Zu Besuch bei Gustav Mollenhauer & Söhne KG in Kassel

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Gustav Mollenhauer von CHRISP music auf Flickr



1864 wurde die Firma Gustav Mollenhauer & Söhne, Cassel gegründet.
Sie ist Herstellerin und Verkäuferin von Holzblasinstrumenten jeder Art (insbesondere Fagott, Kontrafagott, Englisch Horn, Oboe und Klarinette) und zugleich Reparaturwerkstatt für sämtliche Holz- und Blasinstrumente.
Nachdem die Firma im zweiten Weltkrieg - damals noch in der Wilhelmshöher Allee ansässig - völlig zerstört worden war, wurde sie von Hans Mollenhauer wieder aufgebaut und geführt. Seit der Übernahme durch Karl Schaub im Jahr 1952 ist die Firma nun seit drei Generationen in Besitz der Familie Schaub. Wer mehr über die Firma selbst und deren Geschichte erfahren möchte, kann auch auf der Homepage des Unternehmens und in diesem Bericht auf "instrumenten-scout.de" nachlesen.
Kurz vor dem 150jährigen Jubiläum des Familienbetriebes, der zurzeit etwa 15 Mitarbeiter beschäftigt, erhielt ich die Gelegenheit, in der Werkstatt Einblicke in die Fertigung zu erlangen.
Die Firma liegt etwa 15 Minuten Fußweg von Kassels wichtigstem Bahnhof Wilhelmshöhe entfernt in der Kohlenstraße und ist somit gut zu erreichen.
Dieser wird wohl einigen Leuten vor allem seit der Ernennung des Kasseler Bergparks zum UNESCO-Weltkulturerbe in diesem Sommer ein Begriff sein; aber auch vielen dOCUMENTA-Besuchern, die alle fünf Jahre mit dem IC anreisen.

Nach einigen anfänglichen Problemen bei der Terminabsprache per Telefon mit dem Sekretariat wurde ich an einem verregneten Freitagmorgen durch den Junior-Chef, Herrn Tino Schaub in Kassel begrüßt. Nach einem kurzen Gang durch die Werkstatt gestattete er mir freundlich, von sämtlichen Bereichen einschließlich versteckter Winkel Fotos zu machen und bei Bedarf jederzeit Fragen an ihn oder seine Mitarbeiter zu stellen Jeder erzählte mir bereitwillig von sich aus, welche Arbeitsschritte er gerade an dem jeweiligen Instrument vornahm und zu welchem Zweck.


Museumsstück von CHRISP music auf Flickr
Ein Kontrafagott, das aus den Anfangszeiten des Unternehmens stammt.

Kaum vorstellbar, dass in dem kleinen Gebäude, bestehend aus Sekretariat, Raum zum Testen der Instrumente, Büros und Werkstatt, der Weltmarktführer des Englisch-Horns beheimatet ist. Doch Senior-Chef Gerhard Schaub ist überzeugt, diesen Titel zu Recht zu führen: "Ob bei der Berliner Staatsoper Berlin bzw. dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, bei der BBC oder in Frankreich- überall werden unsere Instrumente gespielt."


Werkstatt von CHRISP music auf Flickr
Die kleine "Kunstwerkstätte" für Blasinstrumente in Kassel.


Englischhorn von CHRISP music auf Flickr .....................Englischhorn von CHRISP music auf Flickr
Ein Englisch-Horn des vermeintlichen Weltmarktführers, das kurz vor der Auslieferung steht.

Da alle Instrumente in Handarbeit gefertigt werden, wird die Herstellung jeweils zeitweise auf einzelne Instrumentengruppen beschränkt. Nach vorläufigem Abschluss der Flötenproduktion werden jetzt Kontrafagotte produziert, weshalb sich der weitere Teil dieser Mini-Reportage hauptsächlich auf den Bau letztgenannter Instrumente richten wird.


Walzen von CHRISP music auf Flickr
Diese sogenannten "Walzen" sind am Instrument gut zu erkennen.


Querflöte von CHRISP music auf Flickr
Gerade vorerst abgeschlossen: die Querflötenproduktion.

Es folgt nun ein kleiner Einblick in den Herstellungsprozess des tiefsten Vertreters der Holzblasinstrumente im Orchester:

Vom Holzklotz zum fertigen Instrument:


Mindestens zehn Jahre wird das Holz vor der Weiterverarbeitung gelagert.


Holz von CHRISP music auf Flickr
Aus diesen Holzklötzen entstehen später die Instrumente.

Manchmal werden Fehler des Holzes erst nach mehreren Arbeitsschritten entdeckt, die sich damit als vergeblich herausstellen. Gerade für Kleinbetriebe bildet die Ungewissheit über die Qualität des Holzes immer ein Risiko.


Holzrohre von CHRISP music auf Flickr
Nach diversen Arbeitsschritten kann man bereits die spätere Form erahnen.


vorher, nachher von CHRISP music auf Flickr
Vorher, nachher: Bauteile eines Kontrafagotts.


Metall von CHRISP music auf Flickr
Passend zu den "Röhren" aus Holz gibt es "Röhren" aus Metall.

Sämtliche Bauteile der Instrumente werden in dem Unternehmen in Kassel hergestellt, eine Ausnahme bilden lediglich die Klappen.
Diese werden in der eigenen Produktionsstätte von Hand angelötet.


Lötstelle von CHRISP music auf Flickr
Nicht aus der Bronzezeit, sondern Lötstelle für Instrumentenklappen und ähnliches.

In stundenlanger Arbeit wird ein jedes Bogenstück wie das Folgende gefertigt:


Arbeitsschritte von CHRISP music auf Flickr
Aus dem Holzklotz entstehen zwei halb offene Rohre, die zusammengeleimt und anschließend - wie alle anderen Bauteile - mehrfach gebeizt, lackiert von Hand geschliffen, poliert und mit Leinöl behandelt werden.


Bogenstück von CHRISP music auf Flickr
Das Bogenstück am fast fertigen Instrument.

In der gesamten Werkstatt finden sich keine Großindustriemaschinen.
Daurch entsteht jedes Instrument als Einzelstück. Gleichzeitig müssen die Löcher, Klappen usw. millimetergenau an der gleichen Stelle sitzen wie sonst auch.
Um dies zu erreichen, wird eine sogenannte Kopierbank verwendet.
Die Arbeitstechnik mit dieser Maschine soll anhand der folgenden Bilder erläutert werden.


Kopierbank von CHRISP music auf Flickr
Die Kopierbank


Kopierbank von CHRISP music auf Flickr
Auf einer Seite (links bzw. vorne) kann das Modell, auf der anderen das neue, ungebohrte Instrument (rechts bzw. hinten) eingespannt werden.


Bohrer von CHRISP music auf Flickr
Für alle Instrumente gibt es individuelle Bohrer, die ebenfalls handgefertigt sind.


bei der Arbeit von CHRISP music auf Flickr

Wenn der Instrumentenbauer das Modell entsprechend verschiebt, wird das unbearbeitete Werkstück exakt gleich mit verschoben. Somit werden Bohrungen immer an den gleichen Stellen vorgenommen.
Voraussetzung ist natürlich, dass die Bezugspunkte auf beiden "Rohren" übereinstimmen.


in Funktion von CHRISP music auf Flickr
Rechts das Modell, links das zu bearbeitende Instrument.


Modelle von CHRISP music auf Flickr
Hintergrund: Modelle für andere Instrumente, z.B. Oboe d'amore.

Nach dem Zusammensetzen der Einzelteile, Ansetzen aller Klappen, Bleche und weiteren Bauteile, die nach Nummern sortiert in einigen Schränken der Werkstatt lagern, folgt noch die Intonation und Spielprobe (als ich da war, vom Junior-Chef persönlich).
Gegebenenfalls wird z.B. ein Instrument noch einmal innen nachgeschliffen oder ähnliches.

Zusätzlich geht man bei jedem Instrument auf die individuellen Kundenwünsche ein.
"Wenn man 15 Musiker fragt, erhält man 15 verschiedene Antworten", erzählte ein Mitarbeiter. "Manche wollen, dass die Klappe beim Spielen gegendrückt, andere möchten die Klappe fast nicht spüren. Aber bis jetzt haben wir alles irgendwie hingekriegt."

Nach Abschluss aller Arbeitsschritte werden die Instrumente in die ganze Welt geliefert.
Das folgende abgebildete, fast fertige Kontrafagott beispielsweise wurde von dem Mariinsky Theatre Symphony Orchestra, einem der ältesten russischen Orchester bestellt:


Kontrafagott von CHRISP music auf Flickr
Ein Kontrafagott vor seiner Reise nach St. Petersburg.


Made in Germany von CHRISP music auf Flickr
Auch in Russland setzt man auf "MADE IN GERMANY"

Weit über 300 Arbeitsstunden, jede Menge Fachwissen und Liebe zum Detail stecken in einem solchen Kontrafagott.

Für mich als Gitarrist, Pianist und Keyboarder war der Besuch in der Holzblasinstrumenten-Werkstatt auf jeden Fall eine lohnende Bereicherung. Ich hoffe, auch die Leser dieses Berichts können das anhand meiner Fotos und Beschreibungen nachempfinden.

Fragen sind herzlich willkommen.


PS.:
Auf Wunsch könnte ich eine kleine Audioprobe mit einem Englischhorn von Mollenhauer einstellen, da in der Verwandtschaft gerade jemand ein Instrument von der ansässigen Musikschule geliehen hat.
Allerdings habe ich leider kein professionelles Mikrofon zur Hand.
 
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Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
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Danke für den schönen Bericht :great: Super spannend finde ich, dass immer 1 Instrumententyp "auf Halde" produziert wird und dann der nächste :eek:

Die Handarbeit & der Präzisionsanspruch scheinen dann ja die Preise zu rechtfertigen...
 
Bitte! ;)

Die Beschränkung auf einzelne Typen ist wohl ökonomischer als verschiedene Sachen gleichzeitig anzufangen...
Übrigens schaffen die Mitarbeiter etwa zwei Kontrafagotte im Monat.
 
Noch eine kleine Anmerkung:

Gemeint sind am Anfang nicht die Berliner Symphoniker sondern die Staatsoper Berlin bzw. das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin.

Die Ergänzung kam heute von der Firma Mollenhauer per Mail, nachdem ich ihr den Link zu dem Bericht hier im Forum gegeben hatte.

MOD EDIT: Staatsoper Berlin bzw. Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin wurde in den Artikel eingefügt, Berliner Symphoniker entfernt.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Danke für den Bericht. Wie kamst du dazu? Ich wohne auch in Kassel, bin aber wie du Gitarrist und wäre nicht auf die Idee gekommen anzufragen ob man besichtigen kann.
 
Auf die Idee kam ich im Rahmen der Aktion MB-Reporter vor Ort?, bei der dafür geworben wird, Hersteller und Betriebe aus der Region zu besuchen und Berichte für die Titelseite und natürlich das Forum selbst zu verfassen.
Spontan schlug ich dann aus meiner Region das Spohr-Museum, die Firma Mollenhauer, den Bärenreiter-Verlag und ein Orgelbauunternehmen vor.
Letztendlich bekam ich dann für Mollenhauer grünes Licht.
Mollenhauer ist mir vor allem ein Begriff, da ich ich einige Holz- und Blechbläser kenne.

 
Sehr interessanter Bericht! :great: Bin Gitarrist und habe nun schon einiges von PRS, Framus & Co. mitbekommen, aber in ein Blasinstrumente-Werk hatte ich noch nie Einblick.
 
Ja, danke für diesen schönen Bericht. Instrumentenfertigung ist halt doch in sehr vielen Teilen Handarbeit wie ich hier mal wieder sehe. Aber das fertige Kontrafagott sieht wunderschön aus!
 
Toller Bericht. Auch für Fachfremde schön zu lesen und ebenso schön zu Wissen, mit wie viel Liebe und Hingebung an solchen Instrumenten gearbeitet wird. :great:
 
Vielen Dank für die Rückmeldungen!
 

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