Nun wäre meine Frage an euch - welche musikalischen Besonderheiten oder epochale Merkmale fallen euch hier ein? Besondere Takte?
nur kurz einige prägnante Merkmale
Diese Fragen muten ausgerechnet im Zusammenhang mit den "Sacre" insofern etwas seltsam an, als gerade diese Werk eines der epochalsten der Musikgeschichte genannt werden darf. Es ist sozusagen
in Gänze ein besonderes Werk, sich da einzelne Takte heraus zu picken erscheint daher in Bezug auf diese Aussage etwas müßig. Obwohl man selbstverständlich auch am Sacre rauf und runter analysieren kann wenn man möchte. Aber wie schon gesagt, würde das den hier vertretbaren Rahmen ziemlich sprengen.
Wichtig ist, dass der Sacre in eine Epoche einbricht, und zwar der Spätromantik, in der das 19. Jahrhundert nachhallt und sich in vielen Werken vor allem im Gefolge von Richard Wagner überspitzt formuliert der eigenen Schwülstigkeit hingibt.
Es gab reichlich Absetzbewegungen von diesem Trend. R. Strauss Oper "Elektra" (1909) bringt vor allem im Harmonischen Schroffheiten, die dem Stoff definitiv angemessen sind, aber zunächst auch auf Ablehnung beim Publikum stießen. Hindemith kommt mit seiner klanglich sehr modernen (in der Urfassung) Oper "Cardillac" erst deutlich später (1926), Charles Ives, der sehr innovative Klang-Collag-Techniken schon früher entwickelte [z.B. "Unanswered Question" 1906
], wird in Europa nicht rezipiert (auch kaum in Amerika). Debussys feinnerviger impressionistischer Stil setzt ein ganzes, aber auf seine Weise intimes Klangspektrum daneben, dass aber eher eine "stille Revolution' darstellt und nicht zum Skandal oder zum Aufrütteln taugt. Satie überspitzt mit absurd-spielerischen Einfällen, bleibt aber eine singuläre Randerscheinung, die keine allzu großen Kreise zieht.
Aber der "Sacre": Schroff, fast brutal mit seinen hämmernden Ostinati, die aber immer wieder äußerst kunstvoll durchbrochen werden, kompromisslos, mit fast erschlagenden Kontrasten. Primitivität als Ausdruck, gesetzt mit größter Komplexität, vor allem rhythmisch. Dazu eine Ballett-Choreografie, die Grenzen überschreitet. Das schlug ein und riss eine Tür ganz weit auf, eine Tür zur Moderne, die sich danach nicht mehr schließen ließ. Da sitzt jede Note, mitunter wie die gezielten Treffer von Karate-Schlägen, Heavy-Metal des frühen 20. Jahrhunderts.
Das musste das damalige Publikum maßlos überfordern.
Ein Name muss noch genannt werden, weil viele ihn als den großen rhythmischen Erneuerer wähnen: Carl Orff. Dessen "Carmina Burana", eine gewiss faszinierende und mitreißende Komposition, entstanden erst 1935/36. Da hatte Starvinsky nicht nur schon ganz lange den "Sacre" komponiert, sondern auch die "Geschichte vom Soldaten" [
- 1917] und "Les Noces" [
- 1923]. Beide setzten dem "Sacre" in einigen rhythmischen Details noch etwas drauf, gehören aber als kammermusikalische und damit eher "intime" Werke einem a priori weniger spektakulärem Genre an.
Der "Sacre" kann daher bildlich gesprochen als ´der große Paukenschlag´ gelten, mit dem das 20. Jahrhundert der Musik endgültig und unmissverständlich eröffnet wurde.