Vintage VE2000GG Gordon Giltrap Signature Model

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Ich komme langsam in das Alter, in dem die leisen Töne wichtiger und die lauten Töne zu laut werden.
Habe ich in meiner Jugend gern eine 12-String mit einem fetten Plektrum malträtiert, zupfe ich jetzt doch lieber auf der halben Saitenzahl.
War eine strahlende Fichtendecke das non-plus-ultra, so begeistern mich jetzt mehr die wärmeren Klänge einer Zeder-, Koa- oder Mahagoni-Decke. Eine breitschultrige Dread ist kernig, aber auf dem Sofa macht eine schmalere Taille eine bessere Figur.
Man wird halt älter....

Dumm nur, daß die ewige Jugend bei den Gitarreros wohl Programm ist und ein Beuteschema "OM mit schmaler Taille und Zederndecke" selbst bei so großen Anbietern wie Thomann mit "pas de pointes" - "zero points" - "null Punkte" beantwortet wird.

Aber das heisst nicht, dass es sowas nicht gibt. Es gibt zum Beispiel die Tanglewood TW45 - wenn man sie denn irgendwo findet...

Bei John Hornby Skewes "Vintage" Gitarrenmarke gibt es ebenfalls etwas, was in mein Beuteschema passt - und dieses Etwas ist seit geraumer Zeit ziemlich hoch auf meiner "Haben Will" Liste...

Im Jahre 2010 habe ich auf der London Guitar Show eine hervorragende Gitarre anspielen können, die Vintage VE2000GG Gordon Giltrap Signature und seither geht mir diese Gitarre nicht wirklich aus dem Kopf. Leider ist die VE2000GG so speziell, daß sich kaum ein Händler für dieses Modell erwärmen kann. Keiner der umliegenden Musikalienhändler hat einen Vorführer und wenn man die Händler auf diese Gitarre anspricht, dann kann/muss man die unbesehen kaufen. Der Hinweis des im Internet gängigen Rückgaberchtes wird mit "dann kauf' doch im Internet!" abgeschmettert. Was soll man da sagen?

Jedenfalls war ich mal wieder ein bisschen auf der kleinen grünen Insel unterwegs und in einem kleinen Städtchen in einem kleinen Gitarrenladen habe ich - das erste Mal seit 2010 - wieder eine VE2000GG gesehen und natürlich gleich mal angetestet...

Die VE2000GG ist einer Armstrong-Gitarre nachempfunden, die Rob Armstrong in den 1980'ern für Gordon Giltrap gebaut hat. Optisch ist die VE2000GG etwas gewöhnungsbedürftig. Eine recht schmal erscheinende Schulter, eine sehr enge Taille und ein - mit verlaub - fetter Ar... ergeben eine auf den ersten Blick recht unproportionierte Gitarre, aber erstaunlicherweise sind die Proportionen recht ergonomisch. Ich gehe so weit zu behaupten, daß die VE2000GG die ergonomischte Gitarre ist, die ich bislang gespielt habe und der ausschlaggebende Grund ist die sehr schmale Taille. Wenn man dann mal nachmißt, dann wird die Schulter doch nicht so schmal, man kommt hier gut an OM-Territorium heran und der fette Ar... ist auch nicht fetter als bei einer beliebigen Jumbo oder Dread. es wirkt halt alles durch die schmale Taille etwas disproportioniert.

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Von der Ausstatung her ist die VE2000GG recht ansehnlich. Die Zedern-Decke ist von guter engjähriger Qualität und der Korpus ist aus relativ nichtssagendem Mahagoni-Laminat. Allerdings ist das Original der VE2000GG auch nicht "besser". Für die, die immer etwas mehr haben wollen gibt es auch die De-Luxe Variante mit Palisanderkorpus und für die, die den Cent mehrfach umdrehen bevor sie ihn ausgeben die austere Mahagoni-Version. Der Korpus ist mit einem einfachen Binding geschützt und um das Schalloch läuft eine doppelte Rosette aus Holz - wahrscheinlich Mahagoni. Die Rückseite hat eine schöne Mittelnahteinlage aus Holzparkettwerk. Ausserdem sind auch noch 12-Saitige Varianten im Angebot:

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Allen gemein ist ein fünfteiliger Hals - der Halsfuß ist gestapelt - aus Mahagoni. Am Kopfplattenansatz findet sich eine fette Volute, denn Rob Armstrong hat die Halseinstellschraube an die Kopfplatte gelegt. Der Hals ist rund/flach - ein flacheres D-Profil - und das Griffbrett ist Palisander. Obwohl der Hals eher in den dickeren Bereich geht, spielt er sich sehr angenehm und die Hand schmiegt sich wie von selbst um den Hals. Gekrönt wird der Hals mit der für Armstrong typischen langen Kopfplatte auf der Grover 102 Mechaniken montiert sind. Der Steg ist ebenfalls aus Palisander und enthält eine kompensierte Einlage aus NuBone - einem synthetischen Werkstoff.

Mit 642mm liegt die Mensur irgendwo zwischen den gängigen "langen" Mensuren mit um die 650mm und den "kurzen" Mensuren mit um die 630mm. Man könnte auch sagen: Man macht es allen wohl und keinem wehe.

Die Elektronik kommt von Fishmann und es ist ein Presys blend verbaut. Man kann also on board den Klang des Untersteg-Piezos mit dem Klang des eingebauten Mikrofons anfetten. Mehr als anfetten geht nicht, denn das Mikro überträgt Korpusgeräusche sehr stark und verstärkt die Feedback-Empfindlichkeit. Bis 25% Mikro-Anteil sorgen aber für schön akustischen Klang ohne zu viel störende Korpusgeräusche oder zu hohe Feedback-Empfindlichkeit.

Die VE2000GG ist "Made in China" und leider merkt man das auch. Die allgemeine Verarbeitungsqualität ist gut, der matte Lack dünn und gleichmäßig aufgetragen und es sind keine störenden offensichtlichen Fehler vorhanden, aber die VE2000GG hat - wie beinahe alle China-Gitarren - einen zu flachen Halswinkel und das Grundsetup ist sehr Laden- und Transport freundlich. Soll heissen grenzwertig hohe Saitenlage auch und vor allem durch einen ausgeprägt rund eingestellten Hals. Auch ist der Sattel nicht tief genug geschnitten und somit die Saitenlage in den Positionen I-V verbesserungsfähig. Natürlich erspart das Setup-Kosten und im Laden kann man auch die Gitarre einfach zum anspielen hinhängen - aber natürlich braucht die VE2000GG ein gutes, professionelles Setup, bevor sie ihre Vorzüge ausspielen kann. Die Bünde sind für eine akustische Gitarre relativ fett, keine E-Gitarren Jumbos, aber subjektiv fetter als "normale" Martin-Bundierungen. Die Bundierung an und für sich ist gut, nicht so gut, wie Yamaha es macht, aber doch von einer mehr als hinreichend guten Qualität.

Die VE2000GG ist keine Bling-Bling Gitarre, sondern ein solide gebautes ergonomisches Arbeitsgerät und der Schwerpunkt liegt demnach bei der guten Verarbeitung, der guten Ergonomie und - ...

... und dem Klang. Denn klanglich ist die VED2000GG in einer Kategorie, die man ihr gemessen am bürgerlichen Preis nicht zutrauen würde. Die Zederndecke mit den ungewöhnlichen Proportionen sorgt für ein sehr dynamisches Klanbild. Die Gordon Giltrap Signature spricht sehr schnell an, klingt auch bei leisem Spiel voll und rund ohne dabei die Dynamik aufzugeben, denn auch, wenn man "ordentlich reinlangt" bleibt die VE2000GG sehr lange zivilisiert und wenn man dann tatsächlich mit Gewalt die Grenzen der Dynamik gefunden hat, dann hat man in der Regel auch die Grenzen der erträglichen Lautstärke überschritten. Die VE2000GG klingt sehr balanciert, sehr gleichmäßig über alle Saiten hinweg. Klangformung macht hier richtig Spass, denn es drücken sich weder die Bässe noch die Höhen prägnant in den Vordergrund - ausser man will es so. Kleine Variationen in der Anschlagtechnik spiegeln sich sofort in einem großem Klangspektrum wieder und von zärtlich/süss über fett und bluesig bis hin zu perlend und klar ist hier alles drin. Es ist eine typische Fingerstyle-Gitarre, aber anders als viele Fingerstyler kommt sie auch mit Strumming klar. Strumming in der Grundposition könnte - vor allem wenn die Dynamik voll genutzt wird - die einzelnen Saiten klarer trennen, aber wenn man im Barée oberhalb des III oder V Bundes spielt, bleibt die Durchsichtigkeit erhalten. Ich befürchte mal, dass der EXP-11 Saitensatz den der Händler hier aufgezogen hat im Bassbereich nicht mit der VE2000GG harmoniert, denn diese Unartigkeit wäre mir durchaus im Gedächtnis geblieben wenn ich das 2010 in Lodon ebenfalls bemerkt hätte. Ab Werk sind es übrigens nicht die EXP-11 sondern die von mir hoch geschätzten EXP-16...

Das ganze Paket - Gitarre und der passende Kinsman-Koffer - kommt um die 450 Euro und ist jeden der Euros Wert. Als die VE2000GG vorgestellt wurde, hatte die Fachpresse nur Gutes zu berichten und einige Rezensenten der Fachpresse waren von den Gitarren so angetan, daß sie die Teststücke privat erworben haben. Auch ich konnte nicht widerstehen und habe nach dem Anspielen der VE2000GG die Kreditkarte gezückt. Ganz klar, die VE2000GG bekommt von mir den "Daumen hoch" für die wohl beste fingerstylige Gitarre unter €500.

Leider ist John Hornby Skewes' Vintage keine in Deutschland sehr präsente Marke. Auf den britischen Inseln ist Vintage sehr beliebt - vor allem bei den "arbeitenden" Musikern - aber diese Schicht ist in Deutschland unter Anderem aufgrund der restriktiveren Gebührenpolitik der GEMA wohl sehr stark dezimiert worden.

Edith meint, ich sollte noch sagen, dass die VG2000GG eine Gitarre ist, die mich dazu inspiriert zu spielen und auch Musik zu schreiben. Ich habe ja - wie Ihr wisst - eine ganze Latte an Gitarren, aber die Vintage VG2000GG hat sich in wenigen Tagen zum "Liebling des Monats" und noch darueber hinaus entwickelt. Zur Zeit ist sie auf Platz 7 von 26, sozusagen am Preis gemessen der hoechste Neueinsteiger. Natuerlich wird sie im Klang und der Bespielbarkeit nie die Klasse der Binh Custom Gitarren oder auch der Martin D35 erreichen, aber das sind Gitarren, die preislich und auch vom Anspruch her in einer ganz anderen Liga spielen. Die Vintage ist keine Sonntags- oder Studio-Gitarre, das ist ein ersetzbares Arbeitstier. 450 Euro sind bei mir durchaus im Bereich dessen, was ich fuer eine Arbeitsgitarre ausgeben wuerde und hier schlaegt sie von der Klangformbarkeit alles, was auch nur halbwegs in der selben Preisklasse liegt. Sowas von formbar und responsiv kenne ich nur von den Zeder-Binh 814 oder der papierduennen OM35/45. Und diese Gitarren waren drei mal so teuer. Einwandfrei Daumen hoch. Es gibt in meinem Stall in der Preisklasse nichts vergleichbares. Das ist die beste Gitarre unter 1000 Euro. Punkt.
 
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Sehr schön, vielen Dank. Evtl. fahre ich in diesem Jahr wieder auf die (große) Insel, ich bin gespannt. Du hattest ja auch die 12string schon mehrmals empfohlen.
 

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