem folgenden Ping-Pong-Wechsel:

Jongleur schrieb:
Ja, sagt sich der Jongleur, so könnte es gemeint sein und geht vergnügt weiter.
Er ist halt nicht so für das Abstrakte, eher mehr für das Sinnliche..;)
willypanic schrieb:
Ich war der Überzeugung, der Wörterwerfer sei wenig beeindruckt vom Text, Rätselhaftes sei weitgehend erklärt und die Welt soweit in Ordnung.

Vergnügen

Es stimmt mich immer positiv, einen poetischen Text wie den Deinen zu lesen, der UNSICHERHEIT zur Normalität erklärt. Trotz aller Entscheidungen, die unsere ICH-Zustände mit jedem Herzschlag treffen.

Diese Sichtweise unterscheidet sich wohltuend vom üblichen papiernen Aufschrei über die verlorene SICHERHEIT, als würde man soeben durch fremde oder eigene Schuld um einen gottgegebener Zustand betrogen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: auch Vorwürfe und Selbstanklagen gehören für mich zur Normalität, aber eben als logische Folge einer Selbsttäuschung:)

Und es stimmt mich traurig, wenn jemand Stunden und Tage daran sitzt, einen verlorenen Zustand zu beklagen, den es SO nie gab und niemals geben wird.

Die Erkenntnis, das alle tröstliche Sicherheit Einbildung ist, kann zuweilen der schönste Trost sein :)

Abstrakt

Aber solche wie die eben von mir getippten Gedanken sind vom alltäglichen Lebensgefühl abgekoppelt, sind "dinggebunden",sagen nur ein "an und für sich", spielen ein wenig überheblich Gott.

Sind letztlich nur nüchterne Gedanken, um meine widerstrebenden Gefühle zu ordnen.

Die meistens vergesse ich wieder, wenn sie ihren Zweck (ungeduldige Schaffung von Selbstsicherheit) erfüllt haben. Weil sie nur meine Meinung über die Dinge enthalten, aber selten die Dinge selbst

Wenn ich mir Gedanken merke, dann weil sie die Dinge gleich mit enthalten. Gedanken wie

Goethe schrieb:
Warte nur, balde ruhest du auch.

Allein diese abstrakte Feststellung krallt sich fest dank ihres knappen, euphemistischen und sinnlich-abstrakte Bildausdruckes für Tod.

Sinnliches und rätselhaftes

Aber noch lieber mag ich die anderen Zeilen wegen ihrer direkten bildhaften Wirkung auf meine Sinne:

Goethe schrieb:
Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.

Ich bin ein Intellektueller wider Willen. Ich suche in allen Gedichten und Gedanken bezogen auf das "Dinggebundene" zuerst sehnsüchtig nach dem anschaulichen DING(EN)!

Meinungen sind immer klarer als die gemeinten Dinge. Bilder werden beim genauem Hinschauen immer rätselhafter. da wirst Du mir sicher zustimmen:)

Überleitung zu deinem Text

Und mir fehlten in deinem interessanten Text wahrscheinlich noch ein paar stimmige Bilder.

(Im Gegensatz zu xshadow, der in Deinem Gedicht offensichtlich genügend Dinge entdeckte, um seine interessanten Gedanken daran zu binden...Aber ganz sicher bin ich mir nicht, wer der bildhafte Vater seiner Gedanken war )

Zur Perspektive:

Zur Sinnlichkeit gehört für mich, dass ich das lyrische ICH als ein Lebewesen fühlen kann.
Mit all seine innerlichen Widersprüchen, aber auch seiner wahrnehmbaren Oberfläche.

Und beim Lesen fragte ich mich lange, warum Dein lyrisches Ich keine durchgehende Erzählerperspektive einnimmt; also:

willypanic (leicht gändert) schrieb:
Du weiß schon längst nicht mehr genau,
wofür du bist und wofür gut.
Warum mal milde
und dann wieder voll von Wut.
Wusste Du es denn je?

Du wirst die schwarzen Bilder nicht mehr los,
vollends gelähmt- bis auf den Kopf.
Kannst Dir feierliches Lügen gönnen,
solange bis die Ärzte kommen, die
genau wie Du, niemals etwas dafür können.
Ändert doch nichts an der sachlichen Aussage. Oder?

Warum will das lyrische Ich ausgerechnet hier ICH sein?

Spielt es anfangs nur mit einem ambivalenten DU, also AUCH mit einem Gegenüber - wie dem Jongleur - der dem LI bei Lichte besehen allerdings sch...egal ist?

Kommt das LI, nein, hier sag ich mal der AUTOR, irgendwann an den Punkt, wo er unbedingt authentisches ICH sein will? Wo ICH sich von der dumpfen Masse abgrenzen will?

Oder fühlte der Autor ganz einfach intuitiv mit fortlaufender Textlänge einen Mangel an anschaulicher, bildlicher Sinnlichkeit, den er mit dem scheinbar unmotivierten Übergang zum verbindlicherem Ich entgegenwirken wollte?

Wurde Dir der Text allmählich zu abstrakt?

Das würde ich nur zu gut aus eigener Erfahrung verstehen. :D

Wenn man einem großen Gedanken folgt, dauert es seine Zeit, bis sich die einfachen DINGE im Text einfinden. Und wer hat heute schon noch Zeit, sich lange zu konzentrieren und zu warten;)

Mir gefällt dein Denkansatz, ich vermute ein feines Sprachgefühl bei Dir. Vielleicht animieren Dich ja auch meine Zweifel? :)

 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Jongleur,
beim wiederholten Lesen deiner Antwort spürte ich mal mehr und mal weniger Motivation zur Auseinandersetzung.
Die Dinge, die uns Sicherheit versprechen, die wir doch nur kosumieren oder zerstören, die heiligen Kühe, all das Haben equals Sein bestimmt mich ebenso, wie die Flucht in die einsame, abstrakte Freiheit.

Ich habe versucht, die selbstsüchtige Nabelschau als einzige Zielsetzung meines Schreibens zu betrachten oder
meine Sehnsucht nach Geltung in einer Masse von hektisch wackelnden Stehaufmännchen.
Ich war immer versucht, Bilder zu zeigen, in denen jeder sein Ding haben kann. Aber im Grunde wollte ich doch nur mein Ding machen.

Ich habe es manchmal allen recht machen wollen, und meistens nicht. Aber ich war manchmal davon angekotzt, so zwischen Kunst und Kommerz.
Ich war immer trotzig, habe Korrekturen stets abgelehnt.
Habe immer nur offene Ohren für Lob. Kritik ist wie Spielzeug.
Ich will immer nur spielen.
Rollenspiele: Wer bist du? Wer bin ich?

Vielleicht erklärt das meine geliebten Perspektivwechsel am besten.

Ich bin Hin- und Hergerissen zwischen Bühne und Elfenbeinturm. Zwischen Provokation und Kontemplation.
Ich will böse sein, ich will anklagen.
Doch am Ende bin ich es, auf den all das Lamentieren zurückfällt.

Ich erhoffe mit dem "Du" Aufmerksamkeit zu erreichen- mit dem "Ich" authentisch zu sein.
Ja, du hast wohl recht mit deiner Einschätzung:

Kommt das LI, nein, hier sag ich mal der AUTOR, irgendwann an den Punkt, wo er unbedingt authentisches ICH sein will? Wo ICH sich von der dumpfen Masse abgrenzen will?

Wobei ich eben nicht versuche mich- respektive das LI- abzugrenzen, sondern eine Sichtweise anzubieten, die ebenso hilflos wie angreifbar sein soll.

Also warum:
Ich bin nicht in der Lage, einen Hoffnungsschimmer anzubieten. (Obwohl ich das eine ganze Zeit lang beim Texten gerne wollte)

Ich bin zu schlampig für die Metrik und zu faul für Stil und Form und trotzdem bringt mich immer irgendwas zum Schreiben.
Ich mag nicht lange rumsitzen und konstruieren.
Wenns hängt, dann säge ichs lieber ab und verwerfe.

Ich schreibe, um mich zu entlasten. Ich will es mehr und mehr für mich.
Nicht missionieren- keine moralinsauren Ansprachen. Was früher ging- ekelt heute an. Es klappt nicht immer.
Aber-
Ich bin im Trend.

Ich will ein bisschen Musik machen und meine Texte singen, weil ich das kann.
Hin und wieder ein warmes Wort oder ein gutes Gespräch (wie dieses) oder eine tolle mail. (wie von xshadow) heben die Körpertemperatur in der Folge auf angenehme knapp 37°
Ich bin glücklich, wenn mir jemand wirklich zuhört. Dann weiß ich das ich etwas gesuchtes gefunden habe.

Ich bedaure hin und wieder, dass ich die Liebe als Motiv meiner Texte verloren habe.
Doch das kommt bestimmt irgendwann wieder.

Was sind denn deine Motive?
Darf ich fragen?

Grüße
und vielen Dank für das Interesse.

willy
 
Hallo Rollenspieler,

Was sind denn deine Motive?
Kurzversion: Der Kommerz:D

Wenns etwas länger sein darf...

Irgendein starkes Motiv, vielleicht das stärkste, muss in den ersten 2 Jahren meines Lebens begraben sein. Keine Ahnung welches!

Später bin ich mich wohl sehr tief in die Märchen- und Sagenwelt meiner Mutter gefallen. - Dann wurde ich Leseratte, Einzelgänger (trotz recht großem Freundeskreis), ein nicht ganz erfolgloser Sänger, Gitarrist und daneben Singersongwriter.

Irgendwann wollten andere Bands meine Texte und dieses Interesse Fremder ist bis heute nicht ganz erloschen. Und so habe ich seit vielen Jahren einen kleinen Stand als Texter auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten:)

Jeder meiner Künstler verändert mit seinen ganz speziellen Charaktereigenschaften, Erfahrungen, Ansprüchen und nicht zuletzt Berührungsängsten meine Auffassung übers Texten.

Jede Zusammenarbeit beginnt normalerweise mit wohltuender Schleimerei und schlittert dann garantiert irgendwann hart am Hass und Verrat vorbei.

Denn ich schreibe als Finalproduzent auf Musik. - Und bin damit meinen Komponisten und ihrem Geschmack zwar nicht wehrlos, aber ohne jede fremde Hilfe ausgeliefert.

Dieses Leben bietet wenig Platz für Nabelschau und Elfenbeinturm. Das lassen meine Partner nicht zu. Wenn schließlich eine CD 10 meiner Texten enthält, haben sie mindestens genauso viele vorher abgelehnt.

Um mich vor diesen harten Niederlagen und dem gnadenlosen Zeitdruck so gut es geht zu schützen, befasse ich mich fast pausenlos mit dem Handwerk und der Philosophie meines Berufes. Man könnte sagen, in der Kunst bin ich ein zäher Hund, immer auf ner heißen Spur;)

Übrigens: in kaum einen anderen Beruf kommt man sich menschlich so nahe und muss so intensiv seine Menschenkenntnis erweitern, um nicht wegen zu großer Nähe zu scheitern

Vor wenigen Tagen etwa schrieb ich eine Songskizze, in der unter anderem lapidar stand:

Jongleur schrieb:
Gestern träumte ich von heute
heut sag ich gestern
hatte ich einen Traum

Mein aktueller Sänger und Komponist lehnte diese Zeilen vehement ab und bat mich, nein forderte mich auf, das Wort "träumen" künftig aus seinen Texten rauszuhalten. Auf meine verblüfft-verärgerte Nachfrage erklärte er, er habe nie Tagträume, lebe eigentlich so lange er denken könne im hier und heute.

Das lies mir keine Ruhe. Ich befragte einige Bekannte, was sie von dieser Aussage hielten. Meine Überraschung war groß, als auch Andere sagten, dass sie sehr selten träumerische Phantasien hätten und ihre Partner dies ebenfalls kaum glauben könnten.

Ich selber habe eine sehr rege Phantasie und hatte meine Fähigkeit klammheimlich wenigstens allen KREATIVEN Künstlern unterstellt...

Nun verstehe ich seine Ablehnung besser und die Zusammenarbeit kann (erst mal ) auf höherem Niveau weiter gehen.

So hart mich Krisen in Projekten auch treffen: gerade die Einschränkung meiner Freiheit verwandelt sich in das stärkste Motiv meiner Kreativität.:)

Und noch etwas: Mein Fundus ureigener Lieder umfasst etwa 80 Songs. Darunter allerdings kaum ein Lied, welches ich mir nicht in einem Programm des einen oder anderen Partners vorstellen könnte. Also auch unter optimalen Bedingungen weiche ich kaum von meinem eigenen Stil und meinen Grundaussagen ab.

Und zu meinem Stil gehören eben ANSCHAULICHE Bilder.

Damit meine ich jetzt nicht in erster Linie Sprachbilder wie Metaphern oder Allegorien.

Nein, ich verwandle meine Idee in einen Film und mache dann am liebsten eine Momentaufnahme; lese am liebsten aus einem Standbild ab, wie es zu diesem Filmausschnitt kam und wie er weitergehen könnte.

dabei weiß ich anfangs eigentlich nie, welche Aussage am Schluss stehen wird. Ich bin eine multiple Person. Weiß vorher nie definitiv, ob der Staatsanwalt oder der Verteidiger den Prozess gewinnt :D Ich interessiere mich für das Plädoyers, nicht für das Urteil.

Je größer mein Zeitfenster wird, um so schwerer fällt es mir, aus der Flut der Zeit diejenigen Bilder herauszufischen, die meine Gefühle am stimmigsten auszudrücken.

Aber wozu auch große Zeitfenster, lange Filme?

Ich kann ja alles, was mich bedrängt, in einem Standbild auftauchen lassen. So wie die großen Maler aller Epochen eine ganze Gesellschaft in einem Momentaufnahme fixieren konnten.

Die Bilder sind meine große Leidenschaft.

Perspektivwechsel passieren ab und zu, manchmal auch nur aus Versehen, interessieren mich aber nur, wenn sie die Anschaulichkeit beeinflussen ;)

Hm... lieber Willy...ich scheine wirklich geduldiger zu arbeiten. Obwohl...;)

Die meiste Zeit verbrauche ich zum finden einer idee und der zugehörigen Hookline. Ist das klar, brauche ich meistens nur 1-2 Stunden für den Text. Eingeschlossen Korrektur. Dann drücke ich auf Senden. Und wenn der Text angenommen wird, überarbeite ich ihn oft noch einmal entspannt:)

Und wie ist dein Workflow?
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Artist,

vielen Dank für die ausführliche und sehr interessante Darstellung deines Arbeitsethos'
Ich lese daraus, dass wir uns im Ansatz wohl nicht allzusehr unterscheiden, deine Professionalisierung beim Texten geradezu zwangsläufig zum zielgerichteteren und wahrscheinlich auch geduldigeren Arbeiten führen muss.

Es hilft also offensichtlich bei der Auftragserfüllung als auch bei der Stilbildung gewisse Grenzen zu erkennen, auszuloten und einzuhalten.
Ich erinnere mich oft gerne an den Tastenheld, der von mir forderte: "Kannst du nicht mal ein bisschen plakativer schreiben?"

Mein Fehler, denn ich gehe auch immer gerne davon aus, dass mir wohlgesonnene Zeitgenossen mit Vergnügen auf so manche Gedankenwanderung mit ungewissem Ausgang folgen würden.
Nein, da sind sie wie die Chinesen. So viele können gar nicht irren.

Deshalb und aus Ungeduld und Trotz kann ich dies folgende Zitat sehr gut nachvollziehen, weil ich das hinterher, wenn mir jemand meinen Text erklärt, genieße.

dabei weiß ich anfangs eigentlich nie, welche Aussage am Schluss stehen wird. Ich bin eine multiple Person. Weiß vorher nie definitiv, ob der Staatsanwalt oder der Verteidiger den Prozess gewinnt
(btw: wieso ist das "eigentlich" fett? Solche Fragen lassen mir auch keine Ruhe- anyway)

Du hast dich folglich darauf eingerichtet, es deinen Auftraggebern recht zu machen aber bitteschön auf deinen eigene Weise.

Deshalb also der Jongleur!
Aber Beuys? Butter und Filz? Der kreative Freigeist?

Wir unterscheiden uns hier, da ich den kommerziellen Aspekt (aufgrund dauernder Erfolglosigkeit) mehr und mehr aus den Augen verliere.
Im Grunde geht es um die Frage:
Wie erreiche ich möglichst viele Leute mit meinen Gedanken am besten. Wieviel Prostitution nehme ich dafür in Kauf.
oder:
Bin ich wirklich frei, wenn mich die Meinung der Anderen nicht mehr interessiert? Macht Freiheit einsam?

Natürlich würde ich meine Texte gerne weitergeben. Es sind so viele, die ich niemals mit meiner Band oder auch nur solo für eine Gitarre umsetzen könnte. Wenn sie ein Teil von mir sind, dann ist dieser in der Schublade wirklich einsam. Und nicht frei.

Deshalb haue ich sie auch gerne im Forum 'raus. Hier sind die Menschen so gut.
Wahrscheinlich würde ich sie, wie du, auch verkaufen. Auch wenn mich die dann notwendigen Metamorphosen
wohl schmerzen würden. Du beschreibst das sehr anschaulich!

Ich bilde mir- wie du jetzt unschwer erkennen kannst- ein, mit meinen Texten echt und authentisch zu sein.
Das alles, was ich an meinem und deinem und unser aller Leben nicht verstehe, will ich in den Fokus rücken.
Etwas anbieten- Nähe herstellen- Emotionen ausleben.
Da kann ich verständlicherweise oft nur abstrakt sein. Ich weiß zwar viel- aber nicht alles- harhar!

Umgang mit Fiktion fällt mir dabei meist schwer. Auch das Erzählen von Geschichten ist nicht meine Stärke.
Meine Phantasie reicht aus, um mich im Text als Hörigen Schwachkopf, als Bankerschwein oder als deprimierte Hausfrau und Mutter zu beschreiben.
Aber immer will ich dabei was zu sagen haben.
Was das ist, weiß ich vorher meist selbst nicht.

Mein "Workflow": Es ist oft ein Gedanke, der sich aus einem Zeitungsartikel, aus einem Zitat entwickelt.
Der Rest kommt einfach rausgerutscht, so wie bei einer 4. Geburt.
Ich war bei einer dabei- ich habs gesehen- man kann nichts dagegen tun. Es kommt einfach.
Ich habe ein Grundgerüst, eine Struktur an der ich mich orientiere. Die Hookline soll kurz und prägnant sein.

Ich korrigiere so gut wie nie etwas. Ich hasse es Silben auszuzählen, Synonyme und interessante Reimwörter zu suchen.
Ich versuche mich kurz zu fassen. Dann setze ich fehlende Kommas und Punkte.
Auch ich klicke dann auf "Senden" (nein, auf "Thema erstellen" und freue mich über jede Antwort wie ein Schneekönig.)

Ich texte selten auf eine schon existierende Komposition und lasse mir die Melodieführung sehr ungern vorschreiben.
Ich leide darunter, dass Rockmusik (die ich machen will) nicht unbedingt das richtige Vehikel für meine Texte ist.
Schlagzeuger sind nicht meine besten Freunde. Mich stört, dass die meisten Instrumentalisten die Texte für weitgehend unwichtig halten und eine eingehende Abstimmung zwischen Text und Musik anstrengend finden.

An meinen Texten stört mich bisweilen selbst, dass sie eine überwiegend negative Weltsicht zu transportieren scheinen.
Aber ich kann das nicht so comedymäßig, wie die Ärzte oder Culture Candela mit einem Witzchen verkleidet und mit dem Lachen, was einem angeblich im Halse stecken bleibt. Ich bin schon ein witziger Typ, so insgesamt und ich bin auch nicht depressiv aber schaff' es einfach nicht, so zu tun, als ob nichts wäre.

Das ich nebenher als Ghostwriter auch noch Nachrufe schreibe, die öffentlich bei Bestattungen vorgetragen werden, hat sicher nicht dazu beigetragen, eine rosarote Brille zu finden.
Ich kenne mittlerweile die Lebensläufe von so vielen Menschen.
Da fühle ich mich manchmal so klein und hoffe, das irgendetwas bleibt, was die Erinnerung belebt.

Fazit: Ich glaube, meine Texte sind ich und ich bin meine Texte.
Es ist schwer vorstellbar und ich hab's auch noch nie erlebt, dass jemand anders sie singen würde. (oder das wollen würde.)

Da du den Markt ja kennst: gibst du mir mit dieser Einschätzung recht?
So'n schneller Euro ist ja auch was Feines.:D

Man kann von deinem Werk keine Kostprobe lesen, oder?
Und was mich auch noch interessiert: Bist du aktuell nicht mehr selbst als Singer/Songwriter auf der Bühne zu sehen?

Vielen Dank für den netten und vertraulichen Plausch.
Was sind das nur für Typen, die dafür nicht die PN benutzen.
Na, immerhin ist es mein Thread.

Und nachdem der Text ja insgesamt gut angekommen ist, werde ich ihn auf der Priorisierungsliste zur Vertonung etwas weiter nach oben schieben.

Viele Grüße
willy
 
Hallo Willy,

Ups... was für ein riesiges Spektrum bietest Du denn hier an: Fettecken...Prostitution...Grabreden ...Freiheit...hinterhältige Drummer:great:

Ich habe Lust, zuerst mal was zu Kunst versus Pragmatismus zu schreiben

Wenn Musiker etwas nicht verstehen, fordern sie gewöhnlich mehr Volksnähe und berufen sich auf die üblichen personifizierten "Geschmacksbilder" - im wahrsten Doppelsinn!

Musiker denken irgendwie kürzer.;)

Aber liegen sie falsch?

willypanic schrieb:
Ich erinnere mich oft gerne an den Tastenheld, der von mir forderte: "Kannst du nicht mal ein bisschen plakativer schreiben?"

Unser aller Wikitionary übersetzt plakativ mit: sehr betont, auffällig, vordergründig in der Aussage und Plakat mit: Ein großes Blatt, mit einem Bild oder Foto mit Informationen.

Das liegt schon mal dicht bei meinem Anspruch.

willypanic schrieb:
Aber Beuys? Butter und Filz? Der kreative Freigeist?

Entscheide selbst... Also ich finde die Fettecke ausgesprochen plakativ!

Schließt vordergründig hintergründig aus?
Ist ein auffälliger Vordergrund nicht eine hervorragende Werbefläche für die eigene Hintergründigkeit?


willypanic schrieb:
Wieviel Prostitution nehme ich dafür in Kauf.

Verkaufe ich meine Liebe? Sex gegen Entgeld?
Ich glaub nicht.
Ich versuche nur, einige meiner flüchtigen Gefühlen zu fotografieren, um ihnen ein Denkmal zu setzen:D

Während der Arbeit träume ich, natürlich nur GANZ NEBENBEI, vom Jubel Tausender und dann kommt ein einzelner Musiker und sagt:
"Wow!!!!"
Und schon bin ich glücklich! Weil ich das natürlich schon vorher wusste:D

... ODER er sagt in seiner wichtigen Mission als Mensch, Künstler und Geschäftsmann:
"ooor nee"
Und schon bin ich unglücklich! Weil ich das natürlich schon vorher wusste:D
Scheiß Geschäft!

Aber Prostitution???

Ein Streichholzturm fällt in sich zusammen, wenn man daran rüttelt. Bevor ich wegen Anderen einen Text ändere - schreibe ich lieber einen neuen.

Denn das Gefühl, an dem man intensiv gearbeitet hat, verblasst sowieso nicht so schnell. - Meistens schwingt es noch im nächsten Text mit. Beim zweiten Aufguss allerdings nicht mehr so ambitioniert, hochtrabend, selbstgefällig...eher flüchtiger, leichter. :)
Und dann sagt der Musiker: "Wow!!!!"
Und schon bin ich wieder glücklich! Weil ich DAS natürlich schon vorher wusste:D
Ein herrliches Geschäft!

Bin ich wirklich frei, wenn mich die Meinung der Anderen nicht mehr interessiert?
Wenn MICH die Meinung der "Anderen" nicht mehr berühren sollte, bin ich entweder tot oder verrückt geworden. Dann bin ich wirklich frei :D

Aber meine Bilder suche, finde und manipuliere ich für MICH. Wenn sie anschließend die "Anderen" berühren - umso besser!

Ich liefere meine Partner wahrlich oft ne Menge Schrott. Aber wer garantiert mir, dass ich für MICH besser schreiben würde? Wer widerspricht mir dann, treibt mich zu mehr Prägnanz oder Hintersinn?

Umgang mit Fiktion fällt mir dabei meist schwer. Auch das Erzählen von Geschichten ist nicht meine Stärke.
Ich bilde mir...mit meinen Texten echt und authentisch zu sein.
... was ich an meinem und deinem und unser aller Leben nicht verstehe, will ich in den Fokus rücken.
Etwas anbieten- Nähe herstellen- Emotionen ausleben.
Da kann ich verständlicherweise oft nur abstrakt sein...
Hm... große Worte, gelassen ausgesprochen:gruebel:

Wo endet die Kunst und wo beginnt die gereimte Philosophie, Politik oder Psychologie?

Ich lese über Dich: Lieber nicht Fiktionen, Geschichten, lieber Abstraktionen...:gruebel:
Meine Gegenmeinung: Kunst will dem Publikum kein Spielzeug verkaufen, sondern nur seinen Spieltrieb wecken.

Kunst ist das Antidepressiva - Abstraktion die Beruhigungstablette.

Mag ja falsch sein. Hört sich aber wenigstens recht lustig an. Oder?:D

Ich leide darunter, dass Rockmusik (die ich machen will) nicht unbedingt das richtige Vehikel für meine Texte ist.
Verstehe ich. Besonders auch wegen deiner Vorliebe für das Abstrakte.

Was ist mit Jazz? Klassik? Chanson? Soll es ja gelegentlich Bedarf nach guten Texten geben.

Schlagzeuger sind nicht meine besten Freunde. Mich stört, dass die meisten Instrumentalisten die Texte für weitgehend unwichtig halten und eine eingehende Abstimmung zwischen Text und Musik anstrengend finden.
Kein Wunder. Schlagzeuger drücken sich entweder mit "Bum" oder mit "Tschack" aus. Das prägt ihre Textansprüche:D

Das ich nebenher als Ghostwriter auch noch Nachrufe schreibe, die öffentlich bei Bestattungen vorgetragen werden, hat sicher nicht dazu beigetragen, eine rosarote Brille zu finden.
Ich kenne mittlerweile die Lebensläufe von so vielen Menschen.
Ich bin schon ein witziger Typ, so insgesamt und ich bin auch nicht depressiv aber schaff' es einfach nicht, so zu tun, als ob nichts wäre.
Hm.. also ICH beneide Dich andererseits um diese Erfahrungen.

Zeigt sich nicht gerade bei Deinen Vorgespräche das Leben mit all seinen Paradoxien: Lüge und Wahrheit, Trauer und Gleichgültigkeit, großer Anspruch und klägliches Ende, Aufstieg und Fall, Sinn und Unsinn?
Ist das nicht das ENDE - bei ruhiger Betrachtung - IMMER tragisch und komisch zugleich?

Warum versuchst Du Dich nicht mal an Geschichten wie "Eleanor Rigby " oder "Baby in black"?
Rede Dir nicht ein, dass Du keine entsprechenden Geschichten schreiben kannst.
Du mußt sie ja nicht mal erfinden!

Man kann von deinem Werk keine Kostprobe lesen, oder?
Doch.
Aber nicht vom Jongleur geschrieben.

Der kann sehr gut mit google umgehen und weiß, wie leicht man Anonymität beenden kann. Und dann müsste der Jongleur HIER in eine andere Rolle schlüpfen. In eine mit Ärmelschonern , fürchte ich;)

Fazit: Ich glaube, meine Texte sind ich und ich bin meine Texte.
Es ist schwer vorstellbar und ich hab's auch noch nie erlebt, dass jemand anders sie singen würde. (oder das wollen würde.)

Da du den Markt ja kennst: gibst du mir mit dieser Einschätzung recht?
Durchaus nicht!
Der Profimarkt besorgt es sich selber.
Aber der Markt von morgen, die Offszene, ist ein Nimmersatt.
Manche verlassen für diese Chance glatt die Provinz!

lg

PS:
Jongleur schrieb:
dabei weiß ich anfangs eigentlich nie, welche Aussage am Schluss stehen wird.
willypanic schrieb:
btw: wieso ist das "eigentlich" fett?

Eigentlich fange ich nicht an, bevor ich einen guten Schluss habe. Aber DER kann sich noch zigfach ändern.


 
Zuletzt bearbeitet:
Hi jongleur,
vielen Dank für die aufschlussreiche und unterhaltsame Darstellung deiner Ein- und Ansichten.
" Wie man auch als Songtexter überlebt"
Bitte verzeih' den Prostitutionsvergleich.
Es ging mir dabei eher um den Wortstamm.
Da das Einfühlen also offensichtlich durchaus seine Grenzen hat, muss ich zumindest hier nochmal einhaken.

Zeigt sich nicht gerade bei Deinen Vorgespräche das Leben mit all seinen Paradoxien: Lüge und Wahrheit, Trauer und Gleichgültigkeit, großer Anspruch und klägliches Ende, Aufstieg und Fall, Sinn und Unsinn?
Ist das nicht das ENDE - bei ruhiger Betrachtung - IMMER tragisch und komisch zugleich?

Auch bei noch so ruhiger oder abgeklärter Betrachtung ist das Ende manchmal ersehnt aber beinahe immer tragisch.
Weil es manchmal von Fremdbetrug aber meist von Selbstbetrug geprägt ist.
Vordergründig waren sie alle immer so herzensgut, so hilfsbereit und so kinderlieb, so fleißig und verantwortungsvoll.
Hintergründig finden sich die Abgründe. Werbeflächen - plakatiert oder plakativ - sind meine Sache nicht.
Ich weigere mich schon leider zu oft, mir meine eigene Dummheit und mein Phlegma vor Augen zu führen.

Mag der Ansatz also auch verschieden sein- das Texten hilft uns, uns besser zu fühlen.

Also freue ich mich, ob unwissend oder wissentlich noch mehr aus deiner Feder zu lesen bzw. zu hören.
Grüße
willy

PS.:
Eigentlich fange ich nicht an, bevor ich einen guten Schluss habe. Aber DER kann sich noch zigfach ändern.

"Im Grunde" habe ich den Nutzen von "eigentlich" immer noch nicht verstanden.
 
Der Nutzen des Wortes "eigentlich" (wie ähnlicher Worte) liegt für mich in der Distanz zum Gesagten und ist eigentlich eine Aufforderung, hinter das eigentlich zu schauen, um das Eigentliche zu sehen.

Im Grunde etwas ähnliches wie die Konstruktion des >Lyrischen Ich< in songtexten.

Eigentlich fange ich nicht an, bevor ich einen guten Schluss habe. Aber DER kann sich noch zigfach ändern.

Gut dass der SCHLUSS nicht das ENDE ist ...

* interessante Diskussion, die Ihr da führt ... *

** überhaupt interessante diskussionen, die sich in letzter zeit ausgelöst durch songtexte und dem jongleur mit ihnen und anderen beteiligten am werfen und fangen entspinnen ... *

x-Riff
 
Gut dass der SCHLUSS nicht das ENDE ist ...

Sehr schön :great:

Bringt mich auf:

Gut, wenn der Schluss nicht das Ende ist

------------------------------------------------

Eigentlich habe ich früher immer gegen "eigentlich" gewettert: "kannste Dich nicht entscheiden?!"

Heute sagt mir "eigentlich", dass mehrere Aspekte ne Rolle spielen und einer soll ohne viel Getöns hervorgehoben werden.

Naja und wenn ich es fett schreibe, dann weil ich "eigentlich" nicht so oft benutze wie die meisten.

Wahrscheinlich habe ich Angst, dass mein ach so kostbares "eigentlich" unbemerkt im fremden Unterbewußtsein verendet.:D

willypanic schrieb:
Auch bei noch so ruhiger oder abgeklärter Betrachtung ist das Ende manchmal ersehnt aber beinahe immer tragisch.
Weil es manchmal von Fremdbetrug aber meist von Selbstbetrug geprägt ist.
Vordergründig waren sie alle immer so herzensgut, so hilfsbereit und so kinderlieb, so fleißig und verantwortungsvoll.

Aber DAS meine ich doch!


willypanic schrieb:
Mag der Ansatz also auch verschieden sein- das Texten hilft uns, uns besser zu fühlen.

...und die Angst vorm Tod zu überwinden. Schreiben verstärkt die Illusion, unsterblich zu sein.

Schade, dass Du Dich zu diesem Thema recht einsilbig geäußerst hast.
 

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