Keine Zeit

Interessant, diese Dichotomie Wissenschaft/Kunst! Für mich ist der Handwerker genauso akribisch, wie der Wissenschaftler. Sonst würden alle Tische wackeln, alle Dächer wären undicht und keine Tür würde richtig schließen.
Damit beschreibst Du aber gleichzeitig den Unterschied: Die Genauigkeit des Handwerks zeigt sich im einwandfreien Produkt. Die Genauigkeit der Wissenschaft ist eine andere Baustelle; sie umfasst nicht zuletzt die Dokumentation der Arbeit, die (beliebigen) Anderen ermöglicht, sie bzw. das zu überprüfen.

Bei Liedtexten ist aber u.U. gerade das Gegenteil als Eindeutigkeit erwünscht, nämlich Interpretationsspielraum. Wenn @antipasti hier lobt, "Keine Zeit" sei der "erste sozialkritische Text hier in letzter Zeit, der durch knappe Klarheit und Schlichtheit überzeugt", sehe ich da wenig bis keine Sozialkritik, sondern - wohl wie Josh18 - eher Weltschmerz (und von daher auch eine Art Brücke zwischen den beiden Teilen; angedeutet mit "die richtige Zeit zum Verlieben" in Teil 1).

@Jongleur : Die Bemerkung zur Inselbegabung bezog sich in erster Linie darauf, dass JD in einer so kurzen Zeit nicht nur den Text, sondern auch die Musik auf den Punkt bringen konnte - sicherlich nicht immer, aber durchaus auch in anderen Fällen als "Annie's Song".
 
ANNIE'S SONG

@saitentsauber: Ich hatte dich schon richtig verstanden Auch Annis Song ist aus heutiger Sicht extrem simpel gebaut.

STROPHE: Eine Metaphernkette mit wie....
REFRAIN: eine "lass mich"-Kette

Da schreibt sich mMn der gesamte Song recht schnell - Heute sind Songs vielschichtiger gebaut,

John Denver schrieb:
Du füllst meine Sinne.
Wie eine Nacht im Wald.
Wie die Berge im Frühling. usw

......


Komm lass mich dich lieben.
Lass mich mein Leben dir geben.
Lass mich in deinem Lachen versinken usw
...

lg
 
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ein paar der bekanntesten sind innerhalb weniger Minuten in seinem Kopf entstanden, z.B. in einem (Skilift)
Eigentlich möchte ich diesen Aspekt hier nicht ausweiten, kann aber mein Posting auch nicht mehr bearbeiten - deshalb doch noch mal dazu, aber nur, um nachträglich eine Korrektur anzubringen.

Habe inzwischen dem Wikipedia-Eintrag entnommen, dass die im Skilift entstandene Melodie von Annie's Song ziemlich viel Tschakowski beinhaltete und deshalb von JD später überarbeitet wurde.

So, und jetzt vielleicht zurück zu "Keine Zeit"?
 
hi @saitentsauber ,
So, und jetzt vielleicht zurück zu "Keine Zeit"?

Eigentlich schreibe ich übers Handwerk nur, nur weil ich meine, dass der Text des TEs handwerklich Reserven hat.

Scheinbar vor allem in der Reimstruktur der Strophe. Aber erfahrungsgemäß ist mit dem vorigen Satz noch nicht viel gesagt. Die optimale Reimstruktur ergibt sich mMn erst, wenn man eine erste tolle Zeile geschrieben hat... an der sich die Folgezeilen orientieren können. quasi sich wiederholend!

Wie kommt man aber auf eine tolle Zeile? Natürlich, in dem man zunächst rumspielt, Aber jedes Spiel hat Regeln. Um welche Spielregeln geht es also beim Texten?

Und hier sind wir zufällig John Denver und dessen Regeln ziemlich nah gekommen. Weil Denvers Texte extrem von formalen Wiederholungen leben. Und Wiederholungen sind natürlich auch vom Reim, der Metrik und dem Syntax der ersten guten Zeile geprägt. Weil das gerade bei Denver so einfach zu erkennen, habe ich etwas weiter ausgeholt.

Ich bin ein riesiger Fan von Eminem. Der wäre stilistisch dem Genre unserem TE viel näher. Aber Eminem hat wirklich eine Inselbegabung. (Könnte ich begründen, will ich aber nicht.) Fakt ist, dass er mit den Formen spielen kann, wie kaum ein Zweiter. Egal, ob es um Reimpattern, Addlips oder Gedankensprünge geht. Diesen Genius nähert man sich am Besten über einfaches Handwerk... wie es zum Beispiel John Denver betrieb.

Ich weiß, dass manche Freestylerapper sich auf eine Battle vorbereiten, in dem sie sich jahrelang inhaltlich einfache Schablonen einprägen. In diese Sprachschablonen füllen sie dann vor Ort ihre Antworten auf die voran gegangenen Spottverse ihrer Gegner.

Ohne solche Hilfsmittel ist man beim Texten schnell erledigt. Weil die Konzentration schnell nachlässt. Konzentration nährt sich von schnellen Lösungen im Blickfeld des Autors. Schablonen sind schnelle Lösungen. Erst mit den Schablonen fängt das Texten an.

Hier werden sicher einige aufstöhnen: "Viel zu schematisch gedacht! Kunst ist Intuition. Intuition läßt sich nich steuern". Von Textern höre ich dieses Argument aber höchst selten. ;-)

Gut, ich kann gern auf das nächste Zeichen vom TE warten. :)
 
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