Gehäuse für Gitarrenspeaker

Giusto
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Wie versprochen geht es jetzt nach dem Aufbau und den Eigenschaften von Lautsprechern an die praktische Auslegung.
Für den Gitarristen spielen eigentlich nur drei Gehäusetypen eine Rolle. Die offene Bauform, das geschlossene Gehäuse und Bassreflexgehäuse.
Ich nehme zwei Beispielspeaker her, den Eminence Wizard und den Jensen P12Q.
Das sind recht verschiedene Speaker.
http://www.eminence.com/pdf/wizard.pdf
http://www.tubeampdoctor.com/images/File/Specifications P12Q-8.pdf
Der Hauptunterschied liegt im Antrieb, der des Jensen ist wesentlich schwächer.
Ich benutze ein Simulationsprogramm namens Hornresponse, um den Schalldruckverlauf im Gehäuse zu simulieren. Das Programm wird nur mit den TSP gefüttert, kann also zu höheren Frequenzen keine Aussage treffen. Wundert euch daher nicht, dass die hohen Frequenzen in den Diagrammen fehlen. Die erzeugt der Lautsprecher nämlich durch Membranresonanzen, die das Programm ja nicht kennen kann.

Als erstes mal das offene Gehäuse. Dazu gehören auch die dritte- oder halboffenen Gehäuse.
Derartige Gehäuse arbeiten als Dipol. Das bedeutet, dass vorne und hinten gegenphasig abgestrahlt wird. Hat man vor der Membran einen Überdruck und hinter der Membran einen Unterdruck, können sich diese ausgleichen und man verliert mit sinkender Frequenz an Pegel. Das nennt man akustischen Kurzschluss. Es ist wie bei einem Lautsprecher, der ohne Gehäuse betrieben wird, da wird der Bass auch sehr leise. Das Gehäuse ist für den Schall eine Art Umweg den er nehmen muss, bevor sich Über- und Unterdruck der beiden Membranseiten ausgleichen können. Je länger dieser Umweg ist, desto weniger Pegel verliert man durch den akustischen Kurzschluss. Deswegen hat man bei einem großen offenen Gehäuse auch mehr Bass als bei einem kleinen, obwohl sich an der Resonanzfrequenz des Lautsprechers nichts ändert. Das größere Gehäuse verlängert nur den Umweg.
Nun will ich zeigen, was bei verschiedenen offenen Gehäusen passiert.

Das Gehäuse ist 40cm hoch, 40cm breit und 30cm tief. Die Rückseite ist offen
Ich nehme als erstes den Jensen her. links der Schalldruckverlauf, rechts der Verlauf der Impedanz.
J1-1ob spl.png J1-1ob imp.png

Hier der Eminence im gleichen Gehäuse
E1-1ob spl.png E1-1ob imp.png

Nun das gleiche Gehäuse, aber mit halboffener Rückwand Oben der Jensen, unten der Eminence.
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Nun nochmal das gleiche Spiel, dieses mal ist die Rückwand aber nur zu einem Viertel offen
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Nun was kann man da sehen?
Man sieht bei dem Schalldruckverlauf, dass der Jensen unten rum mehr Pegel liefert. er hat einen schwächeren Antrieb, die Resonanzfrequenz wird deshalb weniger bedämpft. Der Antrieb eines Lautsprechers ist nicht nur ein Motor, sondern auch ein Generator.
Man merke: fließt durch einen in einem Magnetfeld befindlichen Leiter ein Strom, erzeugt dieser auch ein Magnetfeld und bewegt sich dadurch. Bewegt man einen Leiter in einem Magnetfeld, wird eine Spannung induziert und wenn der Stromkreis (in diesem Fall über den Verstärker) geschlossen ist, fließt ein Strom. Das ist die Gegeninduktion, die fällt bei stärkeren Antrieben stärker aus. Im Impedanzverlauf manifestiert sich der starke Antrieb in einer größeren Spitze bei der Resonanzfrequenz. Durch die Gegeninduktion verliert man also an Energie. Je stärker der Antrieb, desto mehr Energie verliert man wieder durch die Gegeninduktion. Im offenen Gehäuse haben die beiden Lautsprecher kein eingeschlossenes Luftvolumen zu komprimieren, der starke Antrieb bringt hier dem Eminence bei tiefen Frequenzen also nichts, er wird durch die stärkere Gegeninduktion sogar zum Nachteil. Deswegen liefert der Lautsprecher mit dem stärkeren Antrieb im offenen Gehäuse bei seiner Resonanzfrequenz weniger Schalldruck.

Bei der Resonanzfrequenz des Lautsprechers sieht man keine großen Unterschiede zwischen den verschiedenen Gehäusen. Bei kleinerer Öffnung gewinnt man unten rum zwar ein wenig Pegel, aber das fällt nicht ins Gewicht. Interessanter ist das, was darüber passiert. Im Impedanzverlauf des Lautsprechers sieht man über dem Ausschlag bei seiner Resonanzfrequenz noch einen kleinen Buckel, der durch die Gehäuseresonanz verursacht wird. je kleiner die Öffnung, desto größer wird der Buckel und wandert auch in der Frequenz nach unten. Die Spitze der Gehäuseresonanz hat man auch im Frequenzgang, dort ist es eine große Spitze, die immer größer wird, je mehr man die Rückwand schließt. Das kann man je nach Ausprägung als "mehr Druck" oder auch als Dröhnen wahrnehmen. Über dem Resonanzbuckel gibt es eine tiefe Senke. Das kommt daher, dass sich je nach Frequenz (und damit Wellenlänge) die Schallanteile von vorne und hinten entweder addieren oder auslöschen. Die tiefe senke ist so eine Auslöschung

Für ein offenes Gehäuse nimmt man also besser einen Speaker mit schwachem Antrieb. Starke Antriebe bedeuten im offenen Gehäuse weniger Bass.

Nimmt man das gleiche Gehäuse und macht die Rückwand ganz zu, hat man ein geschlossenes Gehäuse mit 48 Liter Volumen. ich runde das für die Simulation mal auf 50 Liter auf. Dazu simuliere ich noch ein kleineres Gehäuse mit 30 Liter und ein größeres mit 70 Liter.

Wieder oben der Jensen, unten der Eminence. Links der Schalldruckverlauf, rechts die Impedanz.
Ich fange mit 30 Liter an.
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Hier das Gleiche mit 50 liter
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Und zum Schluss 70 Liter
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Geschlossene Gehäuse sind schnell beschrieben. Die Kiste ist luftdicht, damit es nicht zu einem akustischen Kurzschluss kommt.
Man handelt sich damit aber ein Problem ein. Die eingeschlossene Luft wirkt wie eine zusätzliche Feder, denn sie muss bei jedem Hub komprimiert oder dekomprimiert werden. Dadurch steigt die Resonanzfrequenz und die Güte. Wer sich erinnert weiß, dass ein Lautsprecher verschiedene Gütewerte hat, zusammengefasst in der Gesamtgüte Qts. Ist der Lautsprecher eingebaut, kommt der Gehäuseeinfluss dazu, daraus wird die Abstimmungsgüte Qtc. Die güte steigt immer durch den einbau in ein geschlossenes Gehäuse. Bis zu einer Güte von 0,7 gibt es bei der Resonanzfrequenz keinen Buckel im Frequenzgang. Um keinen Buckel zu haben, muss Qtc also 0,7 oder weniger betragen. Ich will euch jetzt nicht mit der Berechnung der Güte langweilen, deswegen das Wesentliche: Je kleiner das Gehäuse, desto stärker steigen Qtc und Resonanzfrequenz. Ein Lautsprecher mit größerem Qtc braucht also ein größeres Gehäuse, um nicht aufzubuckeln. Ein Lautsprecher mit einem Qts von über 0,7 erzeugt in jedem Fall einen Buckel, wenn er in ein geschlossenes Gehäuse eingebaut wird. Allzu eng muss man das nicht sehen, selbst im Hifi Bereich sind Abstimmungsgüten von 0,8 nicht selten, im PA Bereich geht man oft noch höher. Den Gitarristen braucht es also nicht weiter zu interessieren, wenn die Güte leicht nach oben vom Ideal abweicht. Zu hoch sollte die güte allerdings nicht werden, sonst passiert genau das, was man beim Jensen sieht. Das Gehäuse kann man beliebig groß machen, den Buckel bekommt man nicht weg. Die Überhöhung bei der Resonanzfrequenz ist deutlich und kann dröhnen. Kein wunder, der P12Q hat einen Qts von 1,77. Für geschlossene Gehäuse empfehle ich Lautsprecher mit einem Qts unter 1,0. Die buckeln zwar auch etwas, aber dröhnen noch nicht.


Nun zum Bassreflex Gehäuse.
Wer kann sich noch erinnern, wie die Gehäuseresonenz beim offenen Gehäuse immer weiter sank und sich stärker ausprägte, wenn die Öffnung kleiner wurde? An der Stelle möchte ich mal ansetzen, nehme den Eminence und verkleinere die Öffnung weiter.
Rückwand zu einem Achtel geöffnet:

Rückwand zu einem Sechzehntel geöffnet:
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Rückwand zu 1/32 geöffnet
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Und zum Schluss mit Rückwand nur zu 1/64 geöffnet.
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Die Gehäuseresonanz wird immer stärker und tiefer, je kleiner die Öffnung ist. Je kleiner die Öffnung, desto tiefer also die Abstimmfrequenz, also die Resonanzfrequenz des Resonators. Sie überlagert sich mit der Eigenresonanz des Lautsprechers, so dass beide Spitzen nach unten wandern. Der Resonator dominiert den Verlauf, die Eigenresonanz des Lautsprechers ist nicht mehr erkennbar.
Aus einem offenen Gehäuse wird also Stück für stück eine Bassreflex Kiste, je mehr man von der Rückwand zu macht. natürlich müsste die Öffnung für eine ausreichend tiefe Abstimmfrequenz bei dem hier simulierten Gehäuse so klein sein, dass die hindurch strömende Luft Strömungsgeräusche erzeugen würde. Das kann man verhindern, indem man eine größere Öffnung mit größerer Tiefe benutzt. Aus einem schlichten Loch in der Box wird also ein Kanal.
Mit größerem Querschnitt des Kanals bei gleicher Länge steigt die Abstimmfrequenz, mit größerer Länge bei gleichem Querschnitt sinkt die Abstimmfrequenz. Bei gleichen Kanalmaßen hat eine größere Box eine tiefere Abstimmfrequenz. Bei großen Boxen kann ein einfaches Loch schon ausreichen. Der Kanal sollte mindestens ein Fünftel der Fläche des Lautsprechers haben, dann ist man auf der sicheren Seite, was Strömungsgeräusche angeht.


Zu Bassreflexboxen kann man viel schreiben, weil sich verschiedene Faktoren gegenseitig beeinflussen.

Ich fasse mal das Wesentliche Zusammen:
Man braucht einen Lautsprecher mit starkem Antrieb. Allein am Qts kann man das nicht fest machen, aber der liefert schon eine grobe Richtung. Eine harte Einspannung oder eine schwerere Membran können diesen Wert ebenfalls nach oben treiben. Als Faustregel kann man sagen, dass der Qts für ein Bassreflex Gehäuse unter 0,6 liegen sollte. Es kann auch mit etwas höheren Werten klappen, aber so handelt man sich meistens entweder einen welligen Frequenzgang ein, oder die Kisten werden sehr groß und brauchen unpraktikabel tiefe Abstimmfrequenzen.
Mit einer tiefen Abstimmfrequenz verliert man an Schalldruck, das muss man durch ein größeres Gehäuse kompensieren, wenn man auch bei tiefen Frequenzen einen hochen Wirkungsgrad haben will.
Bassreflexgehäuse bieten dem Gitarristen einige Vorteile. Man kann tiefere Frequenzen wiedergeben, um z.B. bei Drop Tungings einen fetteren Klang zu erzeugen. Man kann auch die tiefen Frequenzen anheben, um nicht tiefer als eine geschlossene Box zu kommen, aber unten noch etwas schub hinzu zu geben.
Man kann die Box an die Umgebung anpassen. Mal klingt eine Box im Proberaum gut, aber auf der bühne dünn. Eine andere Box klingt auf der Bühne gut, dröhnt aber im Proberaum. Bei einer Bassreflex Box kann man einfach den Kanal mit Schaumstoff oder was Anderem verstopfen, damit die Kiste in kleinen Räumen nicht dröhnt. Damit es in großen Räumen nicht dünn klingt, kann man die Kanäle einfach wieder auf machen. Hat man mehrere Kanäle mit ausreichendem Querschnitt, kann man durch Verstopfen einzelner Kanäle sogar die Abstimmfrequenz senken.
Es bietet sich einfach eine zusätzliche Möglichkeit, den Klang zu beeinflussen.
 
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