Hallo Julian!
Zwar ist im Grunde schon alles erklärt worden, hier möchte ich allerdings nochmal zum Grundverständnis beitragen:
Laut dem, was du schreibst, gehst du davon aus, dass mit Einschalten des Power-Knopfes die Elkos (HF-Elkos? Meinst du Hochfrequenz? Die Frequenz beträgt dort nur 100Hz..) bereits geladen werden und dann mit Umlegen des Standby-Switches auf die Anoden gelegt werden. Das ist idR nicht der Fall.
Er meint wohl HV-Elkos, also "High Voltage" - was streng genommen auch falsch ist, weil die Betriebsspannungen in einem Musikeramp meist deutlich unter 1000V liegen - und somit die Anodenspannungs-Lade- und Siebelkos.
Mit Umlegen des Standby-Switches gibst du quasi die 230V Richtung Anodentrafo frei. Die bis dato ungeladenen Elkos stellen auf der Sekundärseite des Trafos für extrem kurze Zeit quasi einen Kurzschluss dar, weshalb man Softstartschaltungen verbaut. D.h., der Strom ist anfangs extrem hoch, die Spannung extrem klein. Nach den Krichhoffschen Gesetzen ist also die Spannung an den Anoden beim Einschaltzeitpunkt minimal und erreicht das Soll erst, wenn die Kondensatoren voll geladen sind (was allerdings je nach Kapazität in Sekundenbruchteilen der Fall ist). Demnach gibt es beim Einschalten der Anodenspannung kein Spannungsmaximum.
Du hast Recht, wenn man voraussetzt, dass vor dem Gleichrichter und den Elkos geschaltet wird, also keine Stromflanken auftreten können. Es gibt aber auch Konstrukte, wo der Schalter bescheuerterweise direkt am Ausgangsübertrager liegt und da KANN es beim Ausschalten zu Selbstinduktionsspannungen kommen, wenn die Endstufe nicht absolut symmetrisch ist.
In der Regel ist das aber zu vernachlässigen, weil man eine Endstufe nur sehr schwer SO unsymmetrisch bauen kann, dass das relevant wird. Dass eine Abschaltung direkt am AÜ bei Class A Eintakt zum Inferno führen würde, das erklärt sich damit auch von selbst
Ich komme eher aus dem HF Bereich und habe immer mit Switches auf der Primärseite gearbeitet, alleine deshalb, weil Schalter für eine Spannung jenseits der 500V teuer sind.
Ui, ein HF-ler

Wenn du HF schreibst, meinst du damit Senderbau? Weil da macht man das ja wirklich oft so, dass man praktisch zwei getrennte Netztrafos hat, also einen für die Heizung einen für die Anodenspannung, von denen zumindest die Anodenspannungswicklung meist definitiv die Bezeichnung "high voltage" verdient hat.
Dass man da nicht mehr sekundärseitig schaltet, das ist klar. Bei 1-2kV an der Wicklung wird das etwas kompliziert. Und DC schalten geht da schonmal überhaupt nicht wirklich. Das müsste man dann indirekt über IGBTs/MOS-FETs machen...
In der Tat scheint das bei NF Amps öfter anders geregelt zu sein. Der von mir beschriebene Ablauf wäre identisch für ein Schalter VOR der Siebkette (ob vor oder nach der Gleichrichtung ist im Grunde egal).
Bei NF Amps kann man sparen. Man kann Schalter verwenden, die für 500V zugelassen sind und braucht daher keinen zweiten Trafo. Oft verwenden die Hersteller sogar einfache 230V-Schalter, auch wenn sie dafür NICHT zugelassen sind...auf gut Deutsch: Bei den NF-Amps kann man pfuschen, im Senderbau macht man das nur einmal...
Und die Frage vor oder hinter der Gleichrichtung würde ich so beantworten: Grundsätzlich hast du Recht, aber mir ist aufgrund eventueller Ionen, wenn da doch mal ein Lichtbogen brennen sollte, die AC-Variante deutlich lieber. Außerdem kann man da besser beide Pole abschalten als auf der DC-Seite, wo das ja eher "unschön" wäre...
Sollte er aber hinter der Siebkette sitzen, liegt in der Tat die maximale Spannung direkt beim Umlegen des Switches an den Röhren. Ein Grund für eine Spannungsspitze in diesem Falle kann ich aber trotzdem nicht finden. Der Schalter würde in diesem Fall den Lastwiderstand von unendlich (offene Klemmen) auf einen niedrigeren Wert reduzieren, was mit einem Spannungsfall einhergeht.
Spannungsspitze: Der Ausgangsübertrager ist induktiv, hier hast du aber beim Einschalten keine Spannungsspitze. Aber eben beim Ausschalten könnte es im worst case eine geben, wie ich in diesem Thread schon mehrmals angemerkt habe.
MfG Stephan