Alles kommt aus China - kann man's wenigstens pimpen?

[WillyWildwuchs]

Tagchen Musiker-Board,

nach einiger Recherche ist mir aufgefallen, dass die gaengigen Mikros im guenstigen Preisbereich im Endeffekt fast ausnahmslos aus dem selben Fabrikkomplex in Ningbo, China stammen (SoundKing / Ningbo Tongxin Electronic Factory) . Egal ob jetzt Studio Projects, T.Bone, Justin oder sogar AKG. Dieser Fabrikkomplex scheint generell die komplette Palette an guenstigem Audio-Equipment zu produzieren. Vom AKG Kopfhoerer, ueber Mischpulte bis hin zur PA-Anlage.

Das sind fuer die meisten hier wahrscheinlich keine Neuigkeiten und auch mir war natuerlich klar, dass die Dinger aus Fernost kommen. Steht ja auch drauf. Aber dass quasi ein einziges Unternehmen ein komplettes Preissegment beherrscht, war mir dann doch neu und meine Recherchen haben diese Tatsache fuer mich greifbar gemacht.

Da wundert es mich nicht mehr, dass praktisch jedes guenstige Großmembran-Mikrofon diese typischen und bekannten "China-Hoehen" hat, wenn unabhaengig von Gehaeuse, ggf. konstruktionsbedingt anderer Elektronik und Labels ueberall die gleichen Kapseln verbaut sind.

Das bringt mich zu folgenden Fragen:

1. Lohnt sich ein Kapseltausch bei einem Großmembran-Mikro?
1.1 Wenn ja, wer baut gute Kapseln und woher bezieht man diese am besten? (gerne Erfahrungsberichte
1.2 Wenn nein, was spricht konkret dagegen?
2. Gibt es guenstige Alternativen zur China-Produktion? (z.B. Osteuropaeische Hersteller)
3. Wo wird das "Neumann TLM 102" produziert bzw. wo kommen die Teile her?

Danke schon mal fuer's Lesen

Willy

 

[Basselch]

Hallo,

ob sich eine Modifikation lohnt, das dürfte unter anderem auch davon abhängen, wieviel Du gewillt wärest in ein vorhandenes low-budget-Mikrofon zu investieren. Es gibt durchaus Angebote.

Ein Rode NT1a kannst Du bei Michael Joly (über dem großen Teich) mit neuer Kapsel und neuem Grill versehen lassen, derzeit so um die 200 €, da käme wahrscheinlich noch Versand etc. dazu. Er macht auch Oktava-Modifikationen.

Oktavas kann man auch anderweitig modifizieren - von den MK012 hier ein Erfahrungsbericht von 901: KLICK. Seinerzeit hat sogar Oktava selbst die Joly-Modifikationen auf Wunsch geliefert.
In Deutschland gibt es Modifikationen für Oktavas über das Rauschenberg-Studio: KLICK
Außerdem gibt es z. B. für das alte Oktava 319 do-it-yourself-Anleitungen im Netz, wobei die teilweise mit Vorsicht zu genießen sind. Man kann sich doch schnell beim Demontieren und Rumlöten das Mic ruinieren.

Die Frage ist immer, ob sich die Geldausgabe für eine Umrüstung oder ein Umrüstkit im Verhältnis lohnt.

Viele Grüße
Klaus

Ach so - noch nachgesetzt: Immer noch entscheidend ist natürlich auch die Qualität VOR dem Mikrofon - und auch die akustische Situation sollte man nie außer Acht lassen...

 

[sir stony]

Da denke ich auch, dass sich das in dem Bereich der Mikros eigentlich nie wirklich lohnt.
Dann lieber das Geld anstatt für ein China Mikro in ein ge- bzw verbrauchtes Mikro aus einer besseren Schmiede stecken, und das dann falls nötig komplett überholen (lassen). Das hat dann unterm Strich vermutlich nicht so viel mehr gekostet, ist aber dann eben ein insgesamt deutlich wertigeres Stück Technik.
Bei anderen Audiogeräten sieht es da zum Teil schon anders aus was den Kosten-Nutzen-Faktor einer Modifikation betrifft, aber da muss man oft im Bereich der Stromversorgungen ansetzen und da sollte man wirklich die Finger von lassen, wenn man nicht 101-prozentig weiß, was man da tut. Für die, die genügend Fachkenntnis haben, gibt es im Zweifel aber auch zahlreiche andere Informationsquellen im Netz zu denkbaren/empfehlenswerten Modifikationen solcher Geräte.

 

[WillyWildwuchs]

Hallo Klaus,

danke fuer deinen ausgesprochen informativen Beitrag. Insbesondere der Tipp mit Michael Joly ist fuer mich sehr interessant. Klanglich scheint sich das schon zu lohnen, wenn ich das anhand der Sound-Beispiele auf seiner Webseite beurteilen muesste. Besonders die NT1A Modifikation klingt bombig, aber selbst die MXL Mod hat mich direkt ueberzeugt. Ich hatte 3 Jahre lang ein NT1A im Gebrauch, kenne den Original-Charakter also schon. Ich empfand den hochfrequenten Bereich immer als "turbulent", genau wie bei den meisten anderen guenstigeren Mikros auch. Es war zwar durchaus ein gutes Mikrofon, aber wenn man ein U87 daneben stellt, dann muss man schon ehrlich zugeben, dass sich allein bei Aufloesung und Ausgewogenheit ganze Galaxien zwischen diesen beiden Mikrofonen auftun. Zumindest gilt das fuer mich.

Das betrifft nicht nur Vocals; besonders auch bei Percussion-Instrumenten finde ich den China-Boost sehr stoerend im Vergleich zu einem U87. Beim U87 klingt's, gute Mikrofonposition vorausgesetzt, direkt vernuenftig. Man muss vor allen Dingen oben rum nicht zaehmen.

Nun kann ich den Preis eines U87 aber unter keinen Umstaenden vor meiner Frau rechtfertigen, selbst wenn ich selbst dazu bereit waere ("FRAU, ICH HAB GAAAAAS!" zieht nicht) Die Michael Joly-Mods scheinen aber tatsaechlich die von mir erwartete Qualitaet zu einem Bruchteil des U87-Preises zu liefern und er bietet die Dinger sogar schon fertig zusammengebaut an. Dabei liegt er sogar noch deutlich unter dem Preis eines TLM-102. Das ist fuer mich schon fast ein No-Brainer.

Danke Klaus!

 

[901]

Es gibt dann ja auch noch Leute, die sich ihr Mikrofon selbst bauen. Oft hält dann ein billiges China-Mic als Teilelager her. Vor allem für Gehäuse und Korb. Manche nehmen auch die Kapsel, aber da liegt natürlich oft der Hase im Pfeffer. Das kann man dann aber nicht mehr "pimpen" nennen.

Kapseln gibt es einzeln z.B. auch hier:
http://www.pelusomicrophonelab.com/parts/Capsules.html
http://microphone-parts.com/capsules/
http://recordinghacks.com/capsules/

Über Mikrofon-Selberbauen findet man ziemlich viel auf GroupDIY:
http://groupdiy.com/index.php?board=29.0

 

[Astronautenkost]

Die besten Kapseln bekommst wohl bei Herrn Thiersch. Der überholt auch alte Schätzchen: http://www.thiersch-mic.de

Ich würde aber auch lieber mein Geld in ein komplettes älteres Qualtitätsmodell stecken, was ich mit meinem U 87 ai getan und nicht bereut habe

Anstatt jetzt billigen Krempel zu modden, würde ich mir, wenn es Dir nicht um das DIY-Prinzip geht, was Dir dann Spaß macht, raten, mal abseits der üblichen Pfade zu schauen. Das Neumann U 89 ist der kleiner Bruder des Usi und in der Bucht oft unter 1.000 Euronen zu haben. Ebenso günstig kann man an Variationen vom TLM 170/171 kommen. Das sind alles sehr gute Mikros.

Wenn Du bei den östlichen Kollegen von Neumann guckst, könntest Du mit einem Gefell/Neumann Ost UMT 70 bzw. Vorgänger oder dem MT 71er Niere oder seinen Vorgängern sehr glücklich werden

Das TLM 102 wird bei Neumann/Sennheiser bei Hannover gebaut. Die machen die Kapsel auch noch selbst. Ansonsten ist es schwierig geworden, bestimmte Teile nicht aus China zu beziehen, weil es zum Teil die Hersteller für Elektronikelemente in Deutschland gar nicht mehr gibt.

 

[mikroguenni]

2. Gibt es guenstige Alternativen zur China-Produktion? (z.B. Osteuropaeische Hersteller)
3. Wo wird das "Neumann TLM 102" produziert bzw. wo kommen die Teile her?

Danke schon mal fuer's Lesen

Willy

Moin,

es gibt auch Alternativen zu den China Krachern, z.B. das Sennheiser MK4 https://www.thomann.de/de/sennheiser_mk4.htm
In Deutschland entwickelt und auch dort gebaut, nämlich in der Wedemark.

Um die 2. Frage gleich zu beantworten, dort wird auch das TLM102 gebaut. Natürlich werden auch dort Teile verbaut, die aus dem Ausland oder Fernost kommen, wie die meisten Elektronik Componenten. Der Bestückungsautomat, der die Platinen bestückt und auch (mit sehr engen Toleranzen) prüft, steht ebenfalls in der Wedemark, im gleichen Werk bei Sennheiser. Die Kapsel wird bei Sennheiser gebaut, Sennheiser gibt das Kern-Know How nicht nach Fernost weiter.

Ich kann mir nicht vorstellen daß es sinnvoll ist, ein 200€ China Mikrofon mit einer anderen Kapsel - die meist auch aus China kommt - zu bestücken um daraus ein vernünftiges Mikrofon zu bauen, abgesehen davon daß das notwendige Meß-Equipment fehlt um das Ergebnis zu überprüfen.

Andererseits ist von den HiFi Bastlern bekannt, daß eine selbstgebaute Lautsprecherbox immer besser klingt als alles was auf dem Markt für noch so viel Geld erhältlich ist!

 

[Astronautenkost]

Andererseits ist von den HiFi Bastlern bekannt, daß eine selbstgebaute Lautsprecherbox immer besser klingt als alles was auf dem Markt für noch so viel Geld erhältlich ist!

Das ist so ein Phänomen

 

[WillyWildwuchs]

Mein Jahr 2014 ist hiermit offiziell komplett verplant.

Ich wuerde sagen, bei mir steht vor allen Dingen das Individuelle im Vordergrund. Ich moechte mal was ausprobieren, fernab von ueblicher Mittelklasse-Stangenware. Ein gebrauchtes Neumann ist zwar eine starke Option; ich wuerde wahrscheinlich auch mit einem TLM-102 gluecklich werden, ausgewogen klingt das allemal. Aber es ist weniger reizvoll.

Sich mit Hilfe von China-Mikrofon-Teilen in Verbindung mit qualitativen, ausgesuchten Austausch-Komponenten sein eigenes Mikrofon zusammenbauen, finde ich hingegen schon sehr spannend. Das waere mir schon 500 EUR wert (+ mindestens 1 billiges Probe-Exemplar zum Ueben).

Woher die Kapseln kommen, bzw. wo die ansonsten noch verbaut werden, kann man ja im Zweifel recherchieren. Ich finde schon, dass das, was Herr Joly z.B. gemacht hat, auf einem beeindruckenden Niveau ist. Ganz besonders in Relation zum Preis. Moeglich scheint sowas also durchaus zu sein.

Danke fuer die hilfreichen Links, 901 und die Informationen zur Produktion des TLM 102 & Sennheiser MK4, mikroguenni und artcore.

 

[mikroguenni]

Mein Jahr 2014 ist hiermit offiziell komplett verplant.

Ich wuerde sagen, bei mir steht vor allen Dingen das Individuelle im Vordergrund. Ich moechte mal was ausprobieren, fernab von ueblicher Mittelklasse-Stangenware. Ein gebrauchtes Neumann ist zwar eine starke Option; ich wuerde wahrscheinlich auch mit einem TLM-102 gluecklich werden, ausgewogen klingt das allemal. Aber es ist weniger reizvoll.
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Vor 40 Jahren habe ich auch so gedacht und vieles ausprobiert und vieles selber gebaut. Nachdem ich dann heraus hatte wie es geht, habe ich mir die amtlichen Sachen gekauft - als Entwickler konnte ich mir das leisten bzw. die Produkte so entwickeln wie ich es mir vorstellte.