Literaturempfehlung zu Sinustonkomposition/serielle Musik(Stockhausen)

Olivier Messiaen hatte Ende der vierziger Jahre als erster den Gedanken der Organisation von den Tonhöhen auch auf die Tondauern -lautstärken und konzeptuell auch auf die Klangfarben übertragen.

Hallo Klaus,
schön, daß du in in diesem Kontext Messiaen erwähnst. Eben gerade weil er niemals auch nur im entferntesten zu den Seriellen gehörte, deren Praxis aber um einige Jahre vorwegnahm.
Eben jenes 'Mode de valeurs et d'intensités' blieb in Messiaens Schaffen ohne Nachfolger. Als rein abstraktes Gedankenexperiment entstanden, hat er die zugrunde liegende Idee dann aber auch sehr schnell wieder als vollkommen unbrauchbar abgetan und nicht mehr weiter verfolgt. Es als erstes serielles Werk zu bezeichnen, was häufig geschieht, trifft den Kern aber letztlich nicht ganz. Reihendenken war Messiaen völlig fremd und der Titel des Stückes veranschaulicht das auch ziemlich deutlich. Messiaens Handhabung der 12 Töne steht außerdem Hauers 'Tropenlehre' auch wesentlich näher als der 2. Wiener Schule.

@all
Vielleicht sollte ich an dieser Stelle einfach nochmal ein bißchen Öl ins Feuer gießen und die Frage 'Kraftwerk und Nachkommen versus frühe elektronische Avantgarde' nochmal aufgreifen.
Das beinahe schon indoktrinäre Gebaren der Kölner, der Nabel der Welt zu sein, verstellt auch ganz gerne den Blick dafür, daß zur selben Zeit auch andernorts in akademischen Kreisen 'Elektronische Musik' entstanden ist.

Wer kennt denn hierzulande noch Morton Subotnick? Einer der großen Pioniere der Elektronischen Musik in Amerika, der jahrelang am berühmten Mills College in Oakland lehrte.
Ich werde jetzt einfach kommentarlos ein Video von ihm posten und warte mal ab, was passiert...

Morton Subotnick - Silver Apples of the Moon

Das Stück ist übrigens von 1967.

Saluti,
Hiatus
 
Es ist interessant, zurückzuverfolgen, wie die sich aus der Zwölfton-Reihentechnik die serielle Musik bzw. "Elektronischen Musik" aus Köln entwickelte. Schönberg (Webern) und Messiaen haben hierbei wohl die größte Bedeutung.
Ein wichtiges Bindeglied zwischen der Zweiten Wiener Schule und der jungen Nachkriegsavantgarde war offenbar René Leibowitz. Er wurde zur Schlüsselfigur für die Verbreitung von Ästhetik und Technik der o.g. Zwölftonmusik unter den jungen europäischen Komponisten nach dem Krieg. Seit Ende der 1940er Jahre wirkte er als Lehrer bei den Kranichsteiner/Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik (siehe Leibowitz).

Während von Schönberg gesagt wird, daß er Abweichlern von seiner reinen Lehre mit vernichtender Strenge begegnete, hatte kaum ein Lehrer ein offeneres musikalisches Denken wie Messiaen. Einen "glühenden Schmelztiegel" hatte ihn Stockhausen genannt. (siehe http://www.iljastephan.de/FrameBeweger.htm).

Im Sommer 1949 komponierte er in Darmstadt innerhalb weniger Tage eine Etüde (étude de rythme) mit dem Titel "Mode de valeurs et d'intensités" (Video).

Ein "bescheidenes Stück", "in musikalischer Hinsicht drei Mal nichts", so Messiaens späterer Kommentar (S. 27, Kämper in: Blumröder/Hünermann, nähere bibliogr. Angaben s.u.).

Er führte das Klavier-Stück seinerzeit in Darmstadt auf, doch es entfaltete seine Sprengkraft erst 1951 später am gleichen Ort. Messiaen war selbst nicht anwesend, als die jungen Komponisten sich magisch von der Plattenaufnahme angezogen fühlten und insbesondere Stockhausen die Aufnahme "zehn- zwanzig Mal" anhörte. 1952 besuchte letzterer das ganze Jahr die Kurse Messiaens in Paris. Stockhausens erste serielle Komposition "Kreuzspiel" (Video) war die unmittelbare Folge von Messiaens Etüde. Er legte darauf Wert, daß Messiaen bei der Aufführung in Darmstadt 1952 persönlich anwesend war.

Das Konstruktionsprinzip von Messiaens Etüde:
Es gibt drei Zwölftonreihen in drei Registern, jeder Ton ist mit einer bestimmten Länge (aus einer Additionsreihe), einer bestimmten Dynamik und einer bestimmten Anschlagsart identifiziert. Die drei Tonreihen sind so organisiert, dass bei 36 Tönen 24 verschiedene Tonlängen vorkommen, 12 verschiedene Anschlagsarten und 7 verschiedene Dynamiken. Gleichnamige Töne haben in den verschiedenen Reihen verschiedene Attribute und unterschiedliche Oktavlagen.
Quelle: www.satzlehre.de/themen/messiaen.pdf


Was begeisterte Stockhausen (und Boulez) an der Etüde von Messiaen, die für letzteren recht unwichtig war?

Es war wohl das Prinzip einer determinierten, sich selbst organisierenden Musik, mit einem Höchstmaß an Eigenständigkeit der Einzeltöne.

Stockhausen:
"..daß wirklich eine Idee, eine totale Vorstellung alle Materialdimensionen notwendig auswählt... - daß der Schreibende nur noch die Funktion des Aufführens, des Dienens hat und vollkommen unprometheisch, unfaustisch, unpersönlich wird - wenn Du willst unmenschlich, so wie seine Musik immer unmenschlicher, immer reiner wird... Wirkliche Schönheit findet sich da ein -, wenn man bereit ist sie anzunehmen, wird man ihr begegnen." (Brief an Luigi Nono 20.3.1952)
Hans Werner Henze setzt diesem Reinheitsideal später seine "musica impura" entgegen, da er in vollständig prädeterminierter Musik nichts sagen könne.
"Mich interessiert Musik um Stimmungen, Atmosphäre, Zustände wiederzugeben. Ich will keine absolut zugeschnürten Musikpakete." (ähnlich äußerte sich Luigi Nono)
Aus: Dietrich Kämper: Olivier Messiaen und die musikalische Avantgarde der fünfziger Jahre, S .24 ff in: Christoph von Blumröder, Tobias Hünermann: Kompositorische Stationen des 20. Jahrhunderts (2004) LIT Verlag Münster


In der seriellen Musik sollen alle Parameter kontrolliert werden. "Dies führte zwangsläufig zu einer (auch von Stockhausen selbst festgestellten) Degradierung der aufführenden Musiker zu reinen "Abspielmaschinen" bei gleichzeitig immensen technischen Schwierigkeiten, diese Werke zu spielen. Der Ausweg schien in der elektronischen Musik zu liegen, bei der keine Interpreten mehr vorkommen." (Wikipedia)

Mein Eindruck:

Durch die o.g. Umstände kam es dazu, daß die erste Elektronische Musik vom Konzept des Serialismus dominiert wurde, das seinen Ursprung in Schönbergs Reihentechnik hat.

Mit der Eigenständigkeit der Töne gehen praktisch zwangsläufig die Beziehungen unter Ihnen nahezu verloren. Vergeblich sucht man oft nach Gestaltungsprinzipien im Tonchaos. (Musik ohne nachvollziehbare Ordnungsprinzipien wirkt ähnlich beliebig, wie von Aleatorik dominierte Musik.)
Die Musik läuft auch Gefahr, aufgrund verstandesbetonter (eiskalter) Konstruktionsprinzipien die emotionelle Wirkung zu vernachlässigen.

Musik aber dürfte gerade die Kunstgattung darstellen, der die größte und direkteste Kraft zugesprochen wird, Emotionen auszudrücken und auszulösen. Der emotionale Gehalt von Musik ist auch für die meisten Menschen genau der Grund Musik zu hören oder auszuüben.

Kein Wunder also, wenn sich Menschen von einer Musik abwenden, die auf sie emotionsarm, damit ausdrucksarm, evtl. verkopft, intellektuell und chaotisch wirkt. So hat die reihentechnisch und seriell konstruierte Musik zur Verbreiterung des Grabens zwischen zeitgenössischer Kunstmusik ("Neuer Musik") und Unterhaltungsmusik beigetragen.


Zu Morton Subotnicks' "Silver Apples on the Moon" von 1967:

Der am höchsten bewertete Kommentar des Videos lautet bezeichnenderweise:

"techno music before techno arrives!"

Viele Grüße

Klaus
 
Zuletzt bearbeitet:

Unser weiteres Online-Angebot:
Bassic.de · Deejayforum.de · Sequencer.de · Clavio.de · Guitarworld.de · Recording.de

Musiker-Board Logo
Zurück
Oben